Tschaikowsky

"...Sie sehen, meine liebe Freundin, dass ich ganz aus Widersprüchen bestehe und dass mein unruhiger Geist, trotz meines überreifen Alters, weder in der Religion noch in der Philosophie Beruhigung gefunden hat. Verrückt müsste man werden, wenn es keine Musik gäbe ..."

(Tschaikowsky an Nadjeschda, 5. Dezember 1877).

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS 2

QUELLVERZEICHNIS 2

SEIN LEBEN 3

NADJESCHDA VON MECK 7

SEINE WERKE 9

KLAVIERKONZERT NR. 1 9

NUSSKNACKER-SUITE 10

SCHWANENSEE 11

DIE 1812 OUVERTüRE 11

FüNFTE SYMPHONIE 12

EUGEN ONEGIN 14

TSCHAIKOWSKYS WERKE 18

Quellverzeichnis

1. Nina Berberova: Tschaikowsky, ISBN 3-499-13044-0

2. Kurt Pahlen: Tschaikowsky ein Lebensbild, Hans E. Günther Verlag Stuttgart, 1. Auflage / August 1959

Sein Leben

Peter Iljitsch Tschaikowsky wird am 25. April 1840 in Wotkinsk/Russland als Sohn von Ilja Petrowitsch, einem Unternehmer und Leiter von Eisenhütten und seiner Frau Alexandra geboren. Tschaikowsky besitzt schon von seiner Kindheit an eine rasche Auffassungsgabe; er wird schon mit 4 Jahren (auf seinen eigenen Wunsch) zum Französischunterricht bei seiner Gouvernante Fanny zugelassen. Sie ist auch die erste, die seine starke Fantasie bemerkt und fördert - er lässt sich fortan über patriotische und Religiose Themen in Vers und Prosa aus. Die erste Musik, die ihn prägt kommt von einem mechanischen Klavier, dass sein Vater aus Petersburg mitbringt - der noch nicht einmal fünf Jahre alte Peter ist begeistert. Als seine Mutter ihn zum ersten Mal auf einem Klavier Tonleiter spielen lässt, kann er schon ein Stück, dass er gehört hatte, nachspielen. Die Familie ist erstaunt über das Talent, das Peter beweisst. Daher entschließt sich der Vater, Maria Markowna einzustellen, die seinem Sohn Klavierunterricht gibt. Doch Peter spielt bald besser als seine Klavierlehrerin vom Blatt. Eines Abends spielt der 6 jährige Peter einem polnischen Offizier ein Werk von Chopin vor, dass er ein halbes Jahr vorher von ihm bei einem Mitternachtsessen gehört hatte. Dieser ist so begeistert, dass er ihn hoch in die Luft hebt, und seinen kleinen Kopf küsste. Von diesem Tag an bewahrt Fanny seine alten Hefte und Entwürfe sorgfältig auf, da sie ahnt, dass er eines Tages vielleicht berühmt werden könne. Sie nimmt sie mit, als sie die Familie velaesst, die, nachdem Ilja Petrowitsch in den Ruhestand gegangen ist, im November 1848 nach Petersburg umzieht. Das Leben in Petersburg ist für Tschaikowsky viel Härter als in Wotkinsk, da er in die Vorbereitungsklasse zum Gymnasium geht und Unterricht bei einem richtigen Lehrer hat, der ihn stark anstrengt. Allerdings ist er von der Oper in Petersburg stark beeindruckt, die er an Weihnachten mit seinen Eltern zusammen besuchen darf. Anfang 1849 zieht die Familie erneut um, nach Alapajewsk, einem kleinen Ort im Ural. Dort komponiert er heimlich, anstatt sich dem Unterricht zu widmen. Im August 1849 wird Peter auf ein Gymnasium nach Petersburg geschickt, er lebt dort bei einem Freund der Familie, Platon Wakar. Seine Mutter bleibt noch 3 Monate bei ihm und reist dann nach Alpajewsk ab. Er ist ein guter Schüler und spricht nie von Musik, sondern spielt nur manchmal für seine Mitschüler auf dem Klavier. Im Mai 1852 siedelt Ilja Petrowitsch mit seiner ganzen Familie nach Petersburg über. Peter ist darüber sehr glücklich, da er nun wieder bei seiner Familie sein kann, und seine Mutter wiedersehen kann, die er sehr vermisst hatte. Doch Frau Tschaikowsky erkrankt 1854 an Cholera und stirbt bald danach daran. Peter und sein älterer Bruder Nikolaj gehen weiterhin zur Schule, sein Vater zieht mit den 4jährigen Zwillingen zu seinem Bruder Pjotr Petrowitsch Tschaikowsky und seine 2 restlichen Geschwister Sascha und Hyppolit werden auf ein Internat geschickt. Er unterdrückt seine Sehnsucht nach der Musik. Dennoch muss er im Gymnasium am Gesangs- und Musikunterricht teilnehmen. Da er Klavierunterricht in der Schule ohne Nutzen ist, beschließt sein Vater 1855, einen eigenen Klavierlehrer für seinen Sohn zu engagieren. Er findet ihn in Rudolf Kündiger, der befindet, dass Tschaikowskys Talent ein wenig über dem Durchschnitt Liege. Kündiger unterrichtet ihn jeden Sonntagmorgen, dann isst er dort zu Mittag, am Nachmittag begleitet er Tschaikowsky ins Konzert und am Abend darf Peter seine musikalischen Kunststücke aufführen. Leider muss Tschaikowsky sich jedoch bald von ihm trennen, da eine finanzielle Katastrophe über die Familie hereinbricht, und man sich daher den Klavierunterricht nicht mehr leisten kann. Die Familie zieht in eine Wohnung, nachdem Sascha, Peters ältere Schwester aus der Klosterschule zurückkommt und die Rolle der Hausfrau übernimmt. Sein Vater verliert im Frühjahr 1858 bei einer unsicheren Spekulation sein ganzes Vermögen und muss trotz seines hohen alter eine Stellung annehmen. Da er in einer Dienstwohnung lebt, können Sascha, Nikolaj und Peter ihr Leben in "ihrer" Wohnung jetzt selbst bestimmen. Tschaikowsky velaesst im Mai 1858 die Rechtsschule uns bekommt eine Anstellung im Justizministerium. Doch er tut einfach seine Arbeit uninteressiert und freut sich auf die Abende mit seinen Freunden. Doch diese Abende sind schnell vorbei, denn als Sascha 1861 heiratet, gibt es immer weniger Treffen mit ihr und ihren Freunden. Tschaikowsky beginnt, sich um seine 10jährigen Geschwister zu kümmern, da sein Vater mit seiner Arbeit ausgelastet ist und sich fast gar nicht um sie kümmert. Nachdem sein Vater ihn fragt, ob er nicht eine musikalische Ausbildung machen wollte, besucht er eine Musikschule, die von Anton Rubinstein geleitet wird. Doch Professor Zaremba, sein Lehrer, kann ihn die Musik nicht näherbringen. Dennoch verstärken seine ersten Kompositionen seine Hoffnung darauf, ein erfolgreicher Komponist zu werden. Nach einiger Zeit gibt er seine Stellung im Justizministerium ganz auf, und widmet sich nur noch der Musik. Um sich etwas Geld zu sichern, gibt er für 50 Rubel im Monat Unterricht. Tschaikowsky ist jetzt endlich ein Musiker - er schreibt 2 Kompositionen pro Woche. Sein erster Erfolg ist das Orchesterwerk "Tanz der Mägde", dass in Kiew aufgeführt wird. Trotzdem ist er wegen der Strenge Rubinsteins und der harten Komponierarbeit niedergeschlagen. Dennoch wird er von Anton Rubinstein als Professor für die von seinem Bruder Nikolaj Grigorewitsch neu gegründeter Musikschule in Moskau vorgeschlagen. Am 5. Januar 1866 bricht er dorthin auf. Als er dort ankommt, trifft er mit Nikolaj Grigorewitsch zusammen, den er gleich sehr sympathisch findet. Er lebt mit ihm in einer Wohnung, doch nur weil er nicht genug Geld hat, sich eine eigene zu leisten. In seinem ersten Moskauer Jahr arbeitet er ungeheuer viel, er komponiert zum Beispiel die Ouvertüre in c-Moll und die Ouvertüre in f-Dur, die aber beide keinen großen Erfolg haben (die erste wird sogar von Nikolaj Grigorewitsch abgelehnt). Dann schreibt er unter großer Anstrengung seine I. Symphonie. Im Sommer fährt er nach Petersburg in die Ferien, um sich um seine Brüder zu kümmern, die mittlerweile 16 Jahre sind. Zurück in Moskau schreibt er seine erste Oper "Der Woiwode" (der Traum an der Wolga), die in Moskau als "nicht schlecht" bewertet wird. Tschaikowsky verliebt sich in Disirie Artt, die Primadonna der italienischen Oper. Sie hat Ähnlichkeit mit ihm - sie ist nicht schön, dafür aber intelligent und begabt, eine große Künstlerin. Doch Tschaikowskys Freunde und ihre Mutter verhindern eine Heirat, und Disirie heiratet einen berühmten Bariton Namens Padilla. Seine Oper wird nur fünfmal aufgeführt, und dann für immer vom Spielplan abgesetzt. Trotz des Misserfolges komponiert Tschaikowsky die Oper "Romeo und Julia", die ihm seinen ersten richtigen Ruhm einbringt. In Moskau und Petersburg wird sein Stück triumphal aufgenommen, und er wird zum ersten Mal im Ausland gespielt. Im Sommer 1870 wird Romeo und Julia von einem großen Berliner Verleger erworben. Er komponiert unaufhörlich und gibt 1871 sein erstes Konzert, das seinen eigenen Werken gewidmet ist. Als Professor verdient er jetzt zweitausend Rubel im Jahr, seine Konzerte bringen ihm ungefähr fünfhundert und die Kritiken, die er für die Russischen Nachrichten