SPD - Sozialdemokratische Partei Deutschlands

Aufbau und Gliederung

1. Die Geschichte der SPD

1.01 Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung (1848)

1.02 Gründung der Arbeiterparteien (1863-1869)

1.03 Reichsgründung und Sozialistengesetz (1871/ 1878-1890)*

1.04 SPD und die Gewerkschaften im Aufwind (1890/91)*

1.05 Weltkrieg und Revolution in Deutschland (1914-1919)

1.06 Spaltung - Kampf um die Demokratie - Niederlage (1918-1933)*

1.07 Widerstand und Emigration (1933-1945)

1.08 Neubeginn und Teilung (1945-1949)

1.09 Wiederaufbau, Kalter Krieg, Westintegration (1949-1969)*

1.1 Reformen, Demokratie, Frieden (1969-1982)

1.11 Opposition, Erneuerung, deutsche Vereinigung (1982-1989)

1.12 Die Zukunft gewinnen (90er Jahre)

2. Die SPD zu Beginn des 21. Jahrhunderts

2.1 Die Organisation der Partei*

2.2 Die Finanzlage der SPD

2.3 Das Parteiprogramm der SPD

2.4 Wahlen

3. Beantwortung offener Fragen und evtl. näheres Definieren einzelner Sachverhalte
4. Anlagen (Definitionen; Quellen)

* Begriffsdefinitionen

Wörterdefinitionen

Autonomie - Selbstverwaltung

dogmatisch - Lehrhaft vorgetragen

fragmentiert - unvollendet

genuin - angeboren; echt

kohärent - zusammenhängend

Konsens - Zu- und Ãœbereinstimmung

Konsolidierung - Umwandlung von kurz- in
langfristige Schulden

konstituiert - gründen; fest- und
Zusammensetzen

oligarchisch - Herrschaft einer Auslese

Paktieren - verhandeln

Polarisierung - Gegensätzlichkeit

Proletarisch - unterste Bürgerschicht

rezipieren - annehmen

Scherge - Handlanger; Vollstrecker
der Befehle eines Machthabers

transnational - übernational

überschuldet - mit Schulden übermaßig
belastet

vulgär - gemein; gewöhnlich

Ermächtigungsgesetz

Ein Gesetz, durch das eine Institution ( meist Regierung ) in Ausnahmesituationen ermächtigt wird, Befugnisse wahrzunehmen, die verfassungsmäßig einer anderen Körperschaft ( z.B. dem Parlament ) zustehen. Durch das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 ( 'Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich') übertrug der Reichstag gegen die Stimmen der SPD mit Zweidrittelmehrheit die gesamte
( auch verfassungsändernde ) Gesetzgebung an A. Hitler auf vier Jahre; später verlängert. Der Reichstag schaltete sich damit selbst aus.

Godesberger Programm

Auf dem Parteitag der SPD in Bad Godesberg im November 1959 angenommenes Grundsatzprogramm, in dem die SPD die Konzeption der Arbeiterpartei durch die der Volkspartei ersetzte. Es behandelt grundlegende Probleme des Sozialismus und der Gesellschaft und enthält dir grundsätzliche Haltung der SPD zur Landesverteidigung, zur Wirtschafts- und Sozialordnung, zum kulturellen Leben und zu internationalen Zusammenschlüssen.

Sozialistengesetz

Bezeichnung für das Gesetz "wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" im Deutschen Reich. Es wurde auf Betreiben von Reichskanzler Otto von Bismarck am 21. Oktober 1878 vom Reichstag beschlossen, nachdem angeblich Anarchisten auf Kaiser Wilhelm 1. Zwei ( gescheiterte ) Attentate unternommen hatten, die den Sozialdemokraten angelastet wurden. Bereits zuvor hatte man die Arbeiterführung August Bebel und Wilhelm Liebknecht, die sich gegen den Deutsch - Französischen Krieg ausgesprochen hatten, wegen Hochverrats inhaftiert.
Das Gesetz richtete sich gegen die Organisationen selbst ( SAP, Gewerkschaften ), außerdem gegen deren Publikationen und Versammlungen. Bei Zuwiderhandlungen konnten Geld- und Gefängnisstrafen verhängt werden.
Bei Aufhebung des Sozialistengesetzes 1890 hatte die SAP die Zahl ihrer Wählerstimmen mehr als verdreifacht und war damit, neu formiert als SPD, stärkste Wählerpartei im Deutschen Reich.

