Der Proceß
Eines Tages wird er von einem besorgten Onkel besucht, der ihm empfiehlt, seinen Schulfreund, einen Advokaten als Verteidiger zu berufen. Die Gelegenheit einen hohen Gerichtsbeamten, bei dem ans Bett gefesselten Advokaten, kennenzulernen und damit seinem Prozeß zu nützen, lässt K. sich entgehen, indem er sich im Nebenzimmer mit der Haushälterin vergnügt.Er vernachlässigt ab nun seine Arbeit bei der Bank und widmet sich fast ausschließlich seinem Prozeß. Von einem Bankkunden empfohlen sucht er einen Maler auf, der offensichtlich beste Kontakte zu den Beamten unterhält, und K. über die Struktur des Gerichtes und seiner Prozesse unterrichtet:
Neben dem freilich nur legendären "wirklichen Freispruch" gibt es den "scheinbaren Freispruch" (unendliche Kettenreaktion von Verhaftungen und scheinbarer Freisprüche) und die "Verschleppung" (Prozeß dauernd im niedrigsten Stadium halten).Genau diese letzte Taktik betreibt sein Advokat, aber K. der seinen Prozeß möglichst rasch beenden will, möchte ihm die Verteidigung entziehen. Dies wird ihm durch die sklavische Abhängigkeit eines gleichfalls bei seinem Advokaten vertretenen Angeklagten bestätigt.Hatten sich die Gerichtsbehörden bis jetzt passiv verhalten, glaubt sich K. plötzlich gehetzt zu werden. Grund für seine Annahme ist der Gefängniskaplan der statt des Geschäftsfreundes im Dom erscheint.Vergeblich versucht dieser ihm seine Begriffsstutzigkeit hinsichtlich seines Prozesses zu erklären. Er erzählt ihm die Parabel vom Türhüter vor dem Gesetz zu dem ein Mann vom Lande kommt, der Einlass in das Gesetz sucht.Er verbringt sein Leben mit Warten bis ihm der Türhüter kurz vor seinem Tod erklärt, dass der Eingang nur für ihn gewesen ist. K., der zu müde ist, allen Erklärungen und Kommentaren zu folgen, wird vom Geistlichen mit dem zweideutigen Trost entlassen: "Das Gericht will nichts von dir. Es nimmt dich auf, wenn du kommst, und es entlässt dich, wenn du gehst." Das Ende kommt überraschend.Ohne je vor seine hohen Richter gelangt zu sein, wird K. von zwei "halbstummen verständnislosen" Herren abgeführt, und in einem verlassenen Steinbruch erstochen. Er lässt sich anstandslos erstechen, frägt sich ob er sich nicht vielleicht selbst hätte erstechen müssen - seine Vermutung bestätigt sich darin als die Herren, während er stirbt, meinen er sterbe wie ein Hund : "...,es war, als sollte die Scham ihn überleben..."
In diesem Roman offenbart sich der Erzählstil Kafkas überdeutlich: Kafkas beinahe fetischistische Hingabe ans Detail, die geradezu pedantisch exakte sprachliche Erfassung der beklemmenden Vorgänge, aus deren unterkühlt monotoner Darstellung der Schock unvermittelt hervorbricht verweigert jegliche Identifikation des Lesers mit dem Helden.
Bei aller Vielschichtigkeit des Werkes hat der Roman trotzdem einen streng einsinnigen Erzählverlauf, der sich als eine Kette von lose verbundenen Szenen darbietet." Dem absoluten, voraussetzungslosen Anfang entspricht das absolute Ende als K. hingerichtet wird. Zwischen diesen Fixpunkten spielt das Geschehen. Besonderes Augenmerk müssen wir der Parabel "Vor dem Gesetz" zuwenden, sie ist ein Kernstück, ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis des Romans.Da Kafka die Parabel aber auch selbstständig veröffentlicht hat, müssen wir auch den Eigenwert derselben beachten.Das auffälligste Gestaltungsmerkmal ist die durchgängige Doppelsinnigkeit, ja Widersprüchlichkeit der Einzelaussagen wie des gesamten Bezugssystems. Die kühle nüchterne Sachlichkeit steht in einem seltsamen Widerspruch zu der gestellten Frage nach Wahrheit, nach dem Wesen des absolut Gültigen, nach Schuld und Irrtum, Weg und Ziel menschlichen Strebens.So überrascht uns schon der erste Satz in dem der abstrakte Begriff des Gesetzes sich mit dem davor stehenden Türhüter überschneidet. Auf die Frage des "Mannes vom Lande" ob er eintreten dürfe, bekommt er als Antwort, dass in der "Jetzt" Zeit es für ihn keinen Zutritt zu dieser das Leben des Mannes bestimmender Ordnung gebe, zu einem späteren, nicht näher zu fixierenden Zeitpunkt bleibt die Möglichkeit offen. Im weiteren Verlauf der Handlung kann man erkennen, dass es eine Möglichkeit der Annäherung zu diesem Gesetz geben müsse. Die Auskunft des Türhüters, der das Innere des Gesetzes gar nicht so recht zu kennen scheint, scheint die Auskunft über die nächsten Türhüter unglaubwürdig. (Hierarchie, etc.) Der Widerspruch zwischen der Anziehungskraft des Gesetzes, zog es ja den Suchenden an, und dem Türhüter der niemanden einlässt, lässt auch das Gesetz in einem zwielichtigen Licht erscheinen. ("Es zeigt sowohl das Gesicht des Ersehnten als auch das Gesicht des Verbotenen.") Seine Strahlkraft erweckt den Eindruck als streben alle nach ihm, aber doch verlangt nur ein einziger Einlass, und selbst dieser wartet viele Jahre und dann erfährt er am Ende seines Lebens, dass dieser Eingang nur für ihn bestimmt war, und dass dieser jetzt in Angesicht seines Todes verschlossen würde! Wie man dieses Gesetz interpretieren vermag, in jedem Fall geht es wohl um einen vollkommenen, absoluten, höchsten Wert. Das Vollkommene tritt nur unvollkommen, das Sinnhafte nur sinnwidrig, das Eine und Heilige nur zwiegesichtig und gebrochen, das Höchste nur in der Form des Niedigsten in Erscheinung. Der Suchende hat sich also nicht getäuscht, dass es in seinen Leben einen Allerhöchsten Wert, ein Gesetz gibt, aber dieser Sinn erweist sich als unfaßbar, das Gesetz als unzugänglich, schlußendlich glaubt er an eine Lüge. Der Verlust der ursprünglichen Werthaftigkeit des Gesetzes ist freilich ausschließlich gebunden an den Erscheinungs - und Wirkungsformen desselben. (Türhüter ist eine zweifelhafte Figur bzw. Karrikatur.)
