An die Gleichgeschalteten
Der Text "An die Gleichgeschalteten", welcher von Bertolt Brecht 1935 geschrieben wurde, ist eine ungewöhnliche Form von Lyrik.
Zwar findet man wie bei vielen anderen Brechtgedichten keinen Reim, aber bei genauerer Auseinandersetzung mit dem Gedicht fällt die lyrische also stark verschlüsselte Sprache auf.
In diesem Gedicht beschreibt Brecht wie ein Mensch, welcher sein Brot nicht verlieren will, immer öfter und stärker lügt um sein Brot nicht zu verlieren. Anfangs sagt er nichts, dann nicht die Unwahrheit und schließlich lügt er bewußt, was ihm schlußendlich auch nicht hilft und so verliert er sein Brot doch.
Direkt am Anfang, aber auch immer wieder während des Gedichtes, wird erwähnt, dass der Lügende sein Brot nicht verlieren will. Das Brot, als Grundnahrungsmittel, stellt ein existentielles Bedürfnis des Menschen dar.
Wenn ihm dies entzogen wird, wäre das wohl die schrecklichste Strafe, die man sich vorstellen kann. Die Motivation des Nichtssagenden ist also mehr als verständlich.
Die erste Stufe der Entwicklung zum Lügner beginnt mit dem Verschweigen.
Brecht schreibt:
"...,also
Zwar nichts zu enthüllen, aber
auch nichts zu beschönigen..."
Brecht bezieht sich auf die Verbrechen des Regimes, welche verschwiegen werden sollen.
Durch diese Haltung versucht der Schweigende das Regime bzw. den Machthaber gnädig zu stimmen, denn ein ärgerlicher Machthaber würde dem Schweigenden das Brot wegnehmen.
Dieses Schweigen könnte man als neutrale Position betrachten, doch Brecht sagt ganz klar, dass schon dieses passive Verhalten die Verbrecher unterstützt. Denn dadurch, dass niemand etwas sagt, wenn schreckliche Verbrechen geschehen, wird den Verbrechen ein Anschein von Natürlichkeit verliehen.
Aber mit der Zeit zeigt sich, dass nur das Schweigen nicht mehr genügt um sein Brot nicht zu
verlieren.
Im Gedicht steht:
"...aber bald
Wird er bemerken, dass er, um sein Brot nicht zu verlieren
Nicht nur die Wahrheit verschweigen, sondern
Die Lüge sagen muss...."
Hier tritt die Nächste Phase dieses Systems in Kraft. Nun wird aus dem passiven anscheinend taubstummen Nichtssagenden, ein Lügner.
Weil er sein Brot nicht verlieren will und dafür bereit ist zu lügen ist, wird er in die Kreise des Machthaber eingeladen. Der Machthaber benutzt den neu hinzugekommen auf schlaue Weise. Dieser seit kurzer Zeit Lügende genießt noch das Vertrauen der Unterdrückten, denn er kommt ja aus ihren eigenen Reihen. Diese Freund der Unterdrückten wird nun vom Machthaber als Lügner gebraucht. Denn dem Machthaber mißtraut man und man glaubt ihm nicht mehr. Den Freund der Unterdrückten wird alles abgekauft. Wenn der Freund der Unterdrückten sagt, dass es keine Unterdrückung gibt, dann wird das von den Unterdrückten geglaubt.
Brecht schreibt sogar, dass man am besten den Bruder eines Ermordeten schickt um zu sagen, dass sein eigener Bruder nicht ermordet wurde sondern verunfallte. Dies zeigt wie stark der Einfluß des Machthabers auf den ist, der sein Brot nicht verlieren will.
Aber auch dieses sehr aktive Verhalten genügt bald nicht mehr den Anforderungen des Regimes. Das Lügen muss perfektioniert werden. Es soll wie eine Kunst mit Leidenschaft exerziert werden. Brecht benutz hier das Wort Leidenschaft, um zu zeigen mit wieviel Energie das Lügen betrieben wird.
Zu dem ursprünglichen Anreiz, sein Brot nicht zu verlieren kommt jetzt noch dazu, dass der Lügende wie im Rausch immer besser lügen will. Denn es gibt sehr viele andere wie ihn die im Konkurrenzkampf mit Ihm stehen. Er muss von allen Seiten Attacken befürchten zum Beispiel könnte jemand sagen, der Lügende hätte früher das Regim kritisiert. In diesem Kampf innerhalb des eigenen Volkes versucht jeder den anderen auszuspielen. Durch seinen großen Eifer beim Lügen bekommt er noch Lob von seinen Auftraggebern, dem Regim, dies spornt ihn noch zusätzlich an.
Doch schlußendlich wird man ihm doch früheren Anstand nachweisen können.
Und dann verliert er sein Brot wobei er alles getan hat was man von ihm erwartet hatte.
Die Tatsache, dass er trotz allem sein Brot verliert, ist sehr wichtig. Wir erinnern uns an den kleinen Mann der sein Brot nicht verlieren will, und deshalb schweigt dieses Schweigen wird am Schluß zum leidenschaftlichen Lügen, aber sein Brot verliert er trotz all seiner Anstrengungen.
Es handelt sich also um einen Teufelskreislauf, welcher den, der sein Brot nicht verlieren will, immer tiefer in den Sog des Lügens hineinzieht. Man kann diesem Sog nicht entgehen, denn er greift ja an dem Grundbedürfnis des Menschen, der Nahrung, an. Und um nicht zu Hungern würden Menschen nahezu alles tun. Nur hier wird die Entwicklung so eingefädelt, dass sich das Lügen in Stufen steigert. Der Lügende bekommt also gar nicht mit was mit Ihm geschieht. Und auch wenn, er kann sich nicht wehren, da man ihm sonst sein Brot wegnehmen würde. Diese linear Unabänderlichkeit zeigt sich auch daran, dass der Text keine Absätze hat und nicht in Strophen unterteilt ist.
Der Titel lässt vermuten, dass es sich um einen Appell an die Gleichgeschalteten handelt. Brecht will die Menschen vor diesem System warnen und sie vor dem Sog des Lügens retten. In der damaligen Zeit, in der die Politik schon gleichgeschaltet war, wurde dieses System in Deutschland angewendet um das Volk zu kontrollieren. Man musste sich nicht die Mühe machen Regimgegner zu finden. Das Volk verriet diese von alleine. Wie wirksam und vor Allem unbemerkt dieses System arbeitet konnte man in den nun folgenden 10 Jahren gut beobachten.
Aber Brecht konnte diese Entwicklung damals nicht aufhalten, aber vielleicht kann sie uns davor bewahren heute einem ähnlichen oder gleichen System zu verfallen.
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