Aesop: Fabeln

Fabeln


Prolog

Der Verfasser Aesop hat den Stoff erfunden, den ich durch die Senare verfeinert habe. Doppelt ist das Geschenk des Büchleins: Es bewegt zum Lachen und es macht durch einen klugen Rat das Leben bewußt. Wenn einer aber bekritteln wollte, dass Bäume sprechen und nicht nur Tiere, der soll sich daran erinnern, dass wir mit erdachten Fabeln scherzen.


Zwei Maultiere und die Räuber
Zwei Maultiere gingen mit Gepäck beladen: Eines trug Körbe mit Geld, das andere trug einen Sack mit viel Gerste. Jener, der reich durch die Last ist, mit erhobenem Hals, der Gefährte schließt sich mit ruhigem und stillen Schritt an. Plötzlich eilten Räuber aus dem Hinterhalt herbei und verletzten das Maultier mit einer Waffe und raubten die Geldstücke, aber beachteten die billige Gerste nicht. Der Beraubte folglich beklagt sich über sein Schicksal. "Ich allerdings", sagte der "freue mich, dass ich nicht beachtet worden bin, denn ich habe nichts verloren und bin nicht verletzt worden.


Der geplatzte Frosch und der Ochse
Der Schwache wird untergehen, wenn er den Starken nachmachen will.
Einst sah ein Frosch auf der Wiese einen Ochsen und peinlich berührt von Neid auf die übermäßige Größe blies er seine runzlige Haut auf. Dann fragte er seine Kinder, ob er größer sei als der Stier.
Sie verneinten. Wieder versuchte er mit großer Anstrengung seine Haut aufzublasen und auf gleiche Weise fragte er wer größer sei. Sie nannten den Ochsen, und entrüstet versucht er sich so stark aufzublasen, dass er mit geplatztem Körper dalag.







Der Fuchs und der Rabe
Als der Rabe den vom Fenster gestohlenen Käse essen wollte, erblickte der Fuchs diesen hoch auf dem Baum sitzen und begann so zu sprechen: "Oh Rabe, von welchem Glanz sind deine Federn! Hättest du noch eine Stimme, wäre kein Vogel besser!" Aber während jener Dumme dann die Stimme beweisen will, verlor er aus dem Mund den Käse, den der listige Fuchs mit gierigen Zähnen schnappte. Erst dann seufzt die getäuschte Dummheit des Raben.



Der Wolf und das Lamm
Der Wolf und das Lamm kamen einst vom Durst angezogen zum Fluß: Weiter oben stand der Wolf und weiter unten das Lamm. Der von Heißhunger angetriebene suchte einen Grund für einen Streit. "Warum", sagte er, "hast du das Wasser, das ich trinken will, aufgewühlt?" Der Wollige erwiderte sich fürchtend: "Wie kann ich das bitte machen, was du da beklagst, Wolf? Von dir fließt das Wasser zu mir." Durch die Kräfte der Wahrheit zurückgehalten sagte er: "Vor sechs Monaten hast du mich beleidigt." Da antwortet das Lamm: "Da war ich noch gar nicht geboren." "Dein Vater", sagte er, "hat mich beleidigt." So zerfleischt er das unschuldige Lamm.
Diese geschriebene Fabel zeigt, dass es Menschen gibt, die aus erfundenen Gründen Unschuldige ermorden.



Der Wolf und der Kranich
Nachdem der verschlungene Knochen im Schlund des Wolfes stecken geblieben war, begann er, von großem Schmerz besiegt, einzelne Tiere mit Lohn anzulocken, damit sie jenes Übel herausziehen. Endlich wurde ein Kranich unter Eid überredet sich seinem Schlund anzuvertrauen und er heilte mit seinem langen Hals den Wolf auf gefährliche Art und Weise. Als er den dafür versprochenen Lohn forderte, sagte der Wolf: "Du bist undankbar, du, der von uns den Kopf unversehrt herauszog und den Lohn fordert."
Wer sich einen Lohn von einem Nichtrechtschaffenden wünscht, der macht etwas verkehrt: Zuerst weil er den Unwürdigen unterstützt, und weil er nicht ungestraft davongehen kann.


Der Hirsch an der Quelle
Ein Hirsch blieb an einer Quelle stehen, nachdem er getrunken hatte und im Wasser sah sein Bild. Danach lobte er dort voller Bewunderung das Geweih und er tadelte die zu große Zartheit der Beine; plötzlich begann er durch Stimmen von jagenden (Hunden) in Schrecken versetzt über das Feld zu flüchten und trieb mit schnellem Lauf sein Spiel mit den Hunden. Der Wald fing dann das wilde Tier ab, wo es nämlich durch sein schwerfälliges Geweih vom Dickicht festgehalten, begann, von den wütenden Bissen der Hunde zerfleischt zu werden. Man sagt, dass er sterbend sprach: "O ich Unglücklicher! Warum sehe ich erst jetzt ein: Die, die mir nützlich waren, die habe ich verachtet, und die ich gelobt von so großem Nachteil sind.























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