Der goldne Topf

auf der Himmelsleiter - ganz unten und ganz oben

"Ich meine, dass die Basis der Himmelsleiter, auf der man hinaufsteigen will in höhere Regionen, befestigt sein mĂŒsse im Leben, so dass jeder nachzusteigen vermag. Befindet er sich dann immer höher und höher hinaufgeklettert, in einem fantastischen Zauberreich, so wird er glauben, dies Reich gehöre auch noch in sein Leben hinein, und sei eigentlich der wunderbar herrlichste Teil desselben." (E.T.A. Hoffmann, Die SerapionsbrĂŒder, 3. Band)

VorĂŒberlegungen

"Zauberhafte Leichtigkeit" bescheinigte dem "Goldnen Topf" sein erster Rezensent - das scheint nicht zu E.T.A. Hoffmanns Ruf als "Gespensterhoffmann" zu passen, mit dem er in die Geschichte der Weltliteratur eingegangen ist. Von 1830 an haben nicht die Deutschen, sondern die Franzosen, dann die EnglĂ€nder und Amerikaner "das Hoffmanneske" fĂŒr eine adĂ€quate Darstellung der Wirklichkeit als einer vordergrĂŒndig normal-bĂŒrgerlichen und hintergrĂŒndig dĂ€monisch-zerstörerischen gehalten. Eine solche Wirklichkeitssicht spiegelt sich - auf den ersten Blick - eher in der abgrĂŒndigen Phantastik der ErzĂ€hlung "Der Sandmann" als im Schicksal des Anselmus im "Goldnen Topf", dem es - zumindest fĂŒr das Empfinden eines heutigen Lesers - wohl allzu leicht gemacht wird, in Atlantis die "Seligkeit" zu gewinnen, von der im letzten Satz des MĂ€rchens die Rede ist. Aber auch der "Goldne Topf" ist keine Idylle, entwirft keine Utopie. Zwar soll der Leser die "Himmelsleiter" des MĂ€rchens, von der im Rahmendialog der "SerapionsbrĂŒder" die Rede ist, möglichst hoch hinauf klettern - aber genauso tief wird dann sein Fall sein, der ihn auf der letzten Seite des MĂ€rchens zusammen mit dem ErzĂ€hler plötzlich erwartet. Allerdings kĂŒmmert sich nicht jeder Leser auf der letzten Seite des Buchs noch um den ErzĂ€hler, wenn er sich vorher mit der Hauptperson fest identifiziert und sie zum Schluß gar im Paradies besucht hat!

Ein adÀquates VerstÀndnis des "Goldnen Topfs" ist wohl nur möglich, wenn zweierlei genau beachtet wird:

zum einen der kunstvolle Umgang des ErzĂ€hlers mit dem Leser, die ErzĂ€hlkommunikation: Die Begegnung zwischen ErzĂ€hler und Leser findet im Rahmen der Handlung statt, auf einer eigenstĂ€ndig etablierten RealitĂ€tsebene, und zwar als immer wieder unternommener Versuch des ErzĂ€hlers, mit dem Leser in einen Dialog zu treten. Um die Ich-Du-Achse "fiktiver ErzĂ€hler - fiktiver Leser", die auf den außerhalb des Textes existierenden individuellen Autor E.T.A. Hoffmann und auf den genauso individuell verstandenen Leser verweist, dreht sich, wie zu zeigen ist, die gesamte Anselmus-Handlung. Zum anderen hĂ€ngt ein adĂ€quates VerstĂ€ndnis des "Goldnen Topfs" von der in sich scheinbar widersprĂŒchlichen doppelten Grundbewegung ab, die das Werk - wie andere von E.T.A. Hoffmann - kennzeichnet und von der der Autor wußte, wie er 1814 in einem Brief an seinen Verleger Kunz schreibt, dass er damit literarisches Neuland betrat: nĂ€mlich das "kecke" Überschreiten des Textes einmal hinein in die außertextliche RealitĂ€t von Dresden 1813/14, in das "gewöhnliche Leben" dort, und auf der anderen Seite hinein in das "ganz Fabulose" mit "tieferer" Bedeutung, in die als wahr behauptete, ja, wahrhaftig erschaute RealitĂ€t des Mythos (Brief vom 4. MĂ€rz 1814 an den Verleger Kunz in Bamberg, in: E.T.A. Hoffmanns Briefwechsel, hg. v. Fr. Schnapp, 3 Bde, MĂŒnchen 1967-69, Bd. 1, S. 445 ff.).

Nun ist die eine dieser beiden RealitĂ€ten, die des Alltags von 1813/14, auf sehr unterschiedliche Weise im Text prĂ€sent: Die Welt des deutschen BĂŒrgertums zwischen Französischer Revolution und Wiener Kongreß: seine RationalitĂ€t ohne politische Perspektive, seine öde NormalitĂ€t, sein Gewinn- und Karrierestreben - all das macht den Boden der Handlung aus, auf dem die "Himmelsleiter" des MĂ€rchens sich erhebt. Die zeitgeschichtliche RealitĂ€t der sog. Befreiungskriege, Hoffmanns unmittelbare Konfrontation mit dem PhĂ€nomen "Napoleon" in den Tagen der Konzipierung des "Goldnen Topfs", seine ambivalente Faszination durch diesen "DĂ€mon", wie er ihn in mehreren Texten nennt - diese sehr konkrete RealitĂ€t scheint im "Goldnen Topf" völlig ausgeblendet zu sein (wenn man nicht die Gestalten und Ereignisse auf der mythischen Ebene auch allegorisch deutet). Dennoch, trotz der direkten Ausblendung, sind gerade die Kriegswirren in und um Dresden der unmittelbare "Hebel" (ein Terminus Hoffmanns), der das MĂ€rchen in Gang setzt. "In keiner als in dieser dĂŒstern verhĂ€ngnißvollen Zeit, wo man seine Existenz von Tage zu Tage fristet und ihrer froh wird, hat mich das Schreiben so angesprochen - es ist, als schlösse ich mir ein Reich auf, das [...] mich dem Drange des Äußern entrĂŒckte" - schreibt Hoffmann an Kunz am 19. August 1813 (a.a.O. S. 407 ff.). Mitten im chaotischen Dresden, unmittelbar nach der Schlacht bei Dresden, Napoleons letztem Sieg, steigt Hoffmann auf der "Himmelsleiter" des MĂ€rchens weit nach oben, die Angst wĂ€hrend der verheerenden Kanonade auf die Stadt und das Grauen des von ihm selber besichtigten und detailliert beschriebenen Schlachtfelds und der Nervenfieber-Epidemie weit unter sich lassend. SpĂ€ter, in den "Serapions-BrĂŒdern", spricht er von dem "Entsetzlichen, was sich in der alltĂ€glichen Welt begibt", von der "Grausamkeit der Menschen", dem "Elend, was große und kleine Tyrannen schonungslos mit dem teuflischen Hohn der Hölle schaffen". - Unmittelbar vor dem "Goldnen Topf", wĂ€hrend der Kanonade, hat Hoffmann den Dialog "Der Dichter und der Komponist" geschrieben, den er im genauen Gegensatz zum "Goldnen Topf" in den ganz konkreten Ereignisrahmen dieser Tage einbaut.

