A Mouron Cassandre
jüngstes von fünf Kindern wuchs er in einer wohlhabenden Familie auf. Sein Vater, Georges Mouron, der ein erfolgreicher
Geschäftsmann war und ursprünglich aus Libourne in Frankreich stammte, ermöglichte ihm, sowie seinen anderen vier Kindern,
eine ausgezeichnete Ausbildung. So schickte er seinen Sohn schon in frühster Jugend nach Paris wo er zur Schule ging, so dass
er lediglich in den Ferien bei seinen Eltern in Charkow war. Während des 1. Weltkriegs beschloß die Familie, aufgrund der
schlechten wirtschaftlichen Situation in Rußland, wieder nach Frankreich über zu siedeln. Im Jahr 1917 waren schließlich alle
Verbindungen in die Ukraine getrennt, im selben Jahr machte Adolphe Mouron, von allen meist nur mit Dola gerufen, sein Abitur
mit Auszeichnung am Lycée Condorect in Paris. Das war der Zeitpunkt an dem er beschloß, sein zukünftiges Leben der Malerei
zu widmen. Zuerst studierte er bei dem Maler Lucien Simon, dann in verschiedenen Ateliers am Montparnasse, an der Akademie
Julian und an der berühmten Malschule La grand Chaumière. Sehr bald aber schon merkte Adolphe Mouron sein Interesse für die
Plakatmalerei, wohl auch weil er so eine Möglichkeit sah, seine finanzielle Situation zu verbessern. Bereits 1919 gewinnt er den
dritten Platz bei einem Plakatwettbewerb der von Michelin ausgeschrieben war. Dieser Erfolg war nicht ohne Auswirkungen auf
seine spätere Karriere, Adolphe Mouron beschloß sich nun ausschließlich der Plakatmalerei zu widmen. Zu diesem Zeitpunkt
nannte er sich auf Raten eines Freundes in A.M. Cassandre um, um seinen richtigen, bürgerlichen Namen zu wahren für den Tag,
an dem er mit seiner wahren Leidenschaft, der Malerei, Anerkennung finden würde. Nach einer Menge von Rückschlägen von
denen Cassandre sich aber nicht entmutigen lässt, gelingt es ihm nach über drei Jahren, endlich sein erstes Plakat zu
veröffentlichen. Der Auftraggeber war eine französische Nudelfabrik, Pâtes Garres, die ihn weiterempfiehlt an andere
Unternehmen, so dass Cassandre nun auch langsam die nötigen Kontakte knüpfen konnte.
Ein Jahr später jedoch musste er keine Beziehungen mehr pflegen. Sein 1923 entstandenes Plakat "Au Boucheron" das er für das
große Pariser Möbelhaus Hachard & Cie.gestaltet, wird als Monumentaldruck in ganz Paris ausgehängt. Das Plakat erregt
großes Aufsehen und macht ihn auf einen Schlag berümt. Zwei Jahre später wird er sogar den Großen Preis der "Exposition
Internationale des Arts Décoratifs" für diese Arbeit erhalten.
Die nächsten vier Jahre arbeitet Cassandre exklusiv für Hachard & Cie. 1924 heiratet er seine erste Frau Madelaine Cauvet, mit
der er 1925 nach Versailles zieht wo er sich ein Haus gebaut hat. Im Jahre 1929 schafft sich Cassandre auch international
Anerkennung durch seine erste selbst entworfene und für die Werbung bestimmte Schrift:"BIFUR". Die Schrift wird von Deberny &
Peignot für den Bleisatz gegossen und erste ausländische Agenturen aus Großbritanien und den Niederlanden zeigen ihr
Interesse an dem französischen Typografen. Ein Jahr später veröffentlicht Derberny & Peignot die zweite von Cassandre
gestaltete Schrift, die "ACIER". Im gleichen Jahr noch gründet Maurice Moyrand die Alliance Graphique L. C. Loupot - Cassandre.
Die beiden großen Plakatkünstler stellen zusammen in der Galerie Pleyel aus. 1935 übernimmt Cassandre die Leitung der
Alliance Graphique, beginnt zu unterrichten an der Ecole des Arts Graphique und feiert außerdem sein Debüt als Bühnenbildner.
Inzwischen arbeitet er auch für italienische und schweizer Auftraggeber, verbringt viel Zeit in New York, wo im Januar 1936 eine
Retrospektivausstellung seiner Plakate im Museum of Modern Art gezeigt wird. Dem Großteil seiner Arbeiten, bzw. Entwürfe
allerdings wird keine Aufmerksamkeit geschenkt und so auch nicht verwirklicht.
