Autismus

Was ist Autismus?

Die Wortschöpfung Autismus geht auf den bekannten Schweizer Psychiater Eugen Bleuler zurück. Er prägte 1911 die Begriffe "autistisch" und "Autismus". Autismus bedeutet - von der griechischen Wurzel des Wortes "autos" betrachtet - "selbst". Natürlich waren die Symptome schon lange bevor es den Begriff Autismus gab bekannt. Bleuler betrachtete den Autismus als einseitig auf sich bezogenes Denken, und sah den autistischen Rückzug als eine Begleiterscheinung schizophrener Erkrankungen.

Autistische Kinder können zunächst keine Geste, kein Lächeln, kein Wort verstehen. Sie ziehen sich zurück, kapseln sich "autistisch" ab. Jede Veränderung in ihrer Umwelt erregt sie stark. Autistische Kinder können nicht spielen und benutzen ihr Spielzeug in immer gleicher, oft zweckentfremdeter Art und Weise. Sie entwickeln Stereotypien: z.B. Drehen und Kreiseln von Rädern u.a., Wedeln mit Fäden oder Papier.

Diese sind allerdings in ihrer Zusammensetzung und ihrem Ausprägungsgrad von Kind zu Kind unterschiedlich. Autistische Kinder haben häufig vom Säuglingsalter an Probleme beim Essen und Schlafen und entwickeln selbststimulierende Verhaltensweisen, die bis zur Selbstverletzung reichen können. Sie bestehen zwanghaft auf ganz bestimmte Ordnungen oder können ihre Eltern zur Verzweiflung bringen durch exzessives Sammeln bestimmter Gegenstände, durch ihre Weigerung, bestimmte Kleidung zu tragen oder Wiederholung immer derselben Verhaltensweisen. Eine mögliche Erklärung sehen Mediziner in dem Versuch, damit Aufmerksamkeit zu erzwingen und auf diese Weise mit der Außenwelt zu kommunizieren.

Im weiteren sind bei autistischen Kindern oft "Intelligenzdefizite" beobachtbar, die unabhängig von den autistischen Verhaltensstörungen zu sein scheinen. Das bedeutet, dass neben der autismusspezifischen Behinderung häufig auch eine geistige Behinderung besteht. Unabhängig vom Intelligenzniveau findet man bei autistischen Kindern die so genannten autismusspezifischen Störungen der Sprach- und Sozialentwicklung. Diese Störungsanteile werden wiederum auf die tief greifende Entwicklungsstörung zurückgeführt, bei der es sich um eine schwere qualitative Abweichung vom normalen Entwicklungsverlauf handelt, die in keinem Entwicklungsstadium normal ist. Das eigentliche Merkmal der autistischen Störungen ist die qualitative Verformung der Entwicklung, die sowohl das Sozialverhalten, die verbale und nonverbale Kommunikation als auch das vorstellungsmäßige Denken betrifft. Die entwicklungspsychologische Sichtweise ermöglicht es, das gestörte Verhalten autistischer Kinder als Ausdruck der Entwicklungsveränderung zu erklären, aufgrund derer die eingeschränkten und stereotypen Verhaltensweisen als qualitativ anders und nicht bloß als "sinnlos" betrachtet werden.

Häufigkeit von Autismus

Weltweit gesehen sind von 10 000 Kindern ungefähr 4 bis 5 autistisch. Von der Störung sind Buben 4 mal häufiger betroffen als Mädchen, wobei zu bemerken ist, das frühkindlicher Autismus in Familien aller Rassen und sozialer Schichten auftritt.

Gründe für Autismus

Autismus zählt neben Schizophrenie und manischer Depression zu den nur wenig verstandenen neuronalen Erkrankungen. Deshalb gibt es trotz umfangreicher Forschungsergebnisse bislang noch kein Erklärungsmodell, das vollständig und schlüssig die Entstehungsursachen des Frühkindlichen Autismus belegen kann. Ätiologieforschung umfaßt den psychogenen Verursachungsbereich den genetischen Bereich und den neurobiologischen und neuropathologischen Bereich. In den 80er Jahren wurde festgestellt, dass bei einem autistischen Elternteil rund 50 Prozent der Kinder ebenfalls von der Krankheit betroffen sind.