Geschichte der SPD

1848 - Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung

Die Frühindustrialisierung und der Bevölkerungswachstum lösen in den Staaten des Deutschen Bundes Massenverelendung und tiefe Strukturveränderungen der Wirtschaft aus. Noch widerstehen die Regierungen dem Verlangen des Volkes nach nationaler Einheit und Demokratie. Oppositionelle Bestrebungen werden scharf unterdrückt. Kurz vor und in der bürgerlich - demokratischen Revolution von 1848/49 formieren sich erstmals zwei Strömungen der organisierten Arbeiterbewegungen : der rechte kleine Bund der Kommunisten unter Führung von Karl Marx und Friedrich Engels vornehmlich im Westen Preußens sowie die Arbeiterverbrüderung mit annähernd 15.000 Mitgliedern unter der Leitung von Stephan Born vornehmlich in Berlin, Sachsen und in Teilen Nord - und Süddeutschlands. Erste Gewerkschaften entstehen. Die Revolution scheitert, und die Anfänge der organisierten Arbeiterbewegung werden unterdrückt.

1863 - 1869: Gründung der Arbeiterparteien

Während zwischen Revolution und Reichsgründung die Industrialisierung ungemein an Fahrt gewinnt, liberalisiert sich das politische Klima nach einem Thronwechsel in Preußen.
Ferdinand Lassalle ( 1825 - 1864 ) gründete 1863 in Leipzig den "Allgemeinen deutschen Arbeiterverband" ( ADAV ), der sich auf dem Gothaer Kongress 1875 mit der 1869 von August Bebel und Wilhelm Liebknecht in Eisenach gegründeten "Sozialdemokratischen Arbeiterpartei" ( SDAP ) zur "Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands " ( SAP ) vereinigt. Zum Teil eigenständig, zum Teil durch die Anstöße dieser Parteibildung, formierte sich die deutsche Gewerkschaftsbewegung in Berufsverbänden vornehmlich in der zweiten Hälfte der 1860er Jahre.

1871 Reichsgründung - 1878 bis 1890 Sozialistengesetz

Die Gründung des Deutschen Reiches nach dem Krieg gegen Frankreich, unter Führung Bismarcks und Preußens, führt zu einem starken Wirtschaftsboom, in dem die Gewerkschaftsbewegung belebt wird. Diese und die Arbeiterparteien erleiden fortan zum Teil koordinierte Unterdrückungsmaßnahmen durch die konservative Reichsleitung, die Regierungen der Bundesstaaten und weite Kreise der Unternehmerschaft.
Nach zwei Attentaten auf Kaiser Wilhelm y., mit denen Sozialdemokraten nichts zu tun hatten, bringt Bismarck 1878 das Sozialistengesetz im Reichstag durch. Mit ganz wenigen Ausnahmen - die Reichstagfraktion besteht weiter - werden alle sozialistischen und freigewerkschaftlichen Bestrebungen verboten. Sozialdemokraten werden zu "vaterlandslosen Gesellen" erklärt, das vertieft die Spaltung der Gesellschaft im Kaiserreich.

1890/91 - SPD und Gewerkschaften im Aufwind

Durch die Industrialisierung nimmt der Anteil der Arbeiterschaft an der Erwerbsbevölkerung im Deutschen Reich rasch zu. Trotz des Sozialistengesetzes bleibt die Sozialdemokratie eine politische Bewegung, die Unterstützung bei der arbeitenden Bevölkerung findet. Als das Sozialistengesetz nicht wieder verlängert wird, erreicht die SPD - so heißt sie seit 1890 - bei den Reichstagswahlen 1890 mit 19,7 Prozent der Stimmen den höchsten Wähleranteil. Sie gewinnt fortan durchgängig an Wählerstimmen hinzu, steht 1912 bei 34,8 Prozent und bildet nun auch die stärkste Fraktion im Reichstag. Die Gewerkschaften, deren Entwicklung in der Zeit des Kaiserreiches eng mit der SPD verbunden ist, formieren sich 1890 neu und erzielen seit 1895 ungeheure Mitgliederzuwächse.
Auf dem Erfurter Parteitag 1891 wendete sich die SPD eindeutig hin zu marxistischen Annahmen und Überzeugungen. Das "Erfurter Programm" lehnt sich in seinem theoretischem Teil an die Gesellschaftsanalyse von Marx und Engels an und fordert in seinem praktischem Teil unverzügliche, tiefgreifende Reformen in wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Mit Veröffentlichungen von Eduard Bernstein, Karl Kautsky, Rosa Luxemburg und anderen setzen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts scharfe interne Auseinandersetzungen über die theoretischen Grundlagen und den politischen Kurs der Sozialdemokratie ein. Im Vorfeld der Sozialdemokratie entfaltet sich eine breite Arbeitskulturbewegung mit zahlreichen Kultur - und Freizeitorganisationen. Vor allem gründen sich eigene Organisationen für die Belange der sozialdemokratischen Frauen und Jugendlichen. Diese Vereine und Verbände verstärken die Bindung der Mitglieder an der Sozialdemokratie. Unter den sozialistischen Parteien, die sich 1889 in Paris zur sogenannten 2. Internationale zusammengeschlossen haben, erringt die SPD eine Führungsrolle.

