Der See
Gerhard Roth wurde 1942 in Graz geboren, studierte Medizin, übte aber nie den Beruf eines Arztes aus, sondern arbeitete als Angestellter, zuletzt als Organisationsleiter im Rechenzentrum Graz. Seit 1978 lebt er als freier Schriftsteller in Wien und der Südsteiermark. Er ist Mitglied des Forums Stadtpark und der Grazer Autorenvereinigung.
Werke:
Dramen: "Lichtenberg" (1973)
"Sehnsucht" (1976)
"Dämmerung" (1977)
Romane: "die autobiographie des albert einstein" (1972)
"Wille zur Krankheit" (1973)
"Der große Horizont" (1974), "Ein neuer Morgen" (1976)
"Der stille Ozean" (1980)
Romanzyklen: "Landläufiger Tod" (1984)
"Die Archive des Schweigens" (1991)
Gerhard Roth verfaßte außerdem zahlreiche Erzählungen und Essays.
Roth wurde bisher unter anderem mit dem Literaturpreis des Landes Steiermark, dem Preis der SWF-Bestenliste, dem Alfred Döblin-Preis und dem Preis des österreichischen Buchhandels ausgezeichnet.
Der Roman "Der See", der typische Elemente des klassischen Kriminalromans enthält, erschien 1995 und handelt im Entstehungsjahr am Neusiedlersee.
Die zentrale Figur des Romans ist der medikamentensüchtige Paul Eck. Er hat sein Medizinstudium abgebrochen und arbeitet als Vertreter für pharmazeutische Produkte.
Ecks Eltern ließen sich schieden, als er noch ein Kind war und seine Mutter beging wenige Jahre später Selbstmord. Sein Vater, den Eck seit der Scheidung seiner Eltern nicht mehr gesehen hat, ist wieder vereiratet und hat einen Sohn aus zweiter Ehe. Er besitzt eine Waffen-handlung in Frauenkirchen, wo er konservativer Bürgermeister war, und ist nun sozialdemo-kratischer Landesrat.
Paul Eck, der sich in Triest befindet, erhält einen Brief von seinem Vater, der ihm zum Segeln am Neusiedlersee einlädt. Eck beschließt, zu kommen.
Eck quartiert sich zunächst in einem Hotel in Podersdorf ein. Am folgenden Tag erfährt Eck, dass sein Vater von einer Segeltour nicht mehr zurückgekehrt ist und nun vermißt wird. Eck besucht seinen Schulfreund Robert in Illmitz, einen begeisterten Hobbypiloten und Modellbauer, und unternimmt mit ihm einen Rundflug über den See, um nach dem Boot seines Vaters oder am See treibenden Gegenständen zu suchen. Eck erhält von seiner Firma eine neue Adressenliste, übersiedelt in einen Wohnwagen auf den Campingplatz und nimmt die Identität seines Linzer Kollegen Dr. Rotberger an. Während er die Ärzte besucht, hört er von jedem eine andere Theorie über seinen Vater und dessen Verschwinden, lernt ihn so erst richtig kennen und erfährt sehr viel über seine politische und geschäftliche Tätigkeit.
Am folgenden Tag betritt er das Waffengeschäft seines Vaters, er sieht seinen Stiefbruder zum ersten Mal und wird von seiner Stiefmutter bedient. Er kauft einen Revolver und füllt das Formular für den Waffenschein mit Dr. Rotberger aus. Später wird er von der Gendarmerie abgeholt und ins Leichenschauhaus gebracht, wo ihm eine Hand, angeblich die seines Vaters, die am Schilfschneideplatz gefunden wurde, gezeigt wird und Eck des Mordes an seinem Vater verdächtigt wird. Eck erfährt in den folgenden Tagen, dass sein Vater in illegale Waffengeschäfte sei und, wie es eine Ärztin ausdrückt, die er besucht, "beruflich und vielleicht auch privat über Leichen gehe". Außerdem behauptet ein Parteifreund Ecks, diesen am Flughafen Frankfurt gesehen zu haben und es sich heraus, dass die Hand und die weiteren inzwischen gefundenen Gliedmaßen nicht zu Ecks Vater gehören.
Eck besucht seinen Großonkel Ferencz in Ungarn, der vermutet, dass Ecks Vater auf der Flucht vor der Staatspolizei gewesen sein musste und fährt dann nach Illmitz, wo Robert einen Sitzpolster, der mit ziemlicher Sicherheit aus dem Boot von Ecks Vater stammt, aus dem Wasser gefischt hat. Die ganze Zeit über wird Eck von einem Unbekannten in einem blauen Toyota verfolgt, der sich später als Inspektor Schäffer herausstellt.