schreibt, noch einmal einige hundert Rubel. Das ist genug, um sich - endlich - eine eigene Wohnung zu leisten. In seiner neuen Dreizimmerwohnung hat er mehr Ruhe, und kann nach zwei Jahren harter Arbeit endlich seine zweite Oper, "Der Opritschnik", vollenden. Er schickt eine Abschrift nach Petersburg, wo ein neuer Dirigent des Marinski-Theaters, Naprawnik, von sich reden macht. Die Sommermonate verbringt er mit einem seiner Schüler, Wolodja Schilowsky. Als er von seinen Reisen mit Wolodja zurückkehrt, hat er immer noch keine Antwort aus Petersburg. Er fährt eine Woche vor Weihnachten nach Moskau, um Naprawnik persönlich zu treffen. Er bringt sein Werk, die II. Symphonie, mit. Naprawnik empfängt ihn freundlich und teilt ihm mit, dass "Der Opritschnik" angenommen sei, es aber noch unsicher wäre, wann und mit welcher Besetzung er aufgeführt werde. Tschaikowsky besucht seinen Vater und seine Brüder. Rimski-Korsakow veranstaltet ihm zu Ehren einen abend, bei dem Tschaikowsky die II. Symphonie seinen alten Petersburger Freunden und Kollegen vorspielt. Alle bis auf Mussorgsky sind begeistert, besonders über das Finale, für die er ein Thema des Volksliedes der "Kranich" heranzieht. Nachdem er nach Moskau zurückgekehrt ist, komponiert er immer mehr - aus dem Unterricht gebenden Musiker von damals ist ein berühmter Komponist geworden. Von 1875 nimmt sich Nikolaj Rubinstein seinen Werken besonders an, er dirigiert sie und lässt sie aufführen, sooft er kann. Für den Petersburger Opernwettbewerb schreibt Tschaikowsky "Wakula der Schmied", eine Oper, mit der er sehr zufrieden ist. Im Winter 1875 trifft er mit Sergej Tanejew zusammen, einem sehr guten Musiker, der Tschaikowsky und seine Musik bewundert. Tschaikowsky findet in ihm endlich wieder einen Freund, nachdem er nach seinem Streit mit Rubinstein so gut wie alle verloren hatte. Tschaikowsky widmet ihm die Oper "Francesca da Rimini" - die Idee zu dieser Oper war ihm im Zug zur Premiere der "Bayreuther Festspiele" gekommen, die er als Rezensent der Russischen Nachrichten besucht. Für ihn ist diese Musik außergewöhnlich, aber sie gefällt ihm nicht. Es fällt ihm schwer, einen Bericht für die Russischen Nachrichten zu schreiben. Es gibt dennoch angenehme Momente für ihn in Bayreuth - Liszt bezeugt ihm seine Bewunderung, die deutschen Musiker kennen und schätzen ihn. Seine Stimmung ist trotzdem auf einem Tiefpunkt angelangt - im Herbst schreibt er seinem Bruder Modest, dass er alles tun will, um irgend jemand zu heiraten, allerdings nur um "durch eine Heirat eine offizielle Verbindung zu einer Frau das ganze Pack zum Schweigen zu bringen, das ich zwar verachte, das aber den Menschen, die mir nahestehen, Kummer bereiten kann". Daraufhin beginnt er einen Briefwechsel mit der Witwe Nadesha von Meck, die eine große Bewunderin seiner Musik ist. Sie unterstützt ihn, in dem sie z.B. seine Transkriptionen auf ihre Kosten drucken lässt. Sie schreibt aber, dass sie keine Begegnung mit ihm will, da dies nur Anlass zu Gerede wäre. Fr. von Meck leiht ihm 3000 Rubel, damit er seine Schulden bezahlen kann, nachdem er ihr - seiner "besten Freundin" seine IV. Symphonie widmet. Nachdem er die Arbeit an dieser beendet hat, sucht er ein Thema für eine neue Oper - er nimmt den Vorschlag der Sängerin Lawrowskaja - Puschkins Eugen Onegin - an. Am 6 Juni heiratet er die 28jährige Antonina Iwanowna, obwohl er ihr gegenüber betont, dass er sie nicht liebt und nie lieben werde. Sein Vater freut sich sehr über die Hochzeit. Er verbringt den Sommer in Kamenka während sie in Moskau zurückbleibt. Dort beendet er seine IV. Symphonie. Das Leben in Moskau mit seiner Ehefrau ist allerdings nichts für ihn - er begeht sogar einen Selbstmordversuch, indem er sich absichtlich eine Lungenentzündung zuzieht. Es gelingt ihm jedoch nicht, sich umzubringen, und er fährt an den Genfer See, um sich ØM_. Er verlässt seine Frau. Nadesha von Meck unterstützt ihn finanziell - mit 1500 Rubel pro Monat, wünscht aber dennoch, dass er die Verbindung zu ihr geheimhalte. Antonina droht ihm damit, alles über ihn zu verbreiten, wenn er ihr kein Geld gibt. Tschaikowsky willigt gezwungenermaßen ein. Er arbeitet weiter an seiner neuen Oper "Eugen Onegin" und pflegt weiterhin seinen Briefwechsel mit Nadesha von Meck, mit der er sich über musikalische Themen unterhält. Nikolaj Rubinstein ernennt ihn zum gesandten für die Weltausstellung in Paris, doch Tschaikowsky lehnt ab, da er menschenscheu geworden ist. Er beendet seine Arbeit an "Eugen Onegin". Im Herbst kehrt er nach Moskau zurück. Im September 1878 besichtigt er zum ersten Mal das Haus von Frau von Meck. Seine Werke sind auch bei der Weltausstellung in Paris ein großer Erfolg. Tschaikowsky verlässt Moskau und zieht nach Florenz in die Nähe von Frau Meck. Dort arbeitet er an einer weiteren Oper :"Die Jungfrau von Orleans". Kurz vor Weihnachten reist er nach Paris ab. Er arbeitet sehr hart an "Die Jungfrau von Orleans". Sein "Eugen Onegin" wird das erste Mal am 17. März 1789 aufgeführt, doch die Kritiker sind nicht begeistert von dieser Oper, aber für Tschaikowsky ist das Urteil der Kritiker nicht mehr so bedeutend wie früher. Anfang August zieht er für einige Zeit auf einen kleinen Hof in der Nähe von Brailow, der Frau von Meck gehört. 1880 wird "Die Jungfrau von Orleans" uraufgeführt, das Publikum ist begeistert. Am 12. März stirbt Nikolaj Grigorewitsch, sein langjähriger Mentor und Freund. Der Tod Nikolaj Grigorewitschs nimmt ihn sehr mit. Tschaikowsky lebt jetzt ein Leben als Reisender, er reist zweimal im Jahr durch Europa. Er macht Schulden, um seine Rechnungen zu bezahlen und muss sogar andere Mäzene suchen, da das Geld von Frau von Meck immer schnell ausgegeben ist. Später mietet er sich jedoch ein eigenes Haus in der Nähe von Klin, da er nicht mehr immer nur durch Europa reisen, sondern sesshaft werden will. Dort arbeitet er an seiner neuen Oper "Die Zauberin" und an "Tscherewitschki". Die Premiere von "Tscherewitschki" findet am 19. Januar 1886 statt. Die Besonderheit dieser Premiere besteht darin, dass Tschaikowsky sich bereit erklärt hatte, die Aufführung selbst zu dirigieren. Trotz seiner Angst vor Misserfolg wird die Aufführung ein großer Erfolg, das Publikum bejubelt ihn. Aber es war nicht jede seiner Opern so großer Erfolg - "Die Zauberin" ist ein Reinfall wie keine seiner Opern zuvor. Gesundheitlich geht es ihm nicht so gut, e bekommt manchmal Asthmaanfälle, sorgt sich über das Alter und macht sogar sein Testament: Er vermacht sein gesamtes Vermögen seinem Neffen Bob, den er sehr vergöttert. Zu Beginn des Jahres 1888 reist Tschaikowsky ins Ausland, um sich zu erholen. Er beschließt, eine Konzerttournee durch das Ausland zu machen. Auf seiner Reise lernt er viele ausländische Kollegen kennen, unter anderem auch Brahms, Richard Straus und Dvorák. Nachdem er wieder zurückgekommen ist, komponiert er seine V. Symphonie und "Dornröschen", ein Ballett im Auftrag des Zaren. Tschaikowsky reist nach Italien, wo er die Oper "Piqué-Dame" komponiert. Diese Oper wird ein riesiger Erfolg. "Nussknacker" und "Yolanthe" werden in Auftrag gegeben, er schreibt die Ausführung jedoch um ein Jahr heraus, da er nach Amerika fährt, wo man ihm riesige Summen bietet. Er ist sehr beeindruckt von Amerika, da dort so vieles ganz anders als in Europa ist. Als er zurück nach Russland kommt, bricht Frau von Meck mit ihm, angeblich wegen ihrer finanziellen Lage, aber wohl eher, da sie die Wahrheit über ihn erfahren hatte, und denkt, dass Tschaikowsky sie nur ausnutzt. Er komponiert den "Nussknacker" zuende. Danach reist er nach Cambridge, wo ihm die Ehrendoktorwürde verliehen wird. Im Februar 1893 beginnt er mit der Arbeit an seiner Programmsymphonie (Nr. 6). Am 9. Oktober reist er nach Petersburg und führt seine VI. Symphonie dort am 16. Oktober auf. Die Symphonie hat aber nicht die von Tschaikowsky erhoffte Wirkung auf das Publikum. Zurück in Petersburg trinkt er bei einem Essen nicht abgekochtes Wasser und erkrankt daraufhin an der Cholera, an der er am 25. Oktober 1893 stirbt. Jedoch sind seine Todesumstände nicht genau dokumentiert, es gibt auch einige Biografien, die behaupten, dass er Selbstmord begangen habe.

