Sozialisation in der Familie
Universität Koblenz - Landau, Abt. Landau
Sommersemester 1996
Sozialisation in der Familie
Bei der Sozialisation handelt es sich um einen Prozeß, in dem die Kinder die für die jeweilige Kultur typischen, angemessenen und erwünschten Verhaltensweisen, Fertigkeiten, Motive, Wertvorstellungen, Überzeugungen und Beurteilungsmaßstäbe entwickeln.
An diesem Prozeß sind viele verschiedene "Sozialisationsfaktoren", also Personen oder Institutionen wie Eltern, Geschwister, Gleichaltrige, Lehrer, Fernsehen oder auch andere Medien beteiligt; diese beeinflussen die Entwicklung der Kinder entscheidend.
Der wichtigste Bestandteil der Umwelt des Kindes ist jedoch die Familie, sie ist die ursprüngliche und erfolgreichste Sozialisationsinstanz und spielt eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des Kindes.
In jeder Kultur sind die "Sozialisatonsziele" verschieden, in der westlichen Kultur werden z.B. Unabhängigkeit, Selbstvertrauen, Rücksichtnahme auf andere usw. gerne gesehen, während in der japanischen Kultur ein Bewußtsein der Abhängigkeit von de Gruppe oder Gemeinschaft, Gehorsam, Fleiß oder Beherrschung von Gefühlen als Ziele vorherrschen. Mit den wachsenden kognitiven Fähigkeiten der Kinder wird dieser Sozialisationsprozeß immer komplexer, da die Eltern dann ihren Kindern Grenzen beibringen müssen. Sozialisation vollzieht sich zum großen Teil durch die Beobachtung und Nachahmung, aber auch durch Belohnung oder Bestrafung.
Zunächst soll hier auf die verschiedenen Faktoren eingegangen werden, die die Erziehungsmethoden der Eltern beeinflussen.
Ein Sozialisationsforscher hat diese Faktoren in drei Kategorien eingeteilt :
- 1. Faktoren, die sich aus der Einstellung und Vorstellungen der
Eltern ergeben;
- 2. Faktoren, die sich aus den Eigenschaften des Kindes
ergeben;
- 3. Faktoren, die sich aus dem sozialen Kontext der Eltern - Kind
Beziehung ergeben.[1]
I. Eigenschaften und Vorstellungen der Eltern
In den Erziehungszielen und in den Erziehungsmethoden spiegeln sich die Persönlichkeitseigenschaften und Wertesystem der Eltern, aber auch die Einstellungen und Vorstellungen über die Motive und Fähigkeiten des Kindes.
Als ein allgemeines Ziel kann davon ausgegangen werden, dass die Eltern ihre Kinder zu guten, leistungsfähigen und glücklicheren Mitgliedern der Gesellschaft erziehen wollen, daher werden die Aktivitäten des Kindes als gut oder schlecht, reif oder unreif, förderungswürdig oder unannehmbar angesehen, und dementsprechend beeinflußt.
Diese Beurteilung ist natürlich für die Reaktion auf das Verhalten des Kindes wichtig, je nachdem ob z.B. die Mutter davon ausgeht, dass ihre dreijährige Tochter ein anderes Kind aus Versehen oder mit voller Absicht geschubst hat, wird natürlich auch die Reaktion der Mutter unterschiedlich ausfallen.
Manche Eltern sehen ihre Kinder als konstruktive und aktive Personen an, die durch Nachahmen und Ausprobieren lernen, andere gehen davon aus, dass ihre Kinder nicht aus eigenem Antrieb lernen, und daher mit Anweisungen und Befehlen erzogen werden müssen.
Auch die sozialen Vorstellungen der Eltern beeinflussen die Eltern - Kind Interaktion. Die Vorstellung von Kindheit und Elternrolle sind jedoch nicht festgelegt und können durch Erfahrung, Beratung, Vergleich Zwischen Geschwistern oder neue Situationen geändert werden.
Wie die Vorstellung über Kindheit und Elternrolle, so sind auch die Erziehungsziele ein Produkt der Gesellschaft in der Eltern und ihre Kinder leben.