Eck, Robert und Schäffer fahren erneut auf den See hinaus und bergen einen weiteren Teil der Polsterung, einen Turnschuh und eine NATO-Jacke. Eine dritte Hand wird gefunden und bei der Familie von Ecks Vater gehen mysteriöse Anrufe ein. Ein geheimnisvoller Mann, wie Eck danach erfährt ein pensionierter Untersuchungsrichter namens Sonnenberg, bringt Eck zum Journalisten Gartner, der sich ausführlich mit dem Fall beschäftigt und über Waffengeschäfte von Ecks Vater, die über Ungarn ins bosnische Kriegsgebiet laufen, Bescheid weiß.
In der Kaserne Oggau ist seit zwei Tagen ein Soldat abgängig und Eck wird vom dortigen Stabsarzt Dr. Goriupp eingeladen und dieser setzt in Eck die Hoffnung, dass er die Geschäfte seines Vaters weiterführen würde, ohne genauer auf diese einzugehen. Danach bringt Schäffer Eck zu einer Kiesgrube, wo eine vierte Hand, ein Kopf und ein ausgebranntes Autowrack gefunden wurden.
Eck und sein Stiefbruder brechen zu einer gemeinsames Angeltour auf, und es kommt zu einer Auseinandersetzung, da der Stiefbruder Eck die Erbschaft nicht gönnt. Als sie zurückkehren erfahren sie, dass das Segelboot seines Vaters in einem Bombentrichter vor Illmitz entdeckt wurde und dass die Identität jener Menschen, deren Leichenteile gefunden wurden, bekannt ist. Es handelt sich um einen deutschen Fuhrunternehmer, der auf den Balkan lieferte und um den abgängigen Soldaten namens Stramsack. Auf einer Liste der Regierung Restjugoslawiens über illegale Waffenhändler taucht der Name von Ecks Vater auf und bei einem in Wien ermordeten Serben, der von London aus einen großen Waffenhandel leitete, werden die Adressen Goriupps und Ecks gefunden. Von einem Tierpräparator, einem engen Freund des ermittelnden Oberstleutnant Fasching, erfahren Eck und Gartner, dass ein Soldat namens Laposa gemeinsam mit Stramsack den Deutschen erschossen, mit einer Motorsäge zerstückelt und sein Auto angezündet hat. Anschließend hat er seinen Mitwisser Stramsack auf gleiche Art ermordet.
Fast zur selben Zeit wird Laposa bei einer Übung auf dem Truppenübungsplatz Neusiedl verhaftet und legt ein Geständnis ab. Die Leiche von Ecks Vater wird nackt im See gefunden, die genaue Todesursache bleibt ungeklärt. Eck Stiefbruder besucht ihn erneut und fordert ihn auf, zu verschwinden.
Durch eine Auseinandersetzung der neben Eck auf dem Campingplatz wohnenden Männer mit dem Platzwart um die Aufteilung einer Beute aus einem Bankraub gehen der Wohnwagen und schließlich der gesamte Campingplatz in Flammen auf und Eck flieht eilig mit Robert in dessen Flugzeug.
Paul Eck ist eine für Roths Romane typische Hauptfigur: Er hat ein gestörtes Verhältnis zu seiner Umwelt und schafft es nicht, sich an eine Situation anzupassen, er verfängt sich allzu oft in bedeutungslosen Details, anstatt sich auf das für ihn Wesentliche zu konzentrieren. Einzig und allein durch seine Medikamentensucht, die er sich allerdings selbst nicht eingesteht, wird sein Leben für ihn einigermaßen erträglich, da er mehr und mehr eine Gefühlskälte entwickelt und so dem Schicksal, das sich gegen ihn zu richten scheint, trotzt. In Wirklichkeit schafft sich Eck seine meisten Probleme selbst, indem er, aus Angst, dass sein wahrer Charakter erkannt werden könnte, eine Mauer aus Geheimnissen um sich aufbaut, die ihn mehr und mehr verdächtig erscheinen lässt.
Gerhard Roth verfolgt in diesem Werk auch die Absicht, die derzeitige politische und gesellschaftliche Situation Österreichs darzustellen und kritisiert die oft herrschende Gleich-gültigkeit. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Problemen, die durch den Zusammenbruch des Ostblocks in den Grenzregionen entstanden sind, vor allem die Konsequenzen der neuen Nationalitätenkonflikte in diesen Ländern, wie die Flüchtlingsströme und der illegale Waffenhandel.
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