Einführung in die fraktale Geometrie
Definition des Begriffs "Fraktal"
Fraktale sind, einfach ausgedrückt, Punktmengen mit gewissen bizarren Eigenschaften.
Diese bizarren Eigenschaften sind mit dem Wissen der Klasse 11 als noch nicht erklärt anzusehen.
Deshalb ist es nötig den Begriff "Fraktal" zu definieren:
Eine Punktmenge
heißt ein Fraktal nach K. Falconer, wenn gilt:
-
F hat eine Feinstruktur; d.h. sie zeigt auf beliebig kleinen Skalen noch Struktur. F ist irregulär, um lokal oder global mit der Euklidischen Geometrie beschrieben werden zu können. F zeigt exakte oder angenäherte Selbstähnlichkeit. F hat eine fraktale (gebrochene) Dimension, die meist die Euklidische übersteigt. F kann auf einfache Weise definiert werden, meist rekursiv.
fraktale Geometrie
Aufgrund des Punktes zwei der Definition, ist es also nötig, die fraktale Geometrie von der alten Euklidischen Geometrie abzugrenzen.
Abbildung 1
Die Euklidische Geometrie ist durch Begriffe wie Punkt, gerade Linie, Ebene, Winkel, Kreis, Rechteck, Viereck usw. geprägt. Aus diesen Begriffen leiten sich die Termini Kugel oder Prisma ab. Aus der Euklidischen Geometrie erhält man die Differentialgeometrie. Diese ist durch die Bezeichnungen Anstieg, Tangente, Richtung, Krümmung oder Bogenlänge bestimmt.
Während in der Differentialgeometrie Singularitäten (Unstetigkeitsstellen) als Besonderheit angesehen werden, wird in der fraktalen Geometrie die Besonderheit zur Regel.
Die in Abbildung 1 dargestellte Funktion
besitzt genau zwei Singularitätsstellen, eine bei
und die andere bei
. An diesen beiden Stellen ist die Funktion nicht differenzierbar.
Die Funktion kann mit Hilfe einer Funktionsgleichung beschrieben werden und sie ist mit den Mitteln der Differentialgeometrie faßbar. Die Ableitung der Funktion
lautet
.
In Abbildung 2 ist eine Kurve zu sehen, die nicht mehr durch eine einfache Funktionsgleichung anzugeben ist, sondern sie kann nur iterativ erklärt werden. Eine genaue Beschreibung der Iteration der sogenannten Kochkurve wird im Abschnitt Dimensionsbegriff gegeben.
Abbildung 2
Die Grenzmenge dieser Iteration nennt man Kochkurve. Diese Kurve ist zwar im gesamten Definitionsbereich stetig, jedoch in keinem Punkt mehr differenzierbar. Somit sind Begriffe wie Ableitung oder Anstieg für diese Kurve nicht erklärt.
Dimensionsbegriff
In der Euklidischen Geometrie ist die Dimension eine Eigenschaft geometrischer Gebilde. Eine leere Menge hat die Dimension minus Eins. Der Punkt hat die Dimension Null. Die Dimension Eins haben Geraden, Halbgeraden, Strecken und alle Gebilde, die durch eine bijektive stetige Abbildung aus diesen hervorgegangen sind. Ebenen, Halbebenen, Polygonflächen und alle Gebilde, die durch eine bijektive stetige Abbildung aus diesen hervorgegangen sind, haben die Dimension Zwei. Objekte der dritten Dimension sind der Raum, Halbräume, Polyederkörper und alle Gebilde, die durch eine bijektive stetige Abbildung aus diesen hervorgegangen sind.
Die Dimensionen wurde also in der Euklidischen Geometrie ausschließlich mit ganzen Zahlen erklärt.
Laut Definition haben Fraktale jedoch eine gebrochene (fraktale) Dimension. Dies bedeutet, dass der Dimensionsbegriff für Fraktale neu gefaßt werden muss:
M sei eine beschränkte Menge. Die Minimalzahl der zur Ãœberdeckung von M benötigten Kugeln mit dem Radius ε sei N(ε). Wenn eine Zahl α mit
, falls α
, falls α>d
existiert, wird d Box - Counting - Dimension von M genannt. Allgemeiner ist die Hausdorff - Besikowitch - Dimension, die für alle (beschränkten) Mengen existiert.
Die fraktale Dimension eines Gebildes erhält man aus den folgenden Überlegungen. Verlängert man die Strecke der Länge L auf das k - fache, so ist die resultierende Strecke von der Länge
. Verlängert man die Seiten eines Quadrates der Fläche A auf das k - fache, so entsteht ein Quadrat der Fläche
. Analog ergibt sich das neue Volumen eines Würfels zu
, wenn man die Länge seiner Kanten auf das k - fache streckt. Somit folgt in jeder Euklidischen Dimension D für ein beliebiges Objekt das Gesetz
, wobei S die Maßzahl für die jeweilige Länge, Fläche bzw. das Volumen ist. Gilt für das resultierende Objekt
, so folgt durch Einsetzen und Logarithmieren
.