1914 - 1919 Weltkrieg und Revolution in Deutschland

Als im Zuge der militärischen Niederlage eine breite Volksbewegung die deutschen Monarchien hinwegfegt, übernehmen die Mehrheits- und die Unabhängige Sozialdemokratie ( MSPD, USPD ) im "Rat der Volksbeauftragten" Friedrich Ebert vorangetrieben, allgemeine gleiche Wahlen zu einer deutschen Nationalversammlung durch. Erstmals gibt es in Deutschland ein Frauenwahlrecht, das die SPD schon im Erfurter Programm 1891 gefordert hatte. Als erst Frau sprach Marie Juchacz 1919 in einem Deutschen Parlament. Im Zuge der Revolution werden die Gewerkschaften endlich von der Unternehmerseite als Tarifpartner anerkannt. Friedrich Ebert wird Reichspräsident. Die SPD wird zur maßgeblichen politischen Kraft auf dem Boden der Weimarer Verfassung, die sie als demokratische Grundordnung in weiten Bereichen mitgestaltet hat.
Am linken Rand der politischen Arbeiterbewegung formierte sich an der Jahreswende 1918/1919 die KPD ( Kommunistische Partei Deutschlands ) als neue, revolutionäre Kraft. Die KPD wird, indem sie den linken Flügel der USPD an sich bindet, zur Massenpartei und gerät bald unter den Einfluss des sowjetischen Kommunismus. Die reformierten Teile der USPD vereinigen sich 1922 wieder mit der MSPD. Scheidelinie zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten ist die Frage der Demokratie; die Kommunisten streben eine Diktatur nach sowjetischen Vorbild an.

1918/19 - 1933: Spaltung - Kampf um die Demokratie - Niederlage

Die Frühzeit der Weimarer Republik ist von scharfen innenpolitischen Auseinandersetzungen um den Versailler Friedensvertrag und um die Konsolidierung der neuen Machtverhältnisse im Innern des Reiches geprägt. Mit Hilfe eine Generalstreiks gelingt es im Frühjahr 1920, den reaktionären Kapp - Lüttwitz - Putsch niederzuschlagen. Erst in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre stabilisiert sich das politische System.
Die SPD, welche einen modernen Sozialstaat zum Ziel hat, wurde in der Weimarer Republik zu einer der tragenden Säulen der semi - präsidentiellen Demokratie und ist wiederholt in Reichsregierungen vertreten gewesen. Die historische Sozialdemokratie des Wilhelminismus, der Weimarer Republik, aber auch noch des ersten Jahrzehnts in der Geschichte der Bundesrepublik war primär eine soziale Bewegung: Eine Vereinigung und Organisation vornehmlich gelernter Arbeiter, die sich am Arbeitsplatz konstituierte, aber alle Bereiche der proletarischen Existenz umfasste - also nicht nur arbeit, sondern auch Wohnen, Freizeit und Bildung. Ein vielfältiges und komplexes Netzwerk von Freizeit-, Kultur- und Wirtschaftsorganisationen bildete das institutionelle Rückgrat der Sozialdemokratie.

