Der Proceß
DER PROZESS
Roman, entstanden zwischen August 1914 und Januar 1915, erschienen 1925
Verfilmung "Le Proces" F/I/D 1962, Regie: Orson Welles
Dramatisierung:"Le Proces" Urauff.: Paris 1947, A.Gide und J.L. Barrault
Vertonungen: "Der Prozeá" Urauff.: Salzburg 1953, Gottfried von Einem; "The Visitation" Urauff.: Hamburg 1966, Schuller
Das Geschehen erstreckt sich vom Morgen des 30. Geburtstags von Josef K. bis zum Vorabend seines 31., an dem er hingerichtet wird.
"Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet," der erste Satz des Romans könnte einen klassischen Kriminalroman einleiten. Die hier geweckte Erwartung der gerechten Aufklärung eines Justizirrtums wird jedoch im Verlauf des Geschehens immer mehr enttäuscht. Sowohl der Grund der Verhaftung und ihre Umstände, das Gericht und seine ausführenden Organe, als auch das Gesetz, dem diese folgen, aber auch K.s eigenes Verhalten ist rätselhaft.
Gleich nach dem Erwachen glaubt K. zu bemerken, dass die ihm gegenüber wohnende Frau ihn "mit einer an ihr ganz ungewöhnlichen Neugierde beobachtete" und als er nach dem Frühstück läutet, tritt anstelle der Köchin ein Fremder, ohne sich vorzustellen, in das Zimmer und verweigert ihm - nach kurzer Verständigung mit einem anderen, der hinter der Tür steht - das Frühstück: "Es ist unmöglich." Josef K. protestiert zwar, aber in einer solchen Art, "dass er dadurch gewissermaßen ein Beaufsichtigungsrecht des Fremden anerkannte, aber es schien ihm jetzt nicht mehr so wichtig."
Als K. sich endlich bei seiner Vermieterin Frau Grubach beschweren will, wird ihm seine Verhaftung endlich mitgeteilt, mit den Worten "Sie dürfen nicht weggehen, sie sind ja verhaftet." K.s Frage "Und warum denn?" wird nicht beantwortet.
Auch über sein Hab und Gut scheint schon verfügt worden zu sein, er soll seine Wäsche in Hinsicht auf die im "Depot" herrschende Korruption den Wörtern anvertrauen. K. versucht, Klarheit über seine Lage zu bekommen und erst jetzt fragt er sich: "'Was waren das für Menschen? Wovon sprachen sie? Welcher Behörde gehörten Sie an?' K. lebte doch in einem Rechtsstaat, überall herrschte Friede, alle Gesetze bestanden aufrecht, wer wagte, ihn in seiner Wohnung zu überfallen?" Da er zuerst vermutet, dass es sich um einen Scherz seiner Kollegen handelt, beschließt er, mitzuspielen.
Im Gespräch mit den Wächtern erhält er Informationen über die Aufgaben des Gerichts: "Unsere Behörde (...) sucht doch nicht etwa die Schuld in der Bevölkerung, sondern wird, wie es im Gesetz heißt, von der Schuld angezogen (...). Wo gäbe es da einen Irrtum?" Als K. betont, dass er dieses Gesetz nicht kennt, sagt der Wächter nur abweisend: "Sie werden es zu fühlen bekommen." Obwohl K. seine Schuldlosigkeit betont, ist er für sie - angesichts seiner Unkenntnis des Gesetzes - schuldig.
Das Gericht verfügt, ohne merklich Gewalt anzuwenden, über ihn und andere. Das Zimmer der Nachbarin wird einfach als Verhandlungsraum benutzt.
Ein "Aufseher" bestätigt K. seine Verhaftung, weiß aber sonst nichts über den Fall. Als er K.s Wunsch, seinen Freund, einen Staatsanwalt anzurufen, mit den Worten "Gewiß, aber ich weiß nicht, welchen Sinn das haben sollte" stattgibt, reagiert K. zunächst empört ("Sie wollen einen Sinn und führen dieses Sinnloseste auf, das es gibt?"), telephoniert dann aber nicht.
Schließlich wird ihm erlaubt, während der Dauer der Untersuchung sein Leben als höherer Bankangestellter weiterzuführen, drei junge Bankbeamte, die der Verhandlung beigewohnt haben, warten schon auf ihn.
Kurz darauf erhält K. telefonisch eine Vorladung für nächsten Sonntag (ohne Angabe der Uhrzeit). Obwohl er sich nicht durch allzugroße Pünktlichkeit vor der Kommission erniedrigen möchte, beginnt er zu laufen, "um nur möglichst um 9 Uhr einzutreffen", trotzdem kommt K. zu spät: "Sie hätten vor einer Stunde und fünf Minuten erscheinen sollen." In einer Rede startet K. eine Attacke, bezeichnet die Wächter als "demoralisierendes Gesindel", die anwesenden Beamten wegen ihres Verhaltens als "korrupte Bande" und behauptet als "Sinn dieser großen Organisation", dass "unschuldige Personen verhaftet werden und gegen sie ein sinnloses und (...) ergebnisloses Verfahren eingeleitet wird." Nachdem er vom Untersuchungsrichter darauf aufmerksam gemacht wird, dass er sich mit dieser Rede jeden Vorteils beraubt hat, verlässt er den Saal mit den Worten "Ihr Lumpen, ich schenke euch alle Verhöre!" Trotzdem kann er während der nächsten Woche nicht glauben, dass man diesen Satz ernst nimmt und er nicht mehr vorgeladen wird und kehrt unaufgefordert an den Ort des Verhörs zurück und lässt sich - es ist kein Verhör vorgesehen - vom Gerichtsdiener die Kanzleien des Gerichts zeigen, um "festzustellen, dass das Innere dieses Gerichtswesens genauso widerlich war, wie sein Äußeres." Die stickige Atmosphäre und die demütigenden Umstände, unter denen er hier Angeklagte vorfindet, bereiten ihm solche Übelkeit, dass er von Angestellten ins Freie begleitet werden muss.
