Der zerbrochene Krug
Der zerbrochene Krug - Lustspiel in einem Akt
zum Autor:
Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist wurde am 18. Oktober 1777 in Frankfurt an der Oder als fünftes Kind des Hauptmanns Joachim Friedrich von Kleist geboren.
Er entstammt einer der ältesten preusischen Adelsfamilien, die Macht und Einfluß am preusischen Hof besaß. In dieser Familie, deren Denken von Konservativen Standesvorurteilen und erstarrten Ehrbegriffen geprägt wurde, war es Tradition, die Offizierslaufbahn einzulenken. Heinrich von Kleist selbst gehörte nur einem verarmten Nebenzweig dieser Familie an, dennoch beherschte ihn noch lange Zeiten die Vorstellung seiner Familie Ruhm und Ansehen verpflichtet zu sein.
In seinen ersten Lebensjahren erhielt Kleist häuslichen Privatunterricht.
Im Jahre 1788 starb Kleists Vater. Seine Mutter die seither vergeblich um Pension gebeten hatte, musste schließlich den damals elfjährigen Heinrich nach Berlin in hugenottische Erziehung schicken.
Den Traditionen der Familie entsprechend tritt er 1792 in das Garderegiment von Potzdamm ein. Preußen stand in dieser Zeit im Krieg mit dem revolutionären Frankreich. Er nahm am Rheinfeldzug teil; und später dann nachdem 1793, seine Mutter nach einer schweren Erkrankung ihren Leiden erlag, an der Belagerung von Mainz. Zurück in Potzdamm, findet Kleist unter den Offizieren einen Kreis von Freunden, die sich gleich wie er, mehr für Wissenschaft und Künste interessieren als für das Kriegshandwerk. Bald ist er "mehr Student als Soldat", immer mehr festigt sich bei ihm,bei diesen Studien, die Überzeugung, dass der Sinn des Lebens darin bestehe, sich durch Erkenntnisse, also durch Wissensaneignung, sittlich zu vervollkomnen. Die Ausbildung zur gerundeten Persönlichkeit, die zu tugendhaftem Handeln fähig und Willens ist, erscheint ihm als eigentliche Lebensaufgabe. Die Tätigkeit eines Offiziers ist mit diesem Ideal nicht in Übereinstimmung zu bringen. 1799 reicht er schließlich seinen Abschied vom Offiziersdienst ein.In seiner Familie stößt er auf Unverständnis, zumal er von keinen klaren Berufsvorstellungen begleitet ist. Zunächst will er seine wissenschaftlichen Studien an der Heimuniversität fortsetzen, er studiert drei Semester Physik, Mathematik, Kulturgeschichte, Naturrecht und Latein.
Er verliebt sich in Wilhelmine von Zengen, die Tochter eines Generals, und verlobt sich mit ihr. Doch um eine Familie zu gründen und standesgemäß unterhalten zu können, reicht das kleine Erbe, über das er verfügt nicht aus. Er muss sich um ein Amt im zivilen Verwaltungsdienst bewerben, die einzige Verdienstquelle die ihm als Adligem in Preußen außer dem Militär offensteht, und sich damit erneut in Abhängigkeit von der feudalen Gesellschaft begeben, aus der er auszubrechen versucht.
Im Sommer 1800 begibt sich Kleist auf Reise, hält sich einige Zeit in Würzburg und Berlin auf. Er nimmt an einigen Sitzungen des preussischen Wirtschaftsministeriums teil, erfährt jedoch immer mehr das er den Anforderungen der ihm offenstehenden Berufe nicht entsprechen kann. Wenige Zeit später beginnt er sich mit der "neuere sogenannte Kantische Philosophie" zu beschäftigen, welche sein ganzes bisheriges Weltbild erschüttert, das von dem Gedanken beherrscht war, Lebensaufgabe sei die sittliche Vervollkomnung desIndividiums durch Erkenntnis. Er kommt zu der Auffassung:"Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint. Ist das letzte so ist die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nicht mehr - und alles Bestreben, ein Eigentum sich zu erwerben, das uns auch in das Grab folgt ist vergeblich - "
Um sich diesen bedrückenden Verhältnissen zu entziehen, schlägt er seiner Schwester Ulrike vor, mit ihm nach Paris zu reisen. Diese Reise wird ein Wendepunkt in seinem Leben. Die Vorstellung vom schriftstellerischen Metier nimmt jetzt konkrete Formen an.