Nadjeschda von Meck

"Mein Gott! Was für wunderbare gütige Seelen doch auf Erden leben! Begegnet man auf dem dornigen Pfade des Lebens solchen Menschen wie Ihnen so erkennt man dass die Menschheit nicht so herzlos und selbstsüchtig ist wie die Schwarzseher es darzustellen pflegen. Es gibt auch wundervolle Ausnahmen. Diese erscheinen dann im wahrsten Sinne als voll der Wunder. Wenn auf eine Million Menschen ein Einziger kommt, der so ist wie Sie, so genügt auch das schon, um an der Menschheit nicht zu verzweifeln..."

(Brief Tschaikowskys an Nadjeschda, Sommer 1877).

Als Tschaikowsky sie zum ersten mal schrieb, war sie 45. Damals fühlte eine Frau dieses Alters sich rettungslos alt. Es begann der "Lebensabend". Ein Bild Nadjeschdas, das wir besitzen, zeigt eine immer noch interessante Frau. Langes schwarzes Haar, dunkle Augen. Ein Ausdruck zwischen Strenge und Schüchternheit. Der Blick ein wenig träumerisch, aber so, als wolle er das Träumen nicht eingestehen. Überraschend wirkt die Natürlichkeit des Bildes aus einer Zeit, in der man sich nur in feierlichen Posen zu porträtieren oder fotografieren pflegte. Nadjeschdas Brief, den wir wiedergaben, enthüllt seltsame Seiten ihres Wesens. Wüßten wir nicht, um wen es sich handelt, so müssten wir an ein junges Mädchen denken, unsicher und voll von Komplexen, die man zu Tschaikowskys Zeiten noch nicht erfunden hatte. Welche Angst davor, lächerlich zu erscheinen! Welche Bescheidenheit gegenüber einem noch recht unbekannten Komponisten! Welche Furcht, eine eigene Meinung auszusprechen!

Die einzige Erklärung dafür liegt darin, dass Nadjeschda diesen Brief in einer heftigen Gemütsbewegung schrieb. Ohne Gefahr zu laufen, uns zu irren müssen wir diese Gemütsbewegung als beginnende Liehe bezeichnen. Es war, wie aus der späteren Geschichte klar werden wird, ihre erste richtige Liehe. Und deren Symptome sind die gleichen, oh sie hei einer Achtzehn- oder einer Fünf und vierzig] ährigen auftreten...

Wir haben uns vorgenommen, in diesem Buch getreulich Geschichte zu schreiben, nicht Roman, so sehr das Thema auch dazu verlockt. Für jede unserer Behauptungen wollen wir stets die eigenen Worte der Beteiligten heranziehen. Hat ein Frau geliebt, die folgende Worte schreiben kann: "Die Ehe ist eine zwar notwendige aber scheußliche Einrichtung. Schade, dass man Menschen nicht künstlich züchten kann wie Fische etwa! Dann brauchten sie sich nicht zu verheiraten und das wäre ein großer Trost..."? Der Mann, dem sie das anvertraut, ist völlig einverstanden. Aber Tschaikowskys Porträt wollen wir erst später zeichnen. Vervollständigen wir das Nadjeschdas. Sie war aristokratischer Herkunft, sowohl väterlicher - wie mütterlicherseits. Mit 17 Jahren heiratete sie den baltischen Edel mann deutscher Abstammung Karl Georg Otto von Meck. Es begann ein Zeit harten Kampfes. Denn Meck war zwar ein brillanter Ingenieur, aber ein lebensuntüchtiger Mensch. Mit geradezu prophetischem Blick sah er die Aera der Eisenbahn voraus; seine Phantasie zeigte ihm Rußland durchzogen von endlosen Schienensträngen. Aber erst seine Frau musste ihm klarmachen, dass er selbst zur Verwirklichung dieses Gedankens berufen war. Nadjeschda ließ ihn auf seinen kleinen Posten verzichten, um sich größeren Aufgaben widmen zu können. Das bedeutete Ungewißheit, oftmals sogar Not. Frau Nadjeschda übernahm das Kommando. Mit einem täglichen Budget von 20 Kopeken führte sie das mehr als bescheidene Haus; sie regte die Arbeiten ihres Mannes an und ließ ihn seine Pläne zum Bau von Eisenbahnlinien wichtigen Leuten vorlegen. Sie selbst verhandelte, brachte Finanzkonsortien zustande, überwand Schwierigkeiten, überwachte die ersten Arbeiten, als es endlich so weit war. In wenigen Jahren befanden sich die Hälfte der Eisenbahnen des weiten Rußland in Händen Mecks. Als der Gatte starb, war Nadjeschda die einzige Besitzerin eines ungeheuren Vermögens. Sie konnte sich mit Recht als Siegerin fühlen. Sie hatte das Leben gemeistert. Aus einer gänzlich unbedeutenden Position war sie, quer durch die Armut, zu einer der reichsten und mächtigsten Frauen Europas aufgestiegen. Auch als Gattin hatte sie ihre Pflicht erfüllt: jedes Jahr gebar sie ein Kind. Die ersten in der elenden Behausung der frühen Jahre, deren einziger Überfluß in Projekten bestand, die letzten in einem der luxuriösesten Paläste im besten Viertel von Moskau. Nadjeschda liebte ihre Kinder. In den Jahren nach dem Tode Mecks war sie ihnen allerdings eine Spur ferner gerückt. Kindermädchen und Erzieherinnen bevölkerten den Palast, und die Mutter ergab sich immer mehr ihrer bis dahin einzigen wahren Leidenschaft, der Musik. Das gesellschaftliche Leben stieß sie ab. Nun war es nicht mehr aus Schüchternheit, wie damals als sie ein kleines Mädchen war. Nun hatte sie die Menschen verachten gelernt, da sie sie von nahe kannte. Sie zog sich immer mehr in sich selbst zurück. Die ganze nicht geliebte Liebe, die nicht gelebte Zärtlichkeit, die unterdrückte Leidenschaft, die unerfüllten Träume, den ersehnten Rausch, alles das verlegte sie in die Musik.

Die Musikstunden im Halbdunkel des großen Saales wurden ihr wahres Leben. Sie war eine gute Pianistin, sie hatte ausgezeichnete Musiker in ihren Diensten. Nachmittage, Abende verflogen unter den Klängen von Musik. Musik wurde ihr Alles, das Reich eines Glücks, in das selbst ihre Millionen sie nicht führen konnten, die ihr sonst alles öffneten. "Ich liebe Musik leidenschaftlich. Beim Musikhören kann ich an nichts denken; es ist ein körperliches Wohlbefinden.

Sie hüllt mich nicht in Träume ein, sondern verschafft mir ein rein sinnliches Glück, so wundervoll, dass ich das Erwachen stets schmerzlich empfinde... Musik berauscht mich wie ein Glas Sherry und dies empfinde ich als den erhabensten, beglückendsten Zustand. Dieses Entströmen ins Unbekannte ist so rätselhaft, unerklärlich und zugleich so herrlich, so beseligend, dass man in diesem Zustand sterben möchte..." Nadjeschdas Leben heißt Musik. Ihr Tag ist eine einzige Erwartung der Musikstunden, ihre Reisen Wege zu neuen Konzertsälen oder Opernhäusern. Ein großer Teil ihrer Korrespondenz bezieht sich auf Musik, verbindet sie mit Musikern, Verlegern im In- und Ausland. Ihre einzigen Gäste sind Musiker und Musikliebhaber. Sie interessieren sie nur als Träger, als Mitgenießer, als Priester der Musik. Und nun ersteht, zu Ende des Jahres 1876, aus dem bläulichen Rauch des täglichen musikalischen Opfers im Hause der Witwe von Meck, am Roshdestwenskidamm in Moskau, das Bild eines Mannes. Nadjeschda, die nach ihren eigenen Worten mit 17 Jahren, bei ihrer Eheschließung, aufgehört hat, zu träumen, verfällt in den tiefsten Traum ihres Lebens. Sie erhebt die Arme zum neuen Gott, der wie ein Wunder durch die Pforte ihres Hauses eingetreten ist. Und der neue Gott, - mit seinem irdischen Namen Peter Iljitsch Tschaikowsky genannt - bleibt, wie jeder echte Gott, fern, unsichtbar und nur in seinen Werken erkennbar...

