Das Parfum
1.1. Die Darstellung der Thematik
Patrick Süskinds Roman ist, so heißt es im Untertitel, die Geschichte eines Mörders. Er ist dennoch weit mehr als ein Kriminalroman, in dessen Mittelpunkt die Auflösung einer rätselhaften Mordserie steht.
Es geht um den Lebensweg eines Einsamen, eines Ausgestoßenen und Abstoßenden, dessen geniale Begabung von anderen entweder nicht wahrgenommen oder verteufelt oder hemmungslos ausgenutzt wird. Der Sohn einer hingerichteten Kindsmörderin nimmt die Erniedrigungen, die ihm im Laufe seiner Jugend zuteil werden, hin. Er hat die Gewißheit, dass eines Tages für ihn bessere Zeiten kommen werden, in denen er an seinen Mitmenschen Rache nehmen kann. Die Ideale der Gesellschaft erweisen sich für ihn als scheinheilig.
Vom 17. Juli 1738 bis 29. Juni 1967, während der Regierungszeit des französischen Königs Ludwig XV. (1715-1774) und während des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) lebte in Frankreich Jean-Baptiste Grenouille. Seine Karriere ist die eines Opfers und Mörders zugleich.Grenouille ist ein Mensch, der anderen Menschen Furcht einflößt. Er ist anders als die anderen, weil er keinen eigenen unverwechselbaren Geruch besitzt. Im Verlauf des Romans entdeckt er seine Begabung zum Parfumeur und seine Bestimmung zum Mörder. Er glaubt, indem er sich auf verbrecherische Weise den Duft liebenswerter Jungfrauen aneignet, selbst liebenswert zu werden und begreift erst am Ende das Ausmaß seines Irrtums. Somit ist "Das Parfum" auch die Geschichte des Scheiterns, einer Suche nach dem eigenen Ich.
1.2. Skizze des Inhaltes
Am "allerstinkensten Ort des gesamten Königreiches" (S.7)[1] auf dem Fischmarkt von Paris wird 1738 ein Monstrum geboren. Seine Mutter, ein Fischweib, wollte von diesem Kind nichts wissen und versuchte es so schnell wie möglich los zu werden. In dem Glauben, dass es tot sei, ließ sie es zwischen verwesendem Fisch, Blut und Kot zurück. Doch Jean-Baptist Grenouille überlebte. Zwar war er mit minderer Intelligenz ausgestattet, dafür besaß er eine andere geniale Gabe. Er konnte die Welt durch ihre Gerüche wahrnehmen und sich an ihnen orientieren. Resistent gegen die Mißhandlungen einer lieblosen Welt lenkt er seinen Haß gegen die Gesellschaft. Darauf hin will er nur noch eines, die Hölle des Gestankes, aus dem er kam, revolutionieren. So faßt er den Entschluß, der größte Parfumeur aller Zeiten zu werden. Er entsagt um des genialen Werkes und der Macht willen der Liebe -scheinbar leichten Herzens, denn er hat die Liebe nie kennengelernt.
Das Paradoxe an Süskinds (Anti-Held) in seiner Fabel ist, dass der, der alle Gerüche dieser Welt kennt und liebt, selber keinen Eigengeruch verströmt, und damit ein Nichts ist, wo die anderen Stinker alles sind. Grenouille, übersetzt: der Forsch oder die Kröte, überfällt eine reine Jungfrau, tötet sie, saugt ihren unglaublichen Duft auf, bis er sie welkgerochen hat und ihm nur noch eine Erinnerung bleibt, die immer mehr verfliegt und verduftet. Grenouille will sich in diesem absurden Liebesakt ihrer Essenz bemächtigen.
