Der Fall Galileo Galilei
Der groesste Physiker unseres Jahrhunderts sagte ueber Aristoteles: "Man kann kaum moderne Atomphysik betreiben, ohne die griechische Naturphilosophie zu kennen. Am Beispiel dieses Zitats zeigt sich, wie die Philosophie des Aristoteles, obwohl sie nach heutigen Erkenntnissen voll Fehler ist, bis ins 20. Jahrhundert heraufwirkt. Ihre Geschlossenheit, ihr harmonisches Bild vom Kosmos, ihre kristallenen Himmelssphaeren, ihre zentrale Lage der Erde im Weltall, ihr Mensch als Mittel - und Hoehepunkt der Schoepfung, all das und noch viel mehr war so attraktiv, dass kleine Ungereimtheiten gerne verziehen wurden. So behauptete Aristoteles, dass Fliegen 8 Beine haetten (ein genauer Blick zeigt, dass es 6 sind) oder dass das Gehirn des Menschen ein blosses Organ zum Kuehlen des Kopfes sei.
Aristoteles war jahrhundertelang einer der Lieblingsphilosophen der katholischen Kirche. Der Grund ist leicht verstaendlich, deckte er doch weite Bereiche der Naturwissenschaften ab, die von der Bibel eher spaerlich behandelt werden. Der Mittelpunkt des Kosmos war die Erde. Dies war eine der zentralen Aussagen des Aristoteles, und diese Aussage wurde bis ins 16. Jahrhundert nicht in Zweifel gezogen.
1543 veroeffentlichte der Kanonikus und Bistumsverweser Nikolaus Kopernikus sein an Papst Paul III gerichtetes Hauptwerk "Sechs Buecher ueber die Umdrehungen der Himmelskoerper". Kopernikus konnte keine Beweise im heutigen Sinne vorlegen, daher argumentierte er philosophisch. Fuer Kopernikus lag der Mittelpunkt der Welt in Sonnennaehe. Die Spoetter stellten sich bald ein, und die aristo - telische Physik genuegte ungeprueft allemal, um Kopernikus als laecherlich hinzustellen. Die Kirche akzeptierte Kopernikus' Ideen als "Hypothese", und die Causa wurde rasch ad acta gelegt.
Im Jahre 1609 brach aber ein Sturm los. Ein italienischer Gelehrter namens Galileo Galilei blickte durch sein Fernrohr und entdeckte Unerhoertes:
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die Mondoberflaeche war, im Gegensatz zur bisherigen Annahme, von Gebirgen und Taelern zerfurcht, die Zahl der Sterne war wesentlich groesser als angenommen, der Planet Jupiter hatte Monde, der Planet Venus zeigte Phasen wie der Mond und die Sonne zeigte merkwuerdige Fleckenmuster.
Am 23. Februar 1616 trat die Congregatio qualificationum zusammen und verurteilte die wichtigsten Lehrsaetze Galileis (Sonne ist der Mittelpunkt des Weltalls) als haeretisch, philosophisch unhaltbar und theologisch irrig. Der Jesuit Kardinal Bellarmin wurde beauftragt, Galilei aufzufordern, die von der Kongregation zurueckgewiesenen Behauptungen aufzugeben. Bellarmin sprach so dann mit Galilei, und sonderbarerweise ist bis zum heutigen Tag unklar, worueber Bellarmin und Galilei wirklich sprachen und welche Vereinbarungen sie dabei trafen.
Im Maerz 1616 indizierte Rom alle Buecher, die behaupteten, die kopernikanische Lehre widerspreche nicht der heiligen Schrift. Diese Massnahme geschah nach neueren Erkenntnissen vor allem des halb, weil zahlreiche revolutionaere und abtruennige Theologen die kopernikanische Lehre als Vehikel im Kampf gegen die Kirche oder sogar das Haus Habsburg einzusetzten pflegten. Galilei indessen kuemmerte sich herzlich wenig um die ganze Geschichte. Er rechnete im Bedarfsfalle mit der Hilfe einiger Kardinaele, die als Hobby - Astronomen Galileis Ideen durchaus etwas abgewinnen konnten. Der bekannteste seiner Freunde war der Florentiner Maffeo Kardinal Barberini, der spaetere Papst Urban III.
Im Jahre 1632 erschien Galileis Buch "Dialog ueber die beiden hauptsaechlichen Weltsysteme", in dem die kopernikanische Lehre mit Nachdruck verteidigt wurde. Kein geringerer als Albert Einstein sagte ueber dieses Werk: "Da offenbart sich ein Mann, der den leidenschaftlichen Willen, die Intelligenz und den Mut hat, sich als Vertreter des vernuenftigen Denkens der Schar derjenigen entgegenzustellen, die auf die Unwissenheit des Volkes .... sich stuetzend, ihre Machtpositionen einnehmen und verteidigen. Seine ungewoehnliche schriftstellerische Begabung erlaubte es ihm, zu den gebildeten seiner Zeit so klar und eindrucksvoll zu sprechen, dass er das Denken der Zeitgenossen ueberwand und sie zu einer objektiven, kausalen Einstellung zum Kosmos zurueckfuehrte, die mit der Bluete der griechischen Kultur der Menschheit verlorengegangen war."