Mit dem Hereinbrechen der Weltwirtschaftskrise ab 1930 erstarken die extremen Kräfte in der deutschen Politik. Die Arbeitslosigkeit nimmt ein nie gekanntes Ausmaß an. Begünstigt durch konservative und reaktionäre politische Kreise, die bis weit in das bürgerliche Parteispektrum hineinreichen, gewinnt die extreme Rechte in der Hitler - Bewegung ungemein an Einfluss. Die anhaltende Spaltung der deutschen politischen Arbeiterbewegungen, die sich alltäglich in scharfen Auseinandersetzungen dokumentiert, begünstigt diesen Aufstieg, verursacht ihn aber nicht. Ende Januar 1933 wird Hitler Reichskanzler. Der Terror der Nationalsozialisten gegen Kommunisten und Sozialdemokraten, später auch gegen bürgerliche Kräfte, setzt ein. In der Abstimmung im Reichstag über das Ermächtigungsgesetz, mit dem alles bürgerlichen Parteien Hitler formell zum Diktator machen, bäumt sich die deutsche Sozialdemokratie als einzige politische Kraft gegen diese furchtbare Entwicklung auf. Daraufhin wurde die SPD verboten.

1933 - 1945 Widerstand und Emigration

Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung werden Sozialdemokraten wie auch andere Gegner des Nationalsozialismus verhaftet, misshandelt, ermordet. Führungskräfte der Sozialdemokratie halten als Exil-Parteivorstand ( Sopade ) zunächst von Prag, später von London aus die Führungsstruktur der Sozialdemokratie aufrecht ( Erich Ollenhauer, Otto Wels ). Sie versuchen, Kontakt zu halten und, wo das möglich erscheint, Widerstandartikel zu organisieren. Solche Widerstandsgruppen bilden sich vielfach im Arbeitermilieu, teilweise auch unter Einfluss linkssozialistischer Gruppen. Die Sozialdemokraten, die seit den frühen 1920er Jahren energisch gegen die Hitler Bewegung gekämpft haben, setzen den Kampf fort und versuchen im Prager Manifest von 1934, die demokratischen Kräfte zu bündeln. Trotz Annäherungen gibt es keine Einigung mit den kommunistischen Exil- und Widerstandskräften.
Sozialdemokraten und Gewerkschaftler wie Julius Leber und Wilhelm Leuschner beteiligen sich an dem gescheiterten Aufstandsversuch vom 20.Juli 1944 und werden von Hitlers Schergen umgebracht.

1945 - 1949 Neubeginn und Teilung

Die Zerstörung Deutschlands durch die nationalsozialistische Diktatur führt am 8.Mai 1945 in die bedingungslose Kapitulation und in die Aufteilung des deutschen Reiches in vier Besatzungszonen. Unter Kurt Schumacher, der eine Vereinigung mit den Kommunisten kategorisch ablehnt, formiert sich in den Westzonen die SPD als eine demokratisch-sozialistische Volkspartei, die eine Öffnung zu den Mittelschichten anstrebt.
In der Ostzone gelingt es der KPD unter Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht mit Unterstützung der sowjetischen Machthaber, die starken sozialdemokratischen Kräfte in ein Parteibündnis zu zwingen ( Zwangsvereinigung 1946 ) und die SED ( Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ) als diktatorische Einheitspartei zu konstituieren. Mehr als fünftausend SPD - Mitglieder werden verhaftet, Tausende müssen flüchten. Kommunisten besetzen die Schlüsselpositionen der neuen Partei, und der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund gerät unter deren Herrschaft.
In den Westzonen können sich die Gewerkschaften zunächst unter der Aufsicht der Westalliierten neu formieren. Sie überwinden ihre richtungsgewerkschaftliche Spaltung und bilden 1949 in München den Deutschen Gewerkschaftsbund als Einheitsgewerkschaft, die parteipolitisch unabhängig ist, gleichwohl aber in ihren Zielen vielfach mit der Sozialdemokratie übereinstimmen.
1949 entstehen die Bundesrepublik Deutschland und die DDR; am Bonner Grundgesetz, das in den Verfassungsberatungen des Parlamentarischen Rats vorbereitet wurde, haben Sozialdemokraten, allen voran Carlo Schmid, maßgeblich mitgewirkt. Die SPD erreicht im Westen bei den ersten Wahlen zum deutschen Budenstag 29,2 Prozent der Stimmen. Mit ganz knapper Mehrheit kann die CDU die Führung der jungen Republik übernehmen, während die SPD sich in der "konstruktiven Opposition" sieht.