Die folgenden Lehr- und Wanderjahre Grenouilles dienen nur dem einen Zweck Methoden zu lernen, wie die Aura des Menschen, das Zentrum der Liebe, destilliert und in den Flakon gebannt werden kann, um dann später sich diesem anzunehmen. Der Lust- und Massenmörder wird glücklicherweise erst gefaßt, nachdem er das 26. Opfer, das schönste aller Opfer, getötet und seine Aura destilliert hat, jenes, das er sich genüßlich bis zum Ende seiner Mordserie aufsparte. Die Gerechtigkeit scheint zu siegen, auf Grenouille wartet eine Hinrichtung mit ausgesucht brutalen Foltermethoden. Da geschieht ein Wunder. Mit seinem Liebesparfüm gesalbt, erscheint Grenouille wie ein Messias. Keiner der anwesenden denkt mehr an die Hinrichtung, alle sind hypnotisiert von Grenouilles Liebesparfum. Die sensationslüsterne Menge wird verführt zu willenloser Anbetung und Vergötterung des falschen Heilands. Am Lebensziel angekommen, den nun lieben alle das Scheusal von einst, muss sich der Liebesverzicht rächen, und der Liebessüchtige empfindet der orgiastischen Menge gegenüber nur eines, Ekel, der in Haß umschlägt.
Der Roman endet, wo er begonnen hat. Grenouille übergießt sich mit dem wirkungsvollsten seiner Parfums und stirbt, wo er geboren wurde. Vom Duft betört und verzaubert, schlägt die Meute ihre Zähne in sein Fleisch, zerreißt ihn und frist ihn auf.
2. Stilistik
2.1. Die Charakteristik der sprachlichen Gestaltung des Werkes insgesamt
Die Geschichte dreht sich in "Das Parfum" um einen zentralen Helden. Süskind führt die handelnden Figuren nacheinander ein und kaum zueinander. Trotzdem werden aber alle Figuren mit Grenouille in Beziehung gesetzt. Der Zeitablauf ist chronologisch. Es gibt keine Rückblenden und nur selten eine Vorausschau. .Auch der Handlungsaufbau ist einsträngig. Es gibt keine ineinander verschachtelten Handlungsebenen. Der Erzähler ist allwissend. Diese auktoriale Erzählperspektive wird nur ganz selten gewechselt. Moderne Erzählweisen, wie z.B. der innere Monolog oder die erlebte Rede, werden nur ganz selten verwendet.
Patrick Süskind, der Sohn eines Romanciers und Sprachwächters dürfte, so wird man voraussetzen können, Sprachbewußtsein und Stilsensibilität von Haus aus besitzen. Doch das alles bedeutet keineswegs, dass der Sohn die Stilideale des Vaters teilt. Süskind ist kein Sprachpurist und Klassizist. Er zeigt in seinem Werk zwar, dass er den bürgerlichen "Guten Stil" beherrscht, dennoch weicht er immer wieder von ihm ab. Zunächst ist die Flüssigkeit und Glätte des Stils ein wesentliches Merkmal des Romans, Gelassenheit beim Schildern des Extremsten und Gräßlichsten zeichnet Süskinds Stil aus. Süskind gelingt es alleine durch die Figuren der Ordnung: Wiederholung, Anapher, Parallelismus und Antithese, Wirkung zu erzeugen. Bezeichnend ist dabei auch Süskinds Umgang mit dem Adjektiv-Attribut. Gerade am Anfang des Romans wird dies deutlich. Für Süskind gilt es als ein "Stilmittel ersten Ranges" :"Es stanken die Flüsse, es stanken die Plätze, es stanken die Kirchen, es stank unter den Brücken und in den Palästen. Der Bauer stank wie der Priester." (S. 7) Süskind hat keine Scheu, ins hochsprachliche Vokabular Dialektausdrücke zu streuen. So spricht die Amme von "Topfen" (S. 17 / Quark) und der Erzähler selbst von "Odel" (S. 151 / Jauche) und "rasser (beißender) Luft"(S. 168). Außerdem erlaubt er es den Figuren und dem Erzähler Gebrauch von fremdsprachlichen Vokabeln zu machen. Pater Terrier z.B. nennt Grenouille ein "Animal" und lässt es unter Horaz-ZItaten "extra muros" (S. 24) expedieren. Auch der Parfumeur Baldini und der renommierte Arzt Procope verfügen über lateinische Floskeln.