Neuesten Forschungsergebnissen aus den USA zufolge, spielt der Hirnbotenstoff Serotonin eine wesentliche Rolle beim Ausbruch des Autismus. Es wurde ein bestimmtes Gen entdeckt (das sogenannte Serotonin-Transportprotein-Gen HTT), das die Transporteiweiße für den Hirnbotenstoff Serotonin kodiert, und verstärkt bei Autisten vorkommt.

Der Symptomkomplex Autismus

Bei dem Begriff Autismus kann man zwischen vier Formen des Autismus unterscheiden, die die Entwicklung der Autismusforschung bis in die 70er Jahre deutlich wiedergeben. Dabei wird anhand der Bezeichnungen der einzelnen Symptomgruppen deutlich, dass hier eine Ordnung nach den Ursachen geschieht.

Im Folgenden werden die einzelnen Symptomgruppen zusammengefaßt:

1.) psychogener Autismus

•Störungen der Kommunikationsfähigkeit

•emotionale Indifferenz

•fehlende Initiative und mangelnde Intuition als Begleit- und Folgeerscheinungen langanhaltender emotionaler Frustrationen

•unbeteiligtes, passives Verhalten der Kinder

•retardierte statomotorische und sprachliche Entwicklung

•geringe emotionale Beziehungsfähigkeit

•starke Zärtlichkeitsbedürfnisse

2.) Das Asperger-Syndrom (Autistische Psychopathie)

Definition: "Form des Autismus, die sich meist im Schulalter mit schwerer Kontaktstörung manifestiert."

Das Asperger-Syndrom wird von mehreren Faktoren bestimmt.

emotionale Faktoren:

•emotionale Hemmung, d.h. Tendenz zur Abkapselung und Selbstisolierung als zentrales Symptom

•Kinder wirken ernst, egoistisch, extrem introvertiert und vorzeitig gereift

physiognomische Faktoren

•scharf gezogene Gesichtszüge

•prinzenhaft, frühreif, gespannt und problemgeladen

•leerer unbestimmter Blick, der sich nicht durch optische und akustische Reize fixieren lässt

sprachliche Faktoren

•oft eintönig leiernde Sprachmelodie

•aber auch überspitzt betonte, theatralische Sprechweise möglich

•auffallende sprachschöpferische Fähigkeiten

•Sprachentwicklung setzt oft auffallend früh, wesentlich früher als das Gehen ein, und erreicht rasch einen hohen Vollkommenheitsgrad

Motorische Faktoren

•motorisch oft auffallend ungeschickt

•unvollkommen entwickeltes Körperschema

•eindeutig negative Einstellung zur Körpersphäre

•relativ spätes Erlernen altersadäquater Kulturtechniken

Kognitive Faktoren

•meist durchschnittlich, gelegentlich überdurchschnittlich selten unterdurchschnittlich Intelligent

•oft Vorlieben für bestimmte Kenntnis- und Wissensbereiche, die das Allgemeinwissen deutlich dominieren.

Spielverhalten

•stereotype Gewohnheitshandlungen stehen deutlich vor komplexen Spielen

•oftmals erhalten bedeutungslose, allenfalls vorübergehend genutzte Gegenstände eine überwertige Bedeutung.

3.) Das Kanner-Syndrom (Frühkindlicher Autismus)

Definition: "Form des Autismus, die sich meist vor dem 3. Lebensjahr unter anderem mit Entwicklungsrückstand, Stereotypien, Kontaktstörungen u. verzögerter Sprachentwicklung manifestiert, und eventuell mit einem Intelligenzdefekt einhergeht"

Der frühkindliche Autismus ist ein relativ seltenes Krankheitsbild, das in den USA von Kanner in 10 Jahren unter zahlreichen ihm vorgestellten Kindern nur 150mal festgestellt wurde.

Kardinalsymptome

•extreme Abkapselung aus der menschlichen Umwelt

•ein ängstlich zwanghaftes Bedürfnis nach Gleicherhaltung der dinglichen Umwelt (Veränderungsangst)

(Diese beiden Symptome sind immer vorhanden, wenn frühkindlicher Autismus vorliegt. )

Sekundärsymptome

•Störung der Intelligenzentwicklung (ist oft nur eine Folge der autistischen Primärsymptomatik, ähnlich kognitiver Behinderungen infolge von Taubheit.)