Zur AlltagsrealitĂ€t von 1813/14, die Hoffmann im "Goldnen Topf" ins Werk setzt, gehören außerdem Elemente seiner eigenen Lebensgeschichte. Die Anspielungen auf seine unsterbliche und unglĂŒckselige Liebe zu Julia Marc in Bamberg, deren Wunden im ersten Jahr nach dem als katastrophal erlebten Ende der Beziehung (1812) noch lange nicht verheilt sind, werden unter der OberflĂ€che des Textes versteckt, sind aber auf jeder Seite anwesend (s.u.). Hier geht es - ich gebrauche einmal den dramatischen Ausdruck - um Hoffmanns "Herzblut", um das, was fĂŒr ihn am tiefsten Wahrheit enthĂ€lt (s.u.). Ulrich Stadler spricht in diesem Zusammenhang von der "Trauerarbeit" des Autors (Brigitte Feldges/Ulrich Stadler, E.T.A. Hoffmann. Epoche - Werk - Wirkung, MĂŒnchen [Beck's ElementarbĂŒcher] 1986, S.73).

Der Ebene der bĂŒrgerlichen Welt steht in der Handlung des "Goldnen Topfs" - wie gesagt - die Ebene der RealitĂ€t des Mythos direkt gegenĂŒber. Der "Goldne Topf" - das ist Spiel und Spannung zwischen den beiden Polen des "gewöhnlichen Lebens" und des "ganz Fabulosen". WĂ€hrend in den frĂŒhromantischen KunstmĂ€rchen das "Fabulose" allein den MĂ€rchencharakter ausmacht, in das das "Gewöhnliche" völlig hineinpotenziert ist, liegt das "mythische Reich", von dem Hoffmann immer wieder spricht, einerseits der alltĂ€glichen Wirklichkeit "viel nĂ€her", "als du sonst wohl meintest", gĂŒnstiger Leser (so steht's in der 4. Vigilie), aber die beiden Bereiche sind andererseits auch unĂŒberbrĂŒckbar getrennt. Hoffmanns Auffassung von der Welt der Phantasie/des Mythos ist geprĂ€gt durch seine (nicht unbedingt philosophisch reflektierte) Auseinandersetzung mit der romantischen Naturphilosopie, die er aus G.H. Schuberts "Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften" (1808) kannte und mit deren Basis-Mythos er sich wie viele andere Zeitgenossen identifizierte (vgl. S. 82 - 85 in P.-W. WĂŒhrl, E.T.A. Hoffmann "Der goldne Topf". ErlĂ€uterungen und Dokumente, Reclam 8157). Dieser Basis-Mythos ist nicht mehr wie in der FrĂŒhromantik die Geschichte der glĂŒcklichen RĂŒckkehr zum Ursprung, sondern die vom nie ans Ziel kommenden Flug des Phönix aus der Asche, aus der Asche, die vom ausgebrannten Lilienfeuer des Phosphorus oder Salamander ĂŒbrig geblieben ist.

Der gleiche Mythos liegt den beiden ErzĂ€hlungen zu Grunde, die kurz vor dem "Goldnen Topf" in Dresden entstanden sind und die zur vergleichenden LektĂŒre herangezogen werden können: In den beiden ErzĂ€hlungen "Der Dichter und der Komponist" und "Der Magnetiseur" wird deutlich, wie der gleiche Mythos, den die Leser/-innen in der 3. und 8. Vigilie des "Goldnen Topfs" kennenlernen können, einmal vom nationalistischen Denken der Zeit (in "Der Dichter und der Komponist"), das andere Mal vom Prinzip des Willens zur Macht (in "Der Magnetiseur") usurpiert werden kann. E.T.A. Hoffmann probiert die unterschiedlichen Haltungen aus, ohne sich mit ihnen zu identifizieren. In einer anderen ErzĂ€hlung aus dem Jahr 1815 ("Der Dey von Elba in Paris", in: E.T.A. Hoffmann SĂ€mtliche Werke, hg. v. R. Frank, MĂŒnchen/Leipzig 1924, Bd. 8, S. 478 ff.) hat er seine politische Haltung im Zeitalter Napoleons charakterisiert, indem er in der Beschreibung einer anonym auftauchenden Person ein PortrĂ€t entwirft, das sich durch den Kontext wohl als SelbstportrĂ€t verstehen lĂ€sst: "Dieser Mann mit Ă€ngstlich fragender Miene" - so wird gesagt - das "ist einer von den krĂ€nkelnden Charakterlosen, die auf dem wogenden Meere der politischen Welt von jedem LĂŒftchen hin und her getrieben werden. Er hofft, er verzweifelt, er ist beruhigt, erschrocken, voller Freude, voller Angst, er jubelt, er heult, alles in wenigen Momenten. Eigentlich ist es auch nur sein zartes Selbst, das er immer gefĂ€hrdet glaubt, sonst könnte es gehen wie es wollte!" Dieser Hoffmann der Jahre 1813 bis 1815 ist nicht unpolitisch, im Gegenteil, er beobachtet genau und interessiert, er empfindet genau, nur hat er keine konstante Perspektive, keinen Standpunkt, dem er sich anvertrauen könnte. In Napoleon, den Hoffmann 1813 in Dresden aus nĂ€chster NĂ€he beobachten konnte, haben sich die Zeitgenossen des Jahrzehnts zwischen 1805 und 1815 zum ersten Mal mit dem modernen Prinzip der sich (unabhĂ€ngig von göttlicher Vollmacht) verabsolutierenden Macht auseinanderzusetzen, mit der Macht eines Einzelnen und eines gleich gestimmten Kollektivs (einer Nation), gleichzeitig aber mit dem gewaltigen AufbĂ€umen aller eigentlich ĂŒberholten politischen KrĂ€fte und MĂ€chte. Auszuhalten ist die Ambivalenz zweier sich widersprechender Empfindungen, der Faszination durch Napoleon als den Erben der Revolution, den salamandrischen Elementargeist, den "Weltgeist zu Pferde", wie Hegel sagt, und der völligen Ablehnung dieses Machtmenschen, der wie Salamander im "Goldnen Topf" alles verwĂŒstet hinterlĂ€sst. Auszuhalten ist der Widerspruch zwischen der Sehnsucht nach Ruhe und Frieden durch die alten MĂ€chte und dem Wissen, dass der GegendĂ€mon zum phosphorisch-salamandrischen Prinzip, das ancien rĂ©gime, nur eine alte Vettel ist. (es erscheint möglich, den Geist-Phosphorus-Salamander-Mythos der 3. und 8. Vigilie und den Äpfelweib-Mythos so konkret politisch zu deuten). Da gibt es, angesichts der Ambivalenz auf beiden politischen Seiten, keinen dritten Standpunkt, keinen erkennbaren Sinn, kein Ziel der Geschichte mehr. Der Zukunftshorizont öffnet sich ins Unabsehbare, und schon der Weg in diese Richtung scheint völlig verstellt. Die Alternative ist an den FrĂŒhromantikern orientiert: nach innen geht der geheimnisvolle Weg - aber mittlerweile ist klar geworden, dass auch da machtgierige DĂ€monen hausen können. Das macht das GrundgefĂŒhl dieser Jahre aus, jedenfalls fĂŒr den, der nicht der trĂŒgerischen nationalen Begeisterung der sog. Befreiungskriege folgt oder, wie mancher Romantiker, in einer transpersonalen vĂ€terlichen oder mĂŒtterlichen Instanz aufgeht - in Volk, Staat oder Kirche.

