Unterm Rad
Hermann Hesse wurde am 2. Juli 1877 in Calw/Württemberg als Sohn eines baltendeutschen Missionars und der Tochter eines württembergischen Indologen geboren. Nachdem Hesse in seiner Kindheit einige Jahre in der Schweiz gelebt hatte, zog er mit seinen Eltern wieder zurück nach Deutschland, wo er zur Vorbereitung auf das württembergische Landexamen die Lateinschule in Göppingen 1890 besuchte.
Das Landexamen war die Voraussetzung für eine kostenlose Ausbildung zum evangelischen Theologen im "Tübinger Stift".
Nach sieben Monaten in einem evangelischen Klosterseminar floh Hesse, weil er "entweder Dichter oder gar nichts werden wollte". Nach einer Buchhändlerlehre in Tübingen erschien 1898 Hesses erste Buchpublikation in "Das deutsche Dichterheim".
Im September 1899 zog Hesse nach Basel, wo er bis 1901 in der Reich'schen Buchhandlung beschäftigt war. Ab diesem Jahr verfaßte Hesse auch regelmäßig Artikel für diverse Zeitungen und Zeitschriften.
1902 erschient der Textband "Gedichte", den Hesse seiner kurz zuvor verstorbenen Mutter widmete. Zwischen Oktober 1903 und Juli 1904 schrieb Hesse den Roman "Unterm Rad" nieder. Ebenfalls 1904 heiratete Hesse Maria Bernoulli, mit der er drei Söhne hatte.
Später gründete er die liberale, gegen das Regime von Kaiser Wilhelm II. gerichtete Zeitschrift "März", als dessen Herausgeber er sich bis 1912 zeichnete.
Als im Jahre 1914 der Krieg begann, meldete sich Hesse als Freiwilliger, wurde aber als dienstuntauglich zurückgestellt und 1915 der deutschen Gesandtschaft in Bern zugeteilt, wo er bis 1919 Hunderttausende von Kriegsgefangenen mit Lektüren versorgte.
Als 1916 Hesses Vater starb, bei seiner Frau Schizophrenie auftrat und sein jüngster Sohn erkrankte, erlitt Hesse einen Nervenzusammenbruch. Nur langsam erholte er sich wieder von seiner folgenden Krankheit und zog dann 1919 nach Montagnola bei Lugana
1923 ließ sich Hesse von Maria Bernoulli scheiden und wurde im darauffolgenden Jahr wieder Schweizer Staatsbürger. Im gleichen Jahr heiratete er auch seine 2. Frau Ruth Wenger, die er allerdings drei Jahre später wieder verließ.
1932 heiratete Hesse ein drittes Mal. Diesmal hieß die Glückliche Ninon Dolbin, mit der er bis an sein Lebensende zusammenlebte.
Während dem 2. Weltkrieg wurden Hesses bekannteste Bücher in Deutschland verbrannt und durften nicht mehr gedruckt werden. Daher gab Hesse einem Schweizer Verlag den Auftrag zur Fortsetzung seiner Buchveröffentlichungen.
1952 wurden gesammelte Dichtungen zu Hesses 75. Geburtstag veröffentlicht. Am 9. August 1962 starbt Hesse in Montagnola. Bis zu seinem Tod brachte Hesse Dutzende Werke heraus, unter ihnen Gertrud, Roßhalde, Knulp, Der Steppenwolf, Siddharta, Das Glasperlenspiel und Unterm Rad.
Die Erzählung entstand 1903 in Calw und zeigt das Schicksal des begabten Knaben Hans Giebenrath, dem der Ehrgeiz seines Vaters und Lokalpatriotismus seiner Heimatstadt eine Rolle aufnötigen, die ihm nicht entspricht.
INHALTSANGABE:
Als Klassenbester der Lateinschule seines Heimatdorfes darf Hans Giebenrath am Landexamen in Stuttgart teilnehmen, welches notwendig war für den Besuch eines Gymnasiums. Schon Wochen vorher muss Hans viele Stunden täglich mit Lehrern, mit dem Direktor und dem Pfarrer lernen und hat so keine freie Minute mehr, sich zu erholen. Das Examen, das aus Deutsch -, Latein - und Griechischprüfungen besteht, beendet Hans als zweiter und ist daher für das Gymnasium zugelassen.
Doch auch in den darauffolgenden Sommerferien gönnt man Hans keine Freizeit. Um ihn aufs Gymnasium vorzubereiten, lehrt man ihn das Neugriechische, hilft ihm in Mathematik und unterrichtet ihn in Religion.