So haben Ziele wie Gehorsam und Achtung vor Autoritäten in der Arbeiterschicht einen höheren Stellenwert als in der Mittel/Oberschicht, dort steht die Selbstverantwortung des Kindes eher im Vordergrund.[2]
II. Persönlichkeit und Verhalten des Kindes
Eigenschaften und Temperament des Kindes beeinflussen die Qualität und Quantität der elterlichen Zuwendung. allerdings wird diese auch durch das Kindliche Verhalten beeinflußt.
Dieser wechselseitige Einfluß lässt sich unter anderem damit erklären, dass es für die Eltern Ober/bzw., Untergrenzen von annehmbaren Verhalten gibt; viele Untersuchungen haben gezeigt, dass Eltern sehr aggressivere Kinder häufig körperliche Strafen anwenden; als Erklärung kann man annehmen, dass die Eltern auf das aggressive Verhalten ihrer Kinder reagieren, ödere die Kinder ihr aggressives Verhalten durch die Strafen der Eltern entwickeln.[3]
III. Sozialer Kontext
Eine gute, stabile Ehe fördert die Anpassung an die Elternrolle, die Funktionsfähigkeit der Familien (und der Erziehungsmethoden) wird auch durch außerfamiliäre Bedingungen beeinflußt, solche Faktoren sind z.B. der Arbeitsplatz der Eltern, elterliche Unterstützungssyteme und soziale Netzwerke, die Gemeinde in der die Familie lebt, oder auch die Wohnsituation.[4]
IV. Erziehungsmethoden und ihre Konsequenzen
Die mehr oder weniger bewußten Idealvorstellungen von den Entwicklungszielen versuchen die Eltern durch die Anwendung verschiedener Methoden zu erreichen, die ihnen für die entsprechenden Erziehungsziele als sinnvoll erscheinen. Zum erlernen bestimmter Fähigkeiten sind Belohnung und Strafe oft sinnvoll,, während komplexere Verhaltensweisen oder Persönlichkeitseigenschaften eher durch Nachahmung und Identifizierung erworben werden.[5]
- Verstärkung
Es gibt soziale oder nichtsoziale Verstärker, d.h. materielle Belohnungen oder spezielle Privilegien und Zuneigung. Die Eltern - Kind Beziehung beeinflußt auch die Wirksamkeit dieser Methode, das Lob Anteil nehmender Eltern wirkt in der Regel stärker, als das Lob ablehnender Eltern.
Da Eltern oft nicht wissen was ihre Kinder sich als Belohnung wünschen, führt die Erziehung mit Hilfe der Verstärkung nicht immer zum Ziel, auch wenn sie eine recht effektive Methode ist. Belohnungen wirken wahrscheinlich dann am Besten, wenn sie sich am Minimalprinzip orientieren, d.h. dass die äußeren Anreize durch Erwachsene nicht attraktiver sein solle als es die Verhaltensänderung erfordert, und nicht nachhaltiger wirken soll als die Normen die von den Erwachsenen gefördert werden sollen. Bei zu häufigem Lob verliert es die Bedeutung, auch kann aus Versehen die negative Verhaltensweise gefördert werden.
Wenn zum Beispiel ein Mutter beim Arbeiten mehrmals durch ihr Kind gestörte wurde, und sie nach der 3. Störung ein Spiel mit dem Kind spielt, so kann es passieren, dass das Kind sich in seinem Verhalten bestätigt fühlt, und daher immer wieder ins Arbeitszimmer stürmt. An dieser Stelle wäre es wahrscheinlich besser gewesen, wenn die Methode der Löschung angewendet worden wäre, d.h. das Verhalten des Kindes durch Ignorieren zu verringern.[6]
- Strafen
Fast alle Eltern gehen davon aus, dass strafen manchmal erforderlich sind; z.B. in Fällen in denen das Kind lernen soll gefährliche Gegenstände nicht anzufassen, oder gefährliche Situationen zu vermeiden. Bestrafung lässt sich effektiv einsetzen, wenn einige Prinzipien beachtet werden :
- Der Zeitpunkt de Bestrafung sollte unmittelbar in dem
Augenblick sein, in dem die Situation gerade beginnt, oder
nach deren Ende.
