Bauern und Lehen
Bauern und Lehen
(II/4 - 10)
Die bäuerliche Welt
Der weitaus größte Teil der Europäer lebte im Mittelalter auf dem Land und von der Landwirtschaft.
Im Frühmittelalter erzeugten die Gutshöfe des Adels ebenso wie die bäuerlichen Höfe möglichst alle Güter des täglichen Bedarfes selbst. Der Handel spielte eine geringe Rolle. Weite Teile Europas waren mit Wald bedeckt, indem die landwirtschaftlich genutzten Landschaften wie Inseln lagen. Nur die besten Böden wurden genutzt und auch diese gaben nur bescheidene Erträge. Eine einzige Missernte konnte eine Hungersnot zur Folge haben.
Die bäuerliche Bevölkerung war in sehr unterschiedlichem Maße von ihrem "Herrn" abhängig: Es gab "Freie" und "Leibeigene" und dazwischen viele Formen von Abhängigkeit von Grundherrn, Leib - und Gerichtsherrn.
Im Hochmittelalter stieg die Bevölkerung Europas an, technische Neuerungen, wie etwa der eiserne Pflug und die Verwendung des Pferdes als Zugtier, ermöglichten höhere und sichere Erträge. Auf Rodungsland und in "Kolonisationsgebieten" im Osten konnten die Bauern ein hohes Maß an Unabhängigkeit vom Grundherrn erringen.
Auf diese "Agrarrevolution" des Hochmittelalters folgte im Spätmittelalter eine schwere Krise.
Vom Alltagsleben der Bauern
Die Einzelhöfe, Weiler und Dörfer, die selten mehr als 20 Höfe umfassten, waren im Mittelalter oft noch durch große Wälder voneinander getrennt. Der Wald war geheimnisvoll und voller Gefahren. Er lieferte das Holz für Behausung und Werkzeuge, Brennmaterial und in Notzeiten auch Nahrungsmittel, Honig, Beeren und Pilze. Im Herbst trieb man die Schweine zur Mast in die Eichen - und Buchenwälder.
Die Häuser der Bauern waren aus Ständerwerk, die Wände aus Flechtwerk, mit Lehm überzogen. In den Alpen waren auch Blockbauten üblich. Die Häuser hatten zwei Räume - einen für die Menschen, einen für das Vieh. Jeder bäuerliche Betrieb sollte eine Hufe Land umfassen, das ist soviel Land, als für die Ernährung einer Vollfamilie erforderlich war und mit einem Gespann bearbeitet werden konnte. Getreide (Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Dinkel, Hirse) als Brot oder Brei, Hülsenfrüchte, Kohl und Kohlrüben waren die Grundlage der Ernährung, dazu kamen Milch und Milchprodukte. Fleisch wurde selten gegessen. Als Spannvieh verwendete man Rinder, später auch Pferde. Der einfache Hakenpflug konnte nur auf leichten Böden wirkungsvoll eingesetzt werden.
Neben einfachen Bewirtschaftungsformen wie Brandrodungswirtschaft (Ein Teil des Waldes wird in der trockenen Jahreszeit niedergenrannt, der Boden wird durch die Asche gedüngt und dann so lange genutzt, bis er erschöpft ist. Dann wird das Grundstück wieder der Natur überlassen, ein anderer Waldteil wird durch Niederbrennen gerodet.) und Feldgraswirtschaft (Regelmäßiger Wechsel von Ackerbau und Wiesennutzung auf einem Grundstück. Die Dauer der Nutzungsart hängt von Bodenart und Klima ab - zumeist etwa 2 - 3 Jahre Ackerbau, dann 8 - 12 Jahre Wiesen - oder auch Weidennutzung.) war die Zweifelderwirtschaft üblich, wobei im jährlichen Wechsel je ein Feld brach blieb und als Weide diente. In der Karolingerzeit gewann die Dreifelderwirtschaft (Wintergetreide, Sommergetriede, Brachland) allmählich an Bedeutung.
Die Menschen waren im Frühmittelalter ständig von Hungersnöten bedroht. Die Erträge waren gering, das Verhältnis von Aussaat zur Ernte etwa 1:2 und verbesserte sich im Hochmittelalter allmählich auf 1:3. Reserven konnten kaum gebildet werden. Die schlecht ernährten Menschen fielen häufig Krankheiten und Seuchen zum Opfer.
