Schöne Tage
Autor:
Franz Innerhofer wurde am 2. Mai 1944 in Krimml (Salzburg) als unehelicher Sohn
einer Landarbeiterin geboren. Mit sechs Jahren kam er auf den Bauernhof seines
Vaters, wo er von 1950 bis 1961 lebte und arbeitete. Anschließend absolvierte er eine
Schmiedelehre und den Militärdienst. Ab 1966 besuchte er das Gymnasium für
Berufstätige, danach studierte er Germanistik und Anglistik in Salzburg. Er lebte von
1973 bis 1980 als freiberuflicher Schriftsteller, u. a. in Arni bei Zürich (Schweiz).
Danach übte er verschiedene Tätigkeiten aus, u. a. auf einer Bauhütte und im
Buchhandel.
Preise: Österreichisches Staatsstipendium für Literatur (1973); Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen (1975); Rauriser Literaturpreis (1975);
Förderaktion für zeitgenössische Autoren des Bertelsmann Verlags (1976/77).
Inhalt:
Holl ist unehelich als Sohn einer Landarbeiterin in der Nähe von Salzburg geboren. Mit sechs Jaliren muss er sein geliebtes Heim bei Mutter und Stiefvater verlassen, weil sie ihn nicht mehr durchbringen können, und wird auf den Hof seines Vaters gesteckt. Eingeschüchtert, verstört, ein Bettnässer, verbringt der Bub seine Kindheit in uersteckter Leibeigeinschaft. Elf Jahre lang schuftet Holl auf dem Hof 48 in Haudorf, arbeitet, Kind noch, vom Sonnenaufgang bis in die späten Abendstunden. Jeglicher Willkür wehrlos ausgesetzt, von den Kindern, seinen Halbgeschwistern, als Knecht gedemütigt, von den Knechten als Bauernsohn verachtet, eben der letzte Dreck, gerade gut genug - zum Arbeiten. Die mühevolle Sicherung des Lebensunterhaltes führt zu einer Vertierung der Menschen, an der Schule, Kirche und Behörden vorbeisehen. Über Prügeln, Befehlen und dem Joch der Arbeit geht jeder individuelle Anspruch auf ein menschenwürdiges Dasein verloren.
Leben und Arbeiten sind unmittelbar eins. Das sprachlose Kind, einfach Holl genannt, ohne Vornamen, hat sich seine Identität im direkten Sinn des Wortes, der Not und dem Zwang folgend, erarbeitet. Sein Leben ist Arbeit.
Doch die Zeiten ändern sich, und mit ihnen die Lebensumstände auf dem Hof. Ende der fünfziger Jahre werden die ersten Traktoren angeschafft, und Holl, der gelernt hat, die Arbeit als "Rückendeckung und Gesichtsmaske zugleich" zu gebrauchen, erringt auf dem Hof eine gewisse Achtung, da er als einziger mit den neuen Maschinen umgehen kann. Die Aushilfsköchin Helga und der Melker Kiem machen Holl aufmerksam auf Grundrechte des Menschen wie Meinungsfreiheit und Selbstbestimmung. Holl bringt den Mut zur Rebellion auf, er verlässt seine "zusammengelebte Kindheitsschrecklichkeit" und geht zu einem Schmied in die Lehre, "nach mehr als siebzehn Jahren war er plötzlich unter Menschen".
Erzähltechnik:
Der Eindruck von Unmittelbarkeit dieses ersten Buches von Innerhofers Trilogie (,,Schöne Tage", ,,Schattseite", ,,Die großen Wörter"), das so faszinierend wie bedrückend die Vorstellung der ländlich - alpinen Idylle zerstört, die grausame Brutalität eines ,,gemütlichen Knechtschaftsverhältnisses" enthüllt, verdankt sich einem erzählerischen Kunstgriff. Innerhofer schreibt in der dritten Person. Er schafft sich damit den Abstand, der zwar kaum denkbar erscheint, jedoch notwendig ist, um das ganze sprachlose Elend zur Sprache zu bringen. Erst durch diesen Kunstgriff konnte es ihm gelingen, eine eben vermittelte Unmittelbarkeit zu erzeugen.
Deutung des Werkes:
Franz Innerhofer hat in diesem bis in die letzten Details hinein autobiographischen Werk sprachloses Leiden zur Sprache gebracht. Er hat mit ,,Schöne Tage" einen schonungslos realistischen Dokumentarbericht über die anachronistische Lebensweise einer patriarchalischen bäuerlichen Welt aus vormaschineller Zeit vorgelegt. Er hat von sich gesprochen und von denen, die lebten wie er, die arbeiteten wie er, die lit~en' wie er. Er hat in der Figur des Holl seine eigene Kindheit und Jugend beschrieben, sein Dasein als Leibeigener auf dem Bauernhof seines eigenen Vaters. Er war elf Jahre lang Knecht, dann Lehrling, Arbeiter, Abendschüler, Student. Mit seinem ersten Roman ,,Schöne Tage" (1974) ist er auf Anhieb berühmt geworden.
Innerhofer hat mit Sprachphilosophie nichts im Sinn. Ihn bedrückt, bedrängt, überwältigt die Wirklichkeit, seine Wirklichkeit. Er bringt sie zur Sprache, gibt dem Leiden Ausdruck, dem Schweigen Worte. Spuren, Narben, Ränder zu beschreiben, das sprachlose Unrecht, das Schweigen, hinter dem sich das Leiden verbirgt, zur Sprache zu bringen - das ist die wesentliche Intention, der sich Innerhofer verpflichtet hat.
Seine Eindringlichkeit bezieht der Text aus einer Sprache, die mit dem engen Verständnishorizont Holls gedeckt wird: So werden aus der frühen Kindheit Erlebnisse nur in Episodenform erinnert; zerhackte Sätze zeigen die dumpfe Beschränktheit und Sprachlosigkeit des dargestellten Elendsmilieus. Mit der zunehmenden Identitätsbildung Holls richtet sich das eigentliche Erzählinteresse, bei aller Genauigkeit in der Schilderung der quälenden Abfolge des bäuerlichen Jahreskreises, auf den Bewußtwerdungsvorgang in Holl, der schließlich zu seinem Ich findet.
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