Der abenteuerliche Simplicissimus

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsangabe,

Literaturhistorische Einordnung,

Romantypologische Einordnung,

Narrensatire

5. Gesellschaftskritik und Utopievorstellungen

6. Die Weltsicht des Romans,

Die Wandelbarkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen

8. Religiöse Wurzeln von Grimmelshausens Weltsicht

9. Die Persönlichkeit des Romanhelden

1. Inhaltsangabe

Der Roman "Der abenteuerliche Simplicissimus" von H. J. Ch. v. Grimmelshausen beginnt mit einer Betrachtung des Autors über die grassierende Geltungssucht der Glücksritter und Emporkömmlinge, die in den Wirren der Zeit nach oben gespült wurden.

Mit dem eifrigen Geplänkel auf seiner Sackpfeife lockte der Knabe einen Trupp von Reutern an. Diese ergriffen den Jungen und schleppten ihn zu dem Gut seines Vaters, wo sie das Vieh schlachteten und die Leute quälten. Auf der Flucht vor den Reutern trifft er im Wald einen alten Einsiedler, der ihm Unterkunft und zu essen gab. Der Einsiedler beschloß den ungebildeten Jungen zum Christenmenschen zu machen und ihn noch allerhand anderer Dinge beizubringen. Da der Junge noch keinen Namen hatte, nannte ihn der Einsiedler ab sofort "Simplicius". Nach zwei Jahren starb der Einsiedler. Dieser Schicksalsschlag führte dazu das Simplicius noch einige Zeit im Wald blieb, dann aber durch die Winterkälte sich entschließt zum dorfansässigen Pfarrer zu ziehen. Als er im Dorf ankommt ist dies von einem Trupp Marodeure schon in Schutt und Asche gelegt. Nachdem die Angreifer von einem aus dem Wald herausstürmenden Trupp von Bauern wieder verjagt werden, entschließt sich Simplicius wieder in den Wald zurückzukehren. Nachdem er das Hemd angezogen und die Kette des toten Einsiedlers angelegt hat, wird er zwei Tage darauf wieder von einer Bande von Musketieren überfallen. Wegen seiner jungen Gestalt haben die Soldaten Mitleid mit ihm und lassen sich zum Dorf führen. Danach reiste Simplicius nach Gelnhausen und dann nach Hanau. Wegen seines ungepflegten Aussehens wurde er für ein Spion gehalten und verhaftet. Der Gouverneur, des Einsiedlers Freund, machte ihn zu seinen Pagen. Durch Unwissenheit verlor er die Gunst des Gouverneurs und wurde in einen Gänsestall gesperrt. Als sich hoher Besuch ankündigte, wurde Simplicius in eine Uniform gesteckt und musste zum Schein den Namen Simplicius Simplicissimus annehmen.