Die Grundherrschaft
Die Grundherrschaften des Königs, des Adels und der Kirche waren ihrer Größe nach äußerst unterschiedlich: Sie konnte von einigen wenigen abhängigen Höfen bis zu tausenden Höfen mit über 100 000 ha Land reichen. Oft waren die zu einer Herrschaft gehörenden Höfe und Dörfer über ein weites Gebiet verstreut und dazwischen lagen Besitzungen anderer Herrschaften. Das galt besonders für kirchliche Herrschaften, denn diese kamen zumeist durch Schenkungen in verschiedenen Landesteilen zustande. Große Herrschaften hatten mehrere Verwaltungszentren (Fronhöfe, Meierhöfe), an die die Abgaben abgeliefert werden mussten. Zum Herrenhof gehörte das Salland (Herrenland), das mit Hilfe von Mägden und Knechten sowie Frondiensten der abhängigen Bauern bewirtschaftet wurde.
Der Grad der "Freiheit" oder Abhängigkeit des einzelnen Bauern war höchst unterschiedlich:
Die "Freien" siedelten auf Land, das nur dem König unterstand, etwa entlang von Heerstraßen. Der König garantierte ihre "Freiheit", nur ihm leisteten sie Abgaben. Ihre Zahl nahm seit dem 8. Jahrhundert ständig ab, sie gerieten in Abhängigkeit von einem Grundherrn und wurden den Leibeigenen gleichgestellt. Die Ursache dieser Entwicklung ist in den zahlreichen Kriegen zu suchen. Ein Freier, der Jahr für Jahr während des Sommers im Gefolge des Königs in den Krieg ziehen musste, vernachlässigte seinen Hof. Oft nützten die Grafen, die den Heerbann (=Heer) aufboten, diese Situation aus, um die Freien in Abhängigkeit zu bringen. Auch der Wandel im Militärwesen spielte eine Rolle: An die Stelle des zu Fuß kämpfenden Bauernkriegers trat der gepanzerte Reiterkrieger, dessen langwierige Ausbildung und teure Ausrüstung sich eben nur der reiche Grundherr leisten konnte...
Die Leibeigenen waren an den Hof des Grundherrn gebunden. Sie waren zu unbeschränkten Leistungen an ihren Herrn verpflichtet. Sie bewirtschafteten als Hofgesinde die Felder des Herrn oder wurden von diesem als Handwerker, Händler oder Boten verwendet. Trotz ihrer "Unfreiheit" konnten sie aber auch zu gehobenen Aufgaben, ja sogar zum Militärdienst im Gefolge ihres Herrn herangezogen werden.
Den behausten Leibeigenen wurden vom Grundherrn Bauernstellen zugeteilt, die sie selbstsändig gegen Zinszahlungen und Robotleistungen bewirtschafteten. Im 10. Jahrhundert wurde immer mehr Salland aufgeteilt, immer mehr Eigenwirtschaften der grundherrn aufgelöst und das Land auf bäuerliche Höfe aufgeteilt. Die Bedingungen, unter denen dies geschah, waren von Herrschaft zu Herrschaft unterschiedlich.
Modell einer Grundherrschaft im Frühmittelalter:
Modell einer Grundherrschaft im Hochmittelalter:
Die "Agrarrevolution" des Hochmittelalters
Um die Mitte des 11. Jahrhundert begann in weiten Teilen Europas eine Blütezeit der Landwirtschaft. Der eiserne Pflug mit Rädern und Streichbrett (am Pflug befestigtes Brett, das die von der Pflugschar abgehobene Scholle wendet) setzte sich durch. Er ermöglichte auch die Bearbeitung schwerer Böden. Die Verwendung von Pferd und Kummet erhöhte die Zugleistung der Gespanne, die Dreifelderwirtschaft brachte regelmäßigere und größere Erträge. Die Bevölkerungszahl stieg an.
Es wurden Wälder gerodet, Sümpfe und Marschen (vor Küsten angeschwemmter fruchtbarer Boden) urbar gemacht und neue Dörfer angelegt. Die Grundherrn, die ein Interesse an dieser inneren Kolonisation hatten, gewährten den Bauern ein "besseres Recht" ("Roden macht frei").
