Sekten

Flucht vor der Wirklichkeit

Wir scheinen in einer Zeit zu leben, die geradezu auf Wunder wartet. Immer mehr Menschen leiden unter zu großen seelischen Belastungen im täglichen Leben, fühlen sich von der Kirche im Stich gelassen und greifen deshalb mehr oder weniger bewusst zu dem scheinbar einzigen Ausweg, der sich in harmloseren Fälle im Griff zu esoterischen Kulten wie z.B. Astrologie, Pendeln und Tarot zeigt, in schwerwiegenderen Fällen zu einem Beitritt in eine Sekte führt. Um die Sektenproblematik besser nachvollziehen zu können, muss man wissen worin sich Sekten und andere religiöse Vereinigungen unterscheiden.

1.Definitionen

1.1 Freikirchen

Kirchen und Gemeinschaften, die aus dem Bemühen um die Erneuerung urchristlichen Gemeindelebens entstanden sind und zu denen ökumenische Beziehungen bestehen oder möglich sind.

1.2 Sondergemeinschaften

Gruppen, in denen Doppelmitgliedschaften innerhalb der evangelischen Landeskirche verbreitet sind; die zwar religiöses Sondergut pflegen, deren Mitglieder aber weithin Zugang zu den Sakramenten in der Landeskirche besitzen.

1.3 "Klassische" Sekten

Gemeinschaften, die mit christlichen Überlieferungen wesentliche außerbiblische Wahrheits- und Offenbarungsquellen verbinden. Sie entstanden meist schon im 19.Jahrhundert und unterscheiden sich von Kirchen und Freikirchen durch ihren Absolutheitsanspruch. Sie verstehen sich als ideale, gottgewollte Gemeinschaft, neben der keine andere Gemeinschaftsbildung ein Daseinsrecht hat, deshalb lehnen sie ökumenische Beziehungen ab. Meist sind sie endzeitlich ausgerichtet: die Gruppe versteht sich als die vor dem Weltuntergang versammelte Gemeinde der Geretteten. Als sogenannte "Endkirchen" lehnen die klassischen Sekten in aller Regel jede Weltverantwortung ab: sie distanzieren sich von politischen Auseinandersetzungen und nehmen keine Ämter wahr. Geholfen wird nur den Mitgliedern, nach außen hin wird nur missionarisch gearbeitet.

1.4 Neue "klassische" Sekten

Auch heute noch entstehen klassische Sekten durch angebliche neue Offenbarungen. Die neuen Gemeinschaften, deren Anhänger fast nur aus jüngeren, erwachsenen Konvertierten, neigen bereits aus sozial-psychologischen Gründen zu Radikalität, innerer Geschlossenheit und zu Kommunikationsproblemen mit der Außenwelt. Sie haben sich bewusst von ihrer bisherigen Lebenswelt angewandt und eher bereit, sich in starke Abhängigkeiten zu fügen und materielle Ausbeutung zu tolerieren. Diese Radikalisierung wird durch besonders fanatische Gruppen auch auf die Erziehung und Bildung ihrer Kinder ausgedehnt.

1.5 Neue religiöse Bewegungen

Die so genannten NRB's unterscheiden sich von den klassischen Sekten durch ihren fremdreligiösen (Hinduismus, Buddhismus) oder neureligiösen (d.h. aus mehreren Traditionen gemischten) Hintergrund und durch ihre Radikalität. Sie sind gekennzeichnet durch: totalitäre Struktur im Innern (Führungsfigur, Guru), ein rettendes Rezept für die Menschheit und durch den Anspruch eine reine, vorbildliche Gemeinschaft zu bilden.

2. Sektenproblematik

2.1 Ziele

Innerhalb der Sekten kann man in zwei verschiedene Gruppen unterteilen: religiöse und pseudo-religiöse, wobei das Hauptziel der zuletzt genannten nur darin liegt, möglichst viele Mitglieder einzufangen und somit an das Geld und sonstigen Besitz derjenigen zu kommen. Dieses versuchen die Führer der jeweiligen Sekten mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu erreichen, wobei sie auch vor manipulativen Aktionen bei Menschen in Not nicht zurückschrecken, sondern gerade diese ausnutzen. Des weiteren versuchen sie es bei allen anderen mit einer geradezu aufdringlichen Hartnäckigkeit bei ihrer Werbung. Wem ist es noch nicht passiert, dass er in der Stadt von den Zeugen Jehovas angesprochen, regelrecht bedrängt wurde, sich belästigt gefühlt hat? In diesem Moment wird der geringste Konflikt mit diesem Gruppen sichtbar. Der größte Konflikt ist unserer Meinung nach in dem Moment, wenn man von Massenmorden oder Berichten von ehemaligen Mitgliedern hört, die von den Zuständen innerhalb ihrer Sekte oder von ihren Ausstiegsproblemen berichten.

