Mathilde Möhring

Theodor Fontane und seine Zeit

Henri Théodore Fontane wird am 30. Dezember 1819 als Sohn des Apothekers Louis Henri Fontane und seiner Ehefrau Emilie in Neuruppin (-> Karte, ev. Bild) geboren. Seine Eltern stammen, wie ihre Namen vermuten lassen, aus französischen, hugenottischen Familien[1]. Fontane verbringt seine Kindheit in Swinemünde und Neuruppin, wo er das Gymnasium besucht. Später wechselt er an die Gewerbeschule in Berlin. Darauf folgt seine vom Vater vorgezeichnete Laufbahn als Apotheker, die ihn 1841 nach Leipzig und ein Jahr darauf nach Dresden führt. 1848 engagiert er sich auf Seiten des revolutionären Bürgertums, das entsprechend seiner gewachsenen gesellschaftlichen Bedeutung mehr demokratische Mitbestimmungsrechte einforderte. Den Sieg auf den Barrikaden konnten die Revolutionäre allerdings politisch nicht ummünzen. Am Ende des Jahres hatte der preußische König wieder die Oberhand gewonnen. 1849 weist Friedrich Wilhelm IV. die ihm von der Frankfurter Nationalversammlung angebotene Kaiserkrone zurück. Damit ist auch die konstitutionell-monarchistische Variante der einst rein republikanisch angetretenen deutschen nationalen Revolution gescheitert. Im selben Jahr schlägt Fontanes erster Versuch, als freier Schriftsteller zu leben, fehl. 1850 heiratet er Emilie Rouanet-Kummer, mit der er drei Söhne, George Emile, Theodor und Friedrich sowie eine Tochter namens Martha hat. Noch im selben Jahr werden in Preußen das völlig undemokratische Dreiklassenwahlrecht[2]und eine Verfassung eingeführt. Von 1852 bis 1855 ist Fontane als Herausgeber, Publizist und Kritiker in Berlin tätig. Von 1855 bis 1859 hält er sich in England auf, mit dem offiziellen Auftrag der preussischen Regierung, eine "Deutsch-Englische Korrespondenz" aufzubauen. Nach der Rückkehr in seine Heimat Brandenburg bringt ihm sein Werk "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" das Klischee des "märkischen Dichters" ein.[3]1860 folgt der Eintritt in die Redaktion der konservativ orientierten "Kreuz-Zeitung".[4]In jener Dekade besucht Fontane mehrere der Kriegsschauplätze der deutschen Einigungskriege [5]in Schleswig-Holstein, Dänemark, Böhmen und Frankreich, wo er schliesslich verhaftet wird, kurz darauf jedoch wieder freigelassen wird. 1870 gibt er die Mitarbeit bei der Kreuz-Zeitung auf und wird Theaterkritiker bei der liberalen Vossischen Zeitung. Zwei Jahre später, 1872, bezieht er endgültig eine Wohnung in Berlin, wo er, abgesehen von längeren Reisen, den Rest seines Lebens verbringt. Die Zeit, zu welcher sich Fontane in Berlin aufhielt, war von einem enormen industriellen Aufschwung der Stadt geprägt. Am 18.1.1871 wird das Deutsche Reich nach dem Sieg über Frankreich gegründet und Wilhelm I. in Versailles als Kaiser proklamiert. Die Führungsperson bleibt aber Reichskanzler Bismarck. Berlin wird Residenz des Deutschen Kaisers und Reichshauptstadt, die Einwohnerzahl übersteigt 800.000 und wächst mit enormem Tempo. Es beginnt der Boom der "Gründerjahre", beschleunigt durch 5 Milliarden Franc "Kriegsschuldzahlungen" Frankreichs. Berlins beispielhafter Aufschwung lässt es 1883 zur größten Industriestadt auf dem europäischen Festland aufsteigen. 1876 gibt Fontane seinen Posten als "Ständiger Sekretär der Königlichen Akademie der Künste" in Berlin nach drei Monaten auf. Dies bringt eine Ehekrise mit sich. Sein zweiter Versuch, als Schriftsteller zu arbeiten, gelingt nun. [6]Im sogenannten "Dreikaiserjahr" 1888: sterben Wilhelm I. und Friedrich III.. Wilhelm II. übernimmt das Amt des Kaisers. Aufgrund politischer Differenzen verlässt Reichskanzler Otto v. Bismarck 1890 die politische Bühne. Fortan prägt Wilhelm II. einen national-konservativen Politik-, Lebens- und Baustil, der als "Wilhelminismus" [7]in die Geschichte eingeht. Auch im kulturellen Bereich strahlte die Reichshauptstadt Dynamik aus. Fontane verfolgt diesen Generationenwechsel in der Politik kritisch und distanziert sich vom "Neuen Kurs". Im Jahre 1892 erkrankt er an Gehirnanämie[8], kann sich jedoch auch dank seiner Arbeit an autobiographischen Texten erholen. Neben seiner grossen Schaffensperiode von 1879 - 1887 ist die Zeit von 1890 bis zu seinem Tod im Alter von 79 Jahren am 20. September 1898 seine zweite schriftstellerisch produktive Phase.