Zum Wortschatz des Erzählers gehört natürlich auch die Fachsprache der Parfumeurskunst auf dem Stand von Handwerk und Wissenschaft des 18. Jahrhunderts. Dazu gehören Fachbegriffe der Gerätschaften wie z.B. "Pistill" (S. 116) oder "Marenkopfalambie" (S. 123) sowie die Herstellungsverfahren der "Extinktion" (S. 159), der "enfleurage a chaud" usw. (S 137). Diese werden nicht nur genannt sondern auch geschrieben. Zunächst dient das Sammelsurium lateinischer Phrasen und der historische französische Wortschatz zur Simulation von Wissenschaftlichkeit und Fachsprachlichkeit sowie der Figurencharakterisierung, es ist also Rollensprache. Werden die Wendungen vom Erzähler eingesetzt, simulieren sie zudem eine Aura der historischen Atmosphäre. Süskind erlaubt sich immer wieder Stilbrüche auf engstem Raum. So tauchen bei ihm Begriffe wie "apotheotisch" und "Kuddelmuddel" (S. 55) in einem Satz auf. Der laute Zusammenstoß der Wörter ist durch den Stoff gerechtfertigt. In dieser Szene entschließt sich Grenouille zum ersten Mord. Zum Prinzip des Erzählers gehört die sprachliche Grenzüberschreitung zwischen den Bereichen. So wechselt er in dieser Szene zwischen dem hohen Stil, kennzeichnend für die Schönheit des Mädchens, dem niedrigen Stil, der den Zustand des Mörders wiedergibt, den Märchenton, den phantastischen Zuschnitt des gesamten Vorhabens der Duftgewinnung und dem wissenschaftlichen (technischen) Stil. Ein solches Wechselspiel kann auch als Mustermischung bezeichnet werden. Einmal spricht der Erzähler die Sprache der Romantik und des Märchens, ein anderes Mal die "Sprache der Gartenlaube". Den Märchenton wählt er gerne, um angesichts des Fragwürdigen, ja Gräßlichen, Naivität zu simulieren: "Das Herz im Leib" springt Grenouille "vor Freude" (S. 203) wenn es ihm zum ersten Mal gelungen ist, ein Massenpublikum zu verführen. Der Romanton wird bestimmt durch das Spiel mit verschiedenen Sprachwelten.
Ein scheinbar nebensächliches Phänomen ist Süskinds Gebrauch des Superlativs. So nimmt Süskind für seinen Roman die "abscheulichste" Gestalt (S. 5) in Anspruch und den "allerstinkendsten" Ort des gesamten Königreichs (S. 7)
2.2.Die detaillierte sprachliche Analyse einer typischen Passage
Die oben genannten Charakteristiken der sprachlichen Gestaltung des Werkes werden besonders deutlich in der Passage (Kapitel 1,Seite 5 -oben- bis Seite 7 -Absatz-).
Diese Passage dient als Einleitung. Der Autor setzt sie vor den Beginn des eigentlichen Geschehens, der Geburt Grenouilles. Aufgrund ihrer Funktion, der Darstellung des Handlungsortes und der Thematik "Gestank", wird sie auch als im Sinne der Opernkunst des 19.Jahrhunderts als "Ouvertüre" bezeichnet.
Der Autor beginnt mit der Beschreibung des Schauplatzes und erzählt dies im Präteritum. Schon im ersten Satz gebraucht er das Superlativ wenn er von den "genialsten" und "abscheulichsten"(S.5) Gestalten spricht. In den folgenden Zeilen weckt der Autor das Interesse des Lesers, in dem er Grenouille "zu den Namen anderer genialer Scheusale"(S.5) einordnet, und diese charakterisiert. Dies gibt dem Leser einen Einblick auf das was ihm im Laufe des Romans erwartet. In dem darauf folgenden Absatz wendet der Autor die Wiederholung der Adjektive an. So verwendet er in einem Absatz 14 mal das Wort "stanken"(S.5/6).