2.2 Arbeitsweisen

Sie sprechen vereinsamte, gestresst, zukunftsängstliche, entwurzelte Menschen an und machen ihnen "attraktive" Versprechungen (Stärke und Halt, Gemeinschaftsgefühl, totale Wahrheit, heile Welt...).

Sie bringen die neu angeworbenen Mitglieder dazu von heute auf morgen ihr komplettes vorheriges Leben abzubrechen, um in der neuen Gemeinschaft zu leben und zu arbeiten. Hierbei kassieren sie den gesamten Besitz und verbieten auch nach und nach alle anderen sozialen Kontakte, was teils bis zum Identitätsverlust mit neuer Namengebung getrieben wird. Dies alles macht einen eventuell gewünschten Austritt scheinbar unmöglich.

Schulungen und Gruppenkontrolle arbeiten auf willige marionettenhafte Mitglieder hin, die keine Kritikfähigkeit mehr besitzen.

2.3 Lösungsansätze

Doch was soll man oder kann man überhaupt tun, um einen weiteren Machtzuwachs der Sekten zu verhindern? Vorbeugung ist sicher wie bei vielen anderen Problemen das beste. Heute sind es vor allem Jugendliche, die sich in Gefahr befinden, in eine Sekte hineinzurutschen. Probleme in Familie und in der Lebensplanung können dazu führen, dass sie versuchen sich auf einem anderen Weg die nötige Unterstützung zu holen. In einer Sekte ist man eher jemand - so meinen sie jedenfalls - als in der immer anonymer werdenden Gesellschaft der heutigen Zeit. Unterstützung durch das Elternhaus, Schule und Jugendorganisationen z.B. der Kirche und auch Aufklärung durch die Medien tragen bestimmt einen bedeutenden Teil dazu bei, den Jugendlichen Sicherheit, Halt und Stärke gegen äußere Gefährdungen zu geben. Des weiteren kann die Regierung auch einen großen Teil dazu beitragen z.B. durch das Schaffen von besseren Zukunftsaussichten für Jugendliche (Arbeit, ...). Wo die Vorbeugung versagt hat und wie oben schon erwähnt ein freiwilliger Austritt der Mitglieder kaum möglich ist und die Beeinflussung durch Außenstehende nicht erfolgen kann, müssen die Sekten durch die Allgemeinheit bzw. durch die Regierung bekämpft werden. Die rechtliche Lage hierzu ist schwieriger als man vielleicht denken könnte, da ein Verbot von Sekten auf Grund der Menschenrechte (Art.4 GG: Glaubensfreiheit) nicht möglich ist. Dieser Artikel gilt solange die Sekten des weiteren verfassungsgemäß handeln und die Grundrechte anderer einschränken. Die Entstehung von Sekten kann also nur durch eine genaue Prüfung auf ihre Gemeinnützigkeit verhindert werden, ohne deren Bestätigung keine Straßenversammlungen, keine Werbung und keine Steuervergünstigungen möglich sind und somit das Bestehen einer Sekte stark eingeschränkt wird. Des weiteren kann man gegen das Handeln von Sekten nur dann einschreiten, wenn sie gegen Vorschriften und Gesetze verstoßen, unlautere Mittel zur Werbung einsetzen und gegen soziale Rechte ihrer Mitarbeiter verstoßen. Daraus resultiert eine regelrechte Hilflosigkeit gegenüber diesem wachsenden Problem, da erstens viele Verstöße nie an die Öffentlichkeit gelangen und außerdem die meisten Sektenführer ihre Rechte und Pflichten und auch die Gesetzeslücken sehr gut kennen.

