Gentechnik und Glauben
Das Thema Gentechnik wird mit fortschreitender Entwicklung in der Forschung aktueller und wichtiger. Ohne aktuellen Bezug, (z.B. ein geklontes Schaf) machen sich allerdings die wenigsten Menschen über die Auswirkungen dieses Fortschritts Gedanken.
In einer Umfrage zum Thema "Genforschung" des Magazins "Der Spiegel" von 1998 antwortete der Großteil der befragten Schüler: "Jeder Mensch ist doch ein Individuum, deshalb sollte man ihn nicht verdoppeln."
Anders sieht es aus, wenn es darum geht, die Medizin durch Gentechnik zu verbessern. 88 Prozent der Befragten hätten keine Bedenken, Medikamente einzunehmen, die mit Hilfe von genmanipulierten Tieren hergestellt werden. Nur wenige wollen den Einsatz solcher Verfahren auf Krankheiten beschränken, für die es heute noch keine Heilungschancen gibt. Das gilt für bestimmte Krebsarten, die nicht mehr so seltene Mukoviszidose, eine Krankheit, bei der Schleimabsonderungen zum Erstickungstod führen, vor allem aber für Aids.
Anders als in den USA ist das Klonen von Menschen in Deutschland gesetzlich verboten. 1990 wurden über alle Parteigrenzen hinweg gesetzliche Regelungen für den Schutz der Menschenwürde gegenüber modernen Entwicklungen in Biologie und Medizin geschaffen. So wird im Embryonenschutzgesetz untersagt, Menschen zu klonen, gezielt in die menschliche Keimbahn einzugreifen, sowie befruchtete menschliche Eizellen zu Forschungszwecken zu erzeugen.
Die forschungspolitische Sprecherin der SPD, Edelgard Bulmahn, ist allerdings davon überzeugt, dass die Würde des Menschen und die Achtung seiner Individualität es erforderlich machten, dass das Klonen von Menschen weltweit verboten werde.
Bisher gelten Gen-Manipulationen an Embryonen, die dann vererbt werden können und einen ersten Schritt in Richtung "Designer-Babys" bedeuten würden, unter deutschen Forschern als tabu - zumindest offiziell. Doch hinter vorgehaltener Hand sehen viele deutsche Wissenschaftler im Embryonenschutzgesetz nicht mehr als ein lästiges Hindernis auf dem Weg zur Verwirklichung ihres Forscherwahns.
"Entstehen unsere Babys bald nur noch durch künstliche Befruchtung im Reagenzglas?" Diese freilich etwas reißerische Frage stellte die Bild-Zeitung bereits im Jahr 1997. Die Ursache dafür war der Weltkongress für künstliche Befruchtung in Vancouver/Kanada, auf dem einige Ärzte wohl folgendes behaupteten:
"Wenn Frauen absolut sichergehen wollen, dass ihr Kind gesund ist, bleibt nur die Reagenzglasbefruchtung. Dann kann ein krankes Kind erst gar nicht entstehen. Ein normal gezeugtes Kind ist heute nicht mehr zu verantworten."
Werdende Mütter setzt diese Entwicklung zunehmend unter Druck: Ängste bis hin zu Depressionen löst die "Pränataldiagnostik" aus, die Fehlbildungen oder andere Erkrankungen erkennen lässt.
Besonders belastet Frauen die Zeit, in der sie auf das Testergebnis warten. Die meisten unterbrechen den inneren Dialog mit dem Kind und schalten um auf eine "Schwangerschaft auf Abruf". Dieser seelische Druck lässt erst nach, wenn feststeht, dass das Kind gesund zur Welt kommen wird; er verstärkt sich allerdings noch wenn er das Gegenteil belegt. Dann muss die Frau die Entscheidung treffen, ob sie es trotz dieses Wissens bekommen möchte. Für diese Entscheidung hat sie aufgrund des Testergebnisses länger Zeit, als bei einem "normalen" Schwangerschaftsabbruch.