Seine Werke

Tschaikowskys Erfolgsgeheimnis beruht mehr auf der Originalität seiner Kompositionen als auf verbindliche Musikregeln.

Klavierkonzert Nr. 1

Tschaikowsky begann die Arbeit an seinem Klavierkonzert gegen Ende des Jahres 1874. Nachdem er es fertiggestellt hatte, spielte er es seinem Mentor, dem Pianisten Nikolaj Rubinstein vor. Rubinsteins Kritik war niederschmetternd: Die Musik sei schwerfällig und plump, das Stück müsse vollkommen überarbeitet werden. Tschaikowsky verließ fluchtartig die Wohnung des Meisters und schwor, keine Note zu ändern. Statt Rubinstein widmete er das Konzert dem Pianisten Hans von Bülow.

Hans von Bülow spielte das Klavierkonzert auf einer Amerika-Tournee in Boston am 25. Oktober 1875. Die amerikanischen Kritiker hielten die Musik für "äußerst schwierig" und "fremdartig" und bezweifelten, ob das amerikanische Publikum es lernen würde, solche Musik zu lieben. Auch die Premiere in Russland im nächsten Jahr war kein erfolg. Die Kritiker irrten alle. Schon bald wurde dieser Werk auf der ganzen welt begeistert aufgenommen. Sogar Rubinstein änderte seine Meinung und spielte es während einer Konzertreide in Paris im März 1878. Es wurde zu einem umjubelten Triumph.

Tschaikowskys erster Klavierkonzert gilt als das romantische Konzert schlechthin. Diese hervorragende Aufnahme zeigt die Ausdruckskraft und Vielfalt dieser Komposition - sie reicht von explosiver Lebendigkeit bis zu zarter Empfindsamkeit.

Die kunstvoll ausgearbeitete Einführung zum ersten Satz, Allegro, ist revolutionär. Die Streichinstrumente spielen eine kraftvolle romantische Melodie, begleitet von ansteigenden Klavierakkorden, die dramatisch und eindringlich mit beiden Händen gespielt werden. nach einem kurzen Solostück setzen klavier und Orchester die Melodie fort und zeigen auf grandiose weise die Virtuosität des Solisten. Dann verklingt die Einleitungsmelodie für immer, und das Hauptthema setzt ein.

Der ausgeprägte wechsel von Tempo und Takt (von drei- auf vierviertel Takt) bewirkt einen sofortigen Stimmungswechsel: Die Erhabenheit der Einleitung weicht einem bunten Wechselspiel zwischen dem Orchester und dem Solisten.

Die Stimmung ändert sich wieder, wenn die Holzblasinstrumente und Blechbläser ein zweites Thema einführen Die Melodie ist sehr ausdrucksvoll. Sobald das Thema intoniert ist, greift das Klavier die Melodie auf. Von nun an wechseln im Satz Momente nachdenklicher Melodik mit solcher turbulenter Aggressivität. Die Spannung steigt, wenn Klavier und Orchester sich ein stürmisches Duell liefern. Weitere dramatische Stimmungsschwankungen kulminieren in einem glänzenden Solostück für Klavier, das dem bombastischen Schlusssatz den Weg bereitet.

Im gegensatz zum Einleitungssatz, der nationalistische Übertöne hat, stammt der zweite Satz, Andantino semplice, aus einem französischen Lied. Er beginnt mit einer betörenden Melodie, die von einer Soloflöte und sanft gezupften Streichinstrumenten gespielt wird. Dann ändert sich fast unmerklich die Stimmung. Fagotte und Streichinstrumente beginnen im Hintergrund, eine Melodie zu schafen, die nun in äußerster Zartheit vom Klavier aufgegriffen wird. Als nächstes nehmen zwei Celli die Melodiezeile auf, während sich das Klavier im Hintergrund hält. Eine beschleunigung des Tempos hellt die Stimmung auf. Die Fröhlichkeit ist nicht von Dauer, und ein kurzes Klaviersolo bringt die nachdenkliche Stimmung zurück.

Der Schlusssatz, Allegro, ist ein von einem ukrainischen Vilkslied inspiriertes Rondo (ein Thema, das sich wiederholt). Das Klavier leitet die melodie schnell und kraftvoll ein, bevor Orchester und Solist sich auf temperamentvolle Art und Weise zusammentun. Die zweite Melodie, von den Streichinstrumenten gespielt, ist von ungewöhnlicher lyrischer Ausdruckskraft. Das anfängliche Volksliedthema kehrt zurück, stärker als zuvor. Seine Energie intensiviert sich, und das Stück bewegt sich eindrucksvoll auf das Finale zu.

Nussknacker-Suite

Tschaikowsky fand zunächst an dieser Auftragsarbeit wenig Gefallen. Je länger er daran arbeitete, um so größer wurde jedoch seine Begeisterung. Die Suite, die weniger als ein Viertel der Ballettpartitur ausmachte, wurde neuen Monate vor dem Ballett erstmals aufgeführt. Sie wurde vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen. Die Premiere des Balletts fand im Dezember 1892 im Marinski-Theater in St. Petersburg statt. Im Gegensatz zur Nussknacker-Suite, fand es jedoch kaum Anklang.

Auch in Europa blieb das Interesse an dem Ballett zunächst aus. Es wurde erst 1934 in london zum ersten Mal aufgeführt. Von dort begann es seinen Siegeszug. Die Aufführungen finden oft in der Vorweihnachtszeit statt.

Der Nussknacker führt uns ins Reich der Süßigkeiten, eine Zauberlandschaft, in der Schneeflocken tanzen und Honig fließt.

es ist Heiliger Abend, und Klara bekommt einen alten Nussknacker geschenkt. Als sie in der Nacht vor Aufregung nicht schlafen kann, kehrt sie heimlich in die Weihnachtsstune zurück. Sie sieht den Nussknacker an der Spitze einer Kompanie von Spielzeugsoldaten gegen den grausamen Mäusekönig und seiner Mäuseschar kämpfen. Klara vertreibt tapfer alle Mäuse und erklärt dem Nussknacker ihre Liebe. Sie erlöst ihn von seiner Verwünschung und verwandelt ihn in einen hübschen Prinzen. Er nimmt Klara zur Frau und bringt sie ins Reich der Süßigkeiten.

Die Nussknacker-Suite basiert auf der französischen Fassung der Erzählung von E.T.A. Hoffmann "Der Nussknacker und der Mäusekönig". Sie beschwört die magische Atmosphäre des Märchens eindringlich herauf. Die Kleine Ouverüre zu Anfang der Suite vermittelt dem Zuhörer sofort die abenteuerliche und phantasievolle Natur der Nussknacker-Suite.

Teile des Orchesters tauschen melodische und rhytmische Sätze aus und schaffen dadurch immer wieder neue Gegensätze. Die Ouvertüre ist leicht und anmutig - es fällt auf, dass die tieferen, erdverbundenen Celli und Kontrabässe fehlen.

Stimmung und Klangfarbe wechseln ständig in dieser atemberaubenden Phantasie aus Zauberei und Abenteuer - von der verhaltenen Eleganz des Marsches bis zur energiegeladenen Ausdruckskraft des Russischen Tanzes - eine temperamentvolle Volksliedmelodie, die schneller und schneller wird, bis sie schließlich explosionsartig ihren Höhepunkt erreicht. Von dem leichten anmutigen Tanz der Rohrflöten, von drei Spielzeugflöten angeführt, bis zur unheimlichen, düsteren Atmosphäre des Arabischen Tanzes, der den bedrohlichen Angriff des Mäusekönigs und seiner Scharen versinnbildlicht.

Der Tanz der Zuckerfee ist vermutlich der bekannteste Tanz dieser Suite - die zarte, glockenähnliche Melodie der Celesta, damals ein neues Instrument im Orchester, beschreibt eine märchenhafte Atmosphäre. Ein kraftvolles, untermalendes Fagott verstärkt die Zauberstimmung und verleiht ihr noch mehr Tiefe und Ausdruckskraft.

Der letzte Walzer der Nussknacker-Suite beendet die Komposition auf großartige Weise. Er beginnt zart und zögernd, mit anschwellenden Harfenglissandi, die den Eindruck von sich öffnenden Blumen hervorzaubern. Waldhörner leiten die Melodie ein.