1949 - 1969: Wiederaufbau, Kalter Krieg, Westintegration

Als Oppositionspartei im Bundestag gewinnt die SPD in den 1950er Jahren immer stärkeren Einfluss in den Städten und Ländern. Außenpolitisch zunächst von dem Vorrang der Wiedervereinigung geleitet, lehnt sie - obgleich prinzipiell proeuropäisch orientiert - Adenauers Westpolitik ab. Sie bejaht die Römischen Verträge und schwenkt Ende der 50er Jahre auf den Kurs der Westintegration ein, ohne das Ziel der Wiedervereinigung aus den Augen zu verlieren. In der DDR haben am 17.Juni 1953 gegen den Massenaufstand von Arbeitern nur noch sowjetischen Panzer die Herrschaft des SED - Regimes gerettet: Der Aufstand wird blutig niedergeschlagen. 1961vollendet der Mauerbau auch physisch die Spaltung des Landes.
Durch die Organisationsreform des Stuttgarter Parteitages von 1958, aufgrund der die innerparteiliche Macht vom bürokratisierten Parteivorstand auf die Bundesfraktion überging und womit die SPD sich an das parlamentarische System anpasste, und durch das Godesberger Programm 1959 mit seinem weltanschaulichem Pluralismus, öffnete die SPD sich der rapide modernisierenden bundesrepublikanischen Gesellschaft. Dadurch war der Weg für die Teilnahme an der großen Koalition mit der CDU/CSU 1966 bis 1969(, für die sozialliberale Koalition mit der FDP 1969 bis 1982 sowie die rot-grüne seit 1998) geebnet.

1969 - 1982 Reformen, Demokratie, Frieden

Die Zeiten sind reif für den Aufbruch aus konservativer Erstarrung und für Reformen und neue Wege der Friedenssicherung und Entspannung. 1969 wird Willy Brandt der erste sozial-demokratische Bundeskanzler der Nachkriegsgeschichte und Gustav Heinemann Bundespräsident. Brandt ergänzt die Westintegration durch die Polen, der Tschechoslowakei und durch einen Grundlagenvertrag mit der DDR, der durch weitere Verträge ausgefüllt wird, zu einem geregelten Nebeneinander mit den kommunistisch regierten Ländern führt. Sie erreichen Erleichterungen für die Menschen in Deutschland und stärken die Verbindungen zwischen den beiden Teilstaaten. Für diese Politik, an deren Entwicklung auch Egon Bahr einen wichtigen Anteil hat, erhält Willy Brandt 1972 den Friedensnobelpreis.
Ende der 60er Jahre kann sich die SPD zugleich an die Spitze starker Reformkräfte der westdeutschen Gesellschaft setzen, die auch von der Studentenbewegung in Gang gesetzt worden sind. 1972 erringt Willy Brandt einen überzeugenden Wahlsieg. Nach Enttarnung eines DDR - Spions im Kanzleramt übergibt er 1974 das Amt des Bundeskanzlers an Helmut Schmidt. Unter sozialdemokratischer Führung wird in den 70er Jahren die Herausforderung des Links - Terrorismus überwunden, und es gelingt der sozial - liberalen Regierung, die Folgen der Ölkrisen und andere weltwirtschaftliche Turbulenzen zu meistern. Die Politik dieser beiden sozialdemokratischen Kanzler für ein modernes Deutschland mehrt die soziale Gerechtigkeit durch den Ausbau des Sozialstaats und verschafft der Bundesrepublik Deutschland internationales Ansehen. Die Sozialdemokratie führt eine intensive Debatte über Ausrüstung, Rüstungspolitik und Friedenssicherung.

1982 - 1989: Opposition, Erneuerung, deutsche Vereinigung

1982 verlässt die FDP die sozialliberale Koalition und verschafft den Unionsparteien die Mehrheit in Bonn. Die SPD wird auf die Rolle der Opposition zurückgeworfen und beginnt einen anhaltenden Prozess programmatischer Erneuerung, in dem sie ihre Rolle als demokratische Partei in einem hochentwickeltem Industrieland neu definiert und Antworten auf die Herausforderung durch die neuen sozialen Bewegungen formuliert. Als politische Kraft erstarkt sie in den Landtagen und übernimmt Regierungsverantwortung in der Mehrheit der Länder. Obwohl 1987 Willy Brandt den Vorsitz der Partei in die Hände Hans-Jochen Vogel übergibt, bleibt seine Stimme in der Politik von Gewicht. Sie wird deutlich gehört, als 1989 die Berliner mauer fällt - "Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört" -, die kommunistischen Diktaturen zusammenbrechen und die beiden deutschen Staaten vereinigt werden können. Noch unter der SED - Diktatur wird in der DDR von mutigen Bürgerrechtlern wie Markus Meckel und Martin Gutzeit die SDP ( Sozialdemokratische Partei in der DDR ) als Bruderpartei der westdeutschen SPD gegründet; noch vor der deutsch-deutschen Vereinigung verschmelzen 1990 beide Parteien.

