Das Foucaultsche Pendel
[Da endlich sah ich das Pendel. Die Kugel, frei schwebend am Ende eines langen metallischen Fadens, der hoch in der Wölbung des Chores befestigt war, beschrieb ihre konstanten Schwingungen mit majestätischer Isochronie.] - S 9
Genau so wird der Leser in das Geschehen des Romans "Das Foucaultsche Pendel" hineingestoßen. Der Ich - Erzähler befindet sich beim Foucaultschen Pendel im Saint - Martin - des - Champs (Sö Martö dö Scho) in Paris und betrachtet es, als wäre es das einzig wichtige auf der Welt. Das ist alles, was Eco uns am Anfang über die Handlung verraten will. Selbst die Identität des Ich - Erzählers findet man erst später heraus. Doch um den Leser neugierig zu machen, erfährt man noch eine Kleinigkeit von ihm, der jedoch dieses mal das ganze Abenteuer schon überstanden hat, und so aus der Zukunft berichtet:
[Ich weiß nicht, ob ich vorgestern abend gut daran tat zu bleiben. Andernfalls wüßte ich heute zwar den Anfang, nicht aber das Ende der Geschichte. Oder ich wäre nicht hier, wie ich es nun bin, einsam auf diesem Hügel, während drunten im Tal die Hunde bellen, alleine mit der Frage, ob dies wirklich das Ende war, oder ob das Ende noch kommen muss.] - S 20
Eco liebt es die logische Abfolge einer Geschichte für den Leser so lange wie möglich unvollständig zu lassen. In diesem Buch kommen ungefähr fünf verschiedene Zeitebenen vor, die sich erst im letzten Drittel des Buches zusammenschließen, und es dem Leser zu erlauben einen Aufbau zu erkennen. Um die Komplexität diese Romans etwas zu mindern, werde ich in meiner Inhaltsangabe eine chronologische Darstellung der Vorgänge zeigen.
Wir fangen im Jahr 1972 an. Bei dem Ich - Erzähler handelt es sich um Casaubon, einem Studenten, der seine Dissertation über den Orden der Templer schreibt. Zufällig trifft er eines Tages einen Verlagslektor namens Jacopo Belbo, der ihn in den Verlag Garamond mitnimmt. Dort lernt Casaubon auch dessen Kollegen, Diotallevi kennen, mit dem er sofort ein Gespräch über die Templer beginnt.
Nach diesem Besuch verliert Casaubon die zwei jedoch aus den Augen, bis Belbo sich ein paar Jahre später bei ihm meldet. Er bittet ihn, dass er bei einem Gespräch über ein Buch behilflich sei.
Das ist der Zeitpunkt, wo die Geschichte seinen Lauf nimmt. Bei dem Gesprächspartner handelt es sich um einen älteren Mann, einem Oberst in Pension, der ein Buch über Templer geschrieben hat, und dieses gerne publizieren möchte. Es handelt sich dabei um eine Abhandlung, die besagt, dass es die Templer noch gibt, die eine Untergrundbewegung geworden sind, und sich treffen werden, um die Weltherrschaft an sich zu reißen. Der Oberst hat das durch Spekulationen und Recherche herausgefunden, doch Belbo und Casaubon glauben ihm nicht, da sich alles zu irreal anhört. Eine Wende ergibt sich erst dadurch, dass der Oberst am nächsten Morgen verschwunden ist, und von der Polizei gesucht wird.
Die drei gehen der Sache jedoch nicht weiter nach. Casaubon zieht nach Beendigung des Studiums für ein paar Jahre nach Brasilien, wo er nicht abgehalten werden kann, wiederum Nachforschungen über den Orden der Templer anzustellen. Eines Tages bekommt er einen Brief von Belbo, der ihm mitteilt, dass wieder jemand verschwunden sei, der im Zusammenhang mit diesem Orden stand. Einige Zeit später fliegt Casaubon wieder nach Italien zurück, wo er seine zukünftige Frau Lia kennenlernt und sich weiter mit historischen Begebenheiten beschäftigt.
Durch Zufall übernimmt er einen Auftrag für den Verlag Garamond, der Kontakt mit Belbo und Diotallevi zur Folge hat.