Um Simplicissimus seines Verstandes zu berauben und ihn zum Narren zu machen, hatte sich der Gouverneur ein übles Gaukelspiel ausgedacht. Simplex wurde mit einem Kalbsfell und einer Kappe mit Eselsohren gekleidet. Durch geschicktes Mitspielen und Zureden des Pfarrers ließ sich der Gouverneur erweichen und Simplicius mangelte es an nichts, wenn er auch weiterhin das Kalbsfell tragen musste. Als Simples vor der Festung mit anderen Knaben auf dem Eis spielte, wurde er und die anderen Kinder von Kroaten nach Stift Hersfeld entführt. Von dort flieht er aber nach kurzer Zeit und fällt zwei Räubern in die Hände, die aber bald die Angst packt und fliehen. Er blieb den Sommer über im Wald und wie der Proviant aufgebraucht war ernährte er sich vom stehlen. Einige Fouragiere fanden ihn und führten ihn nach Magdeburg zu dem kaiserlichen Heer, wo er Junker wurde. Dort versprach ihm sein Hofmeister wieder aus den Narrenkleidern herauszukommen. Mit dem Sohn des Hofmeisters schloß Simplex eine herzliche Freundschaft. Durch den Verdacht der Spionage und Hexerei wurde Simplicius verhaftet. Bald wurde er aber von schwedischen Truppen befreit. Dort hielt er es aber nicht lange aus und wurde Nachfolger des gestorbenen Dragoners. Voller Übermut weigerte er sich Stallbursche von Kommandanten von Soest zu werden. Er wurde ein berühmter Soldat, der von den Leuten sehr gefürchtet wurde. Mit neuer Kleidung trat er als Jäger von Soest auf. Als erfolgreicher Dieb erfuhr er bald von einem Nachahmer, welchen er bald zum Duell herausforderte und vertrieb. Simplicius' Leben war eine ununterbrochene Kette waghalsiger Unternehmungen, bei denen er immer unverfrorener und reicher wurde. Bei einem Wirtshausbesuch kam es zu einem Duell zwischen Simplicius und einigen Soldaten, den er für sich behaupten konnte. Da Duelle im kaiserlichen Heer verboten sind, wurde er verhaftet aber nicht verurteilt, da er dem Kaiser eine Kriegslist vorschlägt, die zum Erfolg führt. Bei einem Streifzug durch das Bergische Land wurde Simplicius von schwedischen Soldaten gefangen. Durch sein starken Drang zu Frauen, muss er die Tochter vom Oberstleutnant heiraten. Simplicius reiste als Begleiter zweier junger Adliger nach Paris, wo er die Hauptrolle an der Orpheus-Oper übernahm. Dies brachte ihm viel Lob und einen neuen Namen Beau Alman ein. Eines Tages bekam er von einer wohl proportionierten Dame eine Einladung in ihr Bett. Nach achttägigem Liebesabenteuer wurde er zu seinem Kostherrn zurückgebracht. Nach Abreise von Paris erkrankte er an den Blattern, die sein Äußeres und Stimme total entstellen. Als er im Fieber liegt wird ihm sein Vermögen gestohlen. Als Quacksalber verkauft er nichts nützende Mixturen und kommt wieder zu Geld. So kam er bis nach Lothringen, wo er wieder aufgegriffen und zum Dienst als Musketier gezwungen wird. Durch seinen Freund den Herzbruder kommt er frei und wird so etwas ähnliches wie ein braver Soldat. Dennoch hat er kein Glück. Nachdem er sein Pferd eingebüßt hat, fällt er unter die "Merodebrüder". Am Tag vor der Wittenweirer Schlacht nehmen ihn die Weimarischen gefangen und stecken ihn in ein Regiment. Nach der Freilassung trifft er im Kampf seinen alten Freund Oliver, der Simplex mit in seine Räuberhöhle nahm. Zusammen überfielen sie eine Kutsche, wobei Oliver getötet wurde. Auf der Flucht beantragt er einen neuen Pass und trifft in einer Kneipe Herzbruder wieder, der total zerzaust und kränklich ist. Mit dem geerbten Geld von Oliver kuriert er Herzbruder und kleidet ihn neu ein. Simplicissimus überzeugt Herzbruder mit in die Schweiz zu kommen, wo er in Einsiedeln die Beichte ablegt. Vierzehn Tage blieben beide dort, dann begaben sie sich nach Baden, um zu überwintern. Bald reisten die Beiden nach Wien, wo Simplicius ein Regiment übernahm. Herzbruder wurde bald zu Krüppel und Simplex kam mit einer Verletzung davon. Simplex will seine Frau wiedersehen, und er macht sich auf den Weg nach Lippstadt. Hier erfuhr er, dass sein Schwiegervater und seine Frau tot waren. Unerkannt kehrt er ins Heilbad zurück, wobei er Unterwegs ausgeraubt wird. Inzwischen verschlechterte sich Herzbruders Zustand so sehr, dass er bald starb. Nach langer Trauer lernt Simplex ein schönes Bauernmädchen kennen, die ihn aber nur wegen seines Vermögens heiratet. Beim spazieren gehen trifft Simplex seinen alten Knän wieder. Im Halbrausch verkündet der alte die wahre Herkunft von Simplicissimus. Um sicher zu gehen fragt er die Mutter auch noch aus. Er erfuhr von seiner adligen Herkunft und seiner Mutter die nach der Geburt bald gestorben ist. Bald darauf ritt Simplicius mit seinem Knän in den Spessart, um sich Urkunden über seine Herkunft zu beschaffen. Nachdem sich seine Frau tot gesoffen hat, schenkte er den Hof seinen Eltern. Im Heilbad erfährt Simplex von einem mysteriösen See, den er dann auch bald inspiziert. Nach einem Unter-wasserabenteuer, bekommt er einen Stein geschenkt, der an beliebiger Stelle auf den Erdboden gelegt, einen Sauerbrunnen von großer Heilkraft entspringen lässt. Danach kehrt er auf den Bauernhof zurück und führt ein zurückgezogenes Leben. Im Herbst zogen die Truppen verschiedener Länder in dieses Gebiet. Simplex ließ sich vom Oberst betrügen, der sich in den Wintermonaten dort einquartiert hat und nach Moskau locken. Dort angekommen versuchte er immer wieder zu entkommen, aber der Zar wollte einen so fähigen Mann, in der Kunst der Pulverherstellung, nicht gehen lassen. An der Spitze des russischen Heeres stürmt er gegen den Feind, und die Reußen folgten seinem herorischen Exempel. Die Tataren wurden in die Flucht geschlagen. Nachdem der zur Pulverherstellung nach Astrachan geschickt wird, fällt er den Tataren in die Hände, die Simplex dem König von Korea schenken.Weil er ihm einige Schießkunststücke lehrt, erhält er seine Freiheit und kehrt über Japan, Macao, Ägypten, Konstantinopel und Rom wieder nach Hause zurück. In den drei Jahren erlebte er so einige Abenteuer und zog nunmehr die Bilanz seines bisherigen Lebens und verbringt den Rest seines Lebens als Einsiedler.