Die zuerst noch verhaltene melancholische Stimmung wird jedoch schnell durch die helleren Holzblasinstrumente ausgeglichen. Die Spannung steigt, weil der Zuhörer erwartet, dass die Streichinstrumente die Melodie aufgreifen, aber Tschaikowsky hält sie bewusst zurück.

Als sie schließlich einsetzen, wirkt die Musik um so stärker. Doch wird die Spannung von den Holzblasinstrumenten noch in Zaum gehalten, die auch weiterhin den Höhepunkt verzögern.

Auch das Pathos kommt in der Nussknacker-Suite nicht zu kurz. Wie in so vielen von Tschaikowskys Musikstücken werden Schönheit und Perfektion stets von einer gewissen traurigkeit begleitet. dies fällt besonders auf, wenn Celli die sekundäre Melodie in einer für sie hohen und unnatürlichen Tonlage aufgreicfen. Das Orchester greift schließlich das Thema mit feierlicher Kraft auf, befor es die Ballett-Suite und das zauberhafte Abenteuer im Reich der Süßigkeiten zu ihrem dramatischen Ende bringt.

Schwanensee

Schwanensee, eine Auftragsarbeit aus dem Jahr 1875, war Tschaikowskys erster Versuch, ein Ballett in der romantischen Tradition zu schreiben. Einen Teil der Partitur übernahm er aus früheren Kompositionen, die er für die Kinder seiner Schwester Sascha geschrieben hatte.

Die Uraufführung fand 1877 im Bolschoi-Theater in Moskau statt, aber der Erfolg blieb aus. es wurde erst nach Tschaikowskys tod immer beliebter.

Im September 1882 verlangte Tschaikowsky von seinem Verleger Jürgenson die Originalpartitur zurück. Er war der Meinung, sie enthalte "einige ziemlich gute Passagen", die er zu einer Konzert-Suite zusammenfassen wollte. Sie enthält die musikalischen Höhepunkte des Balletts.

Das Ballett spielt im Mittelalter und beginnt mit Prinz Siegfrieds Geburtstagsfeier. Seine Mutter besteht darauf, dass er während des Balles am nächsten Abend seine Braut wählt. Später bei Sonnenuntergang sieht Siegfried Schwäne über den Schlosspark ziehen und beschließt, zur Jagd zu gehen.

Zur Mitternachtszeit nehmen die Schwäne menschliche Gestalt an. Die Schwänenkönigin wird zur Prinzessin Odette. Sie erklärt Prinz Siegfried, dass sie und ihre Freundinnen von dem bösen Zauberer Rotbart in Schwäne verwandelt wurden, und dass nur ein Mann, der ewige Treue schwört, den Zauber brechen kann.

Auf dem Festball am nächsten Abend kündigt eine Fanfare Rotbart und seine Tochter Odile an, verkleidet als "schwarzer Ritter" und "schwarzer Schwan". Siegfried glaubt, Odette vor sich zu haben. Als er Odile seine Libe erklärt, erscheint Odette, und Siegfried erkennt seinen Irrtum.

Im vierten Akt am stürmischen Schwanensee teilt Odette Siegfried mit, dass der Fluch jetzt nur noch gebrochen werden kann, wenn sie sich opfert. Odette und Siegfried beschließen, gemeinsam in den Tod zu gehen. Doch die liebe überwindet den Tod und bricht den Zauberbann.

Die Szene zu Beginn dieser Auswahl von Schwanensee zeigt, wie Tschaikowsky mit seiner Musik malen kann. Geigen und Harfenglissandi stellen das sich kräuselnde Wasser des Schwanensee dar. Eine Oboe beginnt klagend mit der tragenden Melodie. Das Gefühl des nahenden Verhängnisses nimmt zu, als Hörner, die den Zauberer Rotbart darstellen, einstimmen.

Der nun folgende Walzer wird bald vom Orchester unterbrochen. Im Gegenatz dazu beginnt das zweite Thema auf leichtere, humorvollere Art. Der Tanz der Schwäne ist elegant und lebhaft. Er verdrängt noch einmal jedes Gefühl von Tragödie und Vorahnung.

Die 1812 Ouvertüre

Tschaikowskys Ouvertüre 1812 steht in völligem Gegensatz zu seinem romantischen Werken. Das Klavierkonzert Nr. 1, Nussknacker und Schwanensee versetzen das Publikum in eine Märchenwelt. Die Ouvertüre 1912 erzählt die Geschichte einer heroischen Schlacht. Sie wurde für Moskauer Industrieausstellung von 1882 geschrieben und schlägt laut und lärmend die Trommel des russischen Nationalismus.

Thema ist Napoleons verhängnisvoller Russlandfeldzug und der Kampf des russischen Volkes gegen die Franzosen. Nachdem Napoleon den Großteil Europas erobert hatte, beschloss er, Russland anzugreifen. Seine 100 000 Mann starke Armee quält sich durch den eisigen russischen Winter, durch ein Land, das von russischen Generälen auf dem Rückzug verwüstet worden war. Als das französische Heer moskau erreichte, fand es nur noch rauchende Ruinen vor und musste kehrtmachen. Doch die Russen erwarteten Napoleon und bereiteten ihm in der Schlacht von Borodino 1812 eine erbarmungslose Niederlage. Nur 5000 Soldaten der Napoleonischen Armee überlebten.

Die Ouvertüre erzählt die Geschichte des russischen Sieges. Am Anfang stehen die angstvollen Gebete der Russen vor der Schlacht. Die Musik ist langsam und choralähnlich. Schon bald gewinnt sie das Tempo. Geigen stimmen ein, und Schlaginstrumente künden von der drohenden Schlacht. Bruchstücke russischer Melodien und der Marseillaise vertreten die beiden kämpfenden Heere.

Zunächsz steht die französische Nationalhymne im Vordergrund, representiert von Blechbläsern. Die russischen Melodien werden schwächer, um die Übermacht der napoleonischen Armee zu zeigen. Dawnn erklingt zum ersten Mal die Erkennungsmelodie der 1812. Das Tempo verlansamt sich, die Stimmung wird gelassener, Währen die Russen in Borodino auf Napoleon warten. Schließlich beginnt die Schlacht mit der stürmischen Fanfaren aller Instrumente und dem Ballern der Kanonen.

Symphonie Nr. 6 (b-moll op. 74)

"In meinem teifsten Herzen bewahre ich das sichere Gefühl, dass dieses Werk das Beste ist, was ich geschaffen habe." (Tschaikowsky in einem Brief an Frau von Meck)

Diese Symphonie ist Tschaikowskys orchestrales Meisterwerk. Sie vereint große Stimmungsintensität mit innovativen Satzstrukturen. So bricht der dunkle Ausklang des Schlusssatzes mit den damals geltenden kompositorischen Konventionen.

Schon der erste Satz, Adagio - Allegro non troppo, ist ein Musterbeispiel an Ausdrucksstärke und Leidenschaft. Zunächst eröffnen die Fagotte mit einem grüblerischen Thema zu den dunkel gefärbten Harmonien der Kontrabässe. Die Streicher und Bläser übernehmen dieses Thema, das musikalische Tempo nimmt zu. Nun erklingt ein überaus romantisches Motiv, von den Streichern zu deutlich vernehmbarer Bläserpräsenz vorgetragen. Später ist eine Klarinette zu hören, die das Thema wiederholt, ehe das Orchester mit abruptem Wechsel in den Mittelteil überleitet. Es folgt ein klägliches Drängen und Aufbegehren, bevor die Komposition dann schnell in das bekannte Thema des Anfangs zurückfindet. In der Coda begleiten Streicherpizzicati die Trompeten und Posaunen, später die Holzbläser. Der Satz endet verhalten und ruhig. So ist diese Symphonie musikalisches Sinnbild der Leidenschaft eines Menschen dessen Ringen vergebens war.

Im nächsten Satz mit der Bezeichnung Allegro con grazia kommt die lang herbeigesehnte, gelöste Ruhe auf. Statt konventionell langsam, lockert Tschaikowsky das Tonspiel gegen alle damaligen Regeln unter Einsatz des 5/4-Taktes auf. Die Celli bringen das Hauptthema, das bald mit Zärtlichkeit und Anmut variiert wird. Der Mittelteil ist eher elegisch, die Violinen erklingen zu dezenten Pauken, Kontrabässen und Fagotten. In der ruhigen Coda sind zunächst ansteigende Tonketten, sodann wiederholte Einzeltöne der Bläser zu Streicherbegleitung zu hören.

Der dritte Satz, Allegro molto vivace, ist zunächst geprägt von einem wirbelnden Scherzo-Motiv. Dagegen wird ein mit Bestimmtheit vorgetragenes Marschthema gesetzt. In dieser bunten Gegensätzlichkeit, die doch eine prächtige Einheit der Stimmung abgibt, dominieren plötzlich die Klarinetten, die das Thema vollständig intonieren. Die Streicher schließen sich mit etwas Neuem an, nun folgen schnelle Flöten- und Klarinettenfigurationen. Das Marschthema trumpft auf, die Streicher und Bläser wirbeln nur so dahin, ehe sich das traditionell angelegte Satzende ankündigt.