- Die Bestrafung durch liebevolle, zugewandte Eltern ist eher
erfolgreich, als die Bestrafung durch desinteressierte oder
feindselige Eltern.
- Bestrafung muss konsequent sein, d.h. ein Verhalten kann
nicht einmal bestraft werden und dann wieder ignoriert
werden.
- Das Minimalprinzip gilt auch hier, die Bestrafung sollte also
grade streng genug sein um Gehorsam zu erreichen, da zu
schwere Strafen Ängste und Ablehnung hervorrufen können,
und damit die Akzeptanz der Normen erschwert wird.[7]
- Induktive Methoden
Entwicklungspsychologen räumen diesen nichtstrafenden Methoden den Vorrang ein. da durch Argumentation, Verweis auf die Konsequenzen des Handelns oder Appellen an den Stolz der Kinder eher Verhaltensänderungen erreicht werden können.
Kombinationen mit induktiven und "Machtmethoden" sind recht häufig, wenn ein Kind auch auf mehrfache Ermahnung nicht reagiert, so wird die Machtposition der Eltern genutzt, um das Verhalten der Kinder entsprechend zu beeinflussen.[8]
V. Nachahmung und Identifikation
Durch Nachahmung und Identifikation werden Verhaltensmuster, Eigenarten, Einstellungen und Wertvorstellungen der Eltern von den Kindern übernommen, wobei Identifikation eine starke emotionale Bindung an die Person wichtig ist, deren Verhalten übernommen wird. Die Auswirkungen zeigen sich oft erst recht spät, zum Teil auch erst dann, wenn die Kinder selbst eine Familie haben und ähnliche Methoden und Vorstellungen wie ihre Eltern übernehmen.[9]
VI. Muster und Stile des Elternverhaltens
Diana Baumrind von der Universität von Kalifornien in Berkeley hat Untersuchungen angestellt, um Verbindungen Zwischen den Verhaltensmustern von Eltern und Kindern zu finden. In ihrer ersten Untersuchung verglich sie drei nach Persönlichkeitsmerkmalen und Sozialverhalten verschieden Gruppen; in der ersten Gruppe ordnete sie kompetente Kinder ein, die bei Beobachtungsaufgaben und Interviews hohe Werte an Reife, Selbständigkeit und Selbstvertrauen erreichten. In Gruppe 2 ordnete sie mäßig selbstbewußte Kinder ein, die unzufriedener und zurückgezogener waren, in Gruppe drei schließlich Kinder mit den niedrigsten Werten.
Das Elternverhalten wurde anhand von vier Faktoren eingeordnet:
- Kontrolle, d.h. Bemühungen die zielgerichtete Aktivität des
Kinder zu beeinflussen, das Verhalten zu modifizieren und die
Verinnerlichung elterlicher Standards zu fördern,
- Anforderungen an die Reife, d.h. vom Kind wird ein hohes
Leistungsniveau erwartet,
- Klarheit der Eltern - Kind Kommunikation, d.h. die Eltern
versuchen ihr Kind mit Argumenten zum Gehorsam erziehen,
und berücksichtigen dabei seine Meinungen und Gefühle,
- Zuwendung, d.h. Anteilnahme, Fürsorge und Mitgefühl der
Eltern zu ihren Kindern.
Die Eltern der reiferen, kompetenten Kinder waren allgemein warmherziger, liebevoller, unterstützender, gewissenhafter und stark auf ihre
Elternrolle verpflichtet.
Die Eltern der Kinder von Gruppe zwei sahen Diskussionen über Entscheidungen und Vorschriften nicht gerne, sie legten eher Wert auf Erziehungsziele wie Respekt vor Autorität, Fleiß, Gesetz und Ordnung.
Die Eltern der am wenigsten reifen Kinder waren warmherzig und kontrollierten ihr Kind kaum, sie erlaubten den Kindern ihre Aktivitäten selbst zu regulieren, vermieden es Macht auszuüben und bestanden Nicht auf Gehorsam.
