Der Besuch der alten Dame

Dürrenmatt wurde 1921 in Konolfingen bei Bern als Sohn eines protestantischen Pfarrers geboren. Nach dem Gymnasium studierte er in Bern und Zürich von 1941 - 45 Literatur und Philosophie. Anstelle einer Dissertation schrieb er das Wiedertäuferdrama "Es steht geschrieben". Anschließend arbeitete er als Zeichner und Theaterkritiker für Schweizer Zeitungen, dann als freier Schriftsteller. International bekannt wurde er mit den Stücken "Die Ehe des Herrn Missisippi" (1952) und "Besuch der alten Dame" (1956); letzteres wurde mit Ingrid Bergmannund Anthony Quinn in den Hauptrollen verfilmt.Bertold Brecht wollte Dürrenmatt als Autor an das Berliner Ensemble engagieren.Dürrenmatt lehnte nach reiflicher Überlegung dieses verlockende Angebot ab;ebenso lehnte er 1972 die Berufung zum Direktor des Schauspielhauses Zürich ab.Mit der Komödie "Achterloo" verabschiedete er sich 1988 als Autor und Regisseur vom Theater.
Dürrenmatt erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen, darunter 5 Ehrendoktorate, den Friedrich Schiller - Preis (1959), den Preis der New Yorker Theaterkritiker und den begehrten Georg Büchner - Preis (1986).
Dürrenmatt war zwei Mal verheiratet. Aus der ersten Ehe gingen 1 Sohn und 2 Töchter hervor. Er lebte in Neuchatel und beendete sein produktives Leben am 14. 12. 1990. Er gilt mit Frisch als das Zweigestirn der neueren Schweizer Literatur und er gehört zweifellos zu den großen genialen Gestalten dieses Jahrhunderts.
Als er das Theater aufgab, höhnten die Kritiker, er hätte sich ausgeschrieben, dabei suchte er für seine Stoffe andere Ausdrucksformen, denen das herkömmliche Theater nicht mehr gerecht wurde. Dürrenmatt preisgeben sei selbstmörderisch in einer so dürftigen Zeit, sagte der große Literaturwissenschaftler Hans Mayer.
Das Grundtheama aller Arbeiten Dürrenmatts ist der Versuch, den Standort des Menschen zu bestimmen. Das tut er mit den Mitteln seines bohrenden, alles hinterfragenden Intellekts und seiner explosiven Theaterfantasie. Er wurde von seinem Temperament getrieben, alles auf eine eigen - sinnige, verwegene und äußerst unbequeme Art zu tun.
Eine Geschichte sei dann erst zu Ende gedacht, wenn sie die schlimmst mögliche Wendung genommen habe, sagte Dürrenmatt und fügte später hinzu, - und die schlimmst mögliche Wendung sei die Wendung in die Komödie.
Sein entlarvender Humor, mit dem er das Publikum attackierte, trug ihm Feinde ein, die seine Kritik abschwächen wollten, indem sie ihn als Enfant terrible verketzerten. Dabei verbirgt sich hinter seinen bizarren Szenerien und seinem unbändigen Humor die Leidenschaft eines Moralisten.

Inhaltsangabe

In seiner Tragödie "Der Besuch der alten Dame" beschreibt der Autor Friedrich Dürrenmatt den Besuch der Milliardärin Claire Zachanassian (geborene Claire Wäscher) in ihrer Heimatstadt Güllen. Die Stadt ist in den vergangenen Jahren immer mehr verarmt, und so sehen die Einwohner diesem Besuch mit einigen Erwartungen entgegen. Zudem erinnert man sich an eine alte Liebesgeschichte zwischen der jungen Claire Wäscher und Herrn Alfred Ill. Da Güllen einst eine Stadt von "Weltansehen" war (Goethe hat in Güllen übernachtet und Brahms hat dort ein Quartett komponiert), nun aber total verkommen ist, hofft man, die Milliardärin würde der Stadt das Geld für Restaurationen der historischen Orte zu Verfügung stellen.
Als nun Frau Zachanassian mit großem Gefolge im Ort eintrifft und sich weder von der Rede des Bürgermeisters, noch durch die Erinnerungen des einstigen Liebhabers Ill beeindrucken lässt, stellen die Einwohner sehr bald fest, dass sich Claire in eine resolute, eigenwillige und unromantische Dame verwandelt hat, die nur nach Güllen gekommen ist, um ihren Racheplan auszuführen.
Einst hatte Alfred Ill gegen sie einen Vaterschaftsprozeß gewonnen, weil er Zeugen bestochen hatte. An den beiden Zeugen, die sie in verschiedenen Erdteilen aufzuspüren wußte, hat sie bereits Rache genommen: geblendet und entmannt begleiten sie die Milliardärin,der Richter von einst ist zu ihrem Butler geworden.
Ohne Umschweife fordert sie nun vom Bürgermeister den Tod Ills und ist bereit, der Gemeinde für diese "Gerechtigkeit" 1 Milliarde zu überlassen. Dieser Vorschlag wird von den Einwohnern und dem Bürgermeister zunächst entsetzt abgelehnt, doch im weiteren Verlauf des Stückes rechnet jeder Bürger schon mit der ihm zufallenden Geldsumme und kauft lauter neue Sachen ohne wirklich bezahlen zu können. Die Bürger lassen alles aufschreiben. Alfred Ill sieht sich durch die Kauflust der Leute, die er in seinem Laden erfährt, in seinem Todesurteil bestätigt. So geschieht es, dass Alfred Ill am Ende den Tod erleiden muss, an dem eigentlich alle beteiligt sind. Der Arzt schreibt "Herzschlag" auf den Totenschein, und die alte Dame reist mit dem Objekt ihrer Rache im Sarg, den sie bereits mitgebracht hat, ab. Im Ort wird sie, aufgrund ihres Geldregens, als Wohltäterin gepriesen.