In Europa wird aus Anlass der Pariser Weltausstellung 1937 seine Schrift "Peignot" veröffentlicht.
Das alles tangiert aber Cassandre nicht wirklich, der seit 1936 sich wieder seiner wahren Leidenschaft widmet, der Malerei.
Durch ein Treffen mit Balthus im gleichen Jahr fühlt er sich der Ölmalerei näher als je zuvor die er bis 1944 außschließlich betreibt.
In dieser Phase seines Schaffens trennt er sich von seiner Frau, durch die er sich blockiert fühlt und verbringt zwei Jahre beim
Militär. Nach seiner Dienstzeit lernt er die Modellistin Nadine Robinson kennen, die er nach dem Krieg, 1947, heiratet.
Gleichzeitig wendet er sich wieder der Malerei ab, die ihm außer ein paar kleinen unbedeutenden Ausstellungen keinen Ruhm
einbrachte und so wenig Befriedung darstellte. Aus dieser Zeit existiert kein einziges Bild mehr, so dass man davon ausgehen
muss, das Cassandre seine eigenen Werke komplett vernichtet hat.
In den nächsten Jahren arbeitet Cassandre wieder als Werbegrafiker für Anzeigen, Titelblätter, Plakate oder sogar auch
Spielkarten. Allerdings nie wieder mit dem Erfolg und Aufsehen den er früher erreichte.
1948 geht er nach Italien, wo er seine Leidenschaft für die Bühnenmalerei wiederentdeckt. Cassandre entwirft verschiedene
Bühnenbilder und macht auf diese Weise seinen Namen wieder so populär, dass er 1950 von der Leitung des Festivals in
Aix - en - Provence beauftragt wird, die Konstruktion des Freilufttheaters zu übernehmen und gleichzeitig die Bühne und Kostüme für
die Aufführung der Mozart Oper "Don Giovanni" zu entwerfen. Die Eröffnung des Theaters und Aufführung der Oper wird zum
internationalen Erfolg. Der Name Cassandre ist wieder in aller Munde. Im selben Jahr wird er zum Ritter der Ehrenlegion ernannt,
eine der höchsten Auszeichnungen in Frankreich. Das Musée des Arts Décoratifs zeigt in einer großen Ausstellung einen
Überblick über über seine fünfundzwanzigjährige Arbeit auf den verschiedenen Gebieten.
In den folgenden zehn Jahren arbeitet Cassandre weiter als Bühnenbildner, gestaltet aber gleichzeitig auch Schriften, Plakate und
Schallplattencover. Zwar bleibt ein Erfolg wie der von "Don Giovanni" aus, trotzdem aber bleibt er europaweit angesehen und
arbeitet auch international. In dieser Zeit trennt er sich von seiner zweiten Frau.
Cassandres am stärksten bestechendes Merkmal war die geometrische Konstruktionsweise mit der er seine Plakate, aber auch
seine Schriften, entwarf. Cassandre war kein Mensch, der die Entwicklung eines Plakats dem Zufall überließ, alles was später zu
sehen sein sollte, war manisch bis ins Detail voraus geplant. Es war bei weitem nicht seine Stärke, einfach aus dem Bauch
heraus seiner Kreativität freien lauf zu lassen. Rational und berechnend, meist strengen Schemata folgend, kreierte er seine
Arbeiten am Reisbrett. Seine Werke spiegeln, mit sehr wenigen Ausnahmen, durchweg seinen Hang zur Architektur wieder, die
immer sein heimliches Hobby blieb, und die er nur bei seinen Arbeiten als Bühnenbildner halbwegs ausleben konnte.
Aber genau wie die Architektur festen Regeln der Statik und Mechanik unterworfen ist, hielt sich Cassendre an ebenso genaue
Vorgaben. Goldener Schnitt oder rechter Winkel waren ihm oberstes Gebot, waren nicht genug Einschränkungen vorhanden,
schaffte er sich selber welche um sich so in seinem Schaffen zu kontrollieren. In seinen Aufzeichnungen fand man nach seinem
Tod immer wieder Regeln zu Gestaltung eines Plakats. Es ist niemals geklärt worden, ob diese Regeln für die Allgemeinheit
bestimmt waren, und nur nie veröffentlicht worden sind, oder aber ob sie einfach ihm selbst gedient haben. Sicher ist nur das er
sie stets beachtet hat. In vielen Kompositionen ist die Geometrie in einem Maße betont, dass die Aufgabe klärender Linien weit
überschritten ist. Die Linien regeln die Form der inhaltlichen Elemente so sehr, dass es unmöglich wird, sie nicht zu beachten.