Die häufige Wiederholung eines Wortes in einem Satz oder Absatz soll die Wirkung der Schilderung steigern. Süskind reiht hier die Satzteile ohne verbindende Konjunktionen aneinander. Süskind verwendet in diesem Zusammenhang auch die Anapher an, zum Beispiel wenn es heißt: "Es stanken die Straßen nach Mist, es stanken die Hinterhöfe nach Urin, es stanken die Treppenhäuser nach fauligem Holz... ."(S.5/6)
Zu den traditionellen Stilmitteln, die Patrick Süskind in seinem Roman verwendet, gehört auch die ungewöhnlich häufige Wiederholung derselben Konjunktionen zur Verbindung einer Wort- oder Satzreihe: "... ,nach altem Käse und nach saurer Milch und nach Geschwulstkrankheiten"(S.6). Zudem setzt er wie in folgenden Beispielen, Antithesen ein: "... ,keine aufbauende und keine zerstörende,(...) aufkeimenden oder verfallenden Lebens,... ."(S.6)
2.3. Die Frage nach der Angemessenheit der sprachlichen Mittel (gemessen an der Thematik / am Inhalt)
Selbst wenn Duft und Gestank beschrieben werden, das Thema des Romans schlechthin, widersteht Süskind der Verführung in Extreme zu verfallen. Er versucht zunächst Distanz zwischen dem Damals und der modernen Zivilisation zu schaffen. Süskinds Stil bleibt kühl, unaufgeregt, überschaubar und geregelt. Elegant umschreibt er die Unebenheiten und Widerstände der Realität: "Es stanken die Flüsse, es stanken die Plätze, es stanken die Kirchen, es stank unter den Brücken und in den Palästen" (S. 6).
Er gebraucht saubere Sätze, selbst im Zentrum des Gestankes nur hochsprachlich "Urin und Nachtöpfe", "Kot" (S. 53) und "Exkremente" (S. 157). Umgangssprachliche Fikalwörter kommen so gut wie nicht vor. Ausnahmen gibt es nur in der Beschreibung Grenouilles, wenn es dort heißt, dass er "schiß während er fraß" (S 168). Solche verkürzten Pointen sind aber das Extremste, was Süskind an Empörung über den Zustand der Wirklichkeit aufbringen kann. So auch am Ende, nach dem Hexensabbat des Bacchanals, wenn der Gestank von "Pisse" und "Kinderscheiße" (S. 311) den "entsetzlichen Kater" (S. 312) versinnlicht, den die Grasser nach ihrem Exzeß erleiden.
Im Vergleich zu Werken von anderen Autoren, beispielsweise von Oskar Matzerath oder Alain Coben, wirkt die Romanouvertüre über die verpestete Stadt Paris nahezu beschönigend.
3. Biographische Bezüge
3.1. Die Biographie des Autors
Patrick Süskind wurde am 26.03.1949 in Ambach am Starnberger See geboren. Untergetaucht lebt er heute abwechselnd in München oder in Frankreich, vorzugsweise in Mansarden. Aufgrund seines zurückgezogenen Lebensstils und seiner Hartnäckigkeit beim Ablehnen von Interwiews und Statements zu seinen Werken wird er von der Presse als "Phantom der Deutschen Unterhaltungsliteratur" bezeichnet.
Als zweiter Sohn des Publizisten und Romanciers Wilhelm Emanuel Süskind wuchs er im bayerischen Holzhausen auf, wo er zunächst die Dorfschule und später das Gymnasium besuchte. Nach Abitur und Wehrersatzdienst studierte Süskind in München Geschichte und verdiente seinen Lebensunterhalt mit allerlei Gelegenheitsarbeiten. Er hörte ein Jahr lang Vorlesungen in Aix-En-Provonce und perfektionierte dort seine Kenntnisse der französischen Sprache und Kultur und schloß 1974 das Studium ab. Danach verdiente er sich seinen Lebensunterhalt mit Exposés und Drehbüchern.