Auf Drängen des um das Familienansehen besorgten Onkels bestellt er einen mit diesem befreundeten Advokaten, der sich aber als ohnmächtig erweist und K. rät, sich mit den "vorhandenen Verhältnissen" abzufinden, worauf K. beschließt, "seine Verteidigung selbst in die Hand zu nehmen" und als "Verteidigungsschrift" eine "kurze Lebensbeschreibung" anzufertigen.
Durch die Hilfe eines von seiner Verhaftung merkwürdigerweise informierten Bankkunden lernt K. den Maler Titorelli kennen, der vor allem Richter porträtiert und durch dessen Beziehungen sich K. Einsicht in sein Verfahren erhofft. Laut Titorelli existieren von "wirklichen Freisprüchen" nur Legenden, aber keine Beweise. Die einzige Möglichkeit irgendwie freizukommen bestünde in einer "scheinbaren Freisprechung" oder in einer "Verschleppung", was wiederum die Unmöglichkeit eines echten Freispruchs bedeutet.
Im Dom wird K. von einem Gefängnisgeistlichen eine Legende erzählt, in der ein "Mann vom Lande", der lebenslang "Eintritt in das Gesetz" erstrebt, an den ablehnenden Auskünften des Türhüters scheitert, der ihm dennoch zuletzt sagt: "Diese Tür war für dich bestimmt, ich gehe jetzt und schließe sie."
Am Vorabend seines 31. Geburtstages wird K. von zwei Männern abgeholt, die ihn auf einem Feld vor der Stadt hinrichten: "'Wie ein Hund!' sagte er, es war, als sollte die Scham ihn überleben."
Für K., der traditionelle Vorstellungen von Gerechtigkeit und Anstand hat, zeigt sich der Einflußbereich des Gerichts als äußerst dubios, doch auch zeigt einige Fehler in seinem Verhalten, vor allem in seinem in seinem Umgang mit Frauen:
* Fräulein Bürstner: Von ihr möchte K. eine Bestätigung seiner Unschuld erhalten. Obwohl er "kein besonderes Verlangen nach ihr" verspürt, will er mit einer überfallartigen Annäherung ihre Anteilnahme erzwingen.
* Die Frau des Gerichtsdieners: Sie ist Objekt der sexuellen Begierde des gesamten Gerichtspersonals. Als er ihren Reizen nachgeben will, überwiegt seine Berechnung, wie er sie zu seinem Vorteil einsetzen könnte.
* Leni, die Haushälterin des Advokaten: Für sie sind Angeklagte erotisch attraktiv; bei ihr wird K. sein Kalkül erst bewußt: "Ich werbe Helferinnen, zuerst Frl. Bürstner, dann die Frau des Gerichtsdieners und endlich diese kleine Pflegerin, die ein unbegreifliches Bedürfnis nach mir zu haben scheint."
Schuld und Strafe in "Der Prozeß":
Auf dem Weg zur ersten Untersuchung erinnert K. sich an einen Ausspruch eines Wärters: "Unsere Behörde (...) sucht doch nicht etwa die Schuld in der Bevölkerung, sondern wird, wie es im Gesetz heißt, von der Schuld angezogen und muss uns Wächter ausschicken" und schlußfolgert daraus, "dass das Untersuchungszimmer an der Treppe liegen musste, die K. zufällig wählte."
Gegenüber dem Untersuchungsrichter wird die Konsequenz dieses Gedankens noch deutlicher: "Es ist ja nur ein Verfahren, wenn ich es als solches anerkenne." Das Gericht kann von sich aus nicht in Tätigkeit treten und verfügt über keine Machtmittel, die mit denen der staatl. Gerichtsbarkeit vergleichbar wären. Sobald es aber "von der Schuld angezogen" wird, also von einem Schuldbewußtsein anerkannt wird, ist es allmächtig.
Nicht ein boshafter Dritter, sondern K. muss es demnach gewesen sein, der sich selbst einem Verdacht unterstellt hat, dem das Gericht nachgehen muss. Es sind also nicht die kleinen Bosheiten im Umgang mit verschiedenen Personen oder seine provozierenden Unsittlichkeiten sind also Grund für K.s Exekution, sondern die auf ihn selbst zurückgehende Anschuldigung grundsätzlicher Schuld, sein Leben als Verfehlung des Sinns zu begreifen.
Josef K. lässt sich in sein von ihm selbst inszeniertes Verfahren so weit ein, dass es ihm immer mehr unmöglich wird, seinen Alltag zu leben. Die Antwort auf die Frage, warum K. das Verfahren, das er für das "Sinnloseste" hält, "das es gibt", nicht einfach ver"äßt: er ist der Regisseur.
K. sehnt sich die Vollstreckung des Urteils so sehr herbei, dass er sogar eine mögliche Störung in Gestalt eines Polizisten meidet. Eine letzte Regung des Lebenswillens hindert ihn daran, sich selbst zu exekutieren: "K. wußte jetzt genau, dass es seine Pflicht gewesen wäre, das Messer (..) selbst zu fassen und sich einzubohren." Die Verantwortung für diesen letzten Fehler schreibt er demjenigen zu, "der ihm den Rest der dazu nötigen Kraft versagt hat." Sein letzter Gedanke gilt dem schlechten Gewissen, diese Arbeit den Behörden nicht abgenommen zu haben. Mit dieser Opferung sieht er sich vor der Welt entschuldigt.
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