Interpretationsskizze

1. Lebensgeschichte des Autors - Geschichte von Anselmus - Mythos der ''schöpferischen Qual"

a) "In Dresden wohne ich - auf dem Lande! - d.h. vor dem schwarzen Thore auf dem Sande in einer Allee, die nach dem Linkischen Bade fĂŒhrt. Aus meinem mit Weinlaub umrankten Fenster ĂŒbersehe ich einen großen Theil der sĂ€chsischen Schweiz, Königsstein, Lilienstein u.s.w. Gehe ich nur zwanzig Schritte von der ThĂŒre fort, welches ich so oft ich will in MĂŒtze und Pantoffeln mit der Pfeife im Munde thun kann, so liegt das herrliche Dresden mit seinen Kuppeln und ThĂŒrmen vor mir ausgebreitet, und ĂŒber denselben ragen die fernen Felsen des Erzgebirges hervor." Dies schreibt E.T.A. Hoffmann am 13. Juli 1913, zu einer Zeit, als er sich wohl schon in Gedanken mit dem "Goldnen Topf" beschĂ€ftigt, an seinen Bamberger Freund Speyer. Es ist also der Autor des "Goldnen Topfs'' selber, der zwischen höllischem Schwarzem Tor und ''Linkischem Paradiese'' (7,9 = Reclam 101, S. 7, Z. 9) wohnt. Der Weg des Studenten Anselmus zu Beginn der 1. Vigilie ist des Autors tĂ€glicher Weg. Und auch der Blick des Anselmus, als er "dicht" ĂŒber den "plĂ€tschernden und rauschenden" "goldgelben Wellen des Elbstroms" unter dem Holunderbaum sitzt und hinter dem "herrlichen Dresden" mit seinen "lichten ThĂŒrmen" die "zackichten Gebirge" des Böhmerlandes sieht (7,25ff.), ist vorgeprĂ€gt vom Blick des Autors aus seinem Fenster bzw. von seiner TĂŒr aus.

Gerade in der 1. und 2. Vigilie gibt es mehrere solcher RealitÀtszitate, die eine Verbindung zur Biographie des Autors herstellen:

- ''Anselmus'' ist der Name des Schutzheiligen fĂŒr den 18. MĂ€rz, den Geburtstag von Julia Marc, der in Bamberg von Hoffmann platonisch, aber bis an die Grenzen des "Wahnsinns'' und bis zu Selbstmordgedanken schmerzlich geliebten GesangsschĂŒlerin;

- die bedeutunsvollen dunkelblauen Augen des SchlÀngleins Serpentina "stammen" von Julia Marc, die ebenso blauen Augen der Veronika von Hoffmanns Ehefrau Mischa.

- auch der Holunderbaum im Zusammenhang mit seiner mythischen Bedeutung als Lebens- und/oder Todesbaum verweist auf Julia Marc, da Hoffmann den Holunderbaum aus Kleists ''KĂ€thchen von Heilbronn'' kennt, zu dessen Bamberger AuffĂŒhrung er das BĂŒhnenbild gestaltet hat und von dem er in seinem Tagebuch die vier Buchstaben ''Ktch'' (KĂ€thchen) als Chiffre fĂŒr ''Julia'' ĂŒbernimmt, weil er offensichtlich die Beziehung zwischen dem Grafen vom Strahl und dem somnambulen KĂ€thchen mit der Beziehung zwischen ihm selber und Julia parallelisiert.

Solche RealitĂ€tszitate gehen hinaus ĂŒber die vielfĂ€ltigen BezĂŒge auf Dresden als Ort des Geschehens in diesem ''MĂ€rchen aus der neuen Zeit''. Durch die biographische VorprĂ€gung ganzer Szenen bzw. Szenerien wie der unterm Holunderbaum wird der ''Goldne Topf" zu einem MĂ€rchen aus der individuellen Lebensgeschichte des Autors.

b) Unter dem Holunderbaum am Wasser der Elbe sitzend, Pfeife rauchend wie der Autor auf seinen SpaziergĂ€ngen, und ''finster vor sich hinblickend'' (7/8), hat der Student Anselmus ĂŒber sich die "lichten TĂŒrme" Dresdens und den "duftigen Himmelsgrund", der wiederum - wie es heißt - ''sich hinabsenkte auf die blumigen Wiesen und frisch grĂŒnenden WĂ€lder'', wĂ€hrend die ''zackichten Gebirge'' ''aus tiefer DĂ€mmerung'' emporragen. Dass Anselmus es hier unmittelbar mit den vier Elementen, mit der naturphilosophisch-mythisch strukturierten Naturbasis zu tun hat, fĂ€llt uns wohl erst dann auf, wenn wir uns beim Lesen des in der 3. Vigilie von Archivarius Lindhorst erzĂ€hlten Mythos genau an die Szene unterm Holunderbaum zurĂŒckerinnern: Die Urlandschaft der 3. Vigilie stellt sich dar als das schöpferische Zusammenwirken des Wassers mit der Erde, durch das sich die Erde vertikal in die noch anorganisch zu verstehende Dreiheit von ''Granitfelsen'' (''zackicht''), ''Tal'' und schwarzen ''AbgrĂŒnden'' entfaltet, und - im zweiten Akt - als das schöpferische Zusammenwirken von Sonne und Erde, aus dem in der Horizontalen in drei Schritten die organische Dreiheit der "BlĂŒmlein" ("Keime", "BlĂ€ttlein und Halme", ''BlĂŒten und Knospen") entsteht. Das sind also die drei Elemente 1. Sonne/Feuer/Licht, 2. Wasser, 3. Erde. Diese Ur- und Elementar-Landschaft erweist sich bei nĂ€herem Hinsehen als mythisches Muster fĂŒr die Holunderbaum-Szenerie.

Scheinbar fehlt in beiden Vigilien das vierte Element der Luft, aber der ''Geist", der uranfĂ€nglich "aufs Wasser schaute", wie es im ersten Satz der 3. Vigilie heißt, ist Spiritus, Pneuma, Lebensodem, Schöpfungswort nach alter alchimistischer Tradition; andererseits ist das Element Luft spĂ€ter auch prĂ€sent in Form der "DĂŒnste" aus den "AbgrĂŒnden'', die das Sonnenlicht ''verhĂŒllen" wollen - hier nicht in seiner Leben schaffenden, sondern Leben bedrohenden Seinsweise. Und diesen dumpfen und finsteren, noch chaotischen ''Dampf" haben wir auch unter dem Holunderbaum gefunden: ĂŒber den Wassern der Elbe "blies der Student Anselmus die Dampfwolken [ironischerweise die seiner Pfeife mit billigem Tabak] in die Luft, und sein Unmut wurde endlich laut, indem er sprach ..." ( usw. ). Zwei Seiten spĂ€ter - nachdem er sich mit seiner Tolpatschigkeit herumgequĂ€lt hat - erweist sich dieser Unmutsdampf doch als schöpferisch, sein SelbstgesprĂ€ch doch als Schöpungswort, denn aus beidem geht dann in ironischer Verwandlung das "sonderbare Rieseln und Rascheln" der drei SchlĂ€nglein hervor. Auch Anselmus ist hier also ''Geist", der "aufs Wasser schaute", nicht in biblisch-göttlicher Erhabenheit, sondern in Jakob-Böhmescher ''Grimmigkeit'' und ''Qual'', aus deren ''Quellen" die ''QualitĂ€t'' alles Seienden erwĂ€chst. Die mythische Urszene ist die der zutiefst ambivalenten ''schöpferischen Qual'' (Franz FĂŒhmann, FrĂ€ulein Veronika Paulmann aus der Pirnaer Vorstadt oder Etwas ĂŒber das Schauerliche bei E.T.A. Hoffmann, Rostock 1979/dtv 10217 [1984], S.32).