Fontane vermittelt in seinen Romanen ein kritisches Zeitbild der preussischen Gesellschaft und gehört zu den grossen Realisten des 19. Jh.. "Der Realismus in der Kunst ist so alt als die Kunst selbst, ja, mehr noch: er ist die Kunst selbst. Der Realismus will das Wahre, deshalb schliesse er die Lüge aus; er sei vielmehr die Widerspiegelung alles wirklichen Lebens, aller wahren Kräfte und Interessen im Element der Kunst." "In die Restaurationsepoche hineingeboren, erlebt er die 48er-Revolution und ihr Scheitern in Berlin, begleitet mit journalistischen Ambitionen die Einigungskriege, die 1871 zur Errichtung des deutschen Kaiserreichs führen, und verfolgt kritisch die Tendenzen der Gründerjahre und der zunehmend imperialistisch orientierten Kaiserzeit. Mit 35 Jahren bekennt er sich zum Realismus, er steht nach der gescheiterten Revolution vor einem Wendepunkt in seinem Leben." Fontane zeichnet typische Gestalten vor allem des preussischen Adels und Bürgertums in ihrem alltäglichen Leben, das von ihrer gesellschaftlichen Stellung und den geltenden Werten bestimmt wird. Als seine Meisterwerke gelten "Effi Briest" sowie "Der Stechlin". "Mathilde Möhring" erscheint erst 1906 aus seinem Nachlass.

Nacherzählung

1. Mathilde Möhring wohnt zusammen mit ihrer Mutter in der Georgenstrasse 19, in der Nähe der berühmten Friedrichstrasse in Berlin. Wirt ihres, sowie vier weiterer Häuser, ist Rechnungsrat Schultze, der "in der Gründerzeit mit dreihundert Talern[9]spekuliert und in zwei Jahren ein Vermögen erworben hatte". Der Familienvater, ehemaliger Buchhalter in einem Kleiderexportgeschäft, ist vor sieben Jahren im Alter von 40 Jahren gestorben. Zwei Bemerkungen zu diesem Ereignis prägen Mathilde. Eine stammt von einem Geistlichen, ihr Inhalt bleibt jedoch unbekannt. Noch stärker prägen sie die letzten Worte ihres Vaters: "Mathilde, halte dich propper". Da Möhrings arm sind, müssen sie ein Zimmer ihrer Wohnung vermieten. An Mathildes 17. Geburtstag erfolgt ein weiteres Erlebnis, welches sie stark prägt. Ein Kegelspieler bezeichnet sie als Gemmengesicht [10]und "von diesem Worte lebte sie seitdem".

2. Ein Student liest das Angebot der Möhrings und mietet nach kurzer Bedenkzeit. -> S. 7

3. Der neue Mieter heissst Hugo Grossmann und ist Cand. Jur.. Er kommt sehr spät nach Hause und schläft am nächsten Tag bis in die Mittagsstunden. Hierdurch findet Mathilde ihre Vermutung, dass Hugo sein Studium nicht ernst nimmt, bestätigt. In einer Diskussion der Möhrings über den neuen Mieter bemerkt sie kritisch: "Er ist bloss faul und hat kein Feuer im Leibe." Ihre Mutter hingegen findet, er sei "eigentlich ein sehr hübscher Mensch".

4. Ein gewisser Hans Rybinski besucht seinen Freund Grossmann, der, wie wir erfahren, aus Owinsk [11]stammt. Grossmann's Mutter und seine Schwester scheinen ganz im Gegensatz zu Hugo, der viel liest, nichts von Kunst zu halten, sie zeigen "keine Spur Verständnis für ein Buch oder ein Bild." Er ist erst kürzlich aus Owinsk zurückgekehrt, wo er seine Familie besucht hat, um gemeinsam mit ihnen um seinen im Alter von 60 Jahren verstorben Vater zu trauern. Dieser, ehemaliger Burgemeister von Owinsk, hat leider nicht das erwartete Vermögen hinterlassen, sondern lediglich eine Kiste mit unerwartetem Inhalt. -> S.19

Rybinski erzählt seinem Freund stolz, dass er in Schillers Stück "Die Räuber" als Kosinsky auftreten darf. Vergeblich versucht er, Grossmann zu überzeugen, den gleichen Weg wie er einzuschlagen, das Studium aufzugeben und sich in der Kunst zu engagieren. Er wirft ihm Bequemlichkeit und Schlapperei auf der ganzen Linie vor, selbst in der Liebe.

5. "Die nächsten Tage vergingen ruhig. Am Vormittag hatte Hugo sein Repetitorium, dann ging er zu Tisch, dann nach Wilmersdorf; am Abend war er zu Haus, ..., und war alles in allem ein Muster von Solidität." Allerdings vernachlässigt er sein Studium zugunsten der Literatur. -> S. 25

Rybinski besucht Hugo erneut und schenkt ihm drei Theaterkarten für seine Vorstellung, einen Parquetplatz für Hugo und zwei Karten zweiten Ranges für Möhrings.

