Die Tochter
Textbeschreibung
Die Tochter von Peter BichselDie Kurzgeschichte "Die Tochter" von Peter Bichsel handelt vom Verhalten und den Gefühlen eines Ehepaares ihrer in der Stadt arbeitetenden Tochter gegenüber. Es werden ihre um die Tochter kreisenden Gedanken beschrieben, während sie am gedeckten Esstisch auf deren Ankunft warten. Die Handlung dieser Kurzgeschichte spielt in der Zeit der 50. Jahre. Plattenspieler sind modern, "In ihrem Zimmer hatte sie einen Plattenspieler,..." (Z .11) und der Vater bekommt seine Lohntüte vom Bürofräulein (vgl. Z. 14 - 15). Heute würde man von CDs und Überweisungen reden, aber trotz dieses zeitlichen Unterschiedes könnte die Geschichte auch heute noch passieren, mit veränderten äußeren Bedingungen.
Es ist ein für diese Zeit alltägliches Thema. Wie es für eine Kurzgeschichte üblich ist, sind Anfang und Schluss offen. Was vorher bzw. danach passiert/e, wird nur andeutend vermittelt, so dass man sich ganz auf das Geschehen konzentriert. Die Rahmenhandlung, wie schon erwähnt, beginnt mit den Eltern.
Sie sitzen, abgestuft in einer Hierarchie, "...,der Vater oben, die Mutter auf dem Stuhl nahe der Küchentür,..." (Z. 5 - 6), am Essenstisch. Monikas Platz ist leer, sie fehlt noch. In der beschriebenen Hierarchie steht sie aber ganz oben. Selbst der Vater, der als das Familienoberhaupt fungiert, bewundert ihren Lebensstil, was sie alles kann und das, was sie aus sich macht, " Stenografieren kann sie auch, dachte er jetzt. Für uns wäre das zu schwer....." (Z. 43 - 44).
Die Tochter selber nimmt nicht am Ablauf der Geschichte teil, sie wird lediglich durch Gedanken der Eltern beschrieben. Man bekommt den Eindruck einer eher konservativen, einfachen, nicht armen, nicht reichen, bescheidenen Familie, die durch die "Moderne" der Tochter äußerlich verändert wird, und für diese einfachen Leute ist diese Tochter, die so viel mehr hat als sie selber, "Sie war größer gewachsen als sie, sie war auch blonder und hatte die Haut, die feine Haut von Tante Maria " (Z. 7 - 9), etwas Aufregendes. So spektakulär, dass sie viel und stolz über sie reden, Vermutungen anstellen, was sie gerade tut in der Stadt, "Dann versuchten sie wenigstens, sich genau vorzustellen..." (Z. 23) .
Weil die Tochter später nach Hause kommt, muss gewartet werden, der Tagesablauf verschiebt sich. Dies nehmen die Eltern in Kauf. Nicht Monika wartet auf die Eltern, nein, wenn sie nach Hause kommt, warten die Eltern schon mit Kaffee und Abendbrot auf sie. Sie muss sich nur setzen. In der Szene des Setzens werden die Eltern mit Monika auf eine Stufe gesetzt. Sie, das eher einfache kleinbürgerliche Ehepaar, sitzen mit der feinen Lady gemeinsamen am Tisch, und dies gefällt den Eltern, "Und dann stellten sie sich mehrmals vor in dieser Stunde, wie sie heimkommt, die Tasche und das Modejournal unter dem Arm, ihr Parfum; stellten sich vor, wie sie sich an ihren Platz setzt, wie sie dann zusammen essen würden" (Z. 27 - 29). Aber die Eltern bleiben so, wie sie sind, finden es zwar entzückend, wie vornehm sich ihre Tochter gibt, "...sie aß eine Kleinigkeit, wie sie sagte, in einem Tearoom. Sie war dann ein Fräulein" (Z. 18 - 19) und was sie alles beherrscht, ihren Job, für die damalige Zeit etwas sehr hoch Angesehenes, aber sie verändern sich nicht. Früher wurden die "normalen" Frauen Hausmädchen oder Hausfrau, einen Bürojob in einer Firma in der Stadt zu haben, war etwas Besonderes, ein Teil Emanzipation. Wenn ihre Tochter in einiger Zeit für immer aus dem Haus verschwände, würde es wieder sein, wie zu der Zeit, als Monika noch nicht in der Stadt arbeitete, " Bald wird sie sich in der Stadt ein Zimmer nehmen, das wussten sie, und dass sie dann wieder um halb sieben essen würden,..." (Z. 30 - 31). Es ist also nicht so, dass die Eltern sich aus ihrem normalen Leben herausrütteln ließen oder in irgendeiner Weise veränderten, nein, sie bleiben die Alten.
Sie sind zwar stolz auf ihre Tochter und freuen sich, dass sie es zu etwas gebracht hat, aber das Einzige, was sich bei ihnen verändert, ist nur ein kleiner Teil des Umfeldes, "Auf dem Schrank stand eine Vase aus blauem schwedischen Glas, eine Vase aus der Stadt, ein Geschenkvorschlag aus dem Modejournal" (Z. 33 - 35). Ja, wären die Eltern aufgerüttelt oder empört, so würden sie sicherlich auch dementsprechend reagieren, doch dies tun sie nicht, was zeigt, dass sie das Verhalten ihrer Tochter tolerieren. Denn alle schlechten Angewohnheiten Monikas, wie z.B. das Rauchen, "Andere Mädchen rauchen auch, sagte die Mutter" (Z. 38) werden verdeckt oder nicht wahrgenommen, um das makellose Antlitz der Tochter nicht zu beflecken.