Nach kurzer Zeit beginnen die drei wieder über den Oberst und dessen Buch zu sprechen. Sie sind interessiert, stellen selbst Nachforschungen an und es scheint, als würde seine Geschichte tatsächlich stimmen. So beginnen sie den Großen Plan zu erstellen, einen Plan, der alle historischen Begebenheiten, von der Errichtung des Eiffelturms bis zum Zweiten Weltkrieg auf die Templer zurückführt. Der Leser wird in ihre Spinnerein hineingezogen, weiß, dass alles nicht stimmen kann, doch Eco lässt alles logisch und wahr erscheinen.
Casaubon, Belbo und Diotallevi bringen den Plan des Oberst zu Ende und wissen jetzt, um was es geht. Die Templer waren nicht stark genug als Orden weiter zu existieren, da sie viele Feinde hatten. Sie wußten jedoch von einem großes Geheimnis über unendliche Macht, waren jedoch noch nicht fähig, diese Macht zu bewältigen. So schufen sie den Großen Plan, der es ermöglicht, ein Treffen der Nachkommen der Templer zu ermöglichen, die Macht auszunützen, und die Welt zu erobern.
Bei der Ausführung des Plans trat ein Fehler trat auf, und so konnten sich die Gruppen, die alle nur einen Teil des Geheimnis wußten, nicht treffen. Den drei Verlagslektoren gelingt es jetzt, alles zusammenzufügen, und sie wissen, dass etwas im Museum in Paris, genaugenommen beim Foucaultschen Pendel geschehen wird.
Bei dem Geheimnis, dass die Templer hüten, handelt es sich um den Platz einer Höhle großer tellurischer Strömungen, einem Ort der Kraft, durch den man die ganze Welt lenken kann. Genau zur Sonnenwende um Mitternacht wird das Faucaultsche Pendel in eine Richtung schwingen, die das Versteck dieser Höhle darstellt.
Bei der Nachforschung für den Großen Plan wird Diotallevi krank. Casaubon glaubt, dass das im Zusammenhang mit den Templern steht, die ihn durch mystische Kräfte beeinflussen. Kurze Zeit später stirbt er an dieser Krankheit. Ein paar Tage vor der Sonnenwende verschwindet Belbo, der das Geheimnis endgültig lüften wollte. Die Aufgabe Casaubons ist es nun, die Initiative selbst zu ergreifen, und das Werk der drei Verlagslektoren zu vollenden.
Und genau dabei finden wir uns am Anfang des Buches wieder. Casaubon ist im Saint - Martin - des - Champs, um Mitternacht zu erwarten, und das Geheimnis zu lüften. Er versteckt sich, wartet solange, bis wirklich andere Menschen erscheinen. Als diese beginnen mystischen Zeremonien und alten Riten durchzuführen, wird plötzlich Belbo hereingeführt, der tatsächlich von den Templern entführt worden ist. Man stoppt das Pendel, und hängt es Belbo mit einer Schlinge um den Hals. Nach einigen Streiterein unter den Templern geschieht das Unglück, und Belbo wird erhängt.
Casaubon gelingt es zu fliehen was das Ende der Geschichte darstellt. Eco lässt uns im Stich, ob das jetzt das Ende war, oder ob danach noch eines kommen müsste.
Casaubon, Belbo und Diotallevi sind sehr interessante Charaktere. Alle haben eigentlich nie einen Sinn im Leben gesehen, sie haben auch nie nach einem gesucht. Die meiste Zeit sind sie betrunken, machen Wortspiele oder sind ohne Interesse in ihre Arbeit vertieft. Die drei verstehen auch nicht, dass es anderen besser geht, so machen sie sich zum Beispiel über alle Menschen lustig, die sich selbst ernst nehmen. Ihre Aufgabe im Verlag ist es, Manuskripte über historische Zusammenhänge zu lesen, die oft ins mystische abgleiten.
Ihr Leben ändert sich erst, als sie vom Oberst auf die Idee gebracht, den großen Plan entwerfen. Sie flüchten in eine Scheinwelt, die sie selbst schaffen, die ihre bisher einzige kreative Arbeit darstellt. Diese Welt mag zwar auf den ersten Blick absolut grotesk erscheint, sie nimmt jedoch bis zum Ende hin immer mehr an Logik zu, so dass der Leser den Gedankenspielen der drei Charaktere seinen Glauben schenkt.