Am Tag von Rybinskis Auftritt lässt sich Grossmann den ganzen Tag nicht sehen, womit er der "Begleitungsfrage klug entgangen war". Während als auch nach der Vorstellung vermeidet er den Kontakt zu den Möhrings, was Mathilde beunruhigt. -> S. 32

6. "Thilde beschäftigte sich mit seiner Haltung während des ganzen Abends und dieser nächtlichen Kneiperei, die ganz jenseits ihrer Berechnungen lag." Am nächsten Morgen bietet Hugo den Möhrings Theaterkarten von Rybinski für die nächste Woche an. Erstmals erfahren wir hier, dass Mathilde einen Plan entwickelt, wir wissen aber noch nicht, worauf dieser aus ist.

7. Die Aufführung Rybinskis können die Möhrings und Hugo nicht besuchen, da letzterer an den Masern erkrankt ist. Mutter Möhring ist wegen der Krankheit ihres Mieters, der nunmehr seit 6 Wochen bei ihnen untergebracht ist, sehr ängstlich, da sie keine Ahnung hat, was die Masern überhaupt sind. Ihre Tochter hingegen spricht von der Erkrankung als "einer sehr guten Fügung" und kümmert sich um Hugo -> S. 38

Der Arzt, welcher Hugo behandelt, macht seinen Patienten auf Mathildes Qualitäten als Frau aufmerksam. -> S. 39

Während Hugos Rekonvaleszenz liest Thilde ihm vor und kümmert sich auch sonst sehr zuvorkommend um ihren Untermieter, wodurch sie ihn für sich gewinnt. -> S. 40/41

8. Eine Woche vor Weihnachten steht für Hugo schliesslich fest, "dass Thilde die Frau sei, die für ihn passe." Auf seinen Heiratsantrag antwortet Mathilde zuerst nicht, willigt dann ein, allerdings unter der Bedingung, dass Hugo keine Rybisnkiwege geht. -> S. 42/43

Als Thilde ihrer Mutter von der Verlobung erzählt, ist diese vor allem des Geldes wegen geängstigt. Zur Verkündung der Heirat am 24. Dezember werden ein Vetter Hugos [12], Rybinski samt seiner Braut "Bella", und Schultze geladen. Ausserdem ist noch die alte Putzfrau Runtschen, ferner ihre Tochter Ulrike anwesend.

9. Zu diesem Anlass hält Hugos Vetter eine Rede. -> E S. 47 und 47/48

Am nächsten Morgen besucht die alte Runtschen Frau Leutnant Petermann und erzählt von der Feier. Ihr ist aufgefallen, dass Hugo nicht recht zufrieden aussah. Beide finden, dass es mit Hugo "nicht ganz richtig ist." Thilde verfeinert ihren Plan. -> S. 53

Sie will Hugo eine Woche lang Vergnügungen gewähren und dann "mit der Prosa herausrücken, unter Hinweis darauf, dass ohne Durchführung ihres Programms von Glück und Zufriedenheit und überhaupt von einem Zustandekommen ihrer Ehe gar keine Rede sein könne."

10. In der Flitterwoche spielt sie Hugo vor, sie hätte auch einen Sinn für die Freude und das süsse Nichtstun. Die beiden gehen jeden Tag aus und vergnügen sich, wobei die alte Möhring, ausser bei einem Abendessen mit Rybinski und seiner Braut, immer dabei ist. "Ja, diese Ferienwoche! Thilde war wie nicht zum Wiedererkennen und schien eine Verschwenderin geworden." Hugo fällt auf Mathildes Schauspielerei rein. -> E S.55 Silvester feiern sie zu Hause mit dem Architekten und Ulrike. In der Silvesternacht sagt Mathilde zu ihrer Mutter: "Wenn ich auch nich viel aus ihm mache, so viel doch, dass ich ihn heiraten kann und dass ich dir alle Monate was schicken kann und dass ich einen Titel habe." Am nächsten Morgen verlässt Hugo das Haus zum ersten Mal seit seiner Krankheit um spazieren zu gehen. Dabei denkt er über die neuen Entwicklungen nach. -> E S. 63

Mathilde erklärt ihm dann, dass das Vergnügen jetzt vorbei sei, und das er endlich sein Examen absolvieren müsse, um dann einen Beruf zu ergreifen und Geld zu verdienen. Um ihm beim Lernen zu helfen will sie ihn jeden Abend abfragen.