Literaturhistorische Einordnung

Mit dem Begriff "Barockliteratur" bezeichnet man die Literatur des 17. Jahrhunderts, einer Zeitspanne, die nur sieben friedliche Jahre kannte, und die von Grauen und den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges geprägt war. Es ist und bleibt ein erstaunliches Phänomen, dass nach den ungeheuren materiellen und moralischen Verwüstungen, die diese nationale Katastrophe in Deutschland angerichtet hatte, die Literatur überleben und sich so reich entwickeln konnte.

Der Begriff "Barockliteratur" entstand in der Zeit der Aufklärung. Damit verbunden war eine gewisse Herablassung gegenüber dieser Gestesepoche, von welcher deren bedeutendsten Errungenschaften, die Erzeugnisse der Baukunst, nicht ausgenommen wurden.

Die deutschen Dichter des 17. Jahrhunderts standen in der Folge einer sich durch die Renaissance geistig vom Mittelalter befreienden Epoche. Den meisten blieb jedoch, weil sie allzu gelehrt und fast ausschließlich didaktisch intentioniert waren, eine breite Wirkung versagt. Ihr Werk sollte dem auferbaulichen Nutz des Lesers dienen. Die Schriftsteller des Barockzeitalters erwarten von ihren Lesern nicht, dass sie ihre Bücher zu Unterhaltung lesen, sondern wegen ihres sittlich-religiösen Inhaltes. Und nicht etwa die reinigende Katharsis durch die Erschütterung des Gemüts, sondern die rationale Einsicht in das Wesen von Gut und Böse war ihre Absicht. Unterhaltung ist im 17. Jahrhundert nur erlaubt, wenn man zuletzt einen Nutzen aus ihr zieht.

Ein Kennzeichen der Barockliteratur ist ihr Reichtum an Metaphern, allegorischen Anspielungen und emblematischen Verschlüsselungen. Nur wer klassisch gebildet war, konnte damit seine Dichtung verzieren, und klassische Bildung war die Voraussetzung zu ihrem Verständnis.

Romantypologische Einordnung

Fast alle bedeutenden Dichter des Barock waren mehr oder weniger der höfischen Welt verbunden. Als Gelehrte, Staatsbeamte oder Pastoren waren sie von höfischen Kreisen abhängig. Ihre Aussage blieb fast immer abstrakt-moralisierend.

Es bildeten sich auch im barocken Roman zwei Typen heraus: der "höfisch Roman" und der "niedere Roman". Der höfische Roman orientiert sich an der Romanstruktur Heliodors (unvermittelter Anfang, allmähliche, die Romangegenwart beeinflussende Aufhellung der Vorgeschichte, Begrenzung der Handlungsdauer), bezieht sich auf eine bestimmte historische Dimension, ist in einem exklusiven gesellschaftlichen Milieu angesiedelt und auf moralische oder religiöse Wirkungen berechnet.

