Tirol und Südtirol
Tirol ist ein Bundesland von Österreich. Die Hauptstadt von Tirol ist Innsbruck, und liegt ca 20 km von der deutschen Grenze entfernt. In Tirol befindet sich ein alpiner Höhenzug in west - östlicher Richtung, der das nörliche und südliche Flußgebiet Tirols teilt. Nach Norden fließt der Inn und nach Süden die Etsch. Der Brenner ist mit 1.370 m Höhe der niedrigste Übergang über die Hauptkette der Alpen und die kürzeste Verbindung von München über Innsbruck nach Italien. Südtirol besteht aus zwei Teilen, Trentino - Südirol und dem nördlichen Teil Südtirols. Die wichtigsten Städte südlich des Brenners sind Bozen und Trient. Politisch liegt Südtirol im Einflußbereich von Österreich und Italien, indirekt durch die deutsche Sprache und die frühe Besiedlung durch die Bayern auch im Einflußberich Deutschlands. Die Besiedlung des Gebiets südlich des Brenners durch Italiener, Österreicher und Deutschen hat in der Geschichte Südtirols zahlreiche heftige Konflikte ausgelöst.
2. Die Geschichte von Südtirol
Anmerkung: Wenn im Folgenden von "Deutschen" oder "Deutschsprachigen" gesprochen wird, ist damit immer die österreichische und die ladinische Bevölkerung gemeint.
In Südtirol leben drei verschiedensprachige Gruppen. Die Italiener (italienischsprachig), die Österreicher (deutschsprachig) und die Ladiner (ladinischsprachig). Die Ladiner gelten als "Reste" einer keltischen Urbevölkerung in Südtirol.
Südtirol ist heute eine autonome Region Italiens und wird Trentino - Tiroler - Etschland bzw. auf italienisch Trentino - Alto - Adige genannt. Bei uns wird die Region i.d.R. Südtirol genannt. In der frühen Siedlungsgeschichte der Alpenregion wird das heutige Südtirol von den Römern und später von den Bayern bewohnt. Die heutigen Konflikte führen auf zahlreiche Eroberungen und Teilungen in den vergangenen tausend Jahren zurück. Erst 1814 wurde Tirol geeint und ein Teil von Österreich. Durch den starken Einfluß Italiens im südlichen Teil von Tirol erhob Italien im Jahre 1866 das erste Mal Ansprüche auf die Region Südtirol. Der Gebietsanspruch blieb jedoch erfolglos.
48 Jahre später begann der 1. Weltkrieg und Italien schloß mit Deutschland und seinen Verbündeten ein Neutralitätsabkommen ab, in welchem sich Italien zur Neutralität im Krieg bekannte.
Bereits ein Jahr später wurde dieses Abkommen wieder gebrochen. 1915 wurde in London der "Londoner Geheimvertrag" aufgesetzt, in dem Italien den Alliierten militärische Unterstützung zusicherte. Im Gegenzug gingen die Alliierten auf Italiens erneute Forderung nach Südtirol ein und sicherten der italienischen Führung vertraglich die Einverleibung Südtirols von Italien zu, für den Fall dass die Alliierten den Krieg gewinnen.
Im Jahr 1918 gewannen die alliierten Mächte den 1. Weltkrieg und 1919 wurde in einem kleinen Pariser Vorort der Friedensvertrag von St. Germain en Laye aufgesetzt. In diesem Vertrag wurde die Abtretung Südtirols von Österreich an Italien festgelegt.
Italien, das nun sein Ziel erreicht hatte, begann unter der Herrschaft von Mussolini im italienischen Faschismus Südtirol verstärkt zu "italienisieren". Mussolini baute mit seiner Italienisierungswelle auf das Werk Ettore Tolomeis auf, welcher seit jeher für das italienische Südtirol propagiert und gekämpft hatte. Tolomei vertrat die Meinung, die Brennergrenze sei die natürliche Grenze Italiens. Südlich von ihr handle es sich nicht mehr um deutsches Kulturgebiet. Dieser "Fakt" sollte den italienischen Ursprung des Bodens und den Anspruch Italiens auf Südtirol bestätigen. Verstärkt wurden italienische Ansiedler nach Südtirol gebracht und die deutsche Sprache in dieser Region wurde unterdrückt. Wie aus der Tabelle im Anhang zu ersehen ist, stieg die Zahl der italienischen Bürger in Südtirol in wenigen Jahren um 200% an.