11. So motiviert sie Hugo sehr geschickt, so dass dieser "mitunter so gut antwortete, dass Thilde ihre helle Freude hatte." und schliesslich das Referendarsexamen Ende März besteht. Zu Hause angekommen erzählt er vom Examen, später auch von seiner Heimat Owinsk, die er jeder Grossstadt vorzieht. Dadurch wird Mathildes Plan bestätigt: "Was immer in ihr festgestanden hatte, dass Hugo in eine kleine Stadt und nicht in eine grosse gehöre, das stand ihr jetzt fester denn je." Hugo hat mit diesem Examen aber erst den ersten Teil des Studiums hinter sich: "Er war nun Referendar, alles ganz gut, aber nun blieb noch der Assessor[13]." Vor dem erneuten Repetieren fürchtet er sich und er überlegt, ob es nicht besser gewesen wäre, durchzufallen. "Musst es denn grade die Juristerei sein, die so gar nicht zu ihm passte, weil alles so steif und hölzern war. Rybisnki lebte doch auch." Viel lieber wäre er Bahnhofsinspektor, Schuppeninspizient oder Telegraphist. Entgegen Hugos Befürchtungen zwingt Thilde ihn allerdings nicht, das Assessor-Examen zu machen. Sie gestattet ihm eine Pause, liest ihm viel vor und geht jeden Vormittag in die Lesehalle für Frauen, wo sie Zeitungen liest. Dadurch erwirbt sie eine umfassende Kenntnis der Politszene, die ihr später noch zugute kommt. Eine Woche später findet sie eine Annonce für eine Burgemeisterstelle[14]in Woldenstein (Westpreussen), worauf sie beschliesst, dass Hugo noch am selben Tag zwecks eines Vorstellungsgesprächs nach Woldenstein abreisen soll.

12. Am Johannistage[15]feiern sie die Hochzeit, zu der auch Hugos Mutter und Schwester samt zwei Cousinen, Rybisnki mit einer neuen Braut und die Schmädicke eingeladen sind. Noch am selben Abend reisen sie nach Woldenstein ab. "Weil sie aber vorhatten, die erste Nacht in Küstrin und die zweite Nacht in Bromberg zuzubringen, so nannten sie diese Fahrt doch ihre Hochzeitsreise." Am 26. Juni beziehen sie die Burgemeisterwohnung, Hugo tritt die Stelle als Burgemeister am 1. Juli an. Mathilde unterstützt Hugo in seinem Amt enorm, indem sie ihm diverse Vorschläge macht und ihn bei seiner Tätigkeit stets berät.

13. Bis auf den eminent wichtigen Landrat sind die meisten Personen Hugo gutgesinnt. Doch das Verhältnis zwischen Hugo und dem Landrat bessert sich, als in der "Königsberger Hartungschen Zeitung" ein Lobartikel auf eben diesen Landrat v. Schmuckern, der Hugo für dessen Autor hält, anlässlich der bevorstehenden Wahlen erscheint. In Wahrheit hat Thilde den Artikel eingereicht.[16]

14. -> S. 91 In der Woche zwischen Weihnachten und Silvester wird kräftig gefeiert. Am Silvesterball knüpft Mathilde engere Kontakte zum Landrat, indes Hugo sich mit der Landrätin unterhält. Hugo erkältet sich nach dem Ball und "fiebert furchtbar". Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich, zumal er am nächsten Morgen mit der Landrätin Schlittschuhlaufen geht, während Thilde eine Schlittenfahrt mit dem polnischen Grafen Goschin unternimmt. "Er war der reichste und angesehenste Mann der ganzen Gegend, Original und schon über siebzig." Da Hugo heftig hustet muss er bald nach Hause. "Als sie fortwaren, setzte sich der Graf neben die Landrätin und sagte: "Woldenstein kann sich nach einem neuen Bürgermeister umsehn."

15. Der Arzt diagnostiziert eine Lungenentzündung, erneut wird Thilde zur Krankenpflegerin. Sie erhält zwei Briefe, eine Vermählungsanzeige Rybinskis mit einer andern Frau und einen von der alten Möhring. In diesem Brief bedankt sie sich für das Paket von Mathilde und Hugo. -> S. 100 Sie unterzeichnet den Brief mit "Adele Möhring, geb. Printz." Thilde's Mutter weiss von der Krankheit nichts, da ihre Tochter sie nicht informiert hat, um dem Gejammer der Alten zu entgehen. Sie scheint trotzdem etwas zu ahnen. -> S. 101 Mathilde misstraut Hugos Genesung Ende Februar zurecht, denn bald erleidet dieser einen Rückfall, den er nicht überlebt. -> S. 102 Hugos Tod ist das einzige Ereignis, welches uns erlaubt, die Erzählung zeitlich einzuordnen, da er in jenen Tagen stirbt, "als Bismarck ins Wanken kam", also im Frühjahr 1890.

Daraufhin schreibt Thilde an ihre Mutter von Hugos Tod und versichert ihr, bald nach Berlin zurückzukehren um für sie zu sorgen. Bis Jahresschluss erhält sie noch Hugos Gehalt und ab dem 1. April auch die Witwenpension. Die Stellung als Hausdame, die ihr der Graf Goschin in seinem Hause angeboten hat, lehnt sie ab.

