Spätantike Philosophie

Spätantike Philosophie - Ein Überblick und spezielle Behandlung von Plotin, und Boethius

1. Geschichtlicher Überblick als Hinführung zur spätantiken Philosophie:

Soldatenkaiserzeit, Diocletian, Konstantin, Julian, Valens/Valentinian - Völkerwanderung, Theodosius, Honorius, Aetius der letzte Römer, Ricimer, Oduaker, Theoderich der Große

2. Die spätantike Philosophie - Vertreter:

* Plotin als Begründer des Neuplatonismus:

Plotinos geboren 203 n. Chr. Zu Lykon in Ägypten => Schüler des Ammonios Sakkas, => Vierzigjährig nach Rom, wo er eine eigene Schule gründete und Vorsteher dieser Schule bis zum Tod blieb, gestorben 269 in Campanien.

Plotin begann erst spät seine Gedanken schriftlich niederzulegen => Werke erst von seinem Schüler "richtig" herausgegeben in sechs Neunergruppen (Enneaden) geordnet.

Plotin fasste seine Philosophie als Auslegung der platonischen Phil. auf. - Trotzdem Beeinflussung durch Arist., Stoa und neupythagoräische Lehren.

Lehren:

gehen auf Platon zurück; setzt an dem Punkt an, wo Platon aufhört: am höchsten göttlichen Sein. Dieses hält er für transzendent (= unerfassbar, für den Menschen nicht zu beschreiben). Es kann nur uneigentlich beschrieben werden und zwar als das unendlich Eine, uns zwar als das Gute und als die höchste Kraft.

Das höchste Eine bringt durch Ausstrahlung das Viele hervor. Die erste Ausstrahlung davon ist der Geist (Nu(o)s), in dem sich zwei Teile bilden: Das Denken und das Sein (Objekt und Subjekt). Der Inhalt des Nus sind die Ideen, die in ihrer Gesamtheit die nicht erfassbare Welt (kosmos noetos) darstellen. Zuletzt entsteht aus dem Nus die Seele. Sie schaut die Ideen(=Urbilder) an und bildet die sinnliche Welt. Außerdem strahlt sie eine Kraft aus, die auf die Materie (= das Böse, das Nichtsein) wirkt.

Alles Seiende aber steht miteinander in Verbindung und bildet den Kosmos. Die Seele begibt sich mit dem Eintritt in die Körperlichkeit in das Böse, die Finsternis. Sie kann nur durch Loslösung und Reinigung von der irdischen Leiblichkeit zum göttlichen Geist gelangen und mit dem Grund allen Seins vereinigen.

* Porphyrios:

bedeutenster Schüler des Plotin, Syrer (232-304). Verteidigte und führte die Lehren seines Lehrers fort. Unterstrich die religiös-politische Komponente der Phil., deren Zweck es sei, die Seele vom Bösen zu befreien.

Kommentare zu Platon und Arist. ; Biographie Plotins; Einleitungsschrift in die Kategorien des Aristoteles; Abriß über die Lehren Plotins

verlorenes Werk "Gegen die Christen"

* Neuplatonischen Schulen:

Der Neuplatonismus entwickelte sich nach Plotin und Porphyrios in verschiedene Richtungen weiter:

1. Syrische Schule:

Jamblichos, Kaiser Julian

2. Athenische Schule:

Syrianos, Proklos, Simplikios

3. Alexandrinische Schule:

Hypatia, Bischof Synesios von Kyrene

Im Westen gibt es einen bedeutenden Neuplatoniker: Boethius

* Jamblichos:

gest. um 330; vermehrt die übersinnlichen Hypostasen (=Ablösung einer Eigenschaft von einer Gottheit und Verwandlung in ein selbständiges, hallbgöttliches Wesen). Er will dadurch den Übergang zwischen dem Absolutem und der Erscheinungswelt abschwächen. Er versucht in seinem Emanationssystem (Emanation= das Entstehen aller Dinge aus dem höchsten Einem(=Gott)) zahlreiche griechische und orientalische Gottheiten einzufügen.

Versuch für die Deutung platonischer Dialoge ein einheitliches Verfahren zu schaffen

* Proklos (411-485):

Die neuplatonische Schule erreicht mit ihm ihren Höhepunkt. Seine Philosophie ist eine Identitätsphil..

Grundgedanke Plotins (Entstehung des Vielem aus Einem) verarbeitet er weiter: unterscheidet drei Momente bei diesem Entwicklungsprozess:

=> Das Verbleiben der Verursachten bei der Ursache

=> sein Hervorgehen aus der Ursache

=> die Rückwendung zur Ursache

Zweck: Einordnung der gesamten hellenistischen und nichthellenistischen Theologie in ein System.