In einer weiteren Untersuchung teilte sie die Eltern in verschieden Gruppen ein, und ordnete diesen das entsprechende Verhalten der Kinder zu, auch diese Untersuchung bestätigte das schon erwähnte Ergebnis.[10]
VII. Geschwister
Geschwister können sehr wichtige Sozialisationsinstanzen sein, denn z.B.: vier - sechsjährige Kinder sind mindestens doppelt so lange mit ihren Geschwistern zusammen wie sie Zeit mit den Eltern verbringen.
Die Interaktionen sind gegenseitig und beruhen eher auf Gleichberechtigung als die Eltern - Kind Beziehung; die Kinder lernen hier Muster von Loyalität, Hilfsbereitschaft, Schutz, aber auch Streit, Dominanz und Konkurrenz.
Aber es ist auch so, dass die Eltern die Kinder unterschiedlich behandele, so wird z.B. dem ersten Kind mehr Aufmerksamkeit geschenkt, sie sprechen mehr mit ihm und stimulieren es häufiger, was auch zu einer unterschiedlichen Entwicklung führt.
Es würde zu weit führen diese Beziehungen in allen Einzelheiten zu erläutern, aber die Geschwisterbeziehungen sind mit die wichtigsten Instanzen in der Entwicklung eines Kindes.[11]
VIII. Familienstruktur
Für Kinder eines alleinerziehenden Elternteiles ist es anscheinend günstiger, wenn sie beim gleichgeschlechtlichen Elternteil leben.
Unter einer Scheidung der Eltern leiden die Kinder ersten Jahr nach der Scheidung am meisten, die Belastung und Unsicherheit des Elternteils bei dem sie leben spiegelt sich auch in der Beziehung zu den Kindern. Schulkinder verarbeiten diese Schwierigkeiten wohl etwas besser, da sie die Situation besser verstehen können als Vorschulkinder; das Verhältnis der geschiedenen Eltern zueinander ist Entscheidend dafür, wie gut Kinder die Folgen der Scheidung überwinden.
Das Vorurteil, die Berufstätigkeit der Mutter wirke sich negativ auf die Kinder aus wurde in Untersuchungen nicht bestätigt, vielmehr sind Kinder berufstätiger Mütter unabhängiger und geselliger, und erreichen bessere Ergebnisse bei Tests zur sozialen Entwicklung und Anpassung.
Kindesmißhandlung kommt in allen gesellschaftlichen Schichten und ethnischen Gruppen vor, sie ist im Zusammenhang mit der Interaktion zwischen den persönlichen und kognitiven Merkmalen der Eltern, sowie dem Verhalten des Kindes und dem sozialen Kontext zu sehen.
Eltern die ihre Kinder mißhandeln wurden häufig selbst mißhandelt, und habe diese Verhaltensmuster zum Teil von ihren Eltern übernommen.[12]
Literaturangabe :
Mussen, Conger, Kagan, Huston : Lehrbuch der Kinderpsychologie, 4. neubeabeitete Auflage Stuttgart 1990
[1] vgl. Mussen, Conger, Kagan, Huston, Lehrbuch der Kinderpsychologie, 4. neubearbeitete Auflage Stuttgart 1990, S. 111f.
[2] vgl. Mussen, Conger, Kagan Huston, Stuttgart 1990, S.113 - 115
[3] vgl. Mussen, Conger, Kagan, Huston, Stuttgart 1990, S. 115f.
[4] vgl. Mussen, Conger, Kagan, Huston, Stuttgart 1990, S.116 - 119
[5] vgl. Mussen, Conger, Kagan, Huston, Stuttgart 1990, S. 119f.
[6] vgl, Mussen, Conger, Kagan, Huston, Stuttgart 1990, S.120 - 122
[7] vgl. Mussen, Conger, Kagan, Huston, Stuttgart 1990, S.122 - 124
[8] vgl. Mussen, Conger, Kagan, Huston, Stuttgart 1990, S.124 - 126
[9] vgl. Mussen, Conger, Kagan, Huston, Stuttgart 1990, S.127f.
[10] vgl. Mussen, Conger, Kagan, Huston, Stuttgart 1990, S.129 - 133
[11] vgl. Mussen, Conger, Kagan, Huston, Stuttgart 1990, S.133 - 137
[12] vgl. Mussen, Conger, Kagan, Huston, Stuttgart 1990, S.137 - 155
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