16. Thilde kommt zu Hause an und unterhält sich mit ihrer Mutter. Dann "wollte sie nur allein sein und einen Augenblick andre Gedanken haben." -> E A. 108/9

17. Sie passt sich wieder in das Kleinbürgerleben ein, verbringt aber im Gegensatz zu früher den Tag nun alleine und richtet ihr eigenes Zimmer ein, welches die Möhrings nicht mehr vermieten. -> S. 110

Die Alte sähe ihre Tochter lieber als Hausdame denn als Lehrerin, da sie auf ein Erbe des alten Grafen hofft. Mit dieser Forderung verlangt sie von ihrer Tochter quasi die eheliche Prostitution, nur des Geldes wegen. Ausserdem will sie Thilde wieder verheiraten, was diese aber ablehnt, genau wie die Forderung, dass diese ihren Mädchennamen wieder aufnimmt. Dies zeigt deutlich, dass Thilde ihr Leben jetzt in die eigenen Hände nimmt und es nicht mehr von ihrer Mutter verplanen lässt. Sie besteht ihr Examen glänzend und tritt am 1. Oktober eine Stelle als Lehrerin an.

Hauptpersonen

Mathilde Möhring

Über den Namen Mathilde findet sich in Fontanes Roman "Cécile" folgender Dialog: "Mathilde! Wirklich. Man hört das Schlüsselbund." - "Und sieht die Speisekammer. Jedesmal, wenn ich den Namen Mathilde rufen höre, seh ich den Quersack, darin in meiner Mutter Hause die Backpflaumen hingen. Ja, dergleichen ist mehr als Spielerei, die Namen haben eine Bedeutung." Mathilde: Gemahlin Heinrichs I., gründete Quedlinburg, Heilige

-> S.5, S.6

Mathilde hat mehr männliche als weibliche Qualitäten. Sie ist tüchtig, zielstrebig, praktisch, fleissig, stark, statusbewusst, hat die männliche Initiative und eine Abneigung gegen das blosse Nichtstun. Ihr fehlen typisch weibliche Eigenschaften wie Schönheit, Sensibilität, Emotionalität. Rein äusserlich ist sie eine unscheinbare, durchschnittliche Person. Zu Beginn scheint sie lediglich brav, kleinbürgerlich und somit bieder und langweilig zu sein. Im Verlauf der Jahre wächst sie jedoch eindeutig an den Aufgaben, die sich ihr Stellen. Zunehmend profitiert sie von ihrer Klugheit, Menschenkenntnis und ihrer umgänglichen Art, mit der sie viele Personen, egal welchen Standes, für sich gewinnen kann. Während Hugos Studium wie auch später in der Ehe hält sie die Fäden in der Hand und trifft die wichtigen Entscheidungen. Den Wandel vom Mädchen zur gewandten Frau vollzieht Mathilde in Woldenstein, ausserhalb des hemmenden Einflussbereichs ihrer Mutter. Sie profitiert vom Kontakt mit anderen Gesellschaftsschichten, erweitert ihren ehemals enorm eingeengten Horizont einer kleinen Zimmervermieterin und wandelt sich zur gebildeten Dame der politischen Oberschicht einer Kleinstadt. Hier bequemt sie sich zu einer gewissen Koketterie und will erstmals auch "einen gewissen Frauenreiz auf Hugo ausüben", weshalb sie sich nun modisch kleidet. Zunehmend gewinnt sie an Autonomie, obwohl sie sich bis zum Schluss nicht gänzlich von ihrer Mutter lösen kann und lediglich einen Teilerfolg erzielt, insofern als sie in ein eigenes Zimmer umlogiert.

Mathilde ist eine sehr geduldige Person, die nie die Fassung verliert, selbst wenn ihre Mutter stets nur ans Geld denkt und sie unter Druck setzt.

Mathilde hat auch hellseherische Fähigkeiten, insbesondere was Hugo betrifft. Als sie ihn zum ersten Mal sieht, erfasst sie sofort, dass er ein "Schlappier ist, und keinen Muck hat." Wenig später kennt sie auch Hugos Schwäche und weiss, dass dieser sich für sein Studium "nicht sehr anstrengen wird".

Für Hugo ist sie mehr Mutter denn Ehefrau. Sie kümmert sich um ihren Zögling, will stets das Beste für ihn, was Hugo aber anscheinend nicht bekommt. Sie fragt ihn gar nicht nach seinen Plänen, sondern schreibt ihm vor, was er zu tun hat. Somit nutzt sie seine kindliche Schwäche für ihre Karriereziele aus. "Denn wenn ich es auch gemacht habe, wenn er nicht da war, so ging'es nicht." Ihre Liebe zu Hugo entspricht aber nicht nur einer Mutterliebe, denn sie hat mit ihm auch eine sexuelle Beziehung. -> S. 114

Mathilde sagt einmal zu ihrer Mutter: "Das Untre, das Niedre. Daneben gibt es aber auch was, das ist das Höhere. Und sieh, wer das hat, der kann auch das Schwache stark machen. Lange vor hält es wohl nich, aber es kommt doch, es ist doch da." (60) Hier bezeichnet sie sich selber als das Höhere (evt. eine Anspielung auf ihren Heiligenstatus), erkennt aber gleichzeitig, dass ihre Fähigkeiten, Hugo zu stärken, nicht lange vorhalten werden. Sie will ihm eigentlich helfen, nutzt ihn aber gleichzeitig für ihre Ziel aus. Letztendlich geht sie zu weit, obwohl sie erkennt, das Hugo gewisse Grenzen nicht überschreiten kann.