Durch den Einmarsch der deutschen Truppen am 12.3.1938 in Österreich wurde gewaltsam der Anschluß Österreichs an Deutschland vollzogen. Am 10.4.1938 ließ Hitler durch Volksabstimmung den Anschluß billigen, der bald darauf auch völkerrechtlich anerkannt wurde. 1939 wurde zwischen Deutschland und Italien der Umsiedlungsvertrag abgeschlossen. Die deutschsprachigen Südtiroler wurden vor die Wahl der italienischen oder der deutschen Staatsangehörigkeit gestellt. 86% der Wähler wählten den deutschen Staat und wurden ins deutsche Reich ausgesiedelt. Italienische Staatsbürger rückten statt dessen nach Südtirol nach. So war nach damaligen Maßstäben beiden Staatsoberhäuptern gedient: Mussolini "italienisierte" erfolgreich das südtiroler Gebiet und Hitler bekam neue deutsche Staatsbürger für seine Armee.
1943 wurde Südtirol nach der Verbündung von Italien und dem deutschen Reich unter die Leitung eines deutschen Gauleiters gestellt und damit inoffiziell von Deutschland einverleibt. Die Umsiedlung der deutschsprachigen Südtiroler wurde unterbrochen. Bis 1943 wurden 75.000 Menschen umgesiedelt.
1945 endete der 2. Weltkrieg mit dem Sieg der alliierten Mächte. Das italienische Südtirol wurde von Österreich zurückgefordert, doch die Alliierten lehnten diesen Antrag ab. Südtirol blieb italienisch.
Der Südtiroler Bevölkerung, die im unklaren über ihre Region lebte, wurde 1946 im Gruber - de - Gasperi Abkommen Gleichberechtigung gegenüber den italienischen Staatsbürgern, kulturelle, d.h. insbesondere die Wiederzulassung der deutschen Sprache, und administrative Autonomie und wirtschaftliche Förderung zugesichert. Das Abkommen wurde jedoch nur ungenügend erfüllt.
Es fand Aufnahme in den Friedensvertrag vom 10.2.1947, aus dem heraus ein Autonomiestatut für die Region gebildet wurde. Dieses Statut schuf einen Regionallandtag aus 48 Mitgliedern, in dem die italienischen Parteien die Mehrheit besaßen. Da durch das Autonomiestatut alle wesentlichen Angelegenheiten bei der Region liegen, entscheidet somit über alle wichtigen Angelegenheiten die italienische Mehrheit. Die Art der Durchführung hat in der Folgezeit zu scharfen Protesten durch die Südtiroler Volkspartei geführt, die die politische Vertretung des größten Teils der deutschsprachigen Bevölkerung ist.
Zwischen den Jahren 1956 und 1960 gab es viele gescheiterte Verhandlungen zwischen Italien und Österreich. Zahlreiche österreichische Proteste gegen das italienische Südtirol wurden laut.
1960 griffen die Vereinten Nationen ein. In der UN - Vollversammlung wurde beiden Ländern auferlegt, die Südtirolfrage auf dem Verhandlungswege endlich beizulegen.
Die von der UNO geforderten Verhandlungen zogen sich über neun Jahre hinweg bis 1969. Während dieser Zeit wurden sie einige Male durch Sprengstoffanschläge extremistischer, südtiroler Gruppierungen gestört.
1969 kamen beide Länder zu einer Einigung, die den Konflikt offiziell beilegte. Das erweiterte Südtirolpaket war ausgearbeitet. Es beinhaltete den Sonderstatus der Region Südtirol durch ein Verfassungsgesetz und gewährte der deutschen und der ladinischen Bevölkerung weitgehende, auch sprachliche Autonomie. Sowohl das österreichische Parlament, als auch die SVP (Südtiroler Volkspartei) und das italienische Parlament erklärten sich mit dem Südtirolpaket einverstanden
3. Was ist Selbstbestimmung
Um den Unterschied zwischen Autonomie und Selbstbestimmung zu klären, muss man etwas genauer auf beide Formen eingehen. Autonomie herrscht stets in einer Region, in einem Landsrich oder einem Bezirk, unabhängig von der Herkunft der sich dort befindlichen Personen. Autonomie kann sich auch nur auf einzelne Aspekte in einer Gesellschaft beziehen. Innerhalb eines politischen Gebildes bedeutet laut Lexikon der Begriff autonom "zur selbständigen Gesetzgebung berechtigt". Auf Südtirol übertragen bedeutet dies, dass alle wichtigen Angelegenheiten von der Region über die Verabschiedung von Gesetzen und Vorschriften selbst geregelt werden. Es gelten also eigene regionale Gesetze und nicht italienische oder österreichische. Diese Gesetze sollten mehrheitlich auf demokratischem Wege von den Bewohnern der Region erlassen werden.
Normalerweise deckt sich Selbstbestimmung mit Autonomie. Beide Begriffe bedeuten, dass die eigenen Angelegenheit selbst und ohne Eingriffe Anderer geregelt werden können. Im Fall Südtirol ist es etwas komplizierter, da sich zumindest 2 große Gruppen, die Italiener und die deutschsprachige Gruppe gegenüberstehen, die für sich in Anspruch nehmen, selbständig in ihren eigenen Traditionen zu leben. Selbstbestimmung bezieht sich somit eher auf die kulturellen Eigenarten einer Volksgruppe, also auf die traditionellen Bräuche und die Sprache. Nach dem Völkerrecht kann Selbstbestimmung in Südtirol so ausgelegt werden, dass keine Gruppe der anderen Gruppe ihre Lebensweise streitig macht, kulturelle Feste untersagt oder gar Andere verfolgt.