Mit Regisseur Helmut Dietl zusammen schrieb er Drehbücher für zwei erfolgreiche Fernsehserien, "Kir Royal und Monaco Franzl" sowie zu dem Kinofilm "Rossini-oder die Frage wer mit wem schlief". Seinen ersten Theatererfolg hatte er mit dem Stück "Der Kontrabaß". Mit dem "Parfüm" gelingt Süskind fünf Jahre später (1985) der Welterfolg. Für dieses Werk hatte Süskind zuvor lange Recherchen angestellt, die Schauplätze der Handlung bereist, sich in Grasse bei der namhaften Firma Fragonard in die Geheimnisse der Parfumeurskunst einweisen lassen und vor allem eine Anzahl von literarisch und kulturhistorischen Quellen studiert, die er ausgiebig für den Roman nutzte. Das "Parfum" wurde 1985 zum ersten Mal im Diogenes Verlag veröffentlicht. Es folgten 1987 die Novellen "Die Taube" und 1991 "Die Geschichte von Herrn Sommer".
3.2.Die Stellung des Werkes in der Vita des Autors
Patrick Süskind ist als Dramatiker, Prosaschriftsteller, Hörspiel- und Drehbuchautor gleichermaßen erfolgreich. Seine (Anti-) Helden haben allesamt Schwierigkeiten, sich in der Welt und besonders im Umgang mit ihren Mitmenschen zurechtzufinden. Sie sind Sonderlinge, die sich vor der als bedrohlich empfundenen Umwelt am liebsten in enge Räume zurückziehen.
Süskind ist literarisch vorbelastet. Sein Vater, Wilhelm Emanuel Süskind, war mit der Familie Thomas Manns bekannt. Er schrieb literarische Texte und arbeitete als Redakteur bei verschiedenen Zeitungen, zuletzt bei der "Süddeutschen Zeitung". Patrick Süskinds Vater führte einen gutbürgerlichen Haushalt und war für seine Vorliebe für Empfänge und zeremoniöse Teepartys bekannt, bei denen der junge Süskind vor versammelter schreibender Zunft seine Klavierkünste vorführen musste. Die musikalische Ausbildung spielte offensichtlich eine nicht geringe Rolle in der Entwicklung des Jungen und scheint traumatische Erinnerungen hinterlassen zu haben. Nicht nur das Ein-Personen-Stück "Der Kontrabaß", sondern auch die autobiographische "Geschichte von Herrn Sommer" verraten peinigende Erfahrungen mit dem Werdegang einer Künstlerexistenz. Wenn also Patrick Süskind in seinen Werken um die Kunst, das Werden des Genies und um das Scheitern des Genies kreist, so ist die Vermutung zulässig, dass sich darin die frühe Erfahrung künstlerischen Versagens ebenso widerspiegelt wie der Protest gegen der Vater.
Sein Roman "Das Parfum" macht Süskind 1985 endgültig zu einem der weltweit bekanntesten und erfolgreichsten Schriftsteller der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Dieser Roman ist nicht nur ein Bestseller, sondern auch ein Longseller: Neun Jahre lang hielt er sich auf der Spiegel-Bestsellerliste. Trotz des riesigen Erfolges bleibt der Autor Inkognito. Wenn Süskind in "Die Geschichte des Herrn Sommer" seinen Titelhelden ausrufen lässt: "Ja so lasst mich doch endlich in Frieden!"(S.39) spricht dieser sicherlich dem Autor aus dem Herzen. Dem Leser wird klar, dass es sich bei Süskinds Versteckspiel nicht um einen ausgeklügelten Public-Relation-Trick handelt, sondern dass es dem Autor mit seinen Bemühungen nach Anonymität durchaus ernst ist.