1802 hält Kleist sich einige Zeit in der Schweiz auf. Seine Braut Wilhelmine fordert er auf, zu ihm zu ziehen, und dort mit ihm das Leben zu teilen. Als sie berechtigt einwendet, solchen Anforderungen nicht gewachsen zu sein, bricht er alle Verbindungen mit ihr ab.
1804, Kleist bereist wieder Paris und dann Berlin, wo er versucht in den Staatsdienst eigestellt zu werden; er wird im Finanzministerium eingestellt.
1806 verabschiedet er sich aus dem Staatsdienst.
1808 gründte er in Dresden mit Adam Müller die Zeitschrift "Phöbus".
1809 verbringt er einige Zeit in Böhmen, Österreich, Frankfurt an der Oder und anderen Orten.
In Berlin gab er seit 1810 die "Berliner Abendblätter" für kurze Zeit heraus, sechs Monate lang, täglich auser Sonntags.
Schließlich sind für ihn alle Tätigkeiten, für diesen Staat sinnlos geworden. Er sieht sich ohne jede materielle Existenzgrundlage. Ihm fehlt der moralische Anreiz, den immer wieder scheiternden Kampf fortzusetzen. In einem Brief schreibt er:" Aber ich schwöre Dir, es ist mir ganz unmöglich, länger zu leben; meine Seele ist so wund, dass mir, ich möchte fast sagen, wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe tut, das mir darauf schimmert". In dieser verzweifelten Lage findet er in Henriette Vogel einen Menschen, der seine Todessehnsucht verstehen kann und sie teilt. Unheilbar an Krebs erkrankt, ist für sie der Freitod die Rettung vor langem Siechtum und qualvollem Sterben. Kleist dagegen scheint der Tod jetzt eine Gemeinschaft zu bringen, die er ein Leben lang vermißt hat. Am 21. November 1811 setzte Kleist gemeinsam mit Henriette Vogel am kleinen Wannsee bei Berlin seinem Leben ein Ende.
Leben und Werk Henrich von Kleists haben auf seine Zeit und auf die Nachwelt eine zwiespaltige, aber nachhaltige Wirkung ausgeübt. Die Zeitgenossen wurden die Gewaltsamkeit der Bilder, die Maßlosigkeit der Gefühlsausbrüche, die Kraßheit der Situationen, die Mißachtung schöner Konventionen mehr schockiert als durch die Kraft, die rhythmische Dynamik, die weiten dramatischen Spannungsbögen und die poetische Schönheit dieser Sprache angezogen.Die Nachwirkung setzte spät ein.Von wenigen Ausnahmen abgesehen,kam es erst am Ende des 19. Jahrhunderts zu einer stärkeren Resonanz auf seine Dramen und Erzählungen.
Weitere Werke:
Käthchen von Heilbronn
Penthesilea
Prinz Friedrich von Homburg
Die Marquise von O.
Michael Kohlhaas
Die Familie Schroffenstein
Robert Guiskard
Die Hermannsschlacht
AmphitrionPersonen:
Walter; Gerichtsrat
Adam; Dorfrichter
Licht; Schreiber
Frau Marthe Rull und ihre Tochter Eve
Der Bauer Veit Tümpel und sein Sohn Ruprecht
Frau Brigitte u.a.