c) ''MĂ€rchen/aus der neuen Zeit'', das lĂ€sst sich also in der einen Richtung als ''MĂ€rchen aus der neuesten Lebensgeschichte des Autors'' und in der anderen Richtung als ''MĂ€rchen aus mythisch-kosmogonischer Zeit'' interpretieren. Das MĂ€rchen erzĂ€hlt, wie Jochen Schmidt in seinem Nachwort zum Insel-TB ''Der Goldne Topf'' gezeigt hat (it 570, S. 145 ff.: "'Der goldne Topf' als dichterische Entwicklungsgeschichte"), von der Entwicklung des Studenten Anselmus zum ''Leben in der Poesie'', aber darin ist es - was Jochen Schmidt nicht darstellt - Spiegelung eines Mythos und Spiegelung der Biographie des Autors. Beide, Mythos und Biographie, fallen im Text des ErzĂ€hlers zusammen, werden dort gewissermaßen kurzgeschlossen. Der Name ''Anselmus'' bezieht sich auf die Biographie ĂŒber die Vermittlung einer mythischen Instanz: eines Heiligen. Beide Spiegelungen sind BezĂŒge ĂŒber den Text hinaus bzw. von jenseits des Textes in den Text hinein.

2. ErzÀhler und Leser als Hauptperson

a) Besonders in der 7. Vigilie wird deutlich, wie sehr es dem ErzĂ€hler wichtig ist, die FiktivitĂ€t des von ihm ErzĂ€hlten in Richtung auf die nicht-fiktive, ''reale'' RealitĂ€t zu ĂŒberspielen. Hier ist es nicht die lebensgeschichtliche Wirklichkeit des Autors, sondern - auf der anderen Seite der literarischen Kommunikation - die Alltagswirklichkeit des realen Lesers, in die das fiktive Geschehen ĂŒber zwei Seiten lang transponiert wird oder die - umgekehrt - in die fiktive Handlung herĂŒbergeholt wird (72, 12ff. - 74,27). ''Ich wollte, dass du, gĂŒnstiger Leser, am 23. September auf der Reise nach Dresden begriffen gewesen wĂ€rest'': Konj. II; ''vergebens suchte man, als der spĂ€te Abend hereinbrach, dich auf der letzten Station aufzuhalten'': ErzĂ€hl-PrĂ€teritum; ''indem du ganz richtig annahmst: ich zahle dem Postillon einen ganzen Taler Trinkgeld usw.'': PrĂ€sens in der Gedankenrede; ''Wie du nun in der Einsamkeit so dahinfĂ€hrst, siehst du plötzlich in der Ferne ein ganz seltsames flackerndes Leuchten'': da bin ich als angeredeter Leser in meiner erlebten Gegenwart angelangt und werde nun in spielerischem Ernst unmittelbarer Augenzeuge, ja, schließlich sogar eine die Pistole ziehende dramatis persona, die als ''Schutzengel'' und damit als Stellvertreter, als Spiegelung des Anselmus agiert, der ja der eigentliche "Schutzheilige'' der Julia alias Veronika ist.

Dieser Gipfel kunstvoll-kĂŒnstlichen ErzĂ€hlens zeigt: Auch der Leser wird vom ErzĂ€hler in die Wirklichkeit der mythischen Welt einbezogen. Wenn er - der Leser - nach kurzer Zeit wieder daraus herausfĂ€llt, hinein in die desillusionierende RealitĂ€t, wird ihn die einmal in ihm angelegte Sehnsucht nach der mythischen Rolle nicht mehr loslassen.

Das ist möglich, weil nach E.T.A. Hoffmanns Willen offensichtlich der ErzĂ€hler - als Agent des Autors im Text - neben Anselmus die zweite Hauptperson, wenn nicht sogar die eigentliche Hauptperson ist. Der ErzĂ€hler hĂ€lt den Spiegel in der Hand, mit dem die außertextliche Wirklichkeit des individuellen Autors und des individuellen Lesers, einmal verborgen, einmal offenkundig, und die ebenfalls unabhĂ€ngig von der Fiktion des Textes wahr-sein-sollende mythische Wirklichkeit der Kosmogonie und der Endzeit der Geschichte eingefangen wird. Anselmus steht zwar im Mittelpunkt der Handlung, aber alles lĂ€uft hinaus auf die Situation des ErzĂ€hlers, der in einem Überraschungs-Coup in der 12. Vigilie in seine eigene ErzĂ€hlung als handelnde Person einsteigt bzw. die Fiktion in seine Wirklichkeit herĂŒberzieht.

b) Die Interpretation des ''Goldnen Topfs'' hĂ€ngt von der Beurteilung des Schlusses, der 12. Vigilie, ab. Anselmus ist bereits nach der 10. Vigilie nach Atlantis entschwebt, auf seinem feudalen ''Rittergut'' dort hat er (130, 6/7) ''die BĂŒrde des alltĂ€glichen Lebens endgĂŒltig abgeworfen''. Der ErzĂ€hler dagegen verharrt am Ende in der unauflösbaren Spannung zwischen bĂŒrgerlich-armseliger ''DachstĂŒbchen''-Existenz in der Außenwelt und ebenfalls bĂŒrgerlich-''artigem Meierhof'' in dem im ''innern Sinn'' als Erinnerung an die ''Vision'' gegenwĂ€rtigen Atlantis - wobei sogar diese Erinnerung problematisch wird, weil ja schließlich - bittere Ironie! - der Alkohol mit im Spiele gewesen ist. In der gleichen Spannung findet sich von Anfang bis Ende der Handlung der Archivarius Lindhorst. Allerdings wird er letztlich, wie Anselmus, diese Spannung in eitel ''Seligkeit'' auflösen können, denn es kann sein - so beurteilt zum Schluß der ErzĂ€hler den Effekt einer Veröffentlichung seiner ErzĂ€hlung - dass Lindhorst durch diese Veröffentlichung ''die Hoffnung schöpft, desto eher seine beiden noch ĂŒbrigen Töchter an den Mann zu bringen [ - ironische Brechung der mythischen Erhabenheit in der bĂŒrgerlichen NormalitĂ€t - ], denn vielleicht fĂ€llt [beim Lesen des MĂ€rchens] doch ein Funke in dieses oder jenes JĂŒnglings Brust, der die Sehnsucht nach der grĂŒnen Schlange entzĂŒndet, welche er dann [wie Anselmus] in dem Holunderbusch am Himmelfahrtstage sucht und findet.'' (126,2ff.) Dann ''darf der Salamander seine lĂ€stige BĂŒrde abwerfen und zu seinen BrĂŒdern [den anderen Elementargeistern im Reich des Phosphorus und der Feuerlilie] gehen'' (88,15ff.).