Süskind charakterisierte sein Schreiben einmal als Absage an einen "gnadenlosen Zwang zur Tiefe", der von der Literaturkritik gefordert werde. Auch zu seinem Erfolgsroman "Das Parfum" demonstrierte er ein unprätentiöses Verhältnis. "So einen Roman zu schreiben ist furchtbar. Ich glaube nicht, dass ich das noch einmal machen werde" gestand er 1985.Seine Bescheidenheit und seine Zurückhaltung haben Methode. Sie scheinen einem tiefen Mißtrauen gegenüber der Heiligsprechung des Künstlers in der klassisch-romantischen Tradition und der ihr auf dem Fuße folgenden Hochstapelei mit der Kunst zu entspringen.
4. Bewertung
4.1. Die Bedeutung der Inhalte für das Lesepublikum
4.1.1. Ist die Thematik ein abstruser Einzelfall oder wird mit dem Besonderen (Individuellen) auch Allgemeines (Gesellschaftliches) erfaßt ?
Die Thematik ist typisch für die Werke von Patrick Süskind. In jeder seiner literarischen Arbeiten steht ein auf sich selbst bezogener Sonderling im Zentrum, der ohne gesellschaftliche Bindung oder intime Beziehung zu einer Person sich zurückgezogen hat oder aus seiner Isolation zum Angriff auf die Welt losgeht. Das Außergewöhnliche an Süskinds Roman ist seine Hauptfigur. Süskind schildert einen Menschen ohne Eigengeruch, dafür stattet er ihn mit einer genialen Fähigkeit aus. Grenouille hat einen hervorragenden ausgeprägten Geruchsinn. Dieser olfaktorische Sinn ersetzt für ihn die andere Sinne. Grenouille riecht, schmeckt, sieht, hört und fühlt scheinbar durch seine Nase. Er erlebt die Welt und ihre Menschen durch ihre Gerüche. Diese geniale Gabe führt dazu, dass sich seine Umwelt vor ihm ekelt und ihn verstößt.
Süskind spricht damit in seinem Werk auch ein gesellschaftliches Problem an. Es kommt nicht selten von, dass Menschen auf Grund ihrer Genialität verkannt werden, weil sie anders sind und deshalb an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt werden. Meistens sind es aber genau diese Personen die, unsere Gesellschaft voranbringen.
4.1.2. Gelingt über die gewählten Inhalte die Kontaktaufnahme zur Leserin/zum Leser?
Durch die fremdsprachlichen Vokabeln der Parfumeure und den genauen Beschreibungen der Parfumeurstechniken ist der Leser gezwungen sich zumindestens ansatzweise, mit Grenouille in die Geheimnisse der Wissenschaft von damals einweihen zu lassen.
Der Autor Patrick Süskind weigert sich als kulturelle Leitfigur aufzutreten, da er keine bestimmte gesellschaftspolitische Wirkung erzielen will. Ähnliches gilt auch für seinen Roman, der dem Leser keine moralische belehrende Botschaft aufdrängt. Der Leser muss sich nicht mit dem Helden identifizieren, da er mit der Welt der Handlungsfiguren kaum etwas zu tun hat.
Da eine eindeutige Botschaft fehlt, ist es Sache des Lesers, eine Botschaft selbst für sich zu finden und zu bewerten. Es bleibt ihm überlassen, ob er sich von der spannenden Handlung einfach unterhalten lässt, ob er sich mit der Geschichte eines Mörders im Umfeld einer ausbeuterischen Gesellschaft auseinander setzt oder ob er den Roman als Kritik an der Aufklärung liest.
4.2. Die Bedeutung der Stilistik für die Rezipienten: "lesbar" oder nicht?
Patrick Süskinds Stil ist altmodisch und anspruchsvoll, aber trotzdem leicht verständlich. Probleme gibt es gelegentlich nur beim Verständnis der französischen Vokabeln und den fachsprachlichen Fremdwörtern. Bei der Wortwahl entscheidet sich der Autor meistens für einen hochsprachlichen und nicht für einen umgangssprachlichen Stil.