Mutter Möhring

Sie ist die typische Spiessbürgerin. -> S. 13/14 Möhrings sind relativ arm; ein Setzei und Bratkartoffeln spendieren sie sich nur zu besonderen Anlässen. Für die alte Möhring gelten Adjektive wie dick und fett als Schönheitsideale, da sie zeigen, dass "man es hat".

Mutter Möhring ist ausgesprochen ängstlich, sie traut ihrer Tochter nie, was sie durch Phrasen wie "Das läuft so ins Geld" oder "Wo soll es denn alles herkommen" zum Ausdruck bringt. Stets ist sie auf den finanziellen Vorteil bedacht und versucht diesen immer im Voraus zu berechnen. Sie spricht kaum und kann in ernsthaften Gesprächen den Argumenten Mathildes je älter diese wird, je weniger entgegensetzen, da sie ungebildet ist. Man könnte sie fast als Analphabetin bezeichnen. -> S. 13 [17]Vom hochnäsigen Lebemann und Glücksritter Schultze lässt sie sich im Gegensatz zu ihrer Tochter, die dessen Angeberei durchschaut, täuschen. Sie scheint den Wechsel, der sich in der Gesellschaft und im Leben vollzogen hat, nicht zu verkraften, denn sie kapselt sich von den realen Abläufen der Aussenwelt ab und sucht Zuflucht in der gestrigen Zeit. -> S. 58 Dafür besitzt die alte Möhring andere, namentlich hellseherische Qualitäten. Stets ahnt sie das Unglück.

Hugo Grossmann

-> S. 7 Hugo ist vielmehr Frau als Mann. Er ist schön, schwach, amüsiert sich gerne und ist von schwacher, kränklicher Natur. Hugo erkrankt an einer Kinderkrankheit, den Masern, er ist kindlich naiv, will es stets bequem haben und geht den Weg des geringsten Widerstandes. Kurz gesagt: er ist eine sehr kindliche Person. Kombiniert man nun die beiden plakativen Eigenschaften seines Charakters, so kommt ein dritter Begriff ins Spiel, derjenige der Unschuld. Doch in welchem Sinne ist Hugo unschuldig ?

Hugo ist nicht fürs Repetieren, das langweilige Auswendiglernen. Genau wie sein Vater hat er den Referendarius[18]gemacht und sich damit begnügt. Denn schon sein Vater hat auf eine höhere Beamtenlaufbahn, die seine Familie von ihm erwartete, verzichtet. Durch den Grossteil der Erzählung erscheint er als schwächlicher, labiler, krankheitsanfälliger Faulenzer, der sich für die schöne Literatur und die weltlichen Vergnügungen interessiert. Rybinski sagt einmal zu ihm: "Du hast entschieden mehr vom Siebenschläfer als vom Landbriefträger." (18) Hugo wirkt in der Erzählung sympathisch, der Leser erkennt gleichsam wie Mathilde, letztere allerdings erst nach Hugos Tod, dass man "von den andren, zu denen Hugo gehörte, doch mehr hat". Hugo ist nicht konfliktfähig, denn in Diskussionen um wichtige Fragen kann er ähnlich wie zuvor die alte Möhring Mathildes Argumenten nichts entgegensetzen. Auch mangelt es ihm an Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl, sicherlich da seine literarischen Werte in der Gesellschaft, die ihn umgibt, nichts gelten. Aber er hat versteckte Kraft und ist nicht zu unterschätzen. Denn bei genauerem Lesen fällt auf, das Hugo als "grosser, breitschultriger und schöner Mann" in die Erzählung eingeführt wird, später gilt er gar als Muster von Solidität, er überzeugt die Examinatoren an seiner Prüfung durch seinen Charakter. Er besteht sein Examen, obwohl er "nur das Notdürftigste gewusst hatte", aber "seine Persönlichkeit hatte gesiegt". Seine Intelligenz kommt weniger in alltäglichen praktischen Dingen zum Ausdruck, dafür um so mehr in seinem Interesse für die Literatur. Hugo wirkt in gewissen Dingen überlegen, was u.a. sein Titel zeigt. Aus dem Burgemeister Grossmann wird leicht der grosse männliche Meisterbürger. Doch in welchem Sinne ist Hugo überlegen ?