Mit dieser Formel ist es nun auch möglich nicht ganzzahlige Dimensionen zu bestimmen.
Die Fraktale Dimension wird also auch wie folgt definiert:
Zerfällt eine selbstähnliche Menge bei einer zentrischen Streckung mit einem Streckfaktor
in N gleichartige Teile, so ist die fraktale Dimension
.
Diese Definition soll nun an einigen Beispielen erläutert werden.
Koch - Kurve
Abbildung 3
Abbildung 4
Die Koch - Kurve erhält man, indem man ausgehend von einer Strecke, das mittlere Drittel dieser Streckte entfernt und es durch zwei Schenkel eines gleichseitigen Dreiecks ersetzt. Mit den entstehenden Teilstrecken wird dieser Vorgang unendlich oft wiederholt (Abbildung 2). Zur Verdeutlichung dieses Vorgangs dienen die Abbildungen 3 und 4.
Zu Beginn der Iteration lag eine Gerade vor. Nach dem ersten Iterationsschritt erhalten wir die Figur der Abbildung 3. Es ist zu erkennen, dass statt einem Teilstück (Gerade) nun vier Teilstücke vorliegen. Damit ergeben sich N=4 gleichartige Teile. Die Gerade wird während der Iteration gedrittelt. Der Streckungsfaktor r hat somit den Wert 1/3. Daraus folgt, dass die Dimension der Kochkurve D=ln(4)/ln(3)≈1,2618595 beträgt.
Cantor - Menge
Die in Abbildung 5 angedeutete Folge erhält man, indem man von einer beliebigen Strecke das mittlere Drittel entfernt. Bei den entstehenden Teilstrecken wird der beschriebene Vorgang unendlich oft wiederholt. Die resultierende Grenzmenge wird als Cantor - Menge bezeichnet.
Abbildung 5
Nach der ersten Iteration verbleiben zwei Teilstücke. Die Anfangsstrecke wird bei der Iteration gedrittelt. Der Streckungsfaktor ist also ein Drittel. Damit ergibt sich für die Dimension der Cantor - Menge D=ln(2)/ln(3)=0,6309297.
Die eigentliche Cantor - Menge ist unsichtbar. Sie besitzt jedoch die gleiche Länge wie die Ausgangsstrecke. Paradoxerweise ist die Grenzmenge aber immer noch überabzählbar, also von der selben Mächtigkeit, wie die Ausgangsstrecke.
Wie man leicht sieht, wäre es unsinnig bei der Cantor - Menge noch von einem Gebilde erster Dimension (Linie) zu sprechen, da die entstandene Kurve aus lauter "Löchern" besteht. Da jedoch auch mehr als nur Punkte abgebildet werden, muss die Dimension der Cantor - Menge somit zwischen Null und Eins liegen. Diese Überlegung stützt noch einmal den bereits berechneten Dimensionswert.
Hilbert - Kurve
Abbildung 6
Abbildung 7
Abbildung 8
Die Genzmenge, der in den Abbildungen 6,7 und 8 gezeigten Iteration, nennt man Hilbert - Kurve.
Man kann zeigen, dass die Grenzkurve durch jeden Punkt eines gegebenen Quadrates geht und dass es sich somit um eine "flächenfüllende" Kurve handelt. Damit ergibt sich als Dimension für diese Kurve genau Zwei. Dieses Ergebnis lässt sich durch die Berechnung D=ln(4)/ln(2)=2 bestätigen.
Die Hilbert - Kurve hat die Eigenschaft der Selbstähnlichkeit. Sie verfügt jedoch nicht über eine gebrochene Dimension. Damit ist sie nach Mandelbrot keine fraktale Kurve.
Am Beispiel der Hilbert - Kurve lässt sich damit sehr gut verdeutlichen, dass eine Kurve zwar fraktale Eigenschaften, wie Selbstähnlichkeit, aufweisen kann, aufgrund einer ganzzahligen Dimension jedoch trotzdem kein Fraktal sein muss. Offensichtlich ist es deshalb nötig, die Begriffe Selbstähnlichkeit und fraktale Dimension streng zu trennen.
Der Begriff der Selbstähnlichkeit wurde in diesem Abschnitt bereits benutzt und soll deshalb in der nächsten Passage näher erläutert werden.