Ort und Zeit:
In der Gerichtsstube in einem niederländischen Dorfe bei Utrecht, 18. Jahrhundert
INHALTSANGABE:
Der Schreiber Licht trifft am Morgen in der Gerichtstube den Dorfrichter Adam in nicht besonders guter Verfassung an. Er hat Wunden am Kopf, das Gesicht ist zerschunden, und er scheint überhaupt ungewöhnlich mitgenommen und zerstört. Er gibt vor, beim Aufstehen aus dem Bett hingefallen zu sein und sich am Ofen gestoßen zu haben. Das ist umso peinlicher für ihn, als - wie der Schreiber erfahren hat - der Gerichtesrat Walter sich auf seiner Revisionsbereisung der Ämter in der Nähe befindet. Kaum hat Adam nur das Nötigste für den möglichen hohen Besuch richten lassen - nicht einmal eine Perücke ist zur Stelle -, ist der Gerichtsrat schon da. Kahlköpfig, muss er sofort mit der Amtsausübung beginnen, da heute Gerichtstag ist. Der Gerichtsrat wird der Verhandlung beiwohnen. Es erscheint streitentes Bauernvolk.
Frau Marthe Rull beschuldigt Ruprecht, den Sohn des Bauern Veit Tümpel, einen Krug im Zimmer ihrer Tochter Eve zertrümmert zu haben. Er war mit Eve verlobt, beschimpft seine Braut jetzt aber mit "Metze"(1). Frau Marthe bestätigt ihrer Tochter gegenüber: "Dein guter Name lag in diesem Topfe, und vor der Welt mit ihm ward er zerstoßen." Noch ehe die Gerichtssitzung beginnt, versucht Adam, Eve beieite zu nehmen und ihr heimlich unter Hinweis auf ein Papier zu drohen. Nach zweimaliger Aufforderung des Gerichtsrates beginnt Adam endlich mit dem Verhör. Marthe Rull trägt umständlich und unter genauester Schilderung der Beschaffenheit des zerbrochenen Kruges vor, wie sie am Abend durch laute Männerstimmen und einem Tumult in die abgelegene Kammer ihrer Tochter Eve gelockt wurde, wie dort der Krug zertrümmert lag, und wie sie Eve, die Hände ringend, mit dem "Flaps"(2), dem Ruprecht, antraf. Ruprecht habe behauptet, nicht er habe den Krug vom Sims herabgestoßen, sondern ein anderer. Ruprecht bestätigt, dass er bei Eve war, stellt aber fest, dass ein anderer Mann bei ihr angetroffen habe - wer es war, hat er nicht erkannt -, dass dieser,als er polternd in Eves Kammer einbrach, aus dem Fenster gesprungen sei. Als er dem Flüchtigen nachspringen wollte, habe dieser ihm eine Handvoll Sand in die Augen geworfen. Adam, der immer wieder das Verhör in die Länge zu ziehen oder es auf ein anderes Gleis zu schieben versucht, meint schließlich, das die Sache sich gut zu einem "Vergleich" eigne. Der Gerichtsrat, dem das sonderbare Gebaren des Dorfrichters längst aufgefallen ist, besteht darauf, der Sache auf den Grund zu gehen. Letzten Endes kann nur Eve das Rätsel lösen und sagen, wer der Mann war, der vor Ruprecht zu ihr in die Kammer kam. Adam möchte zu gern den Verdacht auf den Flickschuster Leberecht gelenkt wissen. Eve erklärt, dass nicht Ruprecht den Krug zerschlug, doch sie glaubt, weitere Aufklärungen vermeiden zu müssen:"Es ist des Himmels wunderbare Fügung, die mir den Mund in dieser Sache schließt."In Wahrheit fürchtet sie für das Leben ihres Ruprecht, wenn sie den Dorfrichter beschuldigt. Erst eine neue Zeugin, die Muhme Brigitte, bringt Licht in das Dunkel. Bis sie herbeizitiert wird, traktiert Adam den Gerichtsrat mit einem Frühstück und Rheinwein und wendet seine ganze Schläue und Beredsamkeit an, von der Sache abzulenken und auch den Verdacht abzuwehren, der bereits auf ihn gefallen ist. Die