Im Gymnasium befreundet sich Hans mit Hermann Heilner, der bei den Professoren nicht sehr beliebt ist, da er mit einem anderen Schüler gerauft hat und sich Befehlen und Anordnungen der Lehrer widersetzt.
Wegen dieser Freundschaft fällt auch Hans Giebenrath bei den Lehrern in Ungnade, was ihm eine Menge Ärger bringt. Als Hermann Heilner wegen einer Untat in den Karzer muss, vergißt Hans seine Freundespflicht; noch einmal siegt der Streber in ihm, und er meidet den Freund. Der jähe Tod eines Mitschülers bringt Hans zur Erkenntnis seines Fehlverhaltens, und es kommt zur Aussöhnung der beiden Knaben, die von den Lehrern mit Argwohn beobachtet wird.
Richtig schlimm wird es für Hans aber erst, als sein Kreislauf nicht mehr mitspielt und Hans im Unterricht nicht mehr mitarbeiten kann. Daher muss Hans die Schule verlassen und lebt erst einmal ohne neue Beschäftigung über ein Jahr mit seinem Vater in seinem Heimatstädtchen.
Hans beginnt, über Selbstmord nachzudenken und sucht schon einen Platz für diese letzte Tat. Tag und Nacht träumt er von diesem großen Ereignis und freut sich schon richtiggehend auf seinen Tod, der später jedoch nicht an diesem Ort eintritt.
In den Ferien hat Hans sein erstes Erlebnis mit einem Mädchen. Es dauert einige Tage, bis er die Geschichte realisieren kann, nur leider ist das Mädchen da schon wieder verschwunden.
Im Herbst schließlich beginnt Hans Giebenrath eine Feinmechanikerlehre beim städtischen Schmied. Dort erst lernt er die Strapazen der körperlichen Arbeiten kennen. Die ersten Tage werden die anstrengendsten seines Lebens. Als er am Ende der Woche seinen ersten Lohn ausbezahlt bekommt, lässt er sich von einem Gesellen dazu überreden, ihm und ein paar Freunden in die nahegelegene Stadt zu folgen, um den Wochenlohn des Gesellen in Bier zu investieren.
An diesem Herbstsonntag trinkt und raucht Hans das erste und letzte Mal in seinem Leben. Als er sich nämlich viel zu spät alleine, dafür aber betrunken, auf den Heimweg macht, stürzt er in einen Fluß und wird erst am nächsten Tag tot aufgefunden.
INTERPRETATION:
Es gibt die umgangssprachliche Wendung "unter die Räder kommen", die so viel heißt wie "zugrunde gehen". Der Titel "Unterm Rad" drückt einen Zustand aus: Hans Giebenrath, von Vater und Erziehern unters Rad gebracht, bleibt darunter, bis sein Leben erlischt.
Dieser Roman zeigt oft autobiographische Züge, die durch Jugenderinnerungen und durch Hesse bekannte Personen ergänzt werden. Schon der Vorname macht einen Bezug zu Hesses Bruder Hans deutlich. Hesse selbst nahm auch an einem Landexamen teil, beendetet es allerdings nicht als zweiter wie Hans, sondern als 28. In seinen Erzählungen ist oftmals die Mutter bereits gestorben, doch er selbst wurde von seiner Mutter zum Landexamen begleitet, im Gegensatz zu Hans, der mit seinem Vater reiste. Hesse besuchte auch das gleiche Klosterseminar wie Hans und beschreibt dies als "die Zeit meiner wildesten Stürme".
Die Lehrer von Hans sind großteils ident mit Hesses Erziehern. Sogar die bei Hans durch Überforderung aufgetretene Nervenkrankheit war bei Hesse zu finden. Genau aus diesem Grund verließ auch Hesse das Klosterseminar.
Erst als Hans eine Feinmechanikerlehre beginnt, entdeckt er auch die andere Seite des Lebens. Er, der vorher seine gesamte ihm zur Verfügung stehende Zeit für Lernen und Fortbilden aufgewendet hatte, versucht nun, das Versäumte nachzuholen.
Doch genau dieser Zwang, das Versäumte nachzuholen, wird Hans zum Verhängnis, als er zu übertreiben beginnt. Hesse lässt offen, ob der Tod von Hans gewollt oder ungewollt geschehen ist und stellt nur ein paar möglichkeiten zu dessen Hergang zur Wahl.
1093 Worte in "deutsch" als "hilfreich" bewertet