Der Begriff der Selbstähnlichkeit
Eine Menge A heißt selbstähnlich, wenn endlich viele Teilmengen A1, A2, ..., An von A und Ähnlichkeitstransformationen T1, T2, ..., Tn derart existieren, dass
.
Bei der Cantor - Menge wären diese Ähnlichkeitstranformationen beispielsweise
und
.
Ein Objekt heißt selbstähnlich, wenn es bei der Teilung der Kanten in r gleiche Abschnitte in N gleiche Teile zerfällt. In diesem Fall gilt für den Streckfaktor
und die fraktale Dimension lässt sich schreiben als
.
Umformen liefert
oder nach dem Delogarithmieren
. Ist das Objekt nicht selbstähnlich, so kann diese Form nicht direkt angewandt werden. Man muss dann den Grenzwert
bilden. Dieses Maß entspricht der Box - Counting - Dimension, die ein Spezialfall der Hausdorff - Besikowitch - Dimension ist.
Es wird somit deutlich, dass die Begriffe fraktale Dimension und Selbstähnlichkeit aufgrund ihrer Definitionen sehr eng miteinander verbunden sind. Um jedoch den Unterschied zwischen diesen zwei Begriffen noch einmal zu herauszuarbeiten, werde ich nun dass Beispiel der Teufelstreppe anführen.
Die Teufelstreppe
Abbildung 9
Die Teufelstreppe (englisch devil’s staircase) steht in enger Beziehung zur Cantor - Menge. Sie ist eine monoton steigende Kurve, definiert auf dem Einheitsintervall, die überall dort, wo beim Cantor - Verfahren ein Intervall - Drittel entfernt wird, ein waagerechtes Plateau aufweist. Wie man in Abbildung 9 sieht, ist die Treppenkurve selbstähnlich.
Bestimmt man nun aber die Dimension der Teufelstreppe, so erhält man dabei den Wert Eins. Damit ist die Teufelstreppe, ähnlich wie die Hilbert - Kurve zwar selbstähnlich, sie besitzt jedoch keine gebrochene Dimension. Die Teufelstreppe ist nach Mandelbrot also keine fraktale Kurve.
Im Folgenden werde ich den Begriff der Selbstähnlichkeit noch an einigen weiteren Beispielen demonstrieren.
Sierpinski - Dreieck
Das Sierpinski - Dreieck entsteht aus einem gleichschenkligen Dreieck, aus dem das Mitteldreieck entfernt wird. Dadurch zerfällt das Dreieck in drei weitere Teildreiecke, aus denen wiederum die Mitteldreiecke entfernt werden. Der Grenzwert des Verfahrens liefert das gesuchte Dreieck.
Abbildung 10
Abbildung 11
Abbildung 12
Nimmt man ein beliebiges Teildreieck und streckt eine Seite mit dem Streckfaktor k=2, so enthält die entstehende Figur N=3 gleiche Teildreiecke. Damit ergibt sich die fraktale Dimension zu D=ln(3)/ln(2)≈1,5850.
Die Selbstähnlichkeit des Sierpinski - Dreiecks ergibt sich aus deren Bildungsvorschrift. Sie lässt sich jedoch auch einfach veranschaulichen, indem man Abbildung 12 nicht als den ersten Iterationsschritt, sondern als vergrößerten Ausschnitt aus Abbildung 11 ansieht. Es wird deutlich, dass das Bild des n - ten Iterationsschritts in den Abbildungen der weiteren Iterationsschritte immer wieder zu finden ist.
Es gilt also anzumerken, dass es nicht möglich ist, anhand eines Bildes einer selbstähnlichen Abbildung exakt zu bestimmen, ob es sich dabei um das Abbild eines kompletten Iterationsschritts oder nur um eine Vergrößerung eines Iterationsschrittes handelt.
Um noch eine andere Form der Selbstähnlichkeit vorzustellen, habe ich nun als Beispiel ein iteriertes Funktionssystem ausgewählt.
Barnsley - Farn
Der Barnsley - Farn wird durch ein graphisches Verfahren, unter Verwendung der von Michael Barnsley entwickelten Iterierten Funktionssysteme, erzeugt.
Durch diese Methode ist es möglich, komplizierte pflanzliche Muster nur durch wenige affine Abbildungen darzustellen.
Abbildung 13
Abbildung 14 - Ausschnitt
Die Selbstähnlichkeit des Farnblattes lässt sich deutlich im vergrößerten Ausschnitt in Abbildung 14 erkennen. Im Fall des Barnsley - Farns ist jedoch neben einer üblichen Skalierung der Teilstücke auch deren Verschiebung, Drehung bzw. Spiegelung zu erkennen. Damit stellt diese Art der Selbstähnlichkeit einen allgemeineren Fall der bereits vorgestellten Selbstähnlichkeiten dar.