3. Beschreibung einer Sekte am Beispiel von der "Internationalen Gesellschaft für Krischna-Bewusstsein (ISKCON)

3.1 Entstehung

Mitte des 19. Jahrhunderts begann eine neue Blüte der Bhakti-Frömmigkeit, die auf den bengalischen Guru Caitanya Mahprabhu (1486 bis 1534) zurückgeht, in Form der sogenannten Neo-Krischna-Bewegung.

Die größte öffentliche Wirkung unter den Vertretern dieser Bewegung erreichte der Inder Bhaktivedanta Swami Prabhupada (1896 bis 1977), der Gründer der Hare-Krischna-Bewegung. Abhay Caran De, so sein Geburtsname empfing 1936 von seinem geistigen Meister dem Bengalen Srila Bhaktisiddhanta Saraswati Goswam (1874 bis 1937), den verpflichtenden Auftrag, das Krischna-Bewusstsein im Westen zu verbreiten.

1936 gab er die Zeitschrift "Bank to Godhead" heraus. Er gründete 1966 die ISKCON.

In Europa konnte die Hare-Krischna-Bewegung 1968 durch Samuel Greer (geboren 1946), einem ehemaligen Botanik-Studenten, Fuß fassen. Zentrum in Europa wurde 1982 ein Tempel im Bayrischen Wald neben der deutschen Zentrale in Jandelsbrunn. Die Bewegung konnte auch den Tod Prabhupadas 1977 überstehen.

3.2 Aufbau

Heute bilden 24 Gurus das Leitungsgremium der ISKCON, die Gouverning Body Commission. Jedes Mitglied dieses Rates ist für eine Länderguppe zuständig. Für die deutschsprachigen Länder, Skandinavien und Osteuropa ist Harikesa Swami Visnupada der Leiter. Die Kommission tritt einmal im Jahr in Mayapur (Westbengal) - der Weltzentrale - zusammen.

3.3 Lehre

Die ISKCON ist die hinduistischste aller Bewegungen im Westen. Ihre Lehre beruht auf alten indischen Schriften (der "Bhagavata") und der Bhakti-Frömmigkeit. Sie sieht sich selber nicht als Sekte sondern als neue Glaubensgemeinschaft. Mitglieder stellen ihr ganzes Leben in den dienst Krischnas. Sie leben nach einem festen und strengen Tagesplan in Bauernhofgemeinschaften. Krischna-Jünger müssen "vier Säulen" oder Prinzipien befolgen: Barmherzigkeit, Sinnesbeherrschung, Wahrhaftigkeit und Reinheit, dies bedeutet z.B. Ablehnung von Rausch- und Genussmitteln und Sexualität ausschließlich zum Zeugen von Kindern. Die Beachtung dieser Gebote während eines Zeitraums von 6 Monaten ist Voraussetzung für die Einführung in die Bewegung durch einen Meister.

Im Mittelpunkt des Tagesablaufs steht das Chanten:

1728mal täglich müssen die Krischna-Jünger das maha-mantra "Hare Krischna, Hare Krischna, Hare Krischna, Hare Hare, Hare Rama, Hare Rama, Rama Rama, Hare Hare" ("O höchster Herr, bitte beschäftige mich in Deinem hingebungsvollen Dienst") singen. Sie geraten dabei in den zustand der Ekstase.

3.4 Missionierung/ Heutige Situation

Früher waren die Krischna-Jünger für die Bewegung in Deutschland durch aggressives Betteln und Verteilen von von ihnen hergestellten Lebensmitteln. Sie fielen dabei besonders durch ihren ungewohnten Anblick - kahlgeschorener Kopf, lange Gewänder - auf. In den 8 deutschen Zentren leben nur circa 100 Gottgeweihte. Im August 1982 wurde im Bayrischen Wald als Europazentrum ein weiterer Tempel errichtet ISKCON ist besonders in Indien tätig, hauptsächlich in Mayapur, Bombay und Vrindaban, der heiligen Stadt Krischnas. Die Sekte hat in Indien starke soziale und entwicklungspolitische Impulse entwickelt und dadurch viele Anhänger gewonnen. Starken Zuspruch kann die ISKCON auch in den lnder Osteuropas verbuchen. Dort besteht durch den jahrelangen Atheismus des Kommunismus ein gewisser Nachholbedarf.

Weltweit wird die Zahl der Gottgeweihten 1995 auf 10.000 geschätzt, die Zahl der Laienmitglieder und der Sympathisanten dürfte freilich wesentlich höher liegen.

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