Der niedere Roman, auch Schelmenroman genannt, hatte sein Vorbild im spanischen Pikaro-Roman "La vida de Lazarillo de Tormes y de sus fortunas y adversidades". Aus der Perspektive eines Ich-Erzählers wird eine lange Kette von Abenteuern ausgebreitet, die der Romanheld, ein Vagabund von gerissener und spitzbübischer Schläue, allen Widrigkeiten zum Trotz besteht. Er ist Betrüger und Betrogener in einer Person, moralisches Handeln ist ihm fremd. Listenreich weiß er sich in der Welt der Großen zu behaupten.

Volker Meid sieht in dieser Typisierung eine Gefahr, da mit der Gegenüberstellung fest umrissener Idealtypen die "individuellen Physiognomien der Werke verlorengehen und sich dadurch die Annahme einer weitgehenden Uniformität der Barockliteratur festsetzt. Trotzdem haben diese Typologien angesichts der zu ordnenden Stoffmassen einen gewissen Sinn, denn es lassen sich in der Tat grundsätzliche Unterschiede zwischen hohen und niederen Romanen des 17. Jahrhunderts erkennen, die sich u. a. aus den dargestellten Weltausschnitten und der sozialen Stellung der Romanfiguren, aus Romanstruktur und Stil ergeben. Die Betonung der Gegensätze zwischen hohem und niederem Roman sollte aber nicht dazu führen, den einzelnen Romanen einen eigenen Charakter abzusprechen, die Existenz von Mischformen, die sich einer derart schematischen Gegenüberstellung entziehen, zu übergehen und vor allem die historische Entwicklung und Differenzierung innerhalb der verschiedenen Gattungen zu übersehen".[1]

Vor allem hat die Einordnung in den Typus "hoher" oder "niederer Roman" nichts mit dessen literarischer Qualität zu tun, wie bei der Betrachtung von Grimmelshausens "Simplicissimus" deutlich wird. Grimmelhausen sah sich selbst in der Tradition des niederen Romans. Aus dem Versuch, belehrend-moralisierend zu wirken und zugleich in einer satirisch-realistischen Erzählweise mit hoher Breitenwirkung die herrschenden Verhältnisse kritisch zu beleuchten, erklären sich die Widersprüche des Werkes, die bereits in der nachgeholten Vorrede zum Ausdruck kommen: "Wann ihm jemand einbildet, ich erzähle nur darum meinen Lebenslauf, damit ich einem und anderem die Zeit kürzen oder, wie Schalksnarren und Possenreißer zu tun pflegen, die Leut zum Lachen bewegen möchte, so findet sich derselbe weit betrogen! Dann viel Lachen ist mir selbst ein Ekel, und wer die edle, ohnwiderbringliche Zeit vergeblich hinstreichen lässt, der verschwendet diejenige göttliche Gabe ohnnützlich, die uns verliehen wird, unserer Seelen Heil in und vermittelst derselben zu würken. Dass ich aber zuzeiten etwas possierlich aufziehe, geschiehet der Zärtling halber, die keine heilsamen Pillulen können verschlucken, sie seien zuvor überuckert und vergüldt, geschweige, dass auch etwan die allergravitätischte Männer, wann sie lauter ernstliche Schriften lesen sollen, das Buch ehender hinwegzulegen pflegen als ein anders, das bei ihnen bisweilen ein kleines Lächeln herauspresset.[2]

Narrensatire

Die Taktik, Lehren in ein humorvolles Gewand zu kleiden, seit jeher in der Fabeldichtung gängig, war in der Barockliteratur weit verbreitet. Bereits das Titelkupfer des "Simplicissimus Teutsch" zeigt die satirischen Absichten des Verfassers an. Der Satyr, ein Mischwesen zwischen Mensch und Tieren unterschiedlichster Gattungen, hält ein Buch und zeigt mit der Hand die Geste des "Hörneraufsetzens" während er mit den Füßen einige auf dem Boden liegende Masken zertritt. Schon im 1. Kapitel des "Simplicissimus", bei der Beschreibung des Hofes seines Knan, schlägt der Ich-Erzähler einen satirischen Grundton an. Seine Ernennung zum Hirten und die erste Unterredung mit dem Einsiedler beziehen ihre Wirkung aus dem "komischen bereits im Perceval des Chrestien de Troyes (um 1175). Der junge Perceval hört im Wald Waffenlärm und meint, der Teufel sei im Anmarsch. Als er einer Schar von Rittern begegnet, hält er sie für Engel und betet einen von ihnen an. Das komische Missverstehen taucht später in Mozarts "Zauberflöte" in der Begegnung Papagenos mit den Mohren wieder auf. Als Simplicius im zweiten Buch in ein Kalbsfell gesteckt wird, beginnt die eigentliche Narrensatire. Er sagt der Hanauer Gesellschaft die Wahrheit. Als weisem Narren ist ihm gestattet, alle Torheiten zu bereden und alle Eitelkeiten zu strafen, wozu sich dann mein damaliger Stand trefflich schickte. Der reine, naive Tor verwandelte sich fast unversehens in einen durchtriebenen Schelm, der die Welt und ihre Mängel durchschaut.