Die 90er Jahre - die Zukunft gewinnen

1989 wird in Berlin ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet, das die Ergebnisse der gesellschaftlichen und innerparteilichen Diskussionen zur sozialen und ökologischen Erneuerung der Industriegesellschaft bündelt. Nach einer Phase, in der die Sozialdemokratie ihre Position in den Ländern ausbaut, doch bundespolitisch in der Opposition bleibt, werden "Innovation und Gerechtigkeit" die Leitbegriffe, unter denen die SPD unter der Führung von Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder die Bundestagswahlen am 27. September 1998 gewinnt.

Der neue Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine Koalition aus Sozialdemokraten und Grünen nehmen sich ein ehrgeiziges Reformprogramm vor, das auf die Korrektur sozialer Ungerechtigkeiten, die Ordnung der zerrütteten Staatsfinanzen, eine umfassende Steuerreform und Investitionen in Zukunftsaufgaben zielt.
Nach dem Rücktritt Oskar Lafontaines von allen seinen Ämtern wird Gerhard Schröder im April 1999 auch Parteivorsitzender. Der Berliner Parteitag im Dezember 1999 bestätigt ihn in diesem Amt und wählt Franz Müntefering zum neuen Generalsekretär der Partei. Die SPD ist an der Jahrhundertwende wieder die wichtigste gestaltende politische Kraft in Deutschland.
Unter sozialdemokratischer Führung hat eine umfassende Modernisierung der deutschen Gesellschaft im europäischem Kontext begonnen.

Die SPD zu Beginn
des 21. Jahrhunderts

Die Organisation der Partei

Im Gegensatz zur vergleichsweise kohärent strukturierten Solidargemeinschaft der Weimarer Republik kann die SPD organisatorisch gegenwärtig als "lose verkoppelte Anarchie" charakterisiert werden. Die Partei ist stark dezentralisiert, fragmentiert und flexibel.
Die lokalen und regionalen Organisationen der SPD (ca. 12500 Ortsvereine und ca. 350 Unterbezirke) besitzen einen hohen Grad an Autonomie. Die Bezirks- bzw. Landesorganisationen haben großes politisches Gewicht, insbesondere dann, wenn die Partei auf Bundesebene nicht an der Regierung ist. Der Parteivorstand und das Parteipräsidium handeln weitgehend unabhängig vom Rest der Partei und stehen nicht etwa an der Spitze zentralistischen, oligarchischen Organisation. Aus Bundespolitischer Sicht liegt das Machtzentrum der SPD beim Parteipräsidium, bestehend aus dem Vorsitzenden der Bundestagsfraktion und eventuell dem Kanzler, wenn die Partei an der Regierung ist, sowie den wichtigsten und einflussreichsten Ministern. Im Parteivorstand sind die verschiedenen Gebietsverbände und Arbeitsgemeinschaften vertreten. Der Parteivorstand versucht - ähnlich wie der Parteirat - die auseinanderstrebenden Kräfte auf Parteiebene zusammenzuhalten und die Partei zu integrieren, denn die drei Parteiebenen, die lokale, die Länder- bzw. Bezirksebene und die Bundesebene bestehen fast unverbunden nebeneinander.
Analytisch zeigt sich ein Parteibild, dass den Schluss einer Art großen Koalition zulässt. Diese lässt sich untergliedern in die lokalen und regionalen Parteiorganisationen, die innerparteilichen Interessengruppen, die Arbeitsgemeinschaften (z.B. die Jungsozialisten, die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, die Arbeitsgemeinschaft der Senioren 60 plus oder der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen), die traditionellen Parteiflügel (Linke, Rechte und Zentralisten) und die Bürgerinitiativen. Hinzu kommen die verschiedenen sozialdemokratischen Fraktionen, von den Gemeinden und Kreisen über die Landtage bis hin zur Bundestagsfraktion, sowie die sozialdemokratischen Regierungsmannschaften in den Ländern und Kommunen. Im Mittelpunkt innerparteilicher Entscheidungsprozesse stehen Koalitionsbildungen. Dabei sind die eigentlichen Leistungsträger der Parteiorganisation nicht mehr die Funktionäre, sondern die Mandatsträger aus Kommunal-, Landes- und Bundespolitik. Das heißt, die SPD wird zunehmend zu einer Fraktionspartei.
Im Vergleich zur Solidargemeinschaft (Weimarer Republik) ist die soziale Zusammensetzung der Mitglieder und der Funktionäre der zeitgenössischen SPD äußerst heterogen.
Nach 1949 erreichte die Mitgliederzahl der Partei 1976 mit ungefähr 1 Million den Höhepunkt. Seitdem sinkt die Mitgliederzahl kontinuierlich und lag zu Beginn des Jahres 2000 bei etwa 770000. In der Partei dominiert die sogenannte 68er Generation. Dazu gehören Björn Engholm (Parteivorsitzender 1991-1993), Rudolf Scharping (Parteivorsitzender 1993-1995), Oskar Lafontaine (Parteivorsitzender 1995-1999) und Gerhard Schröder (Parteivorsitzender seit 1999). Aus statistischem Standpunkte droht die SPD zu veralten, denn Anfang 2000 waren 67% der Parteimitglieder älter als 60, hingegen nur 5,6% unter 30. Die Versuche Jugendliche für die Partei zu werben sind weitgehend gescheitert. Der Frauenanteil jedoch erreichte Ende 1999 mit 28,7% den bisherigen Höhepunkt.