4. Der aktuelle Südtiroler Konflikt (Südtirol und die
Selbstbestimmung)
Die deutschsprachigen Südtiroler, die "Ur - Südtiroler" sind es, um die sich der Konflikt dreht. Seit dem Inkrafttreten des Südtirolpaketes 1969 herrschen in Südtirol Unzufriedenheit mit der aktuellen Lage und vielerlei verschiedene Meinungen darüber.
Es wäre falsch, zu sagen, dass die gesamte deutschsprachige Südtiroler Bevölkerung danach strebte, das Selbstbestimmungsrecht auszuüben, jedoch ist ein großer Teil der Bevölkerung daran gelegen. Doch die, die statt der Autonomie im italienischen Staatsverband die Selbstbestimmung wünschen, teilen sich noch einmal deutlich in zwei Gruppen. Die einen wollen die Rückkehr Südtirols zu Österreich, die anderen wollen Südtirol als eigenen Staat. Prozentual sah das Ergebnis einer Umfrage im Jahre 1984 so aus:
Südtirol zu Österreich: 37%
Eigener Staat Südtirol: 48%
Keine Nennung : 15%
Der Wunsch nach einem eigenen Staat Südtirol dominiert also über der Rückkehr zu Österreich, wenn auch beide Meinungen nicht sehr weit auseinanderliegen.
Doch der Konflikt liegt nicht in dieser Meinungsverschiedenheit. Er liegt vielmehr an der verhinderten Selbstbestimmung.
Denn es besteht ein Unterschied zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung und der Ausübung dieses Rechtes. Wie Felix Ermacora das Selbstbestimmungsrecht in seinem Buch über Südtirol beschreibt ist an dieser Stelle vielleicht angebracht zu zitieren:
"Selten ist ein Recht so papieren geblieben wie das Selbstbestimmungsrecht, weil seine Ausübung in kritischer Lage schwieriger ist, als sich zu ihm zu bekennen." (Felix Ermacora in "Südtirol - Die verhinderte Selbstbestimmung", S. 78)
Die Südtiroler, die das Selbstbestimmungsrecht seit ihrer Trennung von Österreich 1919 haben, sind nie dazu gekommen es auszuüben. Italien, dessen Wunsch es war, Südtirol innerhalb der italienischen Grenzen zu behalten, hat nie etwas dafür getan, das Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler zu fördern und auch Österreich hat die südtiroler Bevölkerung nie dazu ermutigt. Auch den Südtirolern ist ein Teil der Schuld an der verhinderten Selbstbestimmung zuzuschreiben. Sie haben nicht gekämpft um ihr Recht oder auf ihren Stimmzetteln ihren Wunsch nach Selbstbestimmung deutlich gemacht. Die Selbstbestimmung in Südtirol gab es also noch nie, sie wird aber gefordert von den südtiroler Bürgern.
Eine Lösung des Konflikes zwischen Südtirol, Italien und Österreich ist heute noch nicht abzusehen.
5. Zusammenfassung und Stellungnahme
Südtirol hat sich seit der Trennung von Österreich 1919 ständig gewandelt und verändert. Immer wurde um das kleine, unscheinbare Stück Land gekämpft. Der ständige Wechsel der Fronten und die Uneinigkeit innerhalb der Bevölkerung führten dazu, dass sich der Konflikt über so lange Zeit hinzog und immer noch hinzieht.
Ein Ende ist bis heute nicht gefunden, obwohl sich die drei betroffenen Länder offiziell geinigt haben. Trotz des Südtirolpakets, welches von allen drei Parteien angenommen wurde, ist keine Einigung erzielt worden. Den Südtirolern geht es um die Selbstbestimmung, die sie nicht bekommen konnten und die auch jetzt nicht in Aussicht ist.
Am Beispiel Südtirol ist zu sehen, was aus einer Region werden kann, wenn sich Großmächte uneinig sind, was mit ihr passieren soll. Es wird wenig Rücksicht genommen und oft vergessen, dass in dem Landstück, das in Zahlen und Prozenten auf dem Papier festgehalten wird Menschen leben. In erster Linie sollte auf die Menschen und ihre Wünsche eingegangen werden. Es ist falsch nicht darüber nachzudenken, ob es den Bewohnern der Region recht ist, hin - und her geschoben zu werden, wenn einfach über die Köpfe der Einwohner hinweg Verträge von Supermächten oder Kriegsgewinnern gemacht werden. Wenn die Südtiroler die Selbstbestimmung wollen, dann sollten die verwickelten Parteien und Länder dem nicht länger im Wege stehen.
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