Gesellschaftskritik und Utopievorstellungen

Der junge Simplicius wird vom Einsiedler aus einer "Bestia" zum Christenmenschen erzogen. Die religiösen Lehren erfährt er in abstrakter Form, als reine Heilslehre. Bereits seine ersten Welterfahrungen lehren ihn die Diskrepanz zwischen göttlicher Theorie und teuflischer Praxis. Der himmlischen Ordnung, in der das Gute regiert, steht die Welt als Stätte des bösen Schwein, grimmiger als Löwen, geiler als Böck seien. Die Vision einer Gegenwelt entwirft der selbsternannte, närrische Jupiter. Hier herrscht ein starker Mann, der "teutsche Held", und schafft ein Reich des Friedens und des Wohlstandes, paradiesische Zustände für eine Generation, welche die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges erfahren hatte. In die Welt der Utopien gehört auch das Reich der "ungarischen" Wiedertäufer (die in Wahrheit aus Böhmen stammten und vor der papistischen Verfolgung nach Ungarn entwichen waren). Hier herrscht Gütergemeinschaft und allgemeiner Zwang zu nützlicher Arbeit, hier gibt es keine Not, und menschliches Handeln wird ausschließlich von der Vernunft geleitet.

Eine ebenso vernünftige Gesellschaftsordnung herrscht im Geisterreich des Mummelsees, wo sich Geist und Macht in der Person eines milden Herrschers vereinigt haben. Als Simplicius in die Schweiz kam und sah, wie die Menschen friedlich und in Wohlstand lebten, sah er seine Vorstellungen von paradiesischen Zuständen verwirklicht.

Möglicherweise klingen in den gesellschaftlichen Passagen des Romans noch Überlieferungen Ulrich von Huttens und Thomas Müntzers nach. Im Narrenkleid sagt Simplicius an der Tafel des Gouverneurs: ... was ist das vor ein Adel, der mit so vieler tausend anderer Menschen Verderben erobert und zuwege gebracht worden.[3]Neben der bösen, verderbten Welt, in der Simplicius sich zu behaupten hat, Simplicius zitiert im Kalbsgewand den "heiligen Mann", welcher davor hielte, die gantze weite Welt sei ihm Buchs genug, die Wunder seines Schöpfers zu betrachten, und die göttliche Allmacht daraus zu erkennen.[4]Dieser Vergleich der Welt mit einem Buch widerspricht der Vorstellung von der Welt als Reich des Bösen. Werner Welzig verweist darauf, dass die Einsiedler Paulus und Antonius, deren Leben Grimmelshausen bekannt war, die Welt mit einem Buch verglichen.[5]

Die Weltsicht des Romans

Im Simplicissimus stehen sich zwei Welten gegenüber: die Welt, in der sich das Alltagsleben der "normalen" Menschen abspielt, die zugleich Gottes Schöpfung und Stätte des Bösen mitsamt allen erdenklichen Lastern ist, in der Mord und Totschlag, Marter, Raub Völlerei, Hurerei, Korruption, Ehrabschneiderei, Lüge und Verrat zu Hause sind, und eine "weltabgekehrte" Gegenwelt, in der der Einsiedler ein entsagungsvolles, gottgegefälliges Leben führt, ausgefüllt mit Arbeit und religiöser Meditation.

Die Wandelbarkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen

Am Ende der Jupiterepisode spricht der Romanheld seine Grunderfahrung aus, die er bei seinen vielfältigen Abenteuern in unserer irdischen Welt machen musste: Also wurde ich bei Zeiten gewahr, dass nichts beständigers in der Welt ist, als die Unbeständigkeit selbsten.