Die hochsprachlichen Vokabeln dienen der Verschleierung der Realität, dies erzielt den Effekt, dass die Thematik immer gefiltert an den Leser herantritt und dieser kaum betroffen oder erschüttert ist.
5. Skizze eines produktorientierten Interpretationsansatzes
Wenn der Autor seinen Helden beschreibt, so zeigen sich Parallelen zwischen seiner Biographie und dem Lebenswandel Grenouilles. Bestes Beispiel ist der Rückzug Grenouilles in eine einsame Höhle in Kapitel 25. Grenouille zieht sich zurück, um neue Kraft zu tanken. Er kann seine eigene Geschichte verarbeiten, kann eigene Welten erschaffen und zerstören. Der Erzähler bezeichnet den Rückzug als Heimkehr, der von Grenouille zur Selbstfindung genutzt wird. Wenn sich also Grenouille in seine Höhle zurückzieht, weil er sich vor den Menschen ekelt und diese nicht mehr ertragen kann so ist dies mit Süskinds Rückzug in seine Mansarden Wohnung zu vergleichen.
Süskind, der die Öffentlichkeit scheut und so gut wie keine Kommentare zu seinen Romanen abgibt, hat, so kann vermutet werden, eigene Kindheitserfahrungen mit in den Roman einfließen lassen. So berichtet er in seinem Roman über den Werdegang eines Genies und dessen Scheiterns. Süskind, der seinen Vater stets als Über-Vater empfunden hat und unter ihm leiden musste, nahm traumatische Erfahrungen aus seiner Kindheit mit auf seinen Lebensweg. So ist überliefert, dass es stets zu Auseinandersetzungen im Hause Süskind zwischen Vater und Sohn kam. Der Sohn lehnte das gesellschaftliche Treiben im Hause des Vaters ab, er wollte stets seinen eigenen Weg gehen. Parallel zu seiner Biographie spielen die Lehr- und Wanderjahre auch in seinem Roman eine wichtige Rolle. Süskind studierte und lernte einige Jahre im Ausland, um Abstand von seinem Vater zu bekommen. Er versuchte stets sich von seinem Vater unabhängig zu machen und ihm von seinem Können zu überzeugen. Seine Romanfigur Grenouille lässt er die Parfumeurskunst von der Picke auf lernen und perfektionieren. Grenouille versucht ebenfalls sein Leben lang andere zu überzeugen und auf sich als eigene Persönlichkeit aufmerksam zu machen. Süskind beschreibt seinen Helden als einen auf sich bezogenen Sonderling, ohne gesellschaftliche Bindung und beschreibt dabei auch ein Stück sich selbst.
6. Zusammenfassende Darstellung der Rezeptionsgeschichte
Patrick Süskinds Roman "Das Parfum" war und ist ein Welterfolg. Zögerlich und zurückhaltend, wie im Umgang mit den Medien, dem eigenen Talent mißtrauend, erwies sich Süskind schon, als es darum ging, seinen Roman an die Öffentlichkeit zu bringen. Als er Daniel Kern sein Manuskript anbot, soll er gleichzeitig davor gewarnt haben, mehr als 5000 Exemplare zu drucken. Aus Vorsicht, was sich im nachhinein freilich als gelungene Marketingstrategie erwies, bot der Verlag es auch zunächst als Fortsetzungsroman der "FAZ" an, wo es auf ein positives Echo stieß, so dass die Buchfassung Anfang 1985 mit einer Startauflage von 100 000 Stück auf den Markt kam. Diese war bereits nach wenigen Monaten vergriffen. Inzwischen ist der Roman in 33 Sprachen übersetzt und über acht Millionen Mal verkauft worden.