Die Finanzlage der SPD

Finanziell gesehen steht die SPD sehr solide dar, jedoch fällt bei genauerem Hinsehen eine Schieflage, die die fragmentierte Struktur der Partei wiederspiegelt. Denn die Ortsvereine und Unterbezirke sind finanziell unabhängig und erhalten zusätzlich noch einen Anteil an Mitgliedsbeiträgen, sowie einen festen Anteil der Spenden und der Beiträge der Mandatsinhaber. Von den Mitgliedsbeiträgen erreichen nur etwa 15% die eigentliche Bundespartei, der Rest wird an die Bezirke bzw. Landesverbände und an die Ortsvereine und Unterbezirke ausgezahlt. Und so ist es nicht verwunderlich, dass Ortsvereine und Unterbezirke teilweise mehrere Tausend DM Guthaben aufweisen können. Allerdings benötigen die Landesparteien vor allem aber die Bundespartei zusätzliche Mittel, häufig sind sie verschuldet oder sogar überschuldet, aber trotz alledem kommen sie nicht an die auf der lokalen Ebene genutzten Gelder heran. Die Landesparteien und die Bundespartei finanzieren ihre Organisationen und die Wahlkämpfe nur zu einem geringen Teil aus Mitgliedsbeiträgen, hauptsächlich aber durch stattliche Mittel, durch einige größere Privatspenden und durch Kredite.