Cassandres Plakate sind voll von Horizontalen und Vertikalen, sowie Diagonalen die meist im exakten Winkel von 45° die
Komposition durchlaufen. Zu dem lässt Cassandre die Konstruktionslinien in genau festgelegten numerischen Verhältnissen zu
einander stehen, was einen Rhythmus erzeugt, der so starr ist, dass wenn er musikalischer Natur wäre, jeden Tänzer zum Stillstand
veranlassen würde.
Ein weiteres stilistisches Mittel, was Cassandre zu gerne benutzte, war der Einsatz von Fluchtpunkten. Waren seine Plakate
immer von einer klassischen Statik bestimmt, versuchte er dies durch den Gebrauch des Raumes zu brechen. Massiv verzerrte er
Gegenstände um so dem Bild ein wenig Bewegung zu zuführen.
Anfang der sechziger beschließt Cassandre endgültig, Paris zu verlassen und aufs Land zu ziehen. Nachdem er diverse Aufträge
abgelehnt hat, unter anderem sogar die Leitung der Villa Medici in Rom, zieht er in die Nähe Belley, wo er die nächsten Jahre mit
der Planung einer internationalen Schule der bildenden Künste sowie mit einem erneuten Versuch der Ölmalerei verbringt.
Im Jahr 1965 allerdings kehrt Cassandre niedergeschlagen und zerfressen von Selbstzweifel zurück nach Paris. Die geplante
ländlich - zurückgezogene Selbstfindung war fehlgeschlagen und Cassandre versuchte erneut einen Halt in der Plakatgestaltung
und im Schriftentwurf zu finden.
Die nächsten Jahre leiten Cassandre von einer Enttäuschung zur nächsten bis er sich schließlich am 17. Juni 1968 in Paris in
seiner eigenen Wohnung das Leben nimmt.
Aber auch Perspektive und sogar Schatten unterlagen klaren Proportionsverhältnissen und konstruktivistischer Logik. An jedes
Plakat, das er gestaltete, stellte er den Anspruch, die Komposition muss sich selbst erklären.
Es ging soweit, das Cassandre sogar die Wahl der Farben nicht nach gefühlsmäßigen Bedürfnissen zu ließ, sondern auch hier
nach mathematisch erklärbaren Definitionen seine Auswahl traf. Zwar waren am Anfang der Großteil seiner Arbeiten in schwarz /
weiß gehalten, war es das Prinzip das er in seinen späteren farbigen Arbeiten oft übernahm. Immer wieder sieht man in seinen
Plakaten das Gegenüberstellen von Komplementärfarben um so eine möglichst kontrastreiche Komposition zu erreichen.
Leider geht durch diese rationale Farbwahl oft der emotionale Charakter der Bilder verloren und Cassandre schießt ein wenig
über das Ziel hinaus.
Seine Schriften waren ebenfalls rein konstruierte, ohne ein Funken von verspielter Leichtigkeit, Produkte die der Geometrie und
Symmetrie entsprungen und verhaftet waren. Vernachlässtigte Cassendre hier auch manchmal ein wenig die Funktionalität, glich er
diesen Anflug von Emotionaltität durch die Berechen -, und Erklärbarkeit einer jeden einzelnen Linie jedes Buchstaben jedes
Schrifttyps aus.
Glücklicher Weise hat Cassandre nie von sich selbst behauptet, Künstler zu sein. Er hat sein Schaffen immer in den Dienst der
Werbung und als reines Kommunikationsmittel gesehen. Cassandre hat sich einmal selbst als visuellen Telegraphisten
bezeichnet, was ich eine sehr schöne Bezeichnung finde. Außerdem hat er der Anforderung, ein Plakat muss gesehen und schnell
gelesen werden, immer genüge getan. Man muss anerkennen, dass seine Plakate den Anspruch der Übermittlung der direkten,
naiven Botschaft perfekt erfüllt haben. Dennoch denke ich dass A. M. Cassandre an dieser einfachen, naiven, zweckerfüllenden
Kunst zerbrochen ist, da er seinen eigentlichen, künstlerischen Bedürfnissen nie wirklich gelebt oder beachtet hat.
"Das Plakat verhält sich zur Malerei wie die Vergewaltigung zur Liebe."
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