Aber es gibt ja noch einen vierten Satz, den unkonventionellen Schlusssatz, Adagio lamentoso - Andante. Dieser ist alles andere als strahlend, sondern trauernd und klagend, introvertiert, beinahe schon gebrochen: Die Streicher zeichnen dieses Stimmungsbild zu Flöten- und Fagottbegleitung. Das Fagott und die Hörner leiten mit einer abwärts geführten Tonfolge zu einem zweiten, nicht weniger ernsten und pathetischen Streicherthema über. Zwei leidenschaftliche Höhepunkte erinnern am Schluss noch einmal an die schmerzliche Grundstimmung des Satzes. Mit klagenden Harmonien endet diese Komposition von Tschaikowsky.

Fünfte symphonie

"... Taneijew ausgenommen, der hartnäckig auf seiner Ansicht beharrt, die Fünfte Sinfonie sei mein bestes Werk, haben alle meine ehrlichen und aufrichtigen Freunde nur eine geringe Meinung von ihr .. ." (Tschaikowsky an Frau von Meck, Dezember 1888),

Die Fünfte Sinfonie gehört heute zum ständigen Bestand aller sinfonischen Orchester, keine andere ist so oft auf Schallplatten aufgenommen, von keiner anderen sind so viele Melodien bekannt und volkstümlich geworden. So weit es im Rahmen dieses Buches möglich ist, wollen wir eine kurze Analyse versuchen.

Ein düsteres Klarinettenmotiv leitet das Werk ein. Wie aus der Dunkelheit hervor dringt der Klang, den Tschaikowsky in die tiefste Region des Instruments verlegt und nur durch wenige Streicherakkorde stützt. Traurigkeit, Nachtgedanken. Später wird ein Leitmotiv aus dieser Klarinettenmelodie - was mag es bedeuten? Erst ganz am Ende der Sinfonie werden wir eine Antwort darauf erhalten. Schade, dass dieses Mal Nadjeschda um keine Erklärungen bittet! So muss unsere Analyse sich auf das rein Musikalische beschränken. Das erste Andante geht, indem es die Art der Begleitung beibehält, dunkel immer noch, in ein Allegro con anima über. Ein Sechsachtelmotiv springt auf. Immer noch tragen es die Klarinetten, ja, um es noch nicht hell werden zu lassen, mischt Tschaikowsky die Fagotte in ihre Klangfarbe. Eine Flöte tritt hinzu, es ist, als falle ein Lichtstrahl von irgendwo ein. Das Motiv wird lebendiger. Dann übernehmen es die Violinen und plötzlich ist Wärme da. Nun reißt Tschaikowsky mit mächtiger Hand sein Orchester nach oben, zum ersten Höhepunkt. Er ist ein Meister der Höhepunkte ! Die Traurigkeit ist besiegt, die Musik hat nun einen beinahe wilden Charakter. Klangmassen ballen sich, kämpfen gegeneinander. Harte Kontrapunkte in den Blechbläsern marschieren einher wie Riesen in einem vorsintflutlichen Zug. In der heftigsten Erregung verlischt der Höhepunkt, mit schmerzlicher Innigkeit singen die Streicher eine neue Melodie. Aber es ist nur ein Übergang. Kurz ruft ein einsames Hom mit seiner melancholischen Stimme. Ein neuerlicher Aufschwung und aus ihm geht die zweite große Melodie hervor (der "Seitensatz", technisch gesprochen), eine jener wundervollen, weit aussingenden und ausschwingenden Melodien, in denen Tschaikowsky, der Sänger der Zärtlichkeit, Meister ist. Sehnsucht liegt in diesem weichen Geigenthema, unendliche Sehnsucht. Dann neuer Ansturm der Orchestermassen, lange dramatische Kämpfe. Erst zu Ende des Satzss wird es still und stiller. Das erste Thema geht langsam zur Ruhe, sinkt ab, immer tiefer, immer trauriger, wie ein einsames Herz zu schlagen aufhört. Der zweite Satz ist wahrhaft "bunt", voller Leben, voll gedrängter Empfindungen. Wie einen Teppich breiten die Streicher lange Akkorde aus und ein schmerzlich süßes Hörn bläst eine traurige Melodie darüber hin. Eine lange, ungeheuer ausdrucksvolle, echt tschaikowskysche Melodie. Die Violincellos übernehmen die Melodie und es ist schwer zu sagen, in welchem der beiden Instrumente sie schöner klingt. Es ist ein Schmerz ohne Worte, in dem tausend Enttäuschungen zusammengeflossen sind, aber es ist zugleich Trost. Die Wunden sind nicht mehr offen, die das Leben schlug. Dann folgen immer neue Melodien, eine solche Überfülle, wie selbst der Melodiker Tschaikowsky sie selten zu seiner Verfügung hatte. Vielleicht lässt sich formell an diesem zweiten Satz einiges aussetzen, - wie oft bei diesem Meister, der sich, wie wir sahen, dieser Schwäche wohl bewußt ist -, aber er ist ein unwiderleglicher Beweis dafür, wie weit entfernt vom "Ausgeschriebensein" er sich befindet. Es ist ein ununterbrochenes Andrängen neuer Melodien. Der Satz hat einige imposante Höhepunkte, sie sind spannungs- und kraftgeladen wie wenige in seinem Schaffen. Plötzlich taucht das Leitmotiv auf, das Thema, das zu Eingang der Sinfonie die Klarinetten traurig bliesen; nun rufen es die Trompeten, wie inmitten einer Schlacht. Es ist wie ein Schicksal, wie das "Fatum" der Vierten Sinfonie, mit großer Wucht schlägt es an die Pforten. Ein langes Schweigen antwortet. Die melancholische Melodie hat den Ruf des Schicksals überdauert. Nun singen sie, mit unendlicher Traurigkeit, die Violinen. Eine Oboe webt einen träumerischen Kontrapunkt darüber. Langsam scheint die Hoffnung wiederzukehren, alles drängt neuerlich zum Leben hin, zum Kampf. Aber das Schicksalsthema fegt nochmals wie ein Sturmwind über das Feld, zerstört die Hoffnungen, zerschlägt alles. Nur Resignation bleibt übrig; ein Abgesang, zart, leise lächelnd, meisterhaft. Überrascht uns der dritte Satz? Nach so viel Traurigkeit, nach so heftigen, wilden Kämpfen ... ein Walzer. Ist es ein Künstlertrick oder eine unabweisbare Notwendigkeit seines Charakters, dass Tschaikowsky den tragischen Ablauf dieser - und anderer - Sinfonien durch einen leichten, liebenswürdigen, beschwingten Satz unterbricht? Oder ist es einfach das Erbe des Sinfonikers, den dritten Satz mit Tanzcharakter auszustatten, wie es schon die Stammväter des Genres, - Haydn und Mozart - taten? Sogar die dreiteilige Form (A-B-A) behält Tschaikowsky hier bei. Der erste und dritte Teil wird von einem hellen, beflügelten Walzerthema gebildet, in der lichten A-Dur-Tonart, während der Mittelteil zu einem phantastischen Scherzo ausgebildet ist. Hier herrscht die Atmosphäre aus Mendelssohns "Sommernachtstraum", alles fließt und hüpft in leichter Bewegung. Akzente auf schwache Taktteile verstärken noch den Eindruck des Unwirklichen. Elfenreigen? Erinnerungen an verklungene Tänze? Beinahe unmerklich kehrt der Walzer wieder, wie fein ist der Übergang gearbeitet! Überhaupt ist dieser Satz ein technisches und formales Meisterstück. Knapp vor dem Schluß klingt, ebenfalls wie in Erinnerung, das Leitmotiv aus der Tiefe. Es ist, als dächte jemand plötzlich inmitten des Tanzes an etwas Schmerzliches, vielleicht an den Tod. Aber es ist nicht mehr als ein plötzliches Aufzucken, wenige Sekunden lang. Was will uns Tschaikowsky damit sagen? Dass jeder Schritt, auch im Walzertakt, ein Schritt zum Grabe hin ist? Oder dass in jeder Tanzmelodie, oftmals unhörbar, aber immer gegenwärtig, ein Kontrapunkt des Schmerzes mitschwingt? Nachdenklich klingt der Satz aus. Der letzte Satz bringt uns auf das Schlachtfeld zurück, in die Erregung, in das Drama. Er ist, wie so oft bei zyklischen Werken Tschaikowsky s, zwar der blendendste, aber nicht der originellste. Vielleicht liegt die Schuld nicht am Autor, sondern an der Form, die stürmische, niederwerfende, mitreißende Finales verlangt. Ein Sieg soll im letzten Sinfoniesatz gefeiert werden, der Triumph des Guten über das Böse, der Freude über den Schmerz, der Hoffnung über die Verzweiflung. So will es ein künstlerisches Grundgesetz, das zu einem solchen allerdings nur durch Publikumsdiktatur gemacht wurde. Denn das Publikum will befriedigt heimgehen, erhoben, erfreut, begeistert. Die jüngste Kunst, der Film, hat dafür den treffenden Ausdruck des "happy end" geprägt.

