Das Biedermeier (1815-1848)
Große Bedeutung wurde der Pflege von Kunst und Kultur beigemessen, wobei sich das wohlhabende Bürgertum zum wichtigsten Förderer entwickelte. Die Häuser der kunstinteressierten und einflussreichen Mäzene wurden oft zum Treffpunkt von Literaten, Komponisten, Malern und Bildhauern sowie Vertretern aus anderen Bereichen des kulturellen Lebens. Man veranstaltete literarische Zirkel, Konzertabende, Diskussionsrunden u. a. Zu einem solchen Anlass eingeladen zu werden konnte für einen jungen Künstler das Sprungbrett zum Erfolg bedeuten.
Die Dichtung des ö. B., die Elemente der Klassik und der Romantik aufnahm, war - dem politischen "Jungen Deutschland" bewusst entgegengesetzt - weitgehend unpolitisch und vertrat die Ideale behutsamer Innigkeit, Selbsteinschränkung und Resignation. Das "sanfte Gesetz" der Natur war die Kunstmaxime. Dem B. verpflichtet waren z.B. Adalbert Stifter, Ferdinand Raimund und Franz Grillparzer.
Franz Grillparzer (15.1. 1791 - 21.1. 1872)
Franz Grillparzer, Sohn des einflußreichen Wr. Rechtsanwalt Wenzel Grillparzer war Dramatiker, Erzähler und Lyriker. An der Wr. Universität studierte er Philologie (Literaturwissenschaft) und Jus. Danach nahm Grillparzer eine Stelle als Hofmeister. 1813 arbeitete er unbezahlt in der Hofbibliothek und wurde 1823 (nach verschiedenen anderen Ämtern) Hofkonzipist in der Allg. Hofkammer. 1832 bis zu seiner Pensionierung war er Dir. des Hofkammerarchivs.
Seine ersten Versuche als Dramatiker fallen bereits in seine Studienzeit. 1807 verfaßte er das Trauerspiel "Blanka von Kastilien", das - vom Hoftheater abgelehnt - bis 1958 unaufgeführt blieb. Durch die Veröffentlichung eines Teils seiner Übersetzung des Dramas "Das Leben ein Traum" von Calderon wurde J. Schreyvogel, Dramaturg des Hofburgtheaters, auf ihn aufmerksam. Zunächst erbost über den vermeintlichen Angriff auf seine eigene Fassung, wurde Schreyvogel in der Folgezeit zum geistigen Mentor und bedeutendsten Förderer G. Auf seinen Rat hin überarbeitete Grillparzer das Trauerspiel "Die Ahnfrau", das 1817 am Hofburgtheater uraufgeführt wurde. Anschließend verfaßte er die Künstlertragödie "Sappho" (1819), mit
der er überaus erfolgreich war und einen 5 - Jahres - Vertrag als k. k. Hoftheaterdichter erhielt, den er aber bereits 1821 wieder löste. Reisen führten ihn nach Italien, Griechenland, Deutschland - wo er 1826 mit Goethe zusammentraf, Frankreich und in die Türkei, wodurch G. mit verschiedenen politischen Systemen und Geistesströmungen in Berührung kam.
Seine produktivste und fruchtbarste Zeit war die zw. 1820 und 1831. Mit dem Gedicht "Die Ruinen des Campo Vaccino" (1820) löste er heftige Abwehrreaktionen von seiten des Hofes aus; ab diesem Zeitpunkt verschärften sich G. Schwierigkeiten mit der Zensur. Für L. v. Beethoven schrieb G. das Libretto zur Oper "Melusina" (1823), die Beethoven aber nicht ausführte. Werke wie die Trilogie "Das goldene Vlies", die Trauerspiele "König Ottokars Glück und Ende" oder "Ein treuer Diener seines Herrn" wurden vollendet und vom Publikum zustimmend aufgenommen. 1828 erschien die Erzählung "Das Kloster von Sendomir". Der 1831 am Hofburgtheater aufgeführten Liebestragödie "Des Meeres und der Liebe Wellen" blieb die Zustimmung des Publikums versagt. Seinen letzten großen Theatererfolg feierte G. 1834 mit dem dramatischen Märchen "Der Traum ein Leben". Nach dem Mißerfolg des 1838 uraufgeführten Lustspiels "Weh dem, der lügt!" zog sich G. vom Theater zurück.
Bis auf wenige Ausnahmen (z. B. "Esther" - Fragment, 1868) verwehrte sich G. fortan gegen weitere Aufführungen neuer Werke. In seinem Testament verfügte er sogar, die 3 Altersdramen "Ein Bruderzwist in Habsburg", "Die Jüdin von Toledo", und "Libussa", alle in den Jahren 1847 - 51 geschrieben, zu vernichten. Die Uraufführungen fanden erst nach seinem Tod statt.