Allmählich wurde es für die Herrn wirtschaftlicher, die Fronhöfe als Meierhöfe zu verpachten, das Salland in Hufen aufzuteilen und an Bauern auszugeben. Die früheren Leistungen in Form von Naturalabgaben und Diensten konnten nun immer öfter durch Geldzahlungen abgelöst werden. Den Bauern war es nunmehr möglich, freier und selbstständiger zu wirtschaften.
Nicht nur die innere Kolonisation bot neue Möglichkeiten. Im Hochmittelalter wanderten auch zehntausende Bauern nach Osten, in die deutschen Ostgebiete und nach Böhmen, Schlesien und Ungarn. Dort waren sie als "Gäste" hochwillkommen, weil sie zur Urbarmachung ganzer Landstriche und zur Verbreitung neuer landwirtschaftlicher Techniken beitrugen. Sie bekamen dafür "Freiheiten", wie etwa geringere Abgaben und Steuern oder die freie Wahl ihrer Bürgermeister (Schulzen = Gemeindevorsteher, Dorfrichter) zugesichert.
Auf dem Boden ehemaliger Gutswirtschaften und auf Rode - und Kolonisationsland entstand die neue, zukunftsweisende Form des Zusammenlebens: Die bäuerliche Dorfgemeinschaft. Durch die Dreifelderwirtschaft kam es zum genossenschaftlichen Zusammenschluss der Bauer. Der Flurzwang, also die einheitliche Bestellung eines der drei "Felder" mit Sommer - oder Winterfrucht, erforderte eine Zusammenarbeit, ebenso die Nutzung des Brachfeldes als Weide. Gemeinsam musste man Zäune errichten, um die Felder vor dem Weidevieh zu schützen. Auch die Allmende (Wald und Weide) war im Gemeinschaftsbesitz und konnte nur gemeinsam genutzt werden. Die Dorfgemeinschaften waren auch für die Ablieferung der Abgaben und für die niedere Gerichtsbarkeit zuständig.
Modell eines mittelalterlichen Dorfes mit Dreifelderwirtschaft. Hinter den Gehöften der Bauern lagen Obstgärten und Gemüsegärten. Das Ackerland war in 3 Teile geteilt, die im jährlichen Wechsel mit Winter - und Sommergetreide bebaut wurden. Das Brachfeld diente als Viehweide. Die Allmende (Wald, Weide, Almen) wurde gemeinsam genutzt und erforderte die Zusammenarbeit der Dorfgemeinschaft.
Zum bäuerlichen Haus gehörten neben Frau und Kindern auch das Gesinde. Für sie alle war der "Hausherr" voll verantwortlich: Er hatte sie zu schützen, musste aber auch für sie haften. Das Gesinde wurde wie Kinder behandelt, der Hausherr hatte das Züchtigungsrecht. Nur der Inhaber einer Hofstelle war in der Gemeinde mitspracheberechtigt.
Die sozialen Unterschiede innerhalb einer Dorfgemeinde waren meist nicht allzu groß, da auch die Hofstellen (Lehen) in ihrer Größe sich nicht unterschieden. Später wurden die Lehen aber oft geteilt und zu den Bauern kamen im Spätmittelalter Kleinhäusler, die keine Hofstelle und nur geringen Ackerbesitz hatten. Sie mussten nebenbei auch noch als Handwerker oder Taglöhner arbeiten.
Aus den angesehenen und wohlhabenden Bauern wurden "Richter" (Bürgermeister) und Geschworene gewählt oder vom Grundherrn eingesetzt. Sie hatten für Ordnung im Dorf, für die Ablieferung der Abgaben und die Leistung der Fronarbeit zu sorgen. Der Grundherr hatte über die Hofstelle und den Grundbesitz ein Obereigentum, er konnte den Bauern "abstiften" und den Hof an einen anderen vergeben.
Das Zusammenleben in der Dorfgemeinschaft wurde durch Weistümer geregelt. Dies waren von der Grundherrschaft erlassene, im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit auch aufgezeichnete und zumeist einmal jährlich öffentlich verlesene Vorschriften, Verbote und Gebote.
Aus einem Weistum:
"Wenn es sich begäbe bei Tag oder bei Nacht, dass man ruft: Es brennt, so soll jedermann zulaufen, Weib und Mann, alle, die retten können, und sollen mit sich bringen alles, das sie bedürfen zu Rettung...Wird aber etwas zerbrochen, so sei dem der Schaden, wo die Brunst ist. Bleibt es aber ganz, so soll es niemand zurückhalten..."