Gegen diese Regelung protestieren Behindertenverbände schon seit langem. Für sie ist es schlicht unmenschlich, Abbrüche so spät noch zuzulassen, da der Fötus zuweilen derartige Eingriffe überlebt und dann erst postnatal vom durchführenden Arzt getötet werden muss.
Weiterhin wird bei der Forschungsentwicklung der letzten Zeit beanstandet, dass der "Mensch nach Maß" geschaffen wird. Das Super-Individuum, das alle normal-gezeugten in den Schatten stellt und überflüssig macht.
Derselben Meinung ist auch sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche, die eine In-vitro-Fertilisation grundsätzlich ablehnt, bzw. davon abrät.
Auf der ‚Deutschen Bischofskonferenz und dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Woche für das Leben 1997’ lautete das Motto:
"Jedes Kind ist liebenswert. Leben annehmen statt auswählen."
Eines der Argumente gegen die künstliche Befruchtung war das folgende:
"Die In-vitro-Fertilisation wurde entwickelt, um kinderlosen Eltern den Wunsch nach einem Kind zu erfüllen. In Verbindung mit der Genforschung kann sie nun den Wunsch nach einem bestimmten Kind erfüllen. Immer neue Diagnosemöglichkeiten wecken schließlich das Verlangen, sowohl die eigene Gesundheit als auch die der Kinder zu garantieren. Es ist nicht vorauszusehen, ob künftig bei jeder In-vitro-Fertilisation eine ganze Palette an Tests durchgeführt wird, wenn schon der Umweg über das Labor notwendig wird. Es könnte darum gehen, dass nicht nur schwere genetisch bedingte Erkrankungen, sondern alle möglichen Abweichungen ausgeschlossen werden. Bahnt sich hier nicht eine neue Eugenik an, bei der nur noch Menschen nach bestimmten Vorstellungen zur Welt kommen dürfen?"
Abbrüche waren bisher straffrei, wenn das Kind ohne Aussicht auf Heilung so schwer geschädigt war, dass von der Frau die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden konnte, berichtete die Süddeutsche Zeitung 1998.
Die Kritik der Behindertenverbände bezog sich hierbei vor allem auf die Methode, die Geburt eines gesunden Kindes zu erzwingen, indem man Schwangerschaften so lange abbricht, bis ein 'nachweislich' gesundes Kind empfangen wurde. Die Abtreibung sei schon bei kleinen Fehlern wie einer deformierten Hand oder einer Hasenscharte möglich, wenn sie als "unzumutbar" empfunden werde - selbst in späten Stadien der Schwangerschaft, wenn Kinder bereits lebensfähig seien. Die frühere Grenze, die Abbrüche nur bis zur 22. Woche zuließ, gilt nicht mehr.
159 Abtreibungen sind 1996 nach der 23. Woche vorgenommen worden. Mehr als sieben Prozent von 607 Föten, die zwischen der 18. und 22. Woche abgetrieben worden waren, zeigten von sich aus Lebenszeichen, wie eine Studie in den USA ergab. Ab der 20. Woche muss beispielsweise mit Schnappatmung oder Lauten gerechnet werden. Die bloße Tatsache, dass ein Kind lebend zur Welt komme, wird plötzlich zur medizinischen Komplikation.
Ich empfinde diese Vorgehensweise der pränatalen Selektion als unmenschlich und denke, dass hier längst Grenzen überschritten wurden.
Es gerät dabei in Vergessenheit, dass der Mensch immerhin ein Wesen mit ausgeprägtem Sozialverhalten ist, der sich seiner Umwelt gut genug anpassen kann, dass er in der Lage ist auch schwächere Artgenossen "mitzuziehen" und ihnen ein Überleben zu ermöglichen. Durch den Einsatz der Gentechnik sinkt die Schwelle der Toleranz gegenüber "zumutbaren" Behinderungen, was dazu führen könnte, dass eines Tages "normal" gezeugte Menschen zu Menschen zweiter Klasse werden, die mit der im Reagenzglas kreierten Rasse nicht mehr mithalten kann.
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