Nun hat sich das düstere e-moll-Einleitungsthema in strahlendes E-Dur verwandelt. Fanfaren, hell schimmernd, glanzvoll. Das Hauptthema des vierten Satzes setzt hierauf in heftiger Bewegung ein. Es ist ein echt russisches Thema, wie ein wilder Kosakenritt über weite Felder; gänzlich anders als das stille Volkslied, das Tschaikowsky in den Schlußsatz der Vierten Sinfonie verwoben hatte. Das heftige Thema hält sich lange Zeit hindurch, mit aufregendem Rhythmus und dramatischer Intensität. Das Orchester kocht und sprüht, brennt in eigenem Feuer. Auf dem Höhepunkt kracht das Schicksalsmotiv betäubend über alles herein. Sinds die Trompeten des Jüngsten Gerichts, die den Himmel erbeben lassen, dieweil die Erde in Stücke bricht? Die Geschwindigkeit steigert sich noch weiter, Wirbelstürme fegen über die Steppen. Auf einem gewaltigen Tremolo, auf dem Höhepunkt der Kraft, hält alles ein. Und es ertönt, in einem Glanz, wie nur wenige Schöpfer ihn besaßen, das Schicksalsmotiv, nun aber in Triumphgesang verwandelt. Legionen marschieren, Banner wehen. Irdische oder himmlische? Sieg, Sieg!! Wer hat ein mitreißenderes Finale geschrieben? Nur die Beethovensinfonie, die die gleiche Nummer trägt, kann zum Vergleich herangezogen werden. "So schlägt das Schicksal an die Pforten", war die knappe Erklärung des tauben Meisters für sein Wunderwerk. Und alle, die Beethovens Werk erläutern, legen ihm den Satz "Durch Nacht zum Licht" zugrunde, oder "Durch Kampf zum Sieg". Ob dies auch Tschaikowskys Programm seiner Fünften Sinfonie ist? Sie hat sich unglaublich schnell die Welt erobert. Auf den weiten Konzertreisen ihres Komponisten steht sie nun fast immer im Vordergrund. Einladungen treffen aus zahllosen Städten ein. Berlin will Tschaikowsky sehen, aus Leipzig ruft das berühmte "Gewandhaus", Hamburg bereitet einen begeisterten Empfang vor. Der Meister lässt wissen, er sei bereit. Wie wenige Jahre sind erst vergangen, seit eine einfache Ansprache Nikolai Rubinsteins vor dem versammelten Konservatorium ihn zur Verzweiflung brachte und jede Begegnung mit Menschen ihn in eine nervöse Krisis stürzen konnte!

Wenige Jahre erst, und trotzdem: wie gealtert ist sein Antlitz! Menschenleben mißt man nicht nach Jahren, sondern nach seelischen Erlebnissen. Wer Tschaikowskys Gesicht auf einem Bude betrachtet, das lange vor seinem 50. Lebensjahr gemalt ist, glaubt einen alten Mann vor sich zu haben. Das Haar und der Bart weiß, die Augen gütig und weise. Und in seinem schon nahen Todesjahre scheint er ein Grei, den man für zwanzig Jahre älter halten müsste, als er in Wirklichkeit ist ...

Eugen Onegin

"... Wo finde ich dieTatjana, die Puschkin vorschwebte und die darzustellen ich versuchte? fV o ist der Schauspieler, der dem idealen Onegin auch nur annähernd nahekäme, diesem kühlen Dandy, der bis ins Mark gesellschaftlich korrekt ist? Wo gibt es einen Lenski, den achtzehnjährigen Jüngling mit dichtem Locken" köpf und dem ungestümen Wesen eines jungen Dichters nach Schillers Art? Wie kitschig wird Puschkins reizendes Bild auf der Bühne aussehen, mit ihrer Schablone, ihrer dummen Routine, mit ihren Veteranen, die sich ohne jegliches Schamgefühl erdreisten, sechzehnjährige Mädchen und bartlose Jünglinge darzustellen! Es ist viel angenehmer, Instrumentalmusik zu schreiben, man erlebt nicht so viele Enttäuschungen.. ."

(Tschaikowsky an Frau von Meck, 1877).

So stark auch die logischen Einwände gegen das Musiktheater sein mögen, wen es einmal gepackt hat, den lässt es nicht mehr los. Auch auf diesem Gebiete ist das Jahr 1877 - menschlich gekennzeichnet durch die Antoninatragödie - künstlerisch vielleicht das fruchtbarste Jahr im Schaffen Tschaikowskys.

Das Theater fesselte ihn von Jugend an. Es wurde allmählich sogar zu seiner Leidenschaft. Und wie echte Leidenschaft nicht nach dem Erfolg fragt und durch keinerlei Enttäuschung abgeschwächt werden kann, so kehrt Tschaikowsky immer wieder zum Musiktheater zurück. Er war ein von der Oper Besessener, aber kein geborener Dramatiker. Er war zweifellos dramatischer Töne fähig, in seinen Sinfonien gibt es weite Strecken von elementarer Wucht und voll geballtester Spannungen. Aber in der Oper ergeht es ihm wie Schu-bert. Der konnte in seinen Liedern erschütternde Dramen von zwei Minuten Dauer schaffen, ja selbst in seiner Kaminermusik und seinen Sinfonien den Feueratem des echten Dramatikers erweisen. Nur auf dem Gebiete des Theaters, auf das es ihn immer wieder zog, war er es nicht. Schumann erging es ebenso. Kann die Dramatik seiner "Beiden Grena-diere" überboten werden? Und Beethoven! Gibt es eher einen geborenen Dramatiker als den Autor der Dritten, Fünften, der Neunten Sinfonie? Und wieviel Leid, wieviel Minderwertigkeitsgefühle verursachte ihm sein einziges Bühnendrama "Fidelio"!

Tschaikowsky ist kein Freund großer Worte. (Großer Klänge, ja!) Wie einfach drückt er aus, was er beim Komponieren für das Theater durchmacht: "Viel angenehmer ist es, Instrumentalmusik zu schreiben; man erlebt nicht so viele Enttäuschungen .. ." Und trotzdem kehrt er immer wieder zum Theater zurück. Die Opern nehmen einen wichtigen Raum in seinem Schaffen ein, von der Jugend bis zum Tode. Im ganzen gibt es fünfzehn Bühnenwerke aus seiner Feder: zehn Opern, drei Ballette und zwei Szenenmusiken. Von den ersten Opern haben wir kaum gesprochen. Mit dem "Woiwoden" fing er an, dann folgte "Wakula der Schmied". Hernach begann er eine "Undine", aber er vernichtete die Partitur, ehe sie jemand zu Gesicht bekam. Hingegen hatte "0pritschnik" Erfolg, obwohl die Musik ihren Schöpfer nicht befriedigte. Knapp vor seinem Tode trug er sich mit der Absicht, sie gänzlich umzuarbeiten. Keines dieser Werke hielt sich auf der Bühne. Einen Teil der Schuld müssen wir zweifellos den Textbüchern zuschreiben. Tschaikowsky hatte den dramatischen Instinkt nicht, sie wirkungsvoll auszuwählen und er besaß nicht die dramatische Kraft eines Verdi, sie trotz ihrer Schwäche zum Triumph zu führen.

