Tschechien, Kaukasus

TSCHETSCHENIEN, KAUKASUS




Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren in der russischen und internationalen Berichterstattung über den Tschetschenienkonflikt das Bild des wilden, verwegenen Tschetschenen gezeichnet, der scheinbar ohne Rücksicht auf Verluste für die Unabhängigkeit seines Landes von der Moskauer Zentralmacht kämpft.
In dem 20 Monate dauernden Krieg standen sich in der Kaukasusrepublik russische Truppen und tschetschenische Freiheitskämpfer in blutigen Gefechten gegenüber. Mindestens 80.000 Menschen wurden getötet, große Teile des Landes dem Erdboden gleichgemacht. Hunderttausende sind geflohen, vor allem Russen, die hier seit Jahrzehnten gelebt hatten. Trotz oder vielleicht gerade wegen der Opfer, die sie bisher gebracht haben, geben die Tschetschenen nicht auf - sie sind entschlossen, auch weiterhin für die Unabhängikeit von Rußland einzutreten.
Dieser Widerstand hat eine lange Tradition. Seine Wurzeln reichen zurück bis ins 18. Jahrhundert.
Welche Faktoren führten dazu, dass sich diese Entschlossenheit zum Kampf bis ins 20. Jahrhundert erhalten hat, und warum ist es gerade die Kaukasusregion, in der sich nach dem Zusammenbruch der Sovjetunion eine solche Vielzahl an Konflikten herausgebildet hat, dass die ohnehin schon gefährdete Stabilität der jungen Staatengemeinschaft an ihnen zu zerbrechen droht?
Als Kaukasus bezeichnet man die Region zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer, der Osteuropäischen Ebene und dem vorderasiatischen Anatolien und wird häufig als "Berg der Sprachen" bezeichnet.
Auf einem Gebiet von 440.000 km2leben über 40 verschiedene Volksstämme. Am größten ist die sprachliche Vielfalt in Daghestan, wo alleine 12 Staatssprachen existieren.
Hinzu kommen kulturelle und religiöse Unterschiede zw. den vers. Völkern, die hier auf engstem Raum zusammenleben.

"Schon kurz nach der Lockerung des Sovjetsystems durch Michail Gorbatschov (1985 - 1991) wurde der Wunsch nach Autonomie immer lauter. Bald zeigte sich, dass die großen Ziele Perestroika ("Umbau") und Glasnost ("Offenheit") nur Schlagworte blieben.
Die dringend notwendigen Reformen konnten mit den Kräften des Parteiapparates nicht durchgeführt werden. Viele Republiken und autonome Gebietseinheiten handelten auf eigene Faust: Durch Volksabstimmungen und Wahlen legitimierte Vertreter begehrten gegen die seit Stalin betriebene Russifizierungspolitik der Sovjetunion auf, verlangten Wiedergutmachung für die Deportationen und stellten territoriale Revisionsansprüche.
Zwischen 1988 und 1990 erklärten alle Republiken ihre Souveränität, ohne sich grundsätzlich gegen einen Staatenbund auszusprechen. Bereits vor dem offiziellen Ende der UdSSR am 27. Dezember 1991 hatten Rußland, Weißrußland und die Ukraine am 8. Dezember das Fundament für die am 21. Dezember 1991 gegründete Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) gelegt, der mittlerweile (Georgien trat erst 1993 bei) alle Republiken außer Estland, Lettland und Litauen angehören.
Zu Beginn des Jahres 1992 herrschte eine verfassungsrechtlich verworrene Situation. Dies nutzten die Politiker in Tschetschenien aus, um dem Land im März 1992 eine eigene Verfassung zu geben. Bereits im November des Vorjahres hatte sich die Teilrepublik für unabhängig erklärt."
(Artikel: Berlin - Online)

Anfang der neunziger Jahre hatten sich - ähnlich wie in anderen Gebietseinheiten der ehemaligen Sowjetunion - auch in Tschetschenien Kräfte etabliert, die für Souveränität und Unabhängigkeit von Moskau eintraten.
Vor allem war dies der "Allnationale Kongreß" unter dem ehemaligen sowjetischen Luftwaffengeneral Dschochar Dudajev. Am 27. Oktober 1991 wählten die Tschetschenen in vorgezogenen Parlaments - und Präsidentschaftswahlen den 47jährigen Dudajev mit 85% der Stimmen zu ihrem neuen Präsidenten.
Moskau erklärte die Wahlen für ungültig, worauf Dudajev mit der Generalmobilmachung antwortete. Am 2. November rief der neue Präsident die unabhängige "Tschetschenische Republik" aus, die allerdings von keinem Staat der Erde anerkannt wurde. Dieses Vorgehen musste unausweichlich zur Konfrontation mit Moskau führen, das sich in seiner Nationalitätenpolitik keine Blöße geben wollte.
Wenige Tage nach der Erklärung der tschetschenischen Unabhängigkeit verhängte der Präsident der Rußländischen Föderation, Boris Jelzin, den Ausnahmezustand über die abtrünnige Republik und schickte 2.000 Soldaten nach Groznyj, um Dudajev abzusetzen. Die Tschetschenen und mit ihnen Angehörige einiger anderer Kaukasusvölker stellten sich den Truppen in Massendemonstrationen entgegen und zwangen sie zum Rückzug.