Galilei wurde daraufhin von Papst Urban III nach Rom zitiert, wo man ihn des Ungehorsams beschuldigte. Er habe, so meinten die Kardinaele der Inquisition, den seinerzeitigen Befehl von Kardinal Bellarmin missachtet. Galilei legte jedoch einen als Leumundszeugnis erkennbaren Brief von Kardinal Bellarmin vor, angeblich jenes Schriftstueck aus dem Jahre 1616, welches eigentlich Galileis Verwarnung enthalten sollte. Das Tribunal war so verbluefft, dass der Prozess vertagt wurde. Galilei hoffte auf einen grosszuegigen Kompromiss, doch er taeuschte sich. Der Prozess gegen ihn war ein Schachzug der Inquisition, der sich in Wahrheit gegen die Anhaenger des Giordano Bruno, des Tommaso Campanella und gegen andere Abweichler richtete. Dieser Bruno, ein radikaler theologischer Revolutionaer und frueher Kaempfer fuer die kopernikanischen Ideen, war wegen Ketzerei verurteilt und im Jahre 1600 auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden, wobei der erwaehnte Kardinal Bellarmin eine wichtige Rolle spielte. Tommaso Campanella, der zweite Ketzer im Bunde, war ein abtruenniger Dominikanermoench und ebenfalls Anhaenger der kopernikanischen Lehre. Weil er in Sueditalien einen Volksaufstand organisiert hatte, wurde er 1599 eingekerkert und gefoltert. All diese Hintergruende spielten beim Prozess eine entscheidendere Rolle als die naturwissenschaftlichen Lehrinhalte.
Am 22.Juni 1633 wurde Galilei verurteilt. Tatsaechlich hatte nicht "die Kirche" Galilei verurteilt, sondern eine Fraktion, die damals zufaellig noch eine Mehrheit bildete und hinter den Ideen des Kopernikus eine kaempferische Ideologie vermutete. Neidische Kollegen besorgten noch ein uebriges, und der fatale Fehler war geschehen. Es ist bis heute nicht restlos geklaert, wie stark die Angst der Richter vor den Ideen eines Bruno und Campanella tatsaechlich war. Obwohl Galilei aus Angst vor der Folter abschwor und die kopernikanische Lehre verleugnete, wurde er zunaechst zu lebenslangen Kerker verurteilt, spaeter aber zu Hausarrest begnadigt. Er starb 1642 verbittert in seinem Haus in Florenz.
Galileis Methode, den empirischen Test zum Pruefstein wissen schaftlicher Hypothesen zu machen, lief wie ein Flaechenbrand ueber Europa. Der alten aristotelischen Methode des Nachdenkens und Nachlesens wurde die neue Methode des Experiments zur Seite gestellt. Spaetere Naturwissenschaftler, wie z.B. Isaac Newton, mussten keine Kaempfe mehr gegen die Inquisition bestehen. Der Jesuit Rupert Lay schreibt dazu: "Meist erringt das Alte noch einmal einen letzten verzweifelten Sieg, oft ein Pyrrhussieg, einer Niederlage zum Verwechseln aehnlich. Aber auch dem Neuen ergeht es kaum besser. Scheitern und Sieg liegen so eng beisammen, dass erst die Geschichte ein endgueltiges Urteil sprechen kann."
Interessant an Galileis Geschichte sind die Folgen. Die katholische Kirche ist heute bemueht, sich in naturwissenschaftliche Fragen und Erkenntnisse nicht einzumischen. Diese Einsicht ist achtenswert, schafft aber auch Probleme. Dort, wo engagierte Christen auf Worte der Kirche warten, werden sie mitunter enttaeuscht. So haben sich viele Theologen massiv gegen jede Nutzung der Kernenergie ausgesprochen, aber die Glaubenskongregation in Rom konnte sich nicht zu deutlichen Worten aufraffen. Diese wissenschaftliche Zurueckhaltung erklaert sich aus der Angst, die Fehler des 17. Jahrhunderts zu wiederholen. So konzentriert man sich auf politische Fragen und Bereiche zwischenmenschlicher Beziehungen, wie etwa Liebe, Ehe, Empfaengnisregelung oder kuenstliche Befruchtung. In diesen Bereichen sprach die Glaubenskongregation oder der Papst sehr deutlich zu den Glaeubigen, spart aber Bereiche, die die Wissenschaft unmittelbar tangieren, aus.
Im Herbst 1992, fast 360 Jahre nach der Verurteilung Galileis, wurde dieser von Papst Johannes Paul II rehabilitiert. Gaililei hatte diese Rehabilitierung nicht mehr noetig, dies hat in der Zwischenzeit die Geschichte fuer ihn besorgt.
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