Kritik

Dürrenmatt stellt im Besuch der alten Dame zwei Welten dar, zum einen die der Claire Zachanassian. Sie musste in Schande ihre Heimatstadt Güllen verlassen, weil Alfred Ill ihr die Vaterschaft leugnete und mit zwei bestochenen Zeugen den Richter täuschte. Sie wird zur Milliardärin und hat nur noch einen Wunsch: Die ihr in Güllen angetane Ungerechtigkeit zu rächen. Für die Verwirklichung dieser Sehnsucht tut sie alles. Menschen sind für sie nur käufliche Ware. Deutlich wird dies an der Titulierung ihrer Umwelt. Ihre Gatten, die sie ständig wechselt, nennt sie Moby, Hoby und Zoby, ihren Kammerdiener, den ehemalige Richter, der von Ill betrogen wurde, nennt sie Boby. Koby und Loby sind die beiden Zeugen, und Toby und Roby nennt sie die beiden kaugummikauenden Sänftenträger
Die alte Dame ist unerbittlich, ihr Haß gegen Ill und ihre Sehnsucht nach Gerechtigkeit sind so groß, dass sie darüber hinaus alles andere vergißt. Indem sie die Liegenschaften Güllens aufkauft, gewinnt sie die totale wirtschaftliche Macht über die Bürger des Dorfes.
Die eine Handlungsebene des Stückes wird von Claire Zachanassian repräsentiert und ist voll und ganz auf den Mord an Ill und ihre damit verbundene Rache gerichtet.
Die andere Handlungsebene wird von den Bürgern repräsentiert, die sich den eigenen Wohlstand auf die Fahnen geschrieben haben. Ihnen geht es um Wohlstand um jeden Preis, einzig am Beginn wird der Aspekt der Humanität höher bewertet. (S. 50) DER BÜRGERMEISTER: Noch sind wir in Europa, noch sind wir keine Heiden. Ich lehne im Namen der Stadt Güllen das Angebot ab. Im Namen der Menschlichkeit. Lieber bleiben wir arm denn blutbefleckt.
Als jedoch kein Ausweg mehr bleibt, wird der zunächst inhumane Tötungsakt als einzige gerechte Tat umdefiniert. Ich bin der Ansicht, dass das Stück gerade deshalb so erfolgreich war (ist), da es sich auf jede Zeit beliebig übertragen lässt. Man findet bereits am Anfang, wo die Personen genannt werden, eine Zeitangabe: Gegenwart. Dies sagt eindeutig aus, dass es sich bei diesem Stück um ein Modell handelt, das sich mühelos übertragen lässt (siehe auch Andorra). Dies wird auch noch dadurch verstärkt, dass in dem gesamten Stück keine Währung genannt wird. Es wird nur von einer Milliarde gesprochen, aber nie von einer Währung. Die Grundaussage des Stückes ist ziemlich einfach: Jeder Mensch ist käuflich, es kommt nur auf die Summe an. Dies wird z.B. auch in der Szene deutlich, in der der Bürgermeister das Angebot der Frau Zachanassian ablehnt.
Ihre einzige Reaktion auf diese Ablehnung ist die Aussage: "Ich kann warten."
Alles in allem finde ich das Stück, dem man auch eine gewisse Übertragbarkeit auf den Nationalsozialismus nicht absprechen kann, sehr gut. Die Kritik am Nationalsozialismus sehe ich dahingehend, dass den Menschen (hier den Bürger) keine Schuld trifft. Niemand hat Alfred Ill getötet; sondern das Kollektiv. Folglich kann auch keiner für seine Handlung bestraft werden, und es wird unmöglich, einen  Schuldigen zu finden.

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