1847 erschien im Almanach "Iris" die Erzählung "Der arme Spielmann", eine Allegorie des eigenen inneren Zwiespalts. Ein wichtiges Alterswerk ist auch die "Selbstbiographie" (1872), die auf Tagebüchern basiert und 1853 für die Ö. Akad. d. Wiss. geschrieben wurde.
Der arme Spielmann (1848 veröffentlicht)
Ein Mann besucht das alljährliche Volksfest und sieht am Straßenrand einen alten Spielmann, der nicht wie die anderen Spielmänner einfache Walzer aus dem Gedächtnis spielt, sondern mit Notenheft versucht, komplizierte Werke zu spielen - vergeblich. Schließlich räumt er mit lateinischen Worten das Feld. Der Mann spricht den Spieler an, und verspricht, ihn zu besuchen. Bei diesem Treffen erzählt der Spielmann seine Lebensgeschichte:
Er war Sohn eines reichen und angesehenen Hofrates. Dem Druck der Schule hielt er nicht stand, also nahm der Vater ihn aus der Schule und stellte ihn in seinem Büro an. Seine Arbeit, er war Abschreiber, nahm er zu genau, so dass er zu langsam war und für nachlässig gehalten wurde. Eines Nachts hörte er eine Frau am Hof singen, die er von seiner Arbeit im Büro kannte. Das Lied gefiel ihm so sehr, dass er sie am nächsten Tag darauf ansprach. So machte er Bekanntschaft mit ihrem Vater, einem Greißler, der ihn gegenüber sehr gefällig war. Als Jakobs Vater starb, erbte er dessen Besitz, doch er wurde kurz darauf um sein Erbe betrogen. Daraufhin war Jakob beim Greissler und seiner Tochter nicht mehr willkommen. Die beiden zogen fort, sie heiratete einen anderen, und Jakob verarmte.
Als der Mann den Spielmann wieder besuchen wollte, war er schon gestorben. Bei einem Hochwasser hat er den Bewohnern im Erdgeschoß geholfen und sich tödlich erkältet.
Grillparzer baut in diese Erzählung viele klassische Elemente ein, wie Jakobs Abkehr vom öffentlichen Leben und Wirken zur Kunst. Sein Versagen in Beruf und Gesellschaft ist nicht nur durch seine Naivität und Weltfremdheit bedingt, sondern auch von seinem Widerwillen gegen die gesellschaftlichen Mechanismen, die ihm gegenüberstehen ("Sie spielen den Wolfgang Amadeus Mozart und den Sebastian Bach, aber den lieben Gott spielt keiner.";" Worte verderben die Kunst"). Grillparzer kritisiert oder zeigt zumindest auf, dass eine solche Abkehr zur Verarmung führt, also Lebensstandard nur durch Leugnung der eigenen Einstellung, durch Konformität gegenüber der Gesellschaft erreicht werden kann. Dazu können Paralellen zum Metternich'schen Polizeistaat gezogen werden, zum Beispiel Grillparzers Übergehung bei Beförderungen. In Barbara erkennt man Widerstand der selben Art wie bei Jakob, nur im Verborgenen. In ihr wird die Lüge stark kritisiert ("Entweder man singt oder man hält das Maul"). Ihrer Ansicht nach ist der Alltag mit vielen kleinen Notlügen gepflastert, und damit ist das gesprochene Wort nicht mehr würdig, scheint es. Der Vater Barbaras ist der typische Bürger dieser Zeit. Konform, traditionell und engstirnig. Er versucht, Barbara an Jakob anzubringen, nur wegen seines Geldes. Er verstößt ihn schließlich, als er sein Vermögen verliert.
Zum Schluss passt wohl ein Zitat aus Grillparzers Tagebüchern: "Für mich gab es nie eine andere Wahrheit als die Dichtkunst. In ihr habe ich mir nie den kleinsten Betrug, die kleinste Abweichung vom Stoff erlaubt. Sie war meine Philosophie, meine Physik, Geschichte und Rechtslehre, Liebe und Neigung, Denken und Fühlen. Dagegen hatten die Dinge des wirklichen Lebens, ja seine Wahrheit und Ideen für mich ein Zufälliges, ein Unzusammenhängendes, Schattenähnliches, das nur unter der Hand der Poesie zu einer Notwendigkeit ward".
Der arme Spielmann ist ein episches Andenken an das Ideal der Kunst.
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