Lehenswesen und Feudalstaat
Was ist ein Lehen?
Nach der Wahl Notgers zum Abt in Gegenwart Kaiser Ottos I.:
"Nun wirst du mein Mann, sagte der Kaiser, als er ihn durch die Gebärde der Hände zum Lehensmann angenommen hatte. Darauf küsste er ihn. Anschließend wurde ein Evangelium gebracht und der Abt schwur Treue."
Ein Lehen (Beneficium =Wohltat, feudum = Feudalismus - Mittelalter(Grund und Boden, persönliche Beziehung); heute: Kapitalismus(Geld, sachliche Beziehung)) bestand aus Grundbesitz und damit auch aus Verfügungsgewalt über abhängige Menschen. Manchmal war damit auch ein Amt verbunden. Ein Lehen wurde für erwiesene oder für die Zukunft erwartete Gefolgschaftstreue oder Dienste gegeben. Das Lehensverhältnis enthielt vor allem ein gegenseitiges Treueversprechen, die gegenseitige Zusage von "Rat und Hilfe"(vom Vasall) sowie "Schutz und Schirm"(vom Lehensherrn).
Vasallen huldigen Wilhelm von der Normandie im Jahre 1127:
"Der Graf fragte den zukünftigen Vasallen, ob er ohne Vorbehalte sein Gefolgsmann werden wolle, und er antwortete 'Ich will es'. Darauf verbündeten sie sich mit einem Kuss, während die Hände des Vasallen in denen des Grafen lagen. Darauf gelobte der Vasall seine Treue...'Ich verspreche auf meinen Glauben von diesem Augenblick an, dem Grafen Wilhelm treu zu sein und ihm...meinen Eid zu halten, in gutem Glauben und ohne Falsch.' Zum dritten schwört er dasselbe auf die Reliquien des Heiligen."
Ursprünglich konnte das Lehensverhältnis nur durch den Tod ("Herrnfall" oder "Mannfall") gelöst werden, das Lehen fiel an den Lehensgeber zurück. Bald aber wurden die Lehen erblich, der Heimfall des Lehens konnte nur mehr bei Bruch des Treueversprechens, etwa bei Verweigerung der Heerfolge, erzwungen werden.
Wie das Lehenswesen entstand - ein Rückblick
Das Lehenswesen entwickelte sich aus dem germanischen Gefolgschaftswesen (vgl. Hildebrandstlied) und der keltischen Vasallität (vassus=Knecht). Auch in der spätrömischen Gesellschaft gab es eine ähnliche Einrichtung, das Klientelwesen.
Die Wirtschaft des Frühmitelalters war nur wenig entwickelt, die Könige verfügten über nur geringe Steuereinnahmen. Dienste und Leistungen, wie etwa die Ausübung des Grafenamtes, mussten daher durch Übertragung von Lehen abgegolten werden. Der Lehensempfänger konnte seine "Entlohnung" in Form von Abgaben und Diensten der Untertanen einheben.
Dieses System konnte aber nur so lange funktionieren, solange die Könige über genügend Land verfügten. Sie waren daher gezwungen neue Gebiete zu erobern. Mehr Grund bedeutete mehr Vasallen und somit mehr Macht. Unter schwachen Königen wie etwa in der Karolingerzeit verfiel die Zentralmacht rasch. Die mächtigsten unter den Vasallen er Könige bildeten eigene Herrschaftsbereiche mit eigenen Gefolgsleuten aus.
Das Lehenswesen als Grundlage des Feudalstaates
Modell der Lehenspyramide im Feudalstaat des Hochmittelalters.
Der mittelalterliche Feudalstaat war auf gegenseitige Treueversprechen, auf gegenseitige persönliche Verpflichtung zu Hilfe und Beistand aufgebaut. Der "Staat" bestand aus einem Verband von Personen, die einander durch diese Verpflichtungen verbunden waren (Personenverbandsstaat). Die Vergabe von Lehen in der Form von Ämtern, Rechten oder Besitzungen schuf die Basis für die Leistungen, die der König von den Kronvasallen, diese von ihren Untervasallen verlangten: Beherbergung (mit Gefolge), Teilnahme an Hoftagen, Teilnahme an Heerfahrten und Stellung eines entsprechenden ritterlichen Gefolges.
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