Die Begeisterung für die Unabhängigkeitsbestrebungen der Regierung Dudajev konnte die Bevölkerung Tschetscheniens nicht über die immer schlechter werdende soziale und wirtschaftliche Lage in ihrer jungen Republik hinwegtäuschen. Die Wirtschaftsreformen, die die wichtigsten Voraussetzungen für eine wirkliche Unabhängigkeit von Rußland hätten schaffen müssen, wurden hinausgezögert. Hinzu kam die Wirtschaftsblockade Rußlands, die Tschetschenien zur Einstellung der erdölverarbeitenden Industrie zwang.
Am 31.März 1992 folgte ein Putschversuch gegen Dudajev, der von der russischen Zentralgewalt unterstützt wurde. Jedoch scheiterte er.
Nachdem auch die Umsturzversuche im Juni, Oktober und November 1994 gescheitert waren, wurde die Opposition am 18. November bei einem letzten Versuch, Grosny einzunehmen, von der russischen Luftwaffe unterstützt - wiederum ohne Erfolg. Es gelang Dudajev, einige russische Soldaten gefangenzunehmen.
Damit stand Moskau vor der Entscheidung über Krieg oder Frieden, über militärische Intervention oder Anerkenung der Unabhängigkeit Tschetscheniens. Am 11. Dezember 1994 marschierten russische Truppen in Tschetschenien ein, "um die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen".
Dabei hatte Russland wohl auch wirtschaftliche Interessen.

Auszug der 20 - monatigen Chronologie:

    Die Rebellen halten das am 15. Dezember 1994 um 48 Stunden verlängerte Ultimatum nicht ein, in dem Jelzin Amnestie für die Truppen Dudajevs ankündigte, wenn diese ihre Waffen niederlegen würden (Vorbedingung für Verhandlungen).   Nach wochenlangen Kämpfen erobern russische Truppen im Februar 1995 die tschetschenische Hauptstadt Grosny. Im Juli 1995 nehmen über 80 tschetschenische Rebellen unter Führung Schamil Bassajevs in der russischen Stadt Budjonnovsk in einem Krankenhaus bis zu 2.000 Geiseln und fordern den sofortigen Abzug der russischen Truppen aus Tschetschenien. Nachdem die Erstürmung des Krankenhauses durch russische Soldaten gescheitert ist, vereinbart Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin mit Bassajev die Freilassung der Geiseln und einen Waffenstillstand, der am 30. Juli in Kraft tritt. Am 1. November 1995 setzt Moskau in Tschetschenien Doku Savgajev zum Ministerpräsidenten ein, der für den 17. Dezember Neuwahlen zum Präsidentenamt ankündigt, woraufhin die Rebellen den Waffenstillstand brechen. Russische Truppen zerstören am 15. Januar 1996 das daghestanische Dorf Pervomaiskoje, in dem sich 320 tschetschenische Guerillas mit 150 Geiseln verschanzt hatten, und töten 192 Menschen. Zuvor hatten die Rebellen in Kislar 3.400 Personen, Ärzte, Pfleger, Kranke, in einem Krankenhaus als Geiseln genommen, die meisten von ihnen gegen eine sichere Rückkehr nach Tschetschenien aber freigelassen. Als russische Hubschrauber nahe der tschetschenisch - daghestanischen Grenze das Feuer auf den Konvoi von Rebellen und Geiseln, die erst auf tschetschenischem Boden wieder freigelassen werden sollten, eröffneten, zogen sich die Tschetschenen nach Pervomaiskoje zurück.    Parallel zu den Ereignissen in Pervomaiskoje entführen türkische und kaukasische Sympathisanten der Tschetschenen die Fähre "Avrasya". Sie drohen mit der Ermordung russischer Passagiere, wenn Jelzin den Angriff auf Pervomaiskoje nicht sofort stoppe. Im März 1996 erobern die Rebellen für einige Tage Teile Grosnys zurück; Jelzin ordnet am 31. März einen erneuten Waffenstillstand an und erklärt sich zu Verhandlungen bereit. Der tschetschenische Rebellenführer Dschochar Dudajev wird am 22. April 1996 bei einem russischen Luftangriff getötet, sein Nachfolger wird Selimchan Jandarbijev. Im Mai 1996 empfängt Jelzin Jandarbijev im Kreml und handelt mit ihm ein Waffenstillstandsabkommen aus. Danach besucht er für sechs Stunden die Krisenregion, während Jandarbijev in Moskau festgehalten wird. Diese Aktion soll Jelzin die Stimmen noch unentschlossener Wähler bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen sichern. Am 6. August 1996, drei Tage vor der Vereidigung Jelzins als wiedergewählter Präsident der RF, greifen tschetschenische Freiheitskämpfer Grosny an und vertreiben tausende russischer Soldaten aus der Stadt. Diese für Jelzin gerade in dieser Situation peinliche Niederlage mündet schließlich in Gesprächen über ein Ende der Kriegshandlungen.