Das letztere weiß der Leser bereits aus der ErzĂ€hlung Serpentinas in der 8. Vigilie. Ja, vielleicht ist es ihm, diesem Leser, wirklich schon, seit er diese 8. Vigilie gelesen hat, so geschehen wie dem Anselmus, vielleicht ist der spirituelle ''Funke'', der elementare ''Feuerstoff des Salamanders'' (87,20), auf ihn ĂŒbergesprungen, und er ist schon unterwegs nach Atlantis!

c) Offenbar ist also der ErzĂ€hler fĂŒr die Konstituierung oder die Aktivierung des ''kindlichen poetischen GemĂŒts'' (89,11) im Leser verantwortlich, das als Voraussetzung fĂŒr die atlantische ''Karriere'' gilt. Das weitere muss dann die Liebe tun und wohl auch ein in beiden Welten lebender Mentor, der nicht der ErzĂ€hler sein wird. Oder am Ende doch? Denn schließlich wird er ja nach dem ''Goldnen Topf" dem Leser weitere ErzĂ€hlungen, weiteren "Feuerstoff", liefern, ihn also weiterhin auf den Weg zum ''Holunderbaum am Himmelfahrtstage'' schicken. Ob dem ErzĂ€hler, diesem anderen ''Archivarius'', allerdings als Lohn dasselbe utopische Schicksal zuteil wird wie dem Archivarius Lindhorst, wenn dieser alle seine Töchter ''an den Mann gebracht'' hat, bleibt offen. Im Rahmen der Handlung des ''Goldnen Topfs'' jedenfalls kann der ErzĂ€hler nicht nach Atlantis gelangen, er ist nur fĂŒr die anderen, sein Publikum, da, er hat die Aufgabe einer neuartigen, nicht mehr klassischen Ă€sthetischen Erziehung.

Immerhin erreicht er zum Schluß mit seiner ''Vision" vom GlĂŒck des Anselmus in Atlantis die gleiche Stufe der "Himmelsleiter" wie der Student in der 8. Vigilie: Was jeder der beiden, der eine in der 8., der andere in der 12. Vigilie, visionĂ€r-"leibhaftig" erschaut und gehört hat, das findet er anschließend "auf dem Papier [...] recht sauber und augenscheinlich von mir selbst aufgeschrieben" vor (130,3f., 90,28ff.). FĂŒr Augenblicke hat auch der ErzĂ€hler abgehoben vom Boden der "Armseligkeiten des bedĂŒrftigen Lebens'', sein ErzĂ€hlverhalten hat mit dem eines puren "Registrators" nichts mehr zu tun, er ist in der Lage, Poesie hervorzubringen, die nicht mehr Mimesis von Vorhandenem ist, sondern ausschließlich Produkt der surrealistischen Einbildungskraft, des "innern Sinns" (130,22f.), einer Schau, wie sie Hoffmann am eindrucksvollsten beim wahnsinnigen Einsiedler beschrieben hat, der als der heilige Serapion von Antiochien mit den inneren Augen des Geistes in der WĂŒste das reale unendlich ferne Alexandrien sehen kann - besser, als wenn er dort an Ort und Stelle wĂ€re. Die literarische Produktion am Boden der "Himmelsleiter" ist dann nichts anderes als ein irrelevantes, automatenhaftes Kopieren, zu dem der Poet immerhin die mechanischen Voraussetzungen haben muss (s. 6. Vigilie). ''Ganz oben'' und ''ganz unten'' auf der ''Himmelsleiter'' gehören zusammen: der eigentliche Poet ist Seher und Automat: Ambivalenz und DoppelgĂ€ngertum auch hier.

3. Die Ambivalenz von Atlantis

a) Vielleicht kann sich aber der ErzĂ€hler - entsprechend der durchgĂ€ngigen Ambivalenz - auch glĂŒcklich preisen, dass seine Schau wieder in ''durchbohrenden und zerreißenden jĂ€hen Schmerz'' umgeschlagen ist. Denn nur so wird verhindert, dass es ihm auf Dauer so geht wie dem Anselmus, der ja aus der Dialektik von Schauen und Kopieren herausgefallen ist und keine BĂŒcher mehr schreiben kann, der ĂŒberhaupt nicht - entgegen Jochen Schmidts Ansicht - zum wirklichen Dichter geworden ist, sondern in seinem ''Leben in der Poesie'' eher mit dem wahnsinnigen Serapion zu vergleichen ist.

Eigentlich ist es erstaunlich, dass der ''Goldne Topf" in vielen Interpretationen v.a. unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung des Anselmus und deren Idealisierung betrachtet und damit so interpretiert wird, als handle es sich um ein MĂ€rchen von Novalis. In seiner Hoffmann-Biographie weist Safranski auf eine Parallele zwischen dem Schicksal des Anselmus und dem des Elis Fröbom in Hoffmanns ErzĂ€hlung "Die Bergwerke zu Falun" (1818) hin (RĂŒdiger Safranski, E.T.A. Hoffmann. Das Leben eines skeptischen Phantasten, MĂŒnchen/Wien 1984, S.322). Der Bergmann Elis Fröbom flieht am Hochzeitstag aus der Umarmung seiner Braut und fĂ€hrt in den Berg ein, weil er im Bereich der Erd- und Berg-Elementargeister der "Suggestion des Wunderbaren" in Gestalt der "Bergkönigin" erlegen ist, entsprechend der Verlockung des Anselmus durch Serpentina, die Tochter des Feuer-Elementargeistes. Der "Fall" des Elis Fröbom endet buchstĂ€blich im Kristall: er wird im Berg verschĂŒttet und viele Jahre spĂ€ter in Vitriolwasser "kristallisiert" wiedergefunden. Also nicht nur das Untergehen in den prosaischen bĂŒrgerlichen VerhĂ€ltnissen bedeutet das Gefangensein im ''Kristall''; Safranski sagt: ''Auch das Versinken im Wunderbaren, das die BrĂŒcken zur RealitĂ€t abbricht, fĂŒhrt ins 'glĂ€serne GefĂ€ngnis', das lehrt diese ErzĂ€hlung. [...] Ist aber dann Atlantis nicht auch ein 'glĂ€sernes GefĂ€ngnis', in dem Anselmus, nunmehr von der 'prosaischen' Wirklichkeit gĂ€nzlich getrennt, eingesperrt ist?'' (a.a.O.) E.T.A. Hoffmann lehnt die Verabsolutierung des Utopischen ebenso ab wie die Ideologie der bĂŒrgerlichen Gesellschaft seiner Zeit. Es geht ihm um das ''Dazwischen'' (Safranski). Und das reprĂ€sentiert im " Goldnen Topf" (abgesehen vom Archivarius) der ErzĂ€hler.