Umberto Eco ist ein Meister der Semiotik. Daher ist die Symbolik in diesem Buch besonders interessant. Ich will das am Beispiel des Foucaultschen Pendels zeigen:
Das Pendel wird als Symbol des Unendlichen, des Wahren, als Symbol Gottes eingesetzt. Das wird schon im ersten Kapitel klar, als Casaubon sagt:
[Ich wußte, dass die Erde rotierte, und ich mit ihr und Saint - Martin - des - Champs und ganz Paris mit mir; wir alle rotierten gemeinsam unter dem Pendel, das in Wirklichkeit nie seine Schwingungsebene änderte, denn dort oben, von wo es herabhing, und längs der ideellen Verlängerung des Fadens, endlos hinauf bis zu den fernsten Galaxien, dort oben stand, reglos in alle Ewigkeit, der Feste Punkt.Die Erde rotierte, doch der Ort, wo das Pendel verankert war, war der einzige Fixpunkt im Universum.] - S 11
Trotzdem hat bei Eco alles zwei Seiten. So sagt Belbo einmal:
[Auch das Pendel ist ein falscher Prophet. Sie schauen es an, Sie glauben, es sei der einzige feste Punkt im Kosmos, aber wenn Sie es aus dem Kirchengewölbe abnehmen und es in einem Bordell aufhängen, funktioniert es trotzdem. Es gibt noch andere Foucaultsche Pendel, eins in New York im Palais der Vereinten Nationen, eins in San Francisco im Technischen Museum, und wer weiß wo sonst noch. Das Foucaultsche Pendel hängt fest, während die Erde sich unter ihm dreht, wo immer es sich befindet. Jeder Punkt im Universum ist ein fester Punkt, man braucht nur das Pendel dranzuhängen.
Dann ist Gott überall?
In gewissem Sinn ja. Deshalb verwirrt mich das Pendel. Es verspricht mir das Unendliche, aber es lässt mir die Verantwortung, zu entscheiden, wo ich es haben will. Also genügt es nicht, das Pendel einfach da zu verehren, wo es ist, man muss auch hier wieder eine Entscheidung treffen und den besten Punkt suchen.] - S 309
Kurios ist, dass am dramatischen Schluß Belbo selbst der Fixpunkt wird, er findet die Wahrheit und damit Gott erst im Tod.
[Doch wurde im allgemeinen Getümmel gegen den Tisch gestoßen, der buchstäblich unter Belbos Füßen verschwand, wegbrach, während das Pendel durch die Wucht des Stoßes plötzlich und heftig zu schwingen begann, sein Opfer mitreißend. Das Seil, vom Gewicht der Kugel gestrafft, zog sich ruckartig wie ein Lasso um den Hals meines armen Freundes zusammen und riß ihn nach hinten in die Luft~ und so schwang er am Pendel hängend ins östliche Ende des Chors, machte kehrt und schwang zurück, nun bereits leblos (hoffte ich), mir entgegen.
Dann, während der Mandrake fortfuhr, diese Totenschaukel in Gang zu halten, kam durch ein schauriges Zusammenspiel von Kräften, eine Wanderung von Energien, Belbos Leib zum Stillstand. Er hörte auf zu pendeln, das Seil mit der metallenen Kugel pendelte nur noch unter ihm, während er selbst und der Rest des Seils bis hinauf zum Schlußstein reglos verharrten. So war Belbo, dem Irrtum der Welt und ihrer Bewegung entronnen, nun selbst zum Aufhängepunkt geworden, zum Fixpunkt im Universum, dem Ort, an dem das Gewölbe der Welt sich festhält, und nur unter seinen Füßen schwang die Kugel weiter von einem Pol zum andern, friedlos, während die Erde sich unter ihm wegdrehte, immer neue Kontinente vorweisend - und weder wußte die Kugel zu zeigen, noch würde sie je zu zeigen wissen, wo sich der Nabel der Welt befand.] - S 769 ff
Umberto Eco gelingt es immer wieder seine Leser durch eine Vielzahl komplexer Zeitverwirrungen, historischer Fakten, anscheinend belanglosen Einschübe und einer enorm großen Zahl von Charakteren zu begeistern. Mich faszinierte "Das Foucaultsche Pendel" vor allem, weil man bis zum Schluß nicht weiß wie es ausgeht, genau genommen weiß man erst am Schluß um was es wirklich gegangen ist. Für mich ist Umberto Eco einer der besten Roman - Autoren. Danke.
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