* Boethius:

entstammt der Gens Anicia, einer der mächtigsten und einflussreichsten senatorischen Familien Roms; geb. um 480; war mit der neuplatonischen Philosophie sehr vertraut; von Geburt an Christ; trennt die Philosophie strikt von der Theologie; 510 Konsul des Westreiches; 524 von Theoderich zum Tode verurteilt, Ursache des plötzlichen Beziehungsbruches ist ungeklärt. Hinrichtung -wie ist ungeklärt- erst nach Monaten. Mit seinem Tod Bruch zwischen Goten und Römern; wurde als Sokrates der Spätantike verherrlicht; Hinrichtung wohl auch Grund für den Untergang des Ostgotenreiches

"Tröstung der Philosophie", eine der wichtigsten Schriften, jeglicher theologischer Aspekt ausgeklammert - geschrieben zwischen Verurteilung und Hinrichtung, wohl an irgendeinem Zwangsaufenthalt (Exil?);

Anlehnung bei seinen Werken an Cicero; wichtigste philosophische Quelle des Mittelalters bis zur Ãœbersetzung des Aristoteles im 12. Jhdt..

3. Plotinos und Boethius:

Plotin:

Für Plotin stammt das Leben aus einer Quelle, einer Wesenheit, die von sich aus Leben hat. Diese belebt die übrige Welt, die mit ihr in Beziehung steht. Diese Quell ist eine allgemeine Weltseele, von der die einzelnen Seelen kommen. Weil der Mensch ein Teil dieser Weltseele ist, bekommt auch er Leben.

Alles Seiende erhält ein einheitliches Leben. Alles wir auf eine gemeinsame Quelle zurückgeführt, von der alles abstammt.

Die Seele ist der Grund und der Ursprung des Lebens und verleiht dem Körper das Leben. => Damit ein Körper lebt muss er eine Seele haben. Seele und Leben sind bei Plotin zum Teil sogar identisch.

Weiters ist die Seele der Ursprung der Bewegung => Auch die Bewegung ist das Leben selbst. Plotin deutet den Begriff Bewegung, indem er ihn auf Platon zurückführt: Bewegung ist das Bedürfnis der menschlichen Vernunft nach Einheit, die Sehnsucht des Menschen sich mit dem ganzen Sein zu verbinden, die Begierde der Seele in ihre geliebte wahre Heimat zurückzukehren.

Indem sie Seele durch ihr Hinabsteigen in die Erscheinungswelt (=biologische Bewegung) etwas Seiendes beseelt, macht sie dieses Seiende lebendig. Die Seele hat teil an der körperlichen Welt. (Eidos=körperliches Leben)

Wenn die Seele durch eine Bewegung der Psyche (=Streben nach dem Guten und der übersinnlichen Welt) wieder zu sich selbst zurückkehrt und der Nus von ihr Besitz ergreift, kommt es zum geistigen Leben (Logos). Dieses wahrhafte Leben ist das Leben des Denkens.

Plotin sieht den Menschen als seelische und geistige Besonderheit. Er besteht aus Körper, Seele und Geist. Aus der Seele kommt das unstillbare Verlangen nach einem höheren Leben, aus dem Geist die Pflicht diesem Verlangen nachzugeben und sich nach diesem obersten Lebensideal zu richten.

Plotin unterscheidet die Menschen folgendermaßen:

* Der Mensch im Geiste, der frei von allem Körperlichen ist

* Der Mensch in der Körperwelt, der Sklave seines Körpers und in ihm gefangen ist.

* Den Menschen in der Seele, der sich zwischen Sinnlichem und Unsinnlichem bewegen kann.

Jedem Menschen steht es aber frei, auf welcher Stufe er sich bewegen will, ob er in der Welt des Abbildes einsinken oder in die noetische Welt, der Heimat der Seelen, erhoben wird. Denn der Mensch wird durch sein Handeln bestimmt.

Boethius:

In seinem Werk "Trost der Philosophie" beschreibt Boethius ein Zwiegespräch zwischen einem sterbenskranken Mann (Boethius) und der Philosophie. Die Philosophie tritt an das Krankenbett und macht klar, dass nur sie der rechte Arzt ist, der den Kranken heilen kann. Sie stimmt zu einem Klagelied an und erörtert, wie tief der Kranke denn hat sinken müssen, weil seine Seele von der himmlischen Heimat zur dumpfen Erde herabgesunken ist.