b) Die Szene der Atlantis-Vision weist direkt auf des Novalis ''MĂ€rchen von Hyazinth und RosenblĂŒte'' aus den ''Lehrlingen zu Sais'' (1798) hin: Von Hyazinth, den der Traum ins Allerheiligste des Tempels fĂŒhrt, heißt es dort: ''... da schwand auch der letzte irdische Anflug, wie in Luft verzehrt, und er stand vor der himmlischen Jungfrau, da hob er den leichten, glĂ€nzenden Schleier, und RosenblĂŒtchen [seine eigentlich gar nicht himmlische, sondern bĂŒrgerlich-normale Freundin aus frĂŒherer Zeit] sank in seine Arme.'' Im ''Goldnen Topf'' wĂŒrde das bedeuten, dass sich in Atlantis die mythische Serpentina nun doch als die bĂŒrgerliche Veronika herausstellen und dass Anselmus mit Serpentina-Veronika ins alltĂ€gliche Leben zurĂŒckkehren wĂŒrde. Denn ''Hyazinth lebte nachher noch lange mit RosenblĂŒtchen unter seinen frohen Eltern und Gespielen'', und auch die ''unzĂ€hligen Enkel'' fehlen nicht. (Novalis, Schriften. Erster Band, Hrsg.v. P. Kluckhohn und R. Samuel. Darmstadt 1960, S. 95)

Dieser Vergleich macht sehr prĂ€gnant den Unterschied zwischen FrĂŒh- und SpĂ€tromantik deutlich: Bei Novalis gelingt noch, wenigstens auf der Ebene des MĂ€rchens, der Kunst, die Vermittlung von Traumwelt und RealitĂ€t, Innen und Außen, Kunst und BĂŒrgertum und ist damit letztlich wohl noch im Sinne einer an Schiller orientierten Ă€sthetischen Erziehung im Zusammenhang der dreischrittigen Geschichtsphilosophie zu verstehen: Das MĂ€rchen kann dem Leser als Modell einer Romantisierung und Potenzierung der gesellschaftlichen VerhĂ€ltnisse dienen. Hoffmann belĂ€sst Anselmus mit Serpentina in Atlantis und beordert stattdessen den Anselmus-DoppelgĂ€nger Registrator Heerbrand zu Veronika, die auf diese Weise doch noch ihren feudalistisch-bĂŒrgerlichen Traum,''Frau Hofrat'' zu werden, erfĂŒllt bekommt. Statt Vermittlung: Aufspaltung in einerseits bĂŒrgerliche, andererseits phantastische Einseitigkeit - und der ErzĂ€hler hin- und hergerissen zwischen beiden Polen und dadurch innerlich zerrissen.

4. Der serapiontische goldne Topf

a) Der ErzĂ€hler will also in das GemĂŒt seines Lesers den phosphorischen Feuerfunken fallen lassen. Was er damit meint, hat er schon zu Beginn der 4. Vigilie verkĂŒndet: Zum erstenmal wagt er sich dort an die OberflĂ€che der ErzĂ€hlung, in einer direkten Anrede ''geradezu [an] dich selbst, gĂŒnstiger Leser'' (34,5), und stellt sein Ziel in Form einer kleinen Poetik dar: Der ErzĂ€hler drĂŒckt hier die BefĂŒrchtung aus, der Leser werde ihm nicht ''glauben", da er ja, aus der Perspektive des ''gemeinen Lebens'' gesehen, nichts anderes tue, als ''das alltĂ€gliche Leben ganz gewöhnlicher Menschen [solcher, die ''noch jetzt in Dresden umherwandeln''] ins Blaue hinauszurĂŒcken'' (35,11f.). Dieses verzaubernde Verfahren löst Bedenken aus, weil sich der ErzĂ€hler hier im Umgang mit seinen Figuren der magischen KausalitĂ€t des angedichteten Verliebt-, Krank-, Wahnsinnig-, Betrunken- oder ''Magnetisiert"- (also Hypnotisiert-) Seins bedient, ebenfalls der angedichteten Einbildung und SinnestĂ€uschung, schließlich auch einiger erzĂ€hlerischer Taschenspielertricks, alles um den verĂ€nderten Zustand ''gewöhnlicher Menschen'' glaubhaft erscheinen zu lassen. Dies wĂ€re aber letztlich nichts anderes als das magische Metallspiegelverfahren der Hexe, die - wie Serpentina kommentiert - ''alle Mittel aufbietet, von außen hinein ins Innere zu wirken'' (90,6f.), und die damit im Bereich des psychologisch-rational ErklĂ€rbaren bleibt. Aber dem von außen nach innen wirkenden Verfahren geht beim ErzĂ€hler zuerst die innere, durch nichts Äußeres veranlasste Schau des - an Novalis erinnernden - ''feenhaften Reichs voller Wunder'' voraus, ''wo die ernste Göttin ihren Schleier lĂŒftet, dass wir ihr Anlitz zu schauen wĂ€hnen'' (35,19ff.), und dann die Anamnesis, der Versuch, in diesem phantastischen und mythischen Traumreich genau ''die bekannten Gestalten, wie sie tĂ€glich [...] um dich herwandeln, wiederzuerkennen''. Erst wenn er sie innerlich dort erschaut hat, darf der ErzĂ€hler sie im Vorgang des ErzĂ€hlens auch wirklich in Dresden aufgreifen und ''ins Blaue'' projizieren, also verwandeln, verzaubern. Dem Leser aber wird vom ErzĂ€hler angeraten, dieses ''serapiontische Prinzip" seinerseits anzuwenden, wĂ€hrend und nach der LektĂŒre: ''Versuche es, geneigter Leser, [...] in diesem Reiche, das uns der Geist so oft, wenigstens im Traume aufschließt, [...] die [dir] bekannten alltĂ€glichen Gestalten wiederzuerkennen" - in erster Linie ja wohl dich selbst.

b) So hĂ€lt der ErzĂ€hler dem Leser statt eines magischen Metallspiegels den "Goldnen Topf" entgegen. Das MĂ€rchen erzĂ€hlt nicht nur von dem Goldnen Topf, es ist der Goldne Topf. Dem Leser mag es dann so ergehen wie dem Anselmus, als er den spiegelblanken Topf zum erstenmal erblickt: ''Es war, als spielten in tausend schimmernden Reflexen allerlei Gestalten auf dem strahlend polierten Golde - manchmal sah er sich selbst mit sehnsĂŒchtig ausgebreiteten Armen'' (62,19ff.). Aber schon in der mythischen Urzeit hat der Erdgeist und Spender dieses Goldnen Topfs dessen Bestimmung festgelegt: "in seinem Glanze soll sich unser wundervolles Reich, wie es jetzt im Einklang mit der ganzen Natur besteht, in blendendem herrlichen Widerschein abspiegeln'' (88,22ff.). Wir sind also wieder bei der zweifachen Spiegelung angelangt: Auf der spiegelblanken FlĂ€che des ''Goldnen Topfs" können die Lebensgeschichte des Lesers wie die des ErzĂ€hlers/Autors darin koinzidieren, dass sie sich selbst und die Ereignisse der konkreten Welt um sich herum im mythischen Geschehen des "wundervollen Reichs'' wiedererkennen.

Aber was erkennen sie eigentlich in diesem Spiegel? Anders gefragt: Welchen Sinn soll die LektĂŒre des Goldenen Topfes haben - das Sichhineinbegeben des Lesers in das MĂ€rchen der doppelten Spiegelung?

5. Der Phosphorus-Mythos

a) Der Phosphorus-Mythos und seine romantisch-naturphilosophische Bedeutung kommt heutigen Lesern wohl so fremd vor wie dem Registrator Heerbrand. Man redet dann vielleicht nicht von "orientalischem'', aber von romantischem ''Schwulst'' (28,32). Aber schon dem rationalistischen Registrator lĂ€sst der ErzĂ€hler den Archivarius Lindhorst entgegnen, der Mythos sei ''das Wahrhaftigste'' ĂŒberhaupt, er sei "nichts weniger als ungereimt od er auch nur allegorisch gemeint, sondern buchstĂ€blich wahr" (29,5/7/18ff.).