Das Parteiprogramm der SPD

Programmatisch und ideologisch stellt sich die SPD mindestens so farbenfreudig dar, wie ihre Organisations- und Sozialstruktur. Unter den Parteimitgliedern findet man weit auseinandergehende Meinungen bei nahezu allen politischen Streitfragen. Bestimmte Konfliktpunkte spalten die Partei immer mehr. Das heute offiziell geltende Berliner Programm von 1990, dass das Godesberger Programm von 1959 abgelöst hat, ist sofort nach seiner Verabschiedung vergessen worden, denn es hat weder innerparteilich integrierend noch nach außen attraktiv gewirkt. Das gegenwärtig größte Problem der SPD ist es, dass kein genuin sozialdemokratisches Projekt mehr gibt. Das gesellschaftliche Organisations- und Regulationsmodell der 60er und 70er Jahre, das noch bis in die 80er Jahre seine Schuldigkeit getan hatte, ist zum Auslaufmodell geraten. Seine wesentlichen Elemente waren der entwickelte Sozialstaat, Stärkung der Massenkaufkraft, öffentliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, starke Massengewerkschaften und ausgebaute Mitbestimmung. Das war das Sozialdemokratische, das sogenannte keynesianische Politikmodell in der BRD. Nach der Regierungsübernahme im Bund 1998, verschärften sich innerhalb der Partei die programmatischen Diskussionen. Im Prinzip unumstritten ist dabei die Notwendigkeit, die Bundesrepublik an die globalisierten Finanz- und Arbeitsmärkte anzupassen, den überkommenden Sozialstaat umzubauen und die staatliche Verschuldung zu reduzieren, um wieder politische Spielräume zu gewinnen. Wie Innovation und soziale Gerechtigkeit, die Begriffe, mit denen die SPD 1998 in den Bundestagswahlkampf gezogen war, zu begreifen sind, soll die mit dem Berliner Parteitag vom Dezember 1999 beginnende Programmberatung ergeben. Im Grundsatzprogramm der SPD werden die Ziele wie folgt benannt: "Wir Sozialdemokraten, Frauen und Männer, kämpfen für eine friedliche Welt und eine lebensfähige Natur, für eine menschenwürdige, soziale gerechte Gesellschaft. Wir wollen Bewahrenswertes erhalten, lebensbedrohende Risiken abwenden und Mut machen, Fortschritt zu erschreiten (Auszug aus dem Grundsatzprogramm der SPD, aktualisierte Ausgabe, geändert auf dem Parteitag in Leipzig am 17.04.1998).

Wahlen

Bei keiner anderen deutschen Partei sind die sozialen und kulturellen Gegensätze so groß, wie bei den Wählern der SPD. Sozialhilfeempfänger und Millionäre, Ostdeutsche und Westdeutsche, mikrochipeuphorische Ingenieure und technikfeindliche Ökopazifisten, um nur einige Beispiele zu nennen. In dieser Vielfalt liegen für die Partei Risiko und Chance gleichermaßen. Besonders markant tritt das Problem der SPD, Wählerkoalitionen bauen zu müssen, in einem bestimmten Typus von Großstadt hervor, der unter anderem durch folgende Merkmale geprägt ist: großes ökonomisches Wachstum aufgrund eines hohen Anteils von High-Tech-Industrien und Produktionsdienstleistungen; unterdurchschnittliche Arbeitslosigkeit, geringer Anteil von Sozialwohnungen, hoher Anteil von Studenten und Bildungspersonal, hoher Anteil an Alleinerziehenden, hoher Ausländeranteil, oder innerstädtische Polarisierung zwischen ganz Reichen und Ausländern. Die SPD hat in diesen Städten an die Grünen und an die Rechtspopulisten verloren, vor allem aber an die Nichtwähler abgegeben. Bei den Wählern hat die SPD wie bei den anderen Mitgliedern ein Problem, Jüngere anzusprechen und zu gewinnen. Die Sozialdemokratie gilt bei den Jugendlichen einer Statistik zufolge als Partei des Bewahrens, als konservativ, leidet also in ihrem Image an einem Modernisierungsdefizit. Unter Erstwählern stimmen nur circa 20% für die SPD. Dabei hat die Partei den Vorteil, nach allen Seiten koalitionsfähig zu sein. Die Sozialdemokraten haben mit Schwarz-Rot, Rot-Gelb, Rot-Grün, Rot-Rot, mit der Ampelkoalition und mit dem Magdeburger Modell (Minderheitsregierung, geduldet von der PDS) Erfahrungen gemacht. Zur Überraschung vieler Beobachter, aber auch betroffener Politiker errangen die SPD und die Grünen 40,9%, bzw. 6,7% der Stimmen, so dass - zudem durch 13 Überhangmandate und trotz des Wiedereinzugs der PDS in das Parlament - Rot-Grün die Kanzlermehrheit erreichte und es nicht zu der von vielen erwarteten großen Koalition kam.

Quellenangaben

Bertelsmann Universal-Lexikon 1999

Bundeszentrale für politische Bildung

Jugendlexikon Politik

Klett Verlag: Geschichte und Geschehen

Knaurs Lexikon

LexiRom 2000

Mackensens Fremdwörterlexikon

Microsoft Encarta Enzyklopädie 1998

Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999

Microsoft Encarta Enzyklopädie 2000

SPD Bundestagsfraktion, Berlin

SPD Parteivorstand, Berlin

Tempora Geschichtsbuch

www.bpb.de

www.bundesrat.de

www.bundestag.de

www.parteiendemokratie.de

www.spd.de

www.spdfrak.de

www.statistik.bund.de

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