Vor diesem Hintergrund soll darauf hingewiesen werden, dass es natürlich noch weitere Arten der Selbstähnlichkeit gibt, auf die in diesem Zusammenhang jedoch nicht eingegangen werden kann.
In den bisherigen Abschnitten wurden die grundlegenden Eigenschafen von Fraktalen erläutert. In den folgenden Passagen soll nun noch auf einige weitere Fraktaltypen näher eingegangen werden.
Iteration von Funktionen
Als Iteration bezeichnet man die schrittweise Annäherung an eine gesuchte Zahl, wobei man jedesmal denselben Rechenvorgang auf den zuvor berechneten Wert anwendet. Eine Iterationsvorschrift hat die Form
.
Eine Zahl x* heißt Fixpunkt einer Funktion, wenn x*=f(x*). Eine Abbildung (Funktion) heißt kontrahierend, wenn
.
Für kontrahierende Abbildungen gilt:
x* heißt attraktiv (anziehend), wenn
,
x* heißt repulsiv (abstoßend), wenn
und
x* heißt indifferent (instabil), wenn
.
Logistische Gleichung
Als Beispiel für eine solche Iteration möchte ich die logistische Gleichung anführen. Sie hat die Form
.
Man kann zeigen, dass das Konvergenzverhalten der Funktion stark von dem Parameter r abhängig ist. Dieses Reaktion gilt es nun zu untersuchen.
Um die Fixpunkte der Funktion zu ermitteln, setzt man an:
Das Konvergenzverhalten der Iteration in Abhängigkeit vom Parameter r erhält man durch:
Für 0
. Erhöht man den Parameter r geringfügig über den Wert 3, so pendelt die Iteration zwischen zwei Werten hin und her. Gegenüber der Konvergenz gegen einen Fixpunkt hat sich die Anzahl der Fixpunkte verdoppelt, man spricht deshalb auch von Periodenverdoppelung. Die Parameterwerte, an denen eine Periodenverdoppelung, auch Bifurkation genannt, auftritt, erhält man aus den Ableitungen der weiteren Iterierten.
Mit Hilfe des Feigenbaumdiagrammes lässt sich dieses Verhalten der Funktion sehr anschaulich darstellen. Dabei werden die Werte des Parameters r auf der Abszissenachse und die Funktionswerte an der Ordinatenachse angetragen. Die Periodenverdoppelung zeigt sich, wie in Abbildung 15 dargestellt, anhand einer "Gabelung" der Funktionswerte.
Abbildung 15
Newton - Verfahren
Eine ebenso interessante Iteration ist das Newton - Verfahren zur Annäherung von Nullstellen. Überträgt man dieses Verfahren auf die komplexe Zahlenebene, erhält man die Iterationsvorschrift
.
Versucht man nun mit Hilfe dieses Verfahrens Nullstellen anzunähern, muss man feststellen, dass die Konvergenz gegenüber einem Fixpunkt nicht genau vorhersagbar ist. Kleinste Veränderungen des Startwertes führen zu völlig anderem Verhalten der Iteration. Färbt man nun alle Startpunkte der Iteration, die gegen den gleichen Fixpunkt konvergieren, mit der selben Farbe, so erhält man ein verblüffendes Ergebnis. Abbildung 16 zeigt ein solches Bild der Iteration
.
Abbildung 16
Zusammenfassung
Im Rahmen dieser Einführung war es natürlich nicht möglich, auf alle Arten fraktaler Gebilde einzugehen. Auf die Gruppe der Julia - und Mandelbrotmengen wurde ganz bewußt verzichtet, da diese Fraktale mit Sicherheit von anderen Schülern im Rahmen ihrer Jahresarbeit abgehandelt werden.
In dieser Einführung in die fraktale Geometrie erschien mir vor allem wichtig, deren theoretische Grundlagen darzulegen. In weiteren Arbeiten könnte man die computertechnische Umsetzung oder praktische Anwendungen dieses recht jungen mathematischen Teilgebietes aufzeigen.
Ein Großteil der hier vorgestellten Fraktale lassen sich mit dem Programm MATH, welches als diesjährige Projektarbeit in Informatik von Michael Bräuer und Daniel Pfeiffer eingereicht wurde, berechnen und darstellen.
Quellenangabe
In dieser Arbeit habe ich folgende Quellen verwendet:
-
Algorithmen für Chaos und Fraktale, Addison - Wesley Schüler Duden Mathematik, Band 1 und 2, Dudenverlag Mitschriften der Vorlesung von Dr. Gebel zum Thema "Einführung in die fraktale Geometrie" im Rahmen der Frühjahrsakademie in Freiberg Hefter Ergänzungskurs Mathematik Klasse 11
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