Das ist die buchstĂ€bliche Wahrheit Jakob Böhmes, der in der seit Tieck und Novalis zu einem Kult-Buch der Romantiker gewordenen "Aurora oder Morgenröte im Aufgang" schreibt: "Ich trage in meinem Wissen nicht erst Buchstaben zusammen aus vielen BĂŒchern, sondern ich habe den Buchstaben in mir, liegt doch Himmel und Erde mit allen Wesen, dazu Gott selber, im Menschen. Soll er denn in dem Buche nicht lesen dĂŒrfen, das er selber ist?'' (Zitiert nach: Chr. Helferich, "Geschichte der Philosophie. Stuttgart 1985, S. 113). Das innere Buch, das der ErzĂ€hler und der Leser selber sind, das ĂŒbrigens auch bei Novalis in dem ''MĂ€rchen von Hyazinth und RosenblĂŒte'' vorkommt (und z.B. in dem Gedicht ''An Tieck'', dort mit Bezug auf Böhme) - dieses ''Buch'' enthĂ€lt einen Mythos, der einen anders gearteten Wahrheitsanspruch erhebt als die empirische Erkenntnis.

b) Von den BĂŒchern der romantischen Mythologen Görres, Creuzer und Kanne hat E.T.A. Hoffmann wahrscheinlich v.a. das ''Pantheum der Ă€ltesten Naturphilosophie'' (1811) von Joh. Arn. Kanne gekannt (von U. Stadler, a.a.O. S. 72ff., vermutet, aber nicht belegt). Unmittelbar vor der BeschĂ€ftigung mit dem "Goldnen Topf" hat er mit großer Begeisterung G.H. Schuberts "Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften'' gelesen. Der Hintergrund der Schellingschen Naturphilosophie verbindet die sich als Historiker verstehenden romantischen Mythologen mit den Naturwissenschaftlern. Ihre gemeinsame Überzeugung ist ein polar-dualistischer entwicklungsgeschichtlicher Pantheismus und darin der Glaube, wie ihn J.A. Kanne formuliert, ''das Erste ist das Wahre'', das naturgeschichtlich und historisch UrsprĂŒngliche sei also das GeglĂŒckte und einzig GlĂŒckbringende, aber es sei eigentlich unwiederbringlich verloren. Zwischen Schuberts ''Ansichten'' 1808 und E.T.A. Hoffmanns "Goldnem Topf" 1814 verlĂ€uft nun die Scheidelinie zwischen Noch-Optimismus und Resignation in der Frage der Möglichkeit eines realen, geschichtlich-gesellschaftlichen GlĂŒckszustands des Menschen. Pantheismus schlĂ€gt bei E.T.A. Hoffmann um in Nur-noch-Poesie, Kunst der Moderne, eine Position bereits der Autonomie der Kunst als Abgehobenheit von der gesellschaftlichen Lebenspraxis, der Lebenspraxis der Gegenwart und der Zukunft; das romantische Programm einer Vermittlung von IdealitĂ€t und RealitĂ€t durch die Kunst wird abgelöst von einem Programm der stĂ€ndigen Verwandlung des einen in das andere und umgekehrt, auf der Basis einer fundamentalen Ambivalenz.

c) Schubert schreibt in den ''Ansichten": "Es ist ein ewiges Naturgesetz, dass [...] die vergĂ€ngliche Form der Dinge untergeht, wenn ein neues, höheres Streben in ihnen erwacht, und dass nicht die Zeit, nicht die Außenwelt, sondern die Psyche selber ihre HĂŒlle zerstört, wenn die Schwingen eines neuen, freyeren Daseyns sich in ihr entfalten.'' So wird ''ein scheinbares Streben der Dinge nach ihrer eignen Vernichtung'' ''gerade [in] den seeligsten und geistigsten Augenblicken des Lebens" sichtbar.

''Jedoch [...] eben die Gluth jener zerstörenden Augenblicke, fĂŒr die bisherige Form des Daseyns zu erhaben, erzeugt den Keim eines neuen höheren Lebens in der Asche des untergegangenen vorigen...'' Das ist Schuberts Lehre von den "kosmischen Momenten" im weltgeschichtlichen Geschehen und im Leben des einzelnen, in denen sich also Leben als Tod und Tod als Leben herausstellen, Liebe als Vernichtung und Vernichtetsein als GlĂŒcksgarantie.

Schubert greift in diesem Zusammenhang die alten mystischen und alchimistischen Spekulationen ĂŒber den in allem Materiellen verborgenen Feuerstoff Phosphor und die mythische Gestalt des ''Phosphorus'' auf, ''welcher schon im Alterthum als eine Fackel des Todes und der Liebe verehrt war. [...] So erschienen Liebe und Tod, das seeligste Streben des GemĂŒths und der Untergang des Individuums vereint.'' (G.H. Schubert, Von der Nachtseite der Naturwissenschaft, Dresden 1808, S. 69 ff.)

d) Das ist also E.T.A. Hoffmanns Mythos, die ErzĂ€hlung vom Untergang des Geistes, des Lebens, der Erkenntnis und der Liebe (darum geht es bei Phosphorus und Feuerlilie und beim Salamander) und von der Auferstehung von Leben und Liebe aus Tod oder Qual (darum geht es bei Anselmus und Serpentina). Der eine, in sich doppelte Mythos wiederholt sich in allem Geschehen, er spiegelt sich hinein in die Lebensgeschichte jedes einzelnen und in jede geschichtliche Epoche, es gibt - trotz aller nach wie vor sehnsĂŒchtig-spielerisch zitierten Formeln vom Goldenen Zeitalter und vom ''heiligen Einklang aller Wesen'', vom ''Einklang mit der Natur" - keine Möglichkeit, aus diesem ewigen Kreislauf auszubrechen, ans Ende zu kommen. Ein Leben in Atlantis bedeutet, von der Ebene des nicht-phantastischen bĂŒrgerlichen Lebens aus gesehen - und auch diese Perspektive ist gĂŒltig -, allemal entweder den Tod wie bei Elis Fröbom oder den sanften Wahnsinn wie beim Einsiedler Serapion. Jede erzĂ€hlte Geschichte muss an irgendeiner Stelle des Kreislaufs aufhören; im einen Fall mag die ErzĂ€hlung mit dem "Leben in der Poesie" enden (Anselmus im "Goldnen Topf"), im anderen Fall (z.B. des Nathanael im "Sandmann") mit dem Untergang. Und schließlich ist ja im "Goldnen Topf" des Anselmus GlĂŒck identisch mit dem UnglĂŒck des ErzĂ€hlers.