Das Beamtenleben scheint gegen seine innerste Natur zu sein, er geht an der bürgerlichen Karriere zugrunde. "Ihm ist bewusst, dass er zur Gruppe der Dekadenten gehört, die das Leben aus eigener Kraft nicht meistern können. Sie sind - wie später Hanno Buddenbrook in Thomas Manns grossem Roman - zur Kunst befähigt und taugen nicht zum Überleben in einer Welt, in der es auf Examina ankommt und in der man sich gesellschaftlich und politisch durchkämpfen muss." Dem bürgerlichen Alltag, den er fürchtet, entrinnt er mittels der Lektüre von Calderons "Das Leben ein Traum" [19]: in seiner Woldensteiner Zeit ist er stets "wie im Traum". Zuletzt hat er erkannt, dass Thilde ihm in der Flitterwoche nur etwas vorgespielt hat und gar nicht fürs Vergnügen ist. Die Erkenntnis, dass Mathilde ihn getäuscht und für ihre Zwecke missbraucht hat, raubt ihm die letzte Kraft.

Hans Rybinski

Hans ist Hugos "alter ego", denn er macht all das, was Hugo auch gerne tun möchte, sich aber nicht dazu durchringen kann. Er verkörpert die Kultur, die Kunst, die Ästhetik. Einen eindeutigen Hinweis auf diese Sphäre macht auch der Name seiner ersten Freundin "Bella". Er hat ein erfülltes Leben als Künstler, als Kosinsky ist er er selbst.

(Die alte Runtschen) Einäugig, hässlich und alt gleicht sie einer Hexe vor der sich Hugo fürchtet. Ihr Erkennungszeichen ist der Kiepenhut[20]. Einmal sagt sie über sich selber: "Runtsch war schwarz, und ich erst recht; sie sagten immer die "Schwarze"; es muss aber doch so Bestimmung gewesen sein." )

4. Autobiographische Elemente

Es ist zu berücksichtigen, dass "Mathilde Möhring" der letzte Roman Fontanes ist. Dieses in 17 Kapitel gegliederte Werk scheint viele Elemente früherer Werke zu kombinieren und enthält zu grossen Teilen autobiographische Elemente, auf die Fontane am Ende seines Lebens noch einmal zurückblickt. Fontane hat in diesem Werk viele der Probleme, die sich ihm im Laufe seines Lebens gestellt haben, noch einmal rückblickend analysiert und literarisch verwertet.

Hugo Grossmann's Konflikte kennt Fontane selber sehr gut. Als er 1876 seinen Posten als "Ständiger Sekretär der Königlichen Akademie der Künste" aufgibt, gerät er in eine ähnliche Situation wie Hugo. Seine Frau verzeiht ihm den Rücktritt von dieser Stellung nie mehr, da diese eine gesicherte finanzielle Zukunft garantiert hätte. Fontane rechtfertigt die Kündigung dieser Stelle in einem Brief an Mathilde von Rohr (man beachte den NAMEN !!!) wie folgt: "Man kann nicht gegen seine innerste Natur und in jedes Menschen Herz gibt es ein Etwas, das sich, wo es mal Abneigung empfindet, weder beschwichtigen noch überwinden lässt". Die Beamtenlaufbahn ist also weder für Grossmann noch für Fontane ein geeigneter Berufsweg. Der Unterschied ist allerdings, dass Hugo diesen Weg trotzdem geht und daran stirbt. Fontane hingegen hat rechtzeitig seinen Beruf gewechselt und ist Schriftsteller geworden. Seine Frau scheint auch eher an die finanziellen Vorteile zu denken, eine Eigenschaft, welche auch Mathilde hat.

Ich denke, dass Mathilde mit ihrem gebildeten Satz: "In der Kunst entscheidet die Reinheit der Linie." Recht hat. Eine literarisch interessierte Person sollte sich voll und ganz der Literatur widmen, ein normaler Bürger sollte den bürgerlichen Karriereweg einschlagen. Rybinski und Schultze sind erfolgreich, der eine als Künstler, der andere als Rechnungsrat, weil sie in ihrem Beruf Erfüllung finden.

Leitmotive

Vieles passiert an religiösen Daten. Mathildes Vater stirbt am Palmsonnabend[21], einen Tag vor Mathildes Einsegnung. Am 24. Dezember wird Hugos und Mathildes Verlobung bekanntgegeben. Hugo stirbt am zweiten Ostertag und wird am dritten Osterfeiertag begraben. Dies ist sehr unwahrscheinlich, hier ist Fontane wie auch bei der Namensgebung der Personen nicht mehr Realist, sondern Symbolist. Die Wahl der Daten könnte auf den archetypischen Charakter der Erzählung hindeuten. Auch die Namen haben eine Bedeutung. Ein Beispiel: Der Landrat vermutet in Mathildes Mutter eine Adlige. Kann es da Zufall sein, dass diese den Brief an ihre Tochter mit "Adele Möhring, geb. Printz" zeichnet. Als Hugo schwer krank wird, sind erstaunlich viele Ärzte um ihn besorgt. Ein Doktor Birnbaum (37), ein Doktor Bolle [22](40) und schliesslich ein Doktor Stubbe (49). Auch bei den Pastoren scheint der Zufall zugeschlagen zu haben, sie heissen Neuschmidt, Messerschmidt und Hartleben. Bezeichnenderweise hält Pastor Hartleben die Rede zur Hochzeit. Schliesslich ist es Prediger Lämmel, der die Rede zu Hugos Begräbnis hält.