(Chronologie: Berlin - Online)

Am 31. August 1996 wird ein Friedensvertrag unterzeichnet, in dem unter anderem der Abzug der russischen Truppen festgelegt wurde. Der weitere Status von Tschetschenien soll laut Vertrag erst nach einem Zeitraum von 5 Jahren geklärt werden. Während Moskau nach wie vor darauf beharrt, dass Tschetschenien ein Teil der Russischen Föderation sei, wollen die Tschetschenen weiterhin für ihre endgültige Unabhängigkeit eintreten.

Der 2. Tschetschenien - Krieg

Der aktuelle Krieg in Tschetschenien begann nach offiziellen Aussagen mit dem Einmarsch tschetschenischer Rebellen in die russische Teilrepublik Dagestan am 6. August 1999. Vier Tage später riefen die tschetschenischen Kommandos dort einen 'unabhängigen islamischen Staat Dagestan aus'. In den darauf folgenden Wochen konnten die russischen Truppen gemeinsam mit dagestanischen Freiwilligen die Rebellen wieder zurückdrängen. Zur selben Zeit (Mitte August bis Anfang September) wurden in Moskau, Wolgadonsk und der dagestanischen Stadt Bujnask Bombenattentate auf Einkaufszentren und Wohnhäuser verübt, bei denen 300 Menschen ums Leben kamen. Für diese Anschläge wurden in der Folge tschetschenische Terroristen verantwortlich gemacht.
Am 3. September dringen etwa 2000 Rebellen erneut nach Dagestan ein und besetzen dort mehrere Dörfer. Mitte September fängt die russische Armee an, mehrere Zehntausend Soldaten an der Grenze zu Tschetschenien zusammenzuziehen, am 23. September kommt es zu ersten Bombenangriffen auf die Hauptstadt Grosny und am 1. Oktober dringen russische Bodentruppen nach Tschetschenien ein. Der Einmarsch der russischen Truppen wird mit der Bekämpfung des Banditentums und der von Tschetschenien ausgehenden terroristischen Gefahr begründet.
Die Bombenattentate auf russische Wohnhäuser haben zu einer massiven Popularität des Krieges unter der russischen Bevölkerung geführt. Gab es im ersten Tschetschenienkrieg in der Bevölkerung noch erheblichen Widerstand, wurden zu Beginn dieses Krieges kaum Stimmen laut. Alle Parteien des Parlaments haben sich für den Krieg ausgesprochen, auch diejenigen, die im ersten noch dagegen waren. Es gibt für eine tschetschenische Urheberschaft der Attentate noch keine Beweise, obwohl die Regierung diese schon lange versprochen hat. Einige Indizien sprechen sogar eher dagegen.

Welches sind die Motive für die russischen Feldzüge in Tschetschenien? Ganz genau kann dies niemand sagen.

Zu Beginn des Angriffes der russischen Truppen in Tschetschenien hatte man den Eindruck, dass der Krieg gegen Jugoslawien als Vorbild diente. Massenhafte Luftangriffe, kein Bodenkontakt, Berichterstattung war nicht möglich, dafür jede Menge Siegesmeldungen. Etwa vier Wochen lang wurde die Hauptstadt Grosny aus der Luft bombardiert, erst danach versuchten russische Bodentruppen die Stadt zu erobern. Dies scheint ihnen mittlerweile auch gelungen zu sein. Grosny ist vollständig zerstört, sehr viele Menschen sind bei den Angriffen ums Leben gekommen.
Insgesamt ist der Krieg bisher ohne große Rücksichtnahme auf die Bevölkerung geführt worden. In der russischen Presse werden Generale mit der Auffassung zitiert, dass man alle Tschetschenen töten müsse, um diesen Krieg zu gewinnen. Auch die Aussagen der Regierung, dass man eine andere Stadt als Grosny zur Hauptstadt machen könne (z.B. Gudermes), sprechen dafür, dass es der russischen Regierung relativ gleich ist, was mit Tschetschenien im Anschluss des Krieges geschieht. Ob die Armee den Krieg schließlich gewinnen wird, ist Spekulation. Im Moment spricht einiges dafür, dass sie die nördliche Hälfte Tschetscheniens einschließlich der Hauptstadt Grosny militärisch erobern und halten können, wie es dagegen in den Bergen im Süden ausgehen wird, ist offen. Was dagegen sehr klar erscheint, ist die fehlende Perspektive, welche die russische Regierung Tschetschenien anzubieten hat. Selbst wenn die russische Regierung wollte, sie wäre nicht in der Lage, den Wiederaufbau Tschetscheniens zu finanzieren.
Der Ausgang des Krieges und die Folgen für die Bevölkerung sind somit offen.

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