Die Philosophie stellt dem Kranken nun für eine gründliche Diagnose fünf verschiedene Fragen, von denen Boethius nur zwei wirklich beantworten kann. Die Diagnose der Philosophie lautet, dass nicht alles verloren ist, aber dass man zuerst mit einer sehr schonenden Behandlung beginnen dürfe. Boethius beklagt nur den Verlust seines Glücks und wendet sich an Fortuna. Diese kommt auch wirklich und erinnert den Kranken an alle Wohltaten, die sie ihm seit Geburt erwiesen hat, betont aber zugleich, dass alles, was der Mensch besitzt, ihm nur zeitweilig gegeben ist und daher kein Recht zu klagen, wenn es ihm genommen wird. Außerdem wenn Fortuna die Menschen dauernd begünstigen würde, würden sie in ihrer unersättlichen Gier nach reichtum und Ehre nie genug haben. Boethius ist für kurze Zeit getröstet, doch als er wieder an sein früheres Glück zurückdenkt, verfällt er wieder in die Trauer. Die Philosophie erklärt wiederum, dass kein Mensch ganz glücklich ist, und dass gerade die gkücklichsten allzuleicht sehr anspruchsvoll werden. Sie erinnert Boethius, dass das wahre Glück nicht in den äußeren Gütern, sondern im Menschen selbst liegt und dass er doch wisse dass die Seele unsterblich sei und dass er wisse wo er die Glückseligkeit suchen müsse.

Als nächstes zeigt die Philosophie, wie problematisch alle "Glücksgüter" für den Menschen sind:

1. Der Reichtum: Der Reichtum nützt nur, wenn er verbraucht wird, also durch seinen eigenen Untergang; Es können nicht alle Menschen reich sein; Kostbare Gegenstände stehen tief unter dem Wert des lebendigen Menschen; Die Schönheit der Natur beruht auf sich selbst und kann nicht vom Menschen beansprucht werden; Die Schönheit eines Kunstproduktes ist der Verdienst der Natur oder des Handwerkers, nicht aber der des Besitzers; Es ist absurd, die inneren Güter zu vernachlässigen und sich nur mit äußeren Dingen zu schmücken =>der Mensch schätzt sich im wert selbst unter den äußerden Dingen ein

2. Ehre und Macht: Es kann fürchterliche Folgen haben, wenn die Macht schlechten Menschen in die Hände gerät; aufgrund der Nichtigkeit des Menschen im Weltganzen sind seine Machtansprüche lächerlich; Macht kann nur über den Körper und äußere Dinge ausgeübt werden nicht aber über den Geist; Macht ist wandelbar; Der Besitz der Tapferkeit macht tapfer, derjenige der Musik macht zum Musiker; Doch Macht macht nicht mächtig, Reichtum nicht reich, der Besitz äußerer Würden macht nicht ehrwürdig. => Beispiel Nero

3. Der Ruhm: Wenn mit dem Tod alles zu Ende ist, dann ist auch der Nachruhm gleichgültig; Wenn die Seele unsterblich ist, dann ist der irdische Ruhm für die seele völlig gleichgültig, die aus dem Gefängnis des Leibes in ihre himmlische Heimat zurückgekehrt ist.

Der Kranke ist nun schon weiter genesen und verlangt nun nach stärkerer Medizin von der Philosophie. Die Philosophie bietet nun etwas stärkere Kost und geht tiefer auf den Neuplatonismus ein: Das Ziel aller Menschen ist die Glückseligkeit, über die hinaus es kein Gut gibt. Die Philosophie erklärt nun die verschiedenen Orte, an denen die Menschen die Glückseligkeit fälschlicherweise suchen:

Man sucht die Selbstgenügsamkeit fälschlicherweise im Reichtum; man meint die Ehrwürdigkeit und sucht äußere Ehrenbezeugungen; man meint die Macht und will Fürst werden, man meint die Freude und sucht die äußere Lust,...

=>Was auch immer der Mensch begehrt, lässt sich auf die Glückseligkeit reduzieren.

Die Philosophie zeigt nun die wahre und die falsche Komponente gegenüber:

Mächtig ist nicht der, der über den Erdkreis herrscht, sondern der, der seine eigenen Leidenschaften zu bändigen vermag. Der wahre Ruhm liegt im Bewusstsein der eigenen Tüchtigkeit, nicht im Gerede der Leute. => Wo die irdischen Schätze zu finden sind, das eiß man wohl, wo aber das wahre Gute verborgen ist, das merkt man erst, nachdem man sich von den falschen Gütern hat verführen und täuschen lassen.