Ein Symbol der Unbeständigkeit ist die allegorische Figur des Baldanders. Sie kommt bereits in dem sich selbst erklärenden Namen - bald anders - zum Ausdruck. Der Vergleich mit Proteus bestätigt diesen Charakterzug. Der Meeresgott besaß nach der griechischen Sage die Fähigkeit, jederzeit seine Gestalt zu ändern und sich in ein Tier, einen Baum oder in Wasser zu verwandeln.

Auch der Mond in Baldanders Wappen ist ein Zeichen der Wandelbarkeit. Unendlich wandlungsfähig ist jedoch nicht nur er selbst. Er behauptet auch, über die Kraft zu verfügen, beliebige Menschen, so unser Simplicius, ... in Summa bald so und bald anders zumachen. Diese Figur ist eine Verkörperung der Hypothese, dass Unbeständigkeit Allein beständig sei, wie es in den Eingangsstrophen der Continuatio heißt.

Simplicius erfährt am eigenen Leib, dass nichts auf der Welt von Dauer ist, denn weder Glück noch Erfolg bleiben ihm treu. Kaum hat er sich durch List oder Gewalt ein Vermögen erworben, steht er wieder mit leeren Händen da.

8. Religiöse Wurzeln von Grimmelshausens Weltsicht

Der Weltbegriff, wie er in der Barockdichtung verstanden wird, hat seinen theologische Ursprung bei Paulus und Johannes und kam über die Kirchväter (Augustinus, Ambrosius und Hieronymus) in das christliche Weltverständnis. Welt werden bei diesen Kirchvätern die Ungläubigen und Gotteslästerer genannt. Welt ist hier nicht - und das ist wesentlich festzuhalten - das gesamte Leben und die irdische Welt als solche .... So sehen wir, wie in der Mystik, vor allem aber in der spätmittelalterlichen Epik und Didaktik die Klage übe die Verderbnis der Welt das Leben schlechthin meint .... In der großen Vinzenz von Beauvais, einem am Hof Ludwigs des Heiligen von Frankreich tätigen Dominikaner, zugeschriebenen Moralenzyclopädie ... wird ausgehend von Joh. 2 die Weltverachtung als notwendige Haltung jedes Christen gefordert, ohne dass "Welt" dabei auf eine bestimmte Form des Daseins begrenzt würde. Die Welt als solche schon ist trügerisch, und wer ihr vertraut, dem gibt sie keinen Halt, sonder den enttäuscht sie und bringt ihn, ohne dass er es merkt, zu Fall.[6]

Am Ende des fünften Buches zitiert Simplicius aus den Schriften Antonio Guevaras, des Hofpredigers Karls V., der sich allerdings nicht an die Welt insgesamt, sondern nur an die Welt des kaiserlichen Hofes wendet: ... Behüt dich Gott, o Welt! Dann obwohl der Leib bei dir ein Zeitlang in der Erden liegen bleibt und verfaulet, so wird er doch am Jüngsten Tag wieder aufstehen und nach dem letzten Urteil mit der Seel ein ewiger Höllenbrand sein müssen. Alsdann wird die arme Seel sagen: Verflucht seist du, Wett! Weil ich durch dein Anstiften Gottes und meiner selbst vergessen und dir in aller Uppigkeit, Bosheit, Sünd und Schand die Tage meines Lebens gefolgt hab! Verflucht sei die Stund, in deren mich Gott erschuff! Verflucht sie der Tag, darin ich in dir, o arge böse Welt geborn bin! O ihr Berg, Hügel und Felsen, fallet auf mich vor dem grimmigen Zorn des Lamms, vor dem Angesicht dessen, de auf dem Stuhl sitzet! Ach wehe und aber wehe in Ewigkeit! Die Worte Guevaras bewogen Simplicius, dem Vorbild Kaiser Karls V., der im Alter von 56 Jahren abdankte und den Rest seiner Tage als Einsiedler im Kloster San Yuste (Spanien) verbrachte, zu folgen und in die Wildnis zu ziehen.

Das Leben des Heiligen, die er aus alten Legenden kannte, faszinierte Grimmelshausen. Das Leitbild des geradlinigen, tapferen und von Gott erfüllten Menschen ist de Maßstab, den er an menschliches Denken und Handeln anlegt.