•Störung der Sprachentwicklung zum Beispiel: Echolalie (wird bei zwei Drittel der betroffenen Kinder festgestellt.)

•bei den sprechenden Kindern werden oft erstaunliche Gedächtnisleistungen festgestellt, die jedoch meist unwichtige Interessengebiete betreffen.

•Bei der Sprache werden häufig Neologismen, verbale Iterationen, agrammatische Satzbildungen und Echolalien beobachtet.

•D. Weber wies auf bestimmte motorische Auffälligkeiten hin, die sich auch bei blinden Kindern recht häufig zeigen. (Augenbohren, Hand - Finger Mechanismen, mimische Auffälligkeiten)

4.) somatogener Autismus

Der somatogene Autismus weist keine syndromspezifische Symptomatik auf, er ist vielmehr abhängig vom Nachweis neuropathologischer Befunde.

Hier steht nicht die Ausklammerung der Umgebung im Vordergrund, sondern ein Verharren in der Kontaktschwäche, das durch die Isolierung von der Umwelt verstärkt wird.

Der somatogene Autismus ist kausal abhängig von anderen hirnorganischen Störungen.

Autismustherapie

So multikausal wie sich das Syndrom darstellt, so multifaktoriell an der Problematik des einzelnen Kindes ausgerichtet müssen die pädagogischen und therapeutischen Ansätze sein.

Bevor man sich mit dem Wie einer Therapie befaßt, und diese anzuwenden versucht, sollte man sich darüber im klaren sein, welche Ziele mit dieser Therapie erreicht werden sollen. Zur praktischen Durchführung einer Therapie ist es nötig Teilziele zu definieren, da dies eine bessere Überprüfbarkeit der therapeutischen Arbeit ermöglicht. Diese sollten aber möglichst nicht vom einzelnen Therapeuten, sondern von der Gruppe der mit dem einzelnen Kind beschäftigten Bezugspersonen, einschließlich Eltern, Heimbetreuer etc. definiert werden.

Verschiedene Behandlungsansätze

Abhängig von den verschiedenen Theorien der Ursachen des Autismus existieren verschiedene Ansätze zur Therapie desselben.

1. Tiefenpsychologische Ansätze

Die wohl ältesten Ansätze basieren auf einer tiefenpsychologischen Sichtweise des Phänomens Autismus.

2. Verhaltensorientierte Autismustherapie

Die Verhaltensorientierte Autismustherapie nach Ivar Lovaas geht von drei Grundannahmen aus:

1.Autismus ist keine Beziehungsstörung, sondern eine Störung der Perzeption (Wahrnehmung) und Kognition.

2.Man muss die Ursachen des Autismus nicht kennen, um die Störung behandeln zu können. Behandlungserfolg besteht im Aufbau wünschenswerten und im Abbau störenden Verhaltens.

3.Auch Nichtfachleute können die Prinzipien der Belohnung und Bestrafung erlernen und anwenden. Die Wirksamkeit der Behandlung ist meßbar.

Die isolierte Anwendung lerntheoretischer Erkenntnisse kann Aggressionen fördern, weil hier die Gefahr einer unangemessenen Förderung unauffälligen Verhaltens besteht. Schließlich wird das obengenannte wünschenswerte Verhalten nicht vom betroffenen autistischen Menschen, sondern von seinem Therapeuten bestimmt.

3. Führen

Félicie Affolter geht bei ihrem Förderansatz des Führens, der sich an alle wahrnehmungsgestörten Kinder richtet von folgenden Voraussetzungen aus:

1.Verhaltensänderung und Lernen sind auf Spürinformationen (taktile Reize) angewiesen und erfolgen in Stufen.

2.Ohne therapeutische Unterstützung erhalten wahrnehmungsgestörte (also auch autistische) Kinder nur ungenügende Spürinformationen.

3.Gespürte Informationsvermittlung kann über das Führen verschiedener Teile des Körpers - auch bei Schwerstgeschädigten - erfolgen.