Die wahre Glückseligkeit besteht aus Selbstgenügsamkeit, Macht, Glanz, Ehrwürdigkeit und Freude. Diese fünf Dinge sind eines, wer eines von fünfen besitzt, besitzt alle fünf Güter. Es werden vm menschen nur zwei Fehler begangen: die einzelnen Güter zu isolieren und sie mit untauglichen Mitteln zu erreichen.

Die Philosophie empfiehlt nun dem Kranken Gott anzurufen, da nur von ihm diese fünf Glücksgüter erhalten werden können. Die Glückseligkeit ist gleichzusetzen mit dem vollkommen Guten und das ist nur bei Gott zu finden. Gott und das Gute sind eine Identität. Wenn der Mensch an der Glückseligkeit teilhat, ist er zugleich Teilhaber der Gottheit. => Das Ziel aller Dinge ist das Gute.

Doch Boethius kann sich mit allen Beweisen der Philosophie noch immer nicht zufrieden geben. Er fragt die Philosophie, wie es denn möglich sei, dass in einer von Gott gelenkten Welt das Schlechte triumphiert. Die Philosophie antwortet, dass die Guten immer die Stärkeren, die Schlechten immer die Schwächeren sind und dass das Gute immer Lohn und das Schlechte immer Strafe findet, sowie dass den Guten alles zum Glück, den Schlechten alles zum Unglück ausschlägt. Sie argumentiert, dass der Wille jedes Menschen das Gute ist und nur wo es verfehlt wird, kommt es zur Schlechtigkeit => Schlechtihkeit ist eine Schwäche des Menschen

Der Mensch ist aber in seiner Entscheidung frei, ob er zur Gottähnlichkeit emporsteigen oder zur Tierähnlichkeit absinken will.

Boethius gibt sich mit den Erklärungen aber immer noch nicht zufrieden und fordert noch mehr Aufklärund von der Philosophie. Die Philosophie belehrt ihn nun in fünf Punkten:

1. Vorsehung: Behandelt wird der Unterschied zwischen Vorsehung und Schicksal. Vorsehung und Schicksal, so die Philosophie, sind von zwei Seiten ein und dieselbe Sache. Was von Gott her Vorsehung heißt, das heißt von der Welt gesehen Schicksal. => Gleichnis: Die Vorsehung gleicht dem ruhenden Mittelpunkt einer Kugel, das Schicksal den in größerem oder kleinerm Abstand sich drehenden Kreisen.

Das Schicksal ist Herr über alle Gestirne, Elemente und Lebewesen. Der Mensch sollte sich auch dieser Ordnung fügen.

2. Zufall: Die Philosophie beruft sich auf die Vorsokratiker: Nichts kann aus nichts entstehen. Die im täglichen Leben unvorhergesehenen Ereignisse erklärt sie als Lücke des Vorauswissens des Menschen; Gleichnis des Bauers und des Schatzes;

3. Freiheit der menschlichen Entscheidung: Die Philosophie stellt fest, dass jedes Wesen, das Vernunft besitzt, damit auch die Freiheit des Wählens und Meidens besitzt, allerdings kann die Freiheit begrenzt sein. Göttliche Wesen verfügen über vollkommene Freiheit und je mehr sich der Mensch ihnen nähert, dest größer wird seine Freiheit. => Gegenteil: Der Mensch wird zum Sklaven seiner Leidenschaften

4. Das Vorauswissen Gottes: Boethius wendet ein: Wenn Gott alles vorausweiß, dann gibt es keine Freiheit der Entscheidung beim Menschen. - Gegensatz: Kann der Mensch aber selbst alles entscheiden, verliert Gut und Böse, Lohn und Strafe, jede Hoffnung und jedes Gebet seinen Sinn. Die Philosophie greift nun ein und erklärt, dass das Wissen Gottes andersartig und eigenständig ist und das es über der menschlichen Erkenntnis liegt.

Zum Schluss wird der Begriff der Ewigkeit behandelt: Ewigkeit ist die reine Gegenwärtigkeit. Für Gott sind die Begriffe "vorher" und "nachher" unangemessen. Für Gott geschieht alles jetzt in ewiger Gegenwart. Dadurch wird auch das gottlose Vorauswissen durch die die Zeitlosigkeit, das Nichtvorhandensein des Zukünftigen, gegenstandslos. Vor Gott spielt sich in gleicher Gegenwärtigkeit das ab, was mit eigener Notwendigkeit geschieht, ab wie auch das, was in freier Entscheidung gewählt wird. Er sieht gleichermaßen das Notwendige und das Nichtnotwendige.

Das Werk schließt mit der Mahnung an die Menschen sich an all das Vorgebrachte zu halten und sich nicht hinter der Vorbestimmung zu verbergen, sondern die Pflicht zum guten Handeln zu erkennen.

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