Der Suchende steht allerdings mit sich selbst in einem Widerspruch: Er, angezogen von dem Gesetz, wird von dem Türhüter "aufgehalten". Hat er sich aus freier Entscheidung zum Gesetz begeben, so stoppt er seinen Weg durch einen weiteren, freien Entschluß zu warten. Statt seiner inneren Stimme zu gehorchen, einzutreten und wenigstens den Wahrheitsgehalt der Aussage des Türhüters zu überprüfen, setzt er sich wie ein Kind auf den Schemel und wartet. Aber je länger vor dem Gesetz wartet, desto mehr entfremdet er sich von ihm. Sein Blick verengt sich dadurch immer mehr bis er schließlich erblindet. Aber trotzdem kann er kurz vor seinem Tod noch den "unverlöschenden Glanz", die Schönheit des Gesetzes erkennen. Die letzte Frage die der Mann stellt, zeigt, dass der Gegensatz zwischen der Absolutheit des gültigen Seins, nach dem alle Menschen streben, und der Relativität menschlicher Einsicht, die nur vom Einzelnen gewonnen wird von ihm noch nicht erkannt bzw. aufgehoben wurde. Es zeigt die "totale Isolation" in der sich der Mann als Wartender begeben hat - und selbst als Sterbender wartet. Er hat sich aus freien Stücken aufgemacht, um in das Gesetz zu gelangen, und unterwirft sich kurz vor seinem Ziel der untersten Instanz des Gesetzes, verdammt zu warten. Als Wartender verengt sich sein Blick vom Wesentlichen zum Banalen hin. Er ist somit unschuldig als Wartender, schuldig erscheint er, weil er seiner innneren Stimme nicht gehorcht, den entscheidenden Schritt über die Schwelle nicht wagt.
Den Anlass für diese Parabel bildete die indirekte Kritik an der Vertrauenswürdigkeit des "Gerichts" des Josef K. Der Geistliche entgegnet ihm aber dass er sich im Gesetz täusche und erzählt ihm obige Parabel. In dem nachfolgendem Gespräch zwischen den beiden versucht der Geistliche den Sinn vorzutragen. Aber er merkt an, dass keine "Meinung" absolut gilt. Der Aussage K.s der Mann sei der Getäuschte, hält der Geistige entgegen der Türhüter sei auch getäuscht, da er da Innere nie gesehen habe und weil er als Beauftragter dem Mann untergeordnet sei insofern er auf ihm das ganze Leben habe warten müssen. Der Mann sei selber schuld, da er die Aussagen des Türhüters für wahr, nicht für notwendig hielt.
Die Analogien des Romans "Der Prozeß" sieht man in der "Zusammenfassung" "Vor dem Gesetz" : Wie dem Mann vom Lande, so erscheinen auch K. die Äußerungen der untersten Instanzen, die er allein zu Gesicht bekommt, als die absolute Wahrheit, obwohl sie doch nur notwendig sind. Beide täuschen sich also selbst und werden zugleich getäuscht. Denn das Gericht ist ebenso unerreichbar und zwielichtig wie das Gesetz.
Wie der Suchende, so verfehlt K. aber auch durch eigene Schuld das Ziel, weil er das Wesentliche verkennt und seinen Prozeß mit untauglichen Mitteln führt. "Laß die Nebensächlichkeiten" meint der Geistliche. Dies zeigt sich nicht nur in der Prozeßführung; K. hat in den Dom das Album städtischer Sehenswürdigkeiten mitgenommen, wie vielleicht passender ein Gebetbuch: K. hat wie er das Wesen
des Menschen und seine Schuldhaftigkeit übersehen hat, das Wesen des Domes übersehen und verkannt.Wir erfahren nicht unmittelbar, welche Wirkung die Parabel auf K. hat, am Beginn des nächsten und letzten Kapitels, ist er zum Tod bereit.
1577 Worte in "deutsch" als "hilfreich" bewertet