Kurz nach Ausgabe der ersten Auflage überschlugen sich die Literaturkritiker vor Lobesgesängen weltweit. Hervorragende Kritiken in bedeutenden Zeitungen und Zeitschriften waren die Folge. So kommentierte "Der Spiegel" den Roman als: "Ein erfreulicher Anachronismus im modischen literarischen Blabla. Ein internationaler Dauerseller. Seit Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues", also seit 1929, gelang keinem deutschsprachigen Autor mehr ein durchschlagender Erfolg". Auch in Übersee machte "Das Parfum" Schlagzeilen: "Kraftvoll und mitreißend. Seine Wirkung wird lange anhalten", meldete das "Time Magazine", aus New York und: "Eine der aufregendsten Entdeckungen der letzten Jahre. Fesselnd. Ein Meisterwerk", berichtete "The San Francisco Chronicle".
Trotz des großen Erfolgs von "Das Parfum" gib es bis heute noch keine Verfilmung des Romans. Nach Auskunft des "Diognes Verlags" hat Süskind noch nicht seine Einwilligung zur Verfilmung gegeben.
Auch von Deutschlands bekanntesten Kritikern, erhielt "Das Parfum" überwiegend positive Urteile. Am 02.03.1985 lobte Reich-Ranicki in der "FAZ" vor allem Süskinds erzählerisches Vermögen: "Also da gibt es immer noch oder schon wieder: einen deutschen Schriftsteller, der des Deutschen mächtig ist; einen zeitgenössischen Erzähler, der dennoch erzählen kann; einen Romancier, der uns nicht mit dem Spiegelbild seines Bauchnabels belästigt; einen jungen Autor, der trotzdem kein Langweiler ist."
Auch Gerhard Stadelmeier äußerte sich am 15.03.1985 in der "Zeit" äußerst positiv: "Hier beschreibt einer mit nichts als erzählerischer, kausaler und causeriereicher Rationalität, mit erlesenen und fein gesetzten, geformten und alten Wörtern und Methoden die grandiosen Abenteuer einer ganz und gar neuen Erfahrung." Eher eine Ausnahme bleibt Horst Karaseks vernichtende Kritik an Süskinds Erzählstil in der Zeitschrift "Listen" vom Dezember 1985: "Aber so onkelhaft mitgeteilt und parfümiert wie die Fabel von Grenouille, dem Frosch, werden unsere Hausmärchen selten. Kaum eines strotzt derart von Superlativen, mit denen Süskind den Leser plattwalzt." Er nennt im Fazit seiner Rezension "Das Parfum" schlichtweg "Kitsch".
7. Zusammenfassendes Urteil ( "Leseempfehlung" )
Süskinds Mordgeschichte aus dem 18. Jahrhundert ist spannend und bis auf einige französischen Fachausdrücke und lateinische Floskeln auch leicht verständlich erzählt. Die Stilistik, die Süskind für seinen Roman wählt, ist traditionell und wirkungsvoll. Meiner Meinung nach ist es dem Autor gut gelungen, die gewählte Thematik in seinem Werk umzusetzen. Der Unterschied zu den Geschichten beispielsweise eines Franz Kafkas ist der, dass "Das Parfum" dem Leser verschiedene Möglichkeiten gibt es zu lesen. Der Leser kann sich von der Geschichte eines Mörders unterhalten lassen, ohne sich große Hintergedanken zu machen, oder aber er kann sich mit dem Roman als Aufklärungs- und Vernunftkritik auseinandersetzen. Der Leser muss die Geschichte nicht interpretieren, um sie zu verstehen.
Literaturliste
1. Patrick Süskind "Das Parfum", Interpretation von Werner Frizen und Marilies Spancken, erschienen im Oldenbourg Verlag, 1996
2. Patrick Süskind "Das Parfum", Interpretation von Alexander Paab und Dr.Ellen Oswald, erschienen im Mentor Verlag München, 1997
[1]Geben die Seitenzahlen in folgendem Roman an: "Das Parfum" von Patrick Süskind
Veröffentlicht im Diognes Verlag als Taschenbuch,1994
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