Am Anfang und am Ende des Romans steht die Einsiedelei, die Abkehr von der Welt. Das Vorbild und die Lehrern des Einsiedlers prägen, wenn auch nicht auf Dauer, den jungen Simplicius, und am Ende des fünften Buches heißt es, dass er die Welt verließe und wieder ein Einsiedel ward. Doch auch in den Jahren seines abenteuerlich-wüsten Treibens in der Welt, welche die mittleren Bücher füllen und von den Einsiedlerszenen eingerahmt werden, erinnert er sich im Stadium äußerster Zerknirschung an die frommen Lehren seines Freundes und Vaters: Darbey fieng ich an, nach und nach mit Fressen und Saufen ein Epicurisch Leben zu führen, weil ich meines Einsiedlers Leben vergessen, und niemand hatte, der meine Jugend regierte, oder auf den ich sehen dorffte.

Den Brief den der Einsiedler hinterließ, beweißt, dass e ihn weniger auf die einsiedlerische Lebensform als auf christliche Lebenshaltung ankam. Es gibt auch skeptische Passagen im Roman, die jedoch nicht aus ihrem jeweiligen Textzusammenhang herausgelöst und als Meinung des Dichters angesehen werden dürfen. So kritisiert der Pfarrer den Einsiedler 'Simplicius' Vater, mit den Worten, dass er durch Lesung vieler Papistischer Bücher von dem Leben der Alten Eremiten, hierzu verleitet worden sei. Im 1. Kapitel der Continuatio stellt Simplicius ironisch fest, dass die Einsiedelei vielleicht doch nicht das Rechte sei: sie verführe zum Müßiggang, und damit diene er weder Gott noch den Menschen. Und er fragt sich, ob er nicht ein totes Glied der menschlichen Gesellschaft sei. Nicht aus freiem Entschluß, sondern erzwungen durch den Schiffbruch, nimmt er scheinbar endgültig das Leben eines Einsiedlers auf und weist das Angebot des holländischen Kapitäns, nach Europa zurückzukehren, mit den Worten zurück: Mein Gott! Wollt Ihr mich zeichen? Hier ist Fried, fort ist Krieg; hier weiß ich nichts von Hoffahrt, vom Geiz, vom Zorn, vom Neid, vom Eifer, von Falschheit, von Betrug, von allerhand Sorgen ... Und was das allerärgste, ist dieses, dass keine Besserung zu hoffen, indem jeder vermeinet, wann er nur zu acht Tag, wann's wohl gerät, versöhne, er habe es als ein frommer Christ nit allein alles ausgerichtet, sondern Gott seie ihm noch darzu um solch laue Andacht viel schuldig. ... Nein, vor solchen Beginnen wolle mich Gott behüten.

Doch auch diese Weltabkehr war nicht endgültig für alle Zeiten. "Springinsfedl", der Titelheld einer der sogenanntn Simplicianischen Schriften, begegnet dem alten Simplicius in einer westfälischen Schenke. Abgemagert, mit einem Stelzfuß, erkennt ihn ein ehemaliger Dragoner, der mit ihm im selben Regiment gedient hatte, an seinem Geigenspiel wieder.

Die Persönlichkeit des Romanhelden

Die Form der Ich-Erzählung bewirkt beim Leser den Eindruck, dass der Autor über Selbsterlebtes berichtet. Die Geschichte erhält den Charakter eines authentischen Berichtes, sie erhebt den Anspruch, wahr zu sein. Im vorletzten Satz des fünften Buches schreibt der Ich-Erzähler: ... begab mich derhalben in eine andere Wildnus und fienge an mein End darin verharren werde, stehet dahin. - Der Wechsel von der Vergangenheit zur Zukunft kann nur bedeuten, dass des bisher Erzählte in der Einsiedelei verfaßt wurde. Dem steht der Bericht des holländischen Schiffskapitäns gegenüber, dass das Buch von einem hochteutschen Mann auf der Insel wegen Papiermangels auf Palmblätter geschrieben worden sei. Und im "Beschluß" heißt es, Verfasser sei ein gewisser Samuel Greifnson vom Hirschfeld, der die ersten fünf Bücher selbst in Druck gegeben habe, während Grimmelshausen Herausgeber der Continuatio sei. Mit diesen Widersprüchen enthüllt Grimmelshausen bewußt die Ich-Erzählung als Fiktion. In Verlauf des Romans verändert sich wiederholt der Abstand zwischen dem erzählenden und dem erzählten Ich, zwischen dem Ich des Autors und dem Ich des Erzählers. Damit werden die verschiedenen Entwicklungsphasen des Ich miteinander einer Lust am sündhaften Detail beschrieben, die fast keine Distanzierung des Erzählers mehr erkennen lassen. So stellt er seine "Tüchtigkeit" als Soester Jäger, seine Überfälle und Raubzüge mit unverkennbarem Stolz dar. Den "Simplicissimus" als Bildungs- oder Entwicklungsroman zu bezeichnen, hieße Maßstäbe der Goethezeit in das 17. Jahrhundert zu übertragen.