Beim Führen soll im Rahmen "problemlösender Alltagsgeschehnisse" den Kindern durch das Führen meist der Hände das Erreichen bestimmter gewünschter Wirkungen ermöglicht werden. Die Kinder sollten in allen möglichen täglichen Situationen geführt werden. Dies macht das Familienleben nicht unbedingt leichter.

4. Differentielle Beziehungstherapie

Bei der Differentiellen Beziehungstherapie versucht der Therapeut in den ersten Wochen sich gegenstandstypische Eindeutigkeitseigenschaften anzueignen. Er bringt sich als "Objekt" in stereotype Verhaltensmuster des autistischen Kindes ein.

Später soll dann der Therapeut immer mehr aus der Rolle des Objekts in die eines Subjekts wechseln, um so dem Kind die Möglichkeit zu geben, ein seinen Fähigkeiten entsprechendes Maß an sozialen Kompetenzen zu erwerben.

Janetzke hebt hierbei hervor, dass mit dieser Methode bei Kindern recht gute Erfahrungen gemacht wurden, die Erfolgsaussichten für Jugendliche und Erwachsene eher gering sind.

5. Sensorische Integrationstherapie

Bei der sensorischen Integrationstherapie handelt es sich nicht um ein spezielles, auf Autismus konzentriertes Konzept. A. Jean Ayres, entwickelte ihr Konzept für alle Kinder mit Lernschwierigkeiten.

Sie selbst zweifelt daran, ob ihr Ansatz autistischen Kindern wesentlich helfen kann.

Es wird hierbei davon ausgegangen, dass Autismus zum Teil Folge einer gestörten Wahrnehmungsverarbeitung ist. Auf das Kind einströmende Reize können nicht entsprechend differenziert und verarbeitet werden - Verschiedene Reize erreichen erst gar nicht das Gehirn.

Es soll nun versucht werden, für das Kind Reize zu schaffen, die es erreichen, andere Reize sollen vermindert oder ganz erspart werden.

Besonders interessant scheint die sensorische Integrationstherapie im Zusammenhang mit schwerstmehrfachbehinderten Kindern mit autistischen Zügen.

6. Andere Therapiekonzepte

Der Markt an verschiedenen Konzepten der Autismustherapie ist wahrscheinlich noch größer, als die Anzahl der verschiedenen Theorien zur Begründung des Symptoms. Dabei ist es für betroffene Eltern oft nicht leicht zwischen erfolgversprechenden Ansätzen und weniger aussichtsreichen, manchmal sogar betrügerischen Ansätzen zu unterscheiden.

Einige weitere praktizierte Therapien seinen im folgenden kurz erwähnt. Ihr Hintenanstehen nach den obengenannten Ansätzen bedeutet keine Wertung, eine genaue Erklärung aller Ansätze würde den Rahmen diese Arbeit jedoch bei weitem sprengen.

Kommunikationsorientierte Ansätze:

•Gebärdensprachtherapie Vera Bernhard-Opitz: Schaffung v. Kommunikationsmöglichkeiten - Aggressionsabbau

•Tanztherapie Janet Adler / Beth Kalish-Weiss / Elaine Siegel: Tanz als Mittel zur Kommunikation

•Musiktherapie Rolando O. Benenzon: Durch Reize aus Pränatalzeit die "gläserne Hülle" durchdringen

•Therapeutisches Reiten Max Reichenbach / H.E. Kaeser: körperliche Auswirkungen des Sports & Angstminderung

•Clowntherapie Howard Buten: (Clown "Buffo") Angstminderung und Schaffung von Kontakten zur belebten Umwelt Tiertherapie

Des weiteren existieren noch hörwahrnehmungsorientierte und biochemisch-körperorientierte Ansätze. Ersteren ist das Audiovokale Training Alfred A. Tomatis und die Kompensatorische Gehörschulung Guy Bèrards zuzuordnen.

Zu den biochemischen Therapieansätzen zählen einerseits Diäten, welche im amerikanischen Raum zur Zeit boomen, und Vitamin- und Mineralstofftherapien. Aber es existieren auch Versuche dem Problem des Autismus medikamentös zu begegnen.

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