Alles bedeutet auch sein genaues Gegenteil: der Mythologe Kanne spricht von "Enantiosemie". Das ist also ein zutiefst relativistischer Mythos, der von Schopenhauers nur wenige Jahre spĂ€terem pessimistischem Konzept nicht weit entfernt ist. Immer noch wird allerdings von einer Entwicklung zu ''höherem Sein'' (z.B. 36) gesprochen. Schubert, sein Freund Kanne und E.T.A. Hoffmann haben das wohl privat fĂŒr ihre Existenz nach ihrem Tode erwartet. Es gibt genug Zeugnisse fĂŒr eine solche private Frömmigkeit, z.B. den jeden Leser zutiefst berĂŒhrenden Brief Hoffmanns an den Freund Speyer aus dem Jahr 1820 im Zusammenhang mit der immer noch nicht erkalteten Liebe zu Julia Marc: der Tod wird wohl endgĂŒltig die stĂ€ndige Wiederkehr des Gleichen durchbrechen, ''beim letzen Hauch des Lebens'' gelangt "die entfesselte Psyche" zur "Schau" "im wahrhaftigen Seyn". Das also ist an die Stelle des 20 Jahre vorher entworfenen geschichtsphilosophischen Konzepts der FrĂŒhromantik getreten.

Bis zu diesem vielleicht endgĂŒltigen "höheren Sein" muss das Leben noch ausgehalten werden. Und hier ist dann der "Trost der Phantasie", der Kunst gefragt.

6. Der im Kunstwerk aufgehobene Wiederholungszwang

a) Die universale Geltung des Phosphorus-Luzifer-Mythos, die im "Goldnen Topf" wie in den anderen ErzĂ€hlungen von E.T.A. Hoffmann fast Seite fĂŒr Seite variantenreich inszenierte Spiegelung der einen, immer aus zwei gegensĂ€tzlichen Perspektiven zu betrachtenden und zu bewertenden Urszene, wĂŒrde einen in den Wahnsinn fĂŒhrenden Wiederholungszwang bedeuten, wenn sie nicht jeweils vom ErzĂ€hler aus freien StĂŒcken inszeniert wĂ€re. Das genau ist wohl der springende Punkt in Hoffmanns Poetik- und Kunstauffassung: Der Poet, der nun einmal nicht mehr an die Vermittlung der GegensĂ€tze glauben kann, dem nichts anderes ĂŒbrig bleibt, als sich auf der imaginĂ€ren Linie des "Dazwischen" balancierend einzurichten, fĂŒhrt seinem Publikum in seinem Balanceakt ein Feuerwerk phantastischer Verwandlungen, immer neuer ''kosmischer Momente'' des Übergangs von Schwermut in Seligkeit, von Liebestollheit in Zerstörung vor, zeigt fremde und eigene Sehnsucht und Verzweiflung und entzĂŒndet so in seinen Zuschauern den ''Funken'' der Liebe oder des Gedankens, je nachdem, den ''Feuerstoff des Salamanders'', von dem Serpentina spricht (87,20) und auf den alles ankommt: Geist, Phantasie, mystische Imagination - und Ironie. Die ironische Konfrontation des Phantastischen und wenigstens in der Formel noch utopisch Vorgestellten mit der banalen bĂŒrgerlichen RealitĂ€t bringt Autor, ErzĂ€hler und Leser immer wieder zum Lachen, zu einem meist vorsichtigen, nicht befreienden Lachen, das letztlich nichts anderes ist - wie Hoffmann ''den Braunen" in den "Seltsamen Leiden eines Theater-Direktors" (in den "Fantasie- und NachtstĂŒcken") sagen lĂ€sst - als "nur der Schmerzeslaut der Sehnsucht nach der Heimat, die im Innern sich regt".

b) Solche Leute wie der Konrektor Paulmann werden dann satirisch behandelt, nicht weil sie BĂŒrger sind und eine nette Normalexistenz im "Linkischen Paradies" lieben, sondern weil sie unfĂ€hig zur Verwandlung sind. Und das Äpfelweib ist nicht etwa deshalb eine Hexe, weil es böse ist, sondern weil es seine schwarze Magie einsetzt, um andere an ihre gegenwĂ€rtige statische Existenz festzubannen. Anselmus steht im Mittelpunkt des MĂ€rchens, weil er - horizontal - eine Entwicklung mit mehreren Verwandlungs- und RĂŒckverwandlungsphasen durchmacht. Und der Archivarius Lindhorst steht im Mittelpunkt, weil er vertikal, ohne Entwicklung, das Prinzip der Verwandlung verkörpert, indem er ĂŒberwechselt vom bĂŒrgerlichen Archivarius zum MythenerzĂ€hler, zum mythischen GeisterfĂŒrsten, zum ambivalenten Zwischenwesen, zum Geier und Adler, zum alkoholischen Geist im Pokal, und indem er andere zur Verwandlung anstiftet. So ist er eine Spiegelung des ErzĂ€hlers, der im Rahmen der Handlung alle Verwandlungen inszeniert, beim Leser fĂŒr Verwandlungen sorgt und sich zum Schluß selber wandelt.

c) (Zusammenfassung:) "Der goldne Topf. Ein MĂ€rchen aus der neuen Zeit": Jedenfalls ein StĂŒck romantischer Transzendentalpoesie, in dem sich die Poesie mit sich selbst, die Phantasie mit ihrem eigenen Schicksal beschĂ€ftigt, weil die Frage danach noch die einzig relevante Frage ist. Das Goldene Zeitaler der Zukunft ist auf den Goldnen Topf reduziert, also auf das Kunstwerk. Das ist nur konsequent, denn in der Gegenwart hat "die Zeit", das zum mythischen Wesen avancierte Zeitgeschehen, die Rolle der Phantasie usurpiert; "die Zeit" hat die Phantasie-"Leistungen'' der bisherigen Poesie offensichtlich bei weitem ĂŒbertroffen und bei ihrem "Publikum" einen ungeheuren Erfolg errungen. "Diese Zeit [... - heißt es in "Der Dey von Elba in Paris", a.a.O. S. 479] ĂŒberflĂŒgelte mit dem Ungeheuren, was sie geschehen ließ, unsre kĂŒhnste Einbildungskraft, sie hob uns gewaltsam empor und, gewohnt an die schwindelnde Höhe, glauben wir nun schon zu sinken, wenn wir nicht immer und immer aufsteigen.'' Das ist also solch ein "kosmischer Moment", die BlĂŒtezeit der dĂ€monisch-phantastischen RealitĂ€t, die aber wie jede BlĂŒtezeit ''ihre eigne Vernichtung" bereits in sich trĂ€gt. Und da ist dann doch wieder die Poesie absolut herausgefordert: der Untergang der phantastischen RealitĂ€t muss eine Auferstehung der phantastischen IdealitĂ€t werden, einer Phantasie, die eine radikale, in der normalen Wirklichkeit nicht mehr zu verwertende Alternative zu bieten hat. Da sieht Hoffmann seine Aufgabe. Und so hebt der ErzĂ€hler seine Leser nicht ''gewaltsam'' empor, wie Napoleon und andere die Menschen ihrer Zeit emporgerissen haben, sondern mit "zauberhafter Leichtigkeit'', nicht in ''schwindelnde Höhen'', sondern auf der am Boden stehenden Himmelsleiter des MĂ€rchens mit der Kraft der spielenden und ironischen Phantasie. Abgesehen von einem Tiefpunkt vor der Vollendung seiner ErzĂ€hlung (123f.), hĂ€lt der ErzĂ€hler des "Goldnen Topfs" diese Leichtigkeit, weit oben auf der Himmelsleiter, durch - und ist am Ende doch wieder ganz unten auf der Leiter angekommen, in "schöpferischer Qual".

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