Die Tochter Monika ist eine junge Frau, die in der Stadt als Bürofräulein arbeitet. Sie hat von ihren Eltern nicht viel übernommen, nicht ihre Werte und Ansichten, und benimmt sich auch dementsprechend anders, z.B. kauft sie für ihre Eltern Geschenkvorschläge aus ihrem Modemagazin, damals etwas völlig Neues. Es ist sehr einfach, man könnte denken, dass sie einfach einen Blick in das Magazin wirft, blind tippt und den Eltern dann irgendetwas schenkt. Ich denke aber, dass sie eher so fasziniert von all diesem Neuen ist, das es einfach dazugehört den Eltern einen Teil ihres Stils Nahezubringen. Und dies gefällt den Eltern, sie freuen sich über das Geschenk " ...eine Vase aus blauem schwedischen Glas, eine Vase aus der Stadt ..(Z. 33 - 34). Sie selbst bestellt sich aus diesem Katalog auch eine Menge Accessoires, Parfum, einen Hocker aus marokkanischem Leder usw. .Sie bleibt nicht so einfach und bescheiden wie die Eltern, genießt ihr neues Leben, ihren "Stil" - " Sie war dann ein Fräulein, das in Tearooms lächelnd Zigaretten raucht" (Z. 19 - 20.). Wenn die Eltern sie ungewollt aufdringlich danach fragen, ob sie nicht etwas auf französisch sagen könne oder Neuigkeiten aus dem Leben, der Stadt, "Kürzlich hatte er Monika gebeten ... ...Sie wusste aber nichts zu sagen" (Z. 41 - 42;43) dann blockt sie, meiner Meinung nach peinlich berührt, ab. Ich kann mir auch vorstellen, dass sie es als ein wenig störend und überdreht empfindet, wie informationsgierig die Eltern Dinge aus ihrem Leben erfahren möchten, mehr über "Die Tochter", um neuen Gesprächsstoff zu haben, um weitere, bewundernde Vermutungen anstellen zu können. Aber ich denke auch, dass die Eltern dies ganz unbewusst tun. Sie sind wie sie sind, im Grunde liebevoll und auf Monika stolz, nicht negativ, eher zeigen sie Elternliebe, indem sie sie bewundern, und abends auf sie warten (vgl. Z. 1).
Ich denke mir, dass der Titel "Die Tochter" auf das schon ein wenig verlorengegangene Verhältnis zwischen Eltern und Tochter eingeht. Würde es "Ihre Tochter" heißen, könnte man sagen, das Verhältnis sei gut, Familienzusammenhalt. So ist es aber nur "Die Tochter", nicht einmal ein wenig Zugehörigkeit zu den Eltern wird damit vermittelt. Immer, wenn über die Tochter geschrieben wird, sind es lange, verschachtelte Sätze ( vgl. Z. 31 - 33), wenn die Eltern sprechen, ist die Sprache einfach und monoton. Dies zeigt den "Klassenunterschied" der beiden Typformen. Der Autor schreibt zeitlich im Präteritum, benutzt den autorialen Erzähler (Im Gegensatz zum allwissenden Erzähler gibt er lediglich die Umstände wieder, ohne näher darauf einzugehen). Auch wird die Sprache dazu verwendet, um das Verhältnis zwischen den Eltern und der Tochter zu beschreiben "Die Bahnverbindungen sind schlecht" (Z. 1 - 2). Die Tochter ist zwar ein wenig ausführlicher beschrieben als die Eltern, es sind aber alles Typen, keine Charaktere. Begründend steht dafür, das sie keine Entwicklung durchmachen, sondern nur über sie erzählt wird, von einem unveränderten Zeitpunkt aus.
Ich selbst habe eigentlich keine Spannung empfunden. Es ist eine recht einfach geschriebene Geschichte, kein Roman in dem Sinne, dass man sich in die Personen hineinversetzen könnte, als Leser der nicht aus dieser Zeit stammt. Für Leute, die die selbe oder eine ähnliche Situation schon miterlebt haben, wird es sicherlich anders sein, aber ich kann es nicht. Ich finde die Geschichte gut geschrieben, vor allem der schon erwähnte Wechsel zwischen der unterordneten Schreibweise bei der Tochter und den nebengeordneten Sätzen bei den Eltern lassen gut auf deren Unterschiede (verhalten) schließen. Allerdings gibt es sicherlich viele verschiedene Sichtweisen, jemand anders aus einer anderen Zeit wird vielleicht viel mehr eigene Emotionen einfließen lassen. Denn je andeutender die Geschichte, desto mehr gibt es zu interpretieren. Bemerkenswert und zu erwähnen ist aber auch das vermittelte Gefühl. Nachdem ich die Geschichte gelesen hatte und darüber nachdachte, konnte ich mich mit den Problemen der damaligen Zeit und dem "Klondicke - Denken" (Aufbruchsstimmung) der jungen Generation, die ihren Höhepunkt in den 70. Jahren fand, gut auseinandersetzen.
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