Aussage der Muhme Brigitte bringt es aber an den Tag: sie hat die Perücke gefunden, die Adam auf seiner Flucht verloren hat, und sie hat die Spuren im Schnee verfolgt, die unabweisbar zum Hause des Schuldigen führen. Der Klumpfuß des Dorfrichters erweist sich als verräterisch, und die neue Ausrede, dass es möglicherweise der Teufel selbst gewesen sei, verfängt wenig. Als Adam den Spruch fällt, nach welchem Ruprecht als Schuldiger ins Gefängnis soll, geht die empörte Eve endlich aus ihrer Zurückhaltung heraus."Der Richter Adam hat den Krug zerbrochen!" Er war es, der bei Eve in der Kammer war. Adam ergreift nach dieser Entlarvung schleunigst die Flucht. Eve aber wirft sich dem Gerichtsrat zu Füßen und fleht ihn an, Ruprecht vor der Konskription(3) zu retten. Adam hat ihr mit einem gefälschten Papier gedroht, Ruprecht würde zum Militär eingezogen und müsse nach Ostindien, von wo kaum einer lebend zurückkehren würde. Er wolle und könne es verhindern. Um ein Attest auszufertigen, schlich er in ihr Zimmer, "so Schändliches, ihr Herren von mir fordernd, dass es kein Mädchenmund wagt auszusprechen." Das ist das Ende der Richterlaufbahn Adams. Der Gerichtsrat setzt den Schreiber Licht zu seinem Nachfolger ein, will jedoch das Äußerste bei der Bestrafung Adams verhindern, wenn er die Kassen in Ordnung findet. Eve und Ruprecht können sich versöhnen. Frau Marthe Rull aber gibt sich noch nicht zufrieden. Sie will bei der Regierung in Utrecht um den zerbrochenen Krug klagen.
1 Metze: urspr.: Mädchen; später zur Bedeutung "Hure" abgesunken
2 Flaps: von Flappe"Maul" Anlass:
3 Konskripton: listenmäßige Aushebung zum Heeresdienst
Anmerkungen:
Wer den ganzen Reiz dieser Komödie auskosten will, muss durch die Komik der außeren Vorgänge hindurch den Hintersinn erspüren, den Kleist zart, aber deutlich durchscheinen lässt. Schon die sprechenden Namen der Hauptpersonen deuten darauf: der Dorfrichter als der "alte Adam" der seine Begehrlichkeit auf die junge Eve zu Fall bringt, diese sein heller Gegenpol, gefeit durch die Liebe zu ihrem Ruprecht, von dem sie dieselbe opferbereite Liebe fordert. Der Gerichtsrat als "Walter" der Gerechtigkeit und Abgesandter höherer Macht, dem der Schreiber "Licht" hilft, die dunkle Affaire zu durchleuchten. Der Gerichtsprozeß mit dem Schuldigen als Richter; Adam kennt seine Schuld nur allzu gut, und versucht sie mit aller Durchtriebenheit zu vertuschen.Seinem grotesken Gerichtsverfahren läuft das Walters entgegen, das die Wahrheit endlich zuTage bringt; in der kunstvollen Verschlungenheit der beiden Prozesse liegt die durch Verzögerungen gesteigerte Spannung des Spiels, dessen Humor um Haaresbreite von der Tragik geschieden ist.Der Dorfrichter in der Mischung von breiter Behäbigkeit, genialer Gerissenheit, bösem und wieder Armen, gehetzten Teufel so unausdeutbar schillernd, ebenso die anderen Gestalten, wobei neben der Eve, vor allem die Frau Marthe Rull mit ihrer prachtvollen Zungenfertigkeit unvergeßlich bleibt.
Über den Anlass zur Entstehung des Stücks berichtete Kleist in einer Vorrede: "Diesem Lustspiel liegt wahrscheinlich ein historisches Faktum, worüber ich jedoch keine nähere Auskunft habeauffinden können, zum Grunde. Ich nahm die Veranlassung dazu aus einem Kupferstich, den ich vor mehreren Jahren in der Schweiz sah."
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