Seltsame Parallele: etwas vom Fehlen dieser Dramatik sehen wir auch in seinem Leben. Da gibt es keine heftigen Szenen, keine leidenschaftlichen Diskussionen, kein hartes, unbarmherziges Aufeinanderprallen von Ekstasen. Als ein Musiker eines seiner Lieblingswerke beschimpft, erwidert er nichts, wirft dem Widersacher nicht die Partitur an den Kopf: er zieht sich stillschweigend zurück. Als ein unbekanntes Mädchen von Selbstmord spricht, wenn er sie nicht erhöre, heiratet er sie. Und als das Zusammenleben unerträglich wird, gibt es keine wilden Zerwürfnisse, keine Wutausbrüche, keine Schreie und Schläge. Still macht er die Tür hinter sich zu und kommt nicht mehr zurück. Das verhindert allerdings keineswegs, dass das Drama sich in ihm selbst abspielt. Und gerade das ist es, was auch seine Bühnenwerke auszeichnet: dass das Drama sich im Innern seiner Personen abspielt. Jede von ihnen erlebt ihr Drama und sie erschüttern uns. Was Tschaikowsky s Theaterszenen abgeht - wenn wir sie nach dem Maße marktgängiger Opern messen - sind die Explosionen, die der äußere Effekt von Seelenkonflikten sein können. In keiner seiner Opern tritt dieser Zug vielleicht so klar in Erscheinung wie in seiner schönsten, dem "Eugen Onegin", den er im kritischen Jahre 1877 schreibt. Was für seelische Dramen beleuchtet seine Musik! Wie ungeheuer ist Tatjanas Erschütterung! Aber wie lyrisch geht dies alles vor sich! Tschaikowsky hat sich entschlossen, Puschkins Versdrama "Eugen Onegin", eines der berühmtesten Werke der russischen Literatur, in Musik zu setzen. Der menschliche Gehalt der Dichtung rührt ihn tief. Er selbst wählt, unter Mithilfe seines Schülers Schilowsky, die Szenen aus. Dabei bevorzugt er, vielleicht ohne es selbst zu merken, die lyrischen vor den dramatischen Augenblicken, ganz im Einklang mit seinem eigenen Temperament und seinen musikalisch-theatralischen Möglichkeiten. Und darum nennt er das Werk hernach auch nicht Oper und auch nicht Drama: der "0negin" ist als eine Folge "lyrischer Szenen" vom Autor selbst gekennzeichnet worden. Die Handlung spielt im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts und rund um die Hauptstadt des Zarenreiches, St. Petersburg. Das erste Bild führt uns auf den Landsitz einer bürgerlichen Familie. Hier ergibt sich zwanglos die Möglichkeit, Lieder und Tänze der russischen Ebenen einzustreuen, wie der Komponist sie so sehr liebt. Lenski tritt auf, eine echte jugendliche Dichtergestalt. Er ist mit Olga, der jüngeren Tochter des Hauses verlobt. In einer schönen Arie erklärt er ihr neuerdings seine Liebe. Dieses Mal hat er einen Freund mitgebracht, Eugen Onegin, dem der Ruf glänzender gesellschaftlicher Erfolge vorauseilt. Man bringt seinen Namen mit zahlreichen weiblichen Eroberungen in Zusammenhang, aber er gilt für kalt und zynisch. Tatjana, Olgas ältere Schwester, ein scheues und nach innen lebendes Mädchen, verliebt sich auf den ersten Blick in Onegin. Das zweite Bild bringt nicht nur einen der Höhepunkte der Oper, sondern ist eine der prächtigsten Szenen der gesamten Literatur. Tatjana, allein mit sich selbst, kämpft einen grausamen, leidenschaftlichen Kampf in der nächtlichen Stille ihres Schlafgemachs. Onegins Bild steht ihr vor Augen, un-gekannte, ungeahnte Gefühle erschüttern ihr unschuldiges, aber liebevolles Herz. In einem langen Monolog durchläuft sie alle Stadien von der durch die landläufige Moral bedingten Zurückhaltung bis zum leidenschaftlichen Liebesausbruch. Es ist ein dichterisches und musikalisches Meisterstück geworden. Ekstasen und Depressionen wechseln ab, glühende Illusionen und herzzerreißender Kummer: Schluchzen und hymnische Freude zerreißen beinahe gleichzeitig Tatjanas empfindsame Seele. Schließlich schreibt sie den Brief, um den sie so grausam mit sich gerungen hat. Sie bittet Onegin um ein Stelldichein im Garten. Aber das so rasend ersehnte Zusammentreffen endet mit schmerzlichster Enttäuschung. Onegin findet nichts als konventionelle, kühle Worte für sie. Zu Beginn des zweiten Akts schreibt Tschaikowsky eine seiner meisterlichen Tanzszenen. Lichter im Ballsaal und Glanz im Orchester, frohe Bewegung und ein berauschender Walzer. "Immer gibt es einen Walzer bei Tschaikowsky", und hier vielleicht den blendendsten, den er je schrieb. Die Melodie reißt unwiderstehlich fort, Kontrapunkte und Gegenstimmen in genialer Führung, Violinen und Posaunen in lebensfreudigstem Taumel, Tschaikowsky in seinem Element.

In allen Winkeln des Saals wird über Onegin getuschelt. Der fühlt sich angewidert von diesem ländlichen, kleinbürgerlichen Milieu, das nichts anderes als den Tratsch zu kennen scheint. Wenn sie ihn unbedingt in ein Abenteuer verstrickt sehen wollen, - gut, sie sollen ihren Spaß haben! Von diesem Augenblick an umwirbt er Olga in auffallendster Weise und provoziert dergestalt bewußt die Eifersucht seines Freundes Lenski. Schließlich kann dieser sich nicht mehr zurückhalten und fordert Onegin zum Duell. Das zweite Bild dieses Aktes bildet den denkbar größten Gegensatz zur rauschenden Festesfreude. Nach dem hellerleuchteten Ballsaal der einsam graukalte Wintermorgen auf den verschneiten Feldern. Es ist der Tag des Zweikampfs. Lenski gelangt an den vereinbarten Ort; in einem innigen Gesang richtet er zum letzten Male Schwüre reiner Liebe an die ferne Olga. Onegin dagegen bleibt kalt und verschlossen. Noch scheint eine Versöhnung möglich, aber Onegins Gleichgültigkeit versetzt den jungen Dichter neuerlich in Raserei. Er besteht auf dem Duell. Und Onegin, dessen Hand mit vollkommener Ruhe anlegt, jagt seinem Freunde Lenski die Kugel mitten ins Herz. (Hier ist Puschkins Dichtung prophetisch gewesen: bald darauf wird sein eigenes Herz von einer Kugel im Duell durchbohrt werden). Jahre sind vergangen. Nach langen Reisen kehrt Onegin nach Rußland zurück. Er findet Tatjana verheiratet mit einem seiner entfernten Verwandten. Bei ihrer Begegnung erwacht plötzlich die Liebe im gefühllosen Abenteurer. Aber es ist zu spät. Tatjana liebt ihn immer noch und wird ihn immer lieben, aber ihr Platz ist an der Seite ihres Gatten, in ihrem Heim. Sie fleht Onegin an, ihren schwer erkämpften Seelenfrieden nicht zu zerstören. Sie scheiden, um einander nie wieder zu begegnen.

Selten hat Tschaikowsky mit solcher Begeisterung gearbeitet, wie am "0negin". An der Riviera vollendet er die Partitur, am 15. Februar 1878 sendet er sie nach Moskau. Er ist befriedigt von seinem Werk, die Briefe jener Zeit spiegeln Ruhe und sogar Glück. Und doch sind erst wenige Monate vergangen seit der Flucht aus Moskau, der Ohnmacht von St. Petersburg, der Ungewißheit von Clarens und seiner leiblichen und seelischen Errettung durch Nadjeschda. In einem Brief an Modest beweist er seine klare Selbsteinschätzung. Er kenne, sagt er, die theatermäßigen Fehler seiner Oper, die nicht genügend bewegte Handlung aufweist. (Genau betrachtet: ist die Handlung wirklich ungenügend?) Aber er hoffe, dass die dichterischen Schönheiten und die ergreifende Einfachheit des Geschehens die Schwächen ausgleichen würden.

So war es auch und so ist es. "Eugen Onegin" hat begeisterte Anerkennung gefunden. Ja, er gefällt sogar den Musikern, die oftmals Tschaikowskys Werk so kühl gegenüberstehen. Nikolai Rubinstein verliebte sich - man kann es kaum anders sagen - in diese Partitur. Er nahm sich vor, das Werk in seinem eigenen Konservatorium uraufzuführen. Das bedeutete für ihn einen doppelten Sieg: den des Dirigenten zuerst, und hernach den des Direktors, denn Tschaikowsky war, zumindest dem Namen nach, immer noch Lehrkraft des Instituts.

"Eugen Onegin" ging im März 1879 über die Bretter. Tschaikowsky, seit langem wiederhergestellt, kehrt zu diesem Anlass nach Moskau zurück. Er wohnt der Generalprobe bei und fühlt sich mit seinem Werke zufrieden, trotz deutlich sichtbarer Mängel der Aufführung. Es waren allerdings Mängel anderer Natur als die, die er gefürchtet hatte. Lenski war wirklich ein junger Romantiker, Tatjana ein bezauberndes junges Mädchen, leidenschaftlich und träumerisch. Aber sie alle waren Schüler und trotz ihrer heldenhaften Anstrengungen waren sie den schweren Rollen nicht gewachsen.

Die Premiere war, wie stets, eine Marter für Tschaikowsky. Er musste sich nicht nur dem Publikum zeigen; viel schlimmer noch, in der Pause gab es eine Feier auf der Bühne. Vor dem versammelten Konservatoriuni - Lehrer und Schüler - richtete Nikolai das Wort an ihn und überreichte ihm einen Lorbeerkranz. Dann aber kam das Ärgste: Tschaikowsky musste antworten.

Er hat eine schwere Krise überwunden. Sein Aussehen ist das eines körperlich wie geistig völlig gesunden Menschen. Sein Antlitz, nobel und irgendwie schön durch die feinen Züge und die gütigen Augen, ist von des Südens Sonne leicht gebräunt. Aber er denkt daran, dass die hundert Augenpaare vor ihm vielleicht einen ganz anderen Tschaikowsky suchen:

einen Irren, Anomalen, der vor einer jungen Frau davonlief ...

Er weiß nicht, dass sein Ruhm allen Tratsch zum Schweigen gebracht hat. Der herzliche Applaus, den nun alle ihm spenden, ist echt.

Aber die Angst ist immer noch das Leitmotiv seines Lebens. Er hat sie noch nicht besiegen können. Im Morgengrauen nach dieser Nacht reist er ab.

Celesta - ein Tasteninstrument, das mit seinem hellen, zarten Glöckenklang dem Xylophon ähnlich ist. Tschaikowsky war der erste, der es einsetzte, und zwar im Tanz der Zuckerfee.

Glissando - beschreibt den Ton, der entsteht, wenn ein Spieler bei einem Streichinstrument den Greiffinger stufenlos über die angestrichene Saite gleiten lässt.

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