Die geistige Verfassung des Knaben Simplex (lat. einfach, natürlich, ehrlich, arglos, offen, bieder, beschränkt. Steigerungsformen: Simplicius, Simplicissimus) wurde mit dem aristotellischen Vergleich einer "tabula rasa" gekennzeichnet. Nur der Gestalt nach ist er ein Mensch, ansonsten eine "Bestia". Als er das erste Mal bei dem Einsiedler das Word Kirche hört, versteht er Kirschen. Auf die totale geistige Unbildung folgt eine Phase gläubiger Einfalt. Der Einsiedler lehrt ihn, fleißig zu beten und zu arbeiten, und bringt ihm einige Grundtatsachen des Glaubens bei. Dabei bleibt Simplex die völlige Unkenntnis der äußeren Welt erhalten. Als er in die Welt geworfen wurde, konnte er sie nur "seltsam" finden, vermochte sich aber nicht darin zurechtzufinden. Das komisch wirkende Nicht-Begreifen bringt ihn in die größten Schwierigkeiten. Durchdrungen von der Verbindlichkeit der religiösen Gebote, versucht er immer wieder, die Welt zu verändern und zu verbessern, und wurde deshalb als närrisch angesehen: Wann ich nun so etwas höret, sahe und beredet, und wie meine Gewohnheit war, mit der HI. Schrift hervor wischte, oder sonst treuhertzig abmahnete, so hielten mich die Leute vor einen Narren.

Mit der Periode des Jägers von Soest beginnt Simplicius'Abenteuerleben. Seine Unternehmungen sind vom Glück begleitet. Es beginnt in Leben voller Vergnügen, und er führt das Leben eines Mannes von Welt. Doch seine Erfolge sind nie von Dauer, und er vergleicht die Güter, die er gewonnen hatte, mit dem Schatz eines Alchimisten, der sich in Nichts auflöst, bevor man sich versieht.

Eine seiner negativen Eigenschaften ist die Eitelkeit, mit der er sein Aussehen wohlgefällig zur Kenntnis nimmt, sich neu einkleidet und ein Wappen zulegt, um als Adliger auftreten zu können.

Bemerkenswert ist der abrupte Wandel vom närrischen Einfaltspinsel zum gewandten Weltmann, der gleichsam über Nacht und ohne erkennbare Entwicklungsstufen verläuft.

Die nächste totale Verwandlung vollzieht sich auf der Heimreise von Paris nach Deutschland, als er unterwegs an den Blattern erkrankt und aus einem "Beau Alman" ein "grindiger Geduck" wird. Auch in dieser Veränderung des äußeren Erscheinugsbildes kommt die Unbeständigkeit irdischen Glücks zum Ausdruck.

Simplicius' Leben ist eine unaufhörliche Wanderschaft, sie entspricht seiner inneren Ziel- und Haltlosigkeit und entspringt der Auffssung, dass jedes Dasein in seinem Wesen Bewegung und Wandel sei.[7]

Quellenangabe:

Der abenteuerliche Simplicissimus, Grimmelshausen, Erste Auflage 1983, Insel Verlag Frankfurt am Main

Lohenstein, Arminius. Vorbericht zitiert nach Welzig, Werner. Beispielhafte Figuren, Graz-Köln 1963

Meid, Volker, Grimmelshausen, Epoche, Werk, Wirkung, München 1984

Deutsche Literaturgeschichte in einem Band, Prof. Dr. Hans Jürgen Geerdts, Volk und Wissen Berlin, 1967

[1]Meid, Volker, Grimmelshausen, München 1984, S. 67

[2]Grimmelshausen, Continuatio, 1. Kap.

[3]Simplicissimus an der Tafel des Gouverneurs

[4]Lohenstein, A., S. 86

[5]Lohenstein, A., S. 86

[6]Lohnstein, A., S. 80 - 81

[7]Lohenstein, A., S. 140

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