Das Talent des Vaters als Buchhalter scheint sowohl auf seine Frau wie auch auf Mathilde, die beide gute Rechnerinnen sind, abgefärbt zu haben. Selbst die ansonsten ungebildete Mutter scheint zumindest mit Zahlen umgehen zu können. -> S. 36 Das Rechnen scheint durchwegs als das Charaktermerkmal des Kleinbürgertums, wie auch die skeptische, ängstliche Grundeinstellung. So rechnen auch die alte Runtschen und ihre Tochter Ulrike ferner die Schmädicke stets ihren Vorteil aus.

Ein weiteres Leitmotiv ist das Profil Mathildes, welches sie schöner erscheinen lässt, als sie wirklich ist. -> S. 6

Auch die Zweifel sind ein Leitmotiv, das ganze Buch ist voll von skeptischen Äusserungen. Die Spannung basiert fast ausschliesslich darauf, ob sich diese Bedenken bestätigen werden oder nicht.

Themen

Der Roman behandelt viele sehr wichtige Themen, wie Klugheit, Weiblichkeit, Ehe, Politik und Erfolg. Eines der Hauptthemen ist das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Was eigentlich ist Männlichkeit bzw. Weiblichkeit ? Welches sind die Qualitäten der Frau, welche die des Mannes ? Wie sind die Geschlechter innerhalb der Gesellschaft berücksichtigt ? Zwingt die Gesellschaft die Geschlechter in Rollen, die den Eigenarten des jeweiligen Geschlechts zuwiderlaufen ? Diese und viele weitere Fragen werden anhand Mathildes und Hugos thematisiert. "Mathilde Möhring" ist auch als gesellschaftskritischer Roman zu lesen. Fontane als Analytiker einer Gesellschaftsschicht zeigt uns das Kleinbürgertum und dessen typische Problemfelder. Die gehobenen Kreise erscheinen nur am Rande. Trotzdem lebt der Roman von der Spannung zwischen gesellschaftlich ungleichen Partnern. Mathilde versucht durch die Ehe "dem tristen Dasein einer Zimmerwirtin zu entrinnen und zu Wohlhabenheit aufzusteigen." Ihr gelingt es, die Schranken des Kleinbürgertums zu überschreiten. Gleichzeitig schildert der Roman die Entwicklung mehrerer Persönlichkeiten, hauptsächlich diejenige der Hauptperson Mathilde Möhring.

Erzählweise

Fontane erzählt hauptsächlich personal. -> S. 11 Oft bekommt der Text auch dramatischen Charakter, da viele Gespräche, meist in Form der Dialoge, wiedergegeben werden. "Der Schwerpunkt der Darstellung liegt nicht auf dem Hergang der Begebenheiten, sondern auf deren Reflexion im Medium des Gesprächs." Fontane ist nicht der Erzähler, welcher den Leser an der Hand durch die gesamte Erzählung führt. Er hält sich diskret im Hintergrund, zeigt dem Leser banale Situationen in der Alltagswelt des Kleinbürgertums, und überlässt ihm die Denkarbeit.

Fontane gilt als "Meister der Mitteldistanz", d.h. er ist als Erzähler nahe genug am Geschehen, um Details noch zu erkennen und gleichzeitig weit genug entfernt, um den Überblick zu behalten. Zur Untermauerung dieser These ein Vergleich zwischen dem Bb und MM: -> Anfang Birnbaum -> S. 6 MM

Neben der normalen Erzählung mit den Dialogen kommen auch Repräsentanten anderer Gattungen vor. Dies sind zum einen zwei Zeitungsartikel [23], zum anderen zwei Briefe [24].

Fontane bleibt seinem realistischen Stil fast durchwegs treu. -> 11/12 Doch wirken diese Stellen zu sehr aufgesetzt, ja sie unterbrechen fast den eigentlichen Erzählfluss.

Wie im "Birnbaum" ist das Wetter symbolisch für die Handlung. Am Wetter kann man genau ablesen, was bald passieren wird. Rein erzähltechnisch unterstützt es die Stimmung in der Erzählung. -> S. 42 (auch 94/109/24, insbesondere den Mond beachten !)

Die Erzählzeit ist das Präteritum; lediglich auf der letzten Seite wechselt sie ins Präsens. Dieser Schluss gibt "den im Roman dargestellten Tendenzen und Problemen den Charakter der Unabgeschlossenheit und überlässt sie einer Entwicklung, über die der Erzähler nicht mehr verfügt."

(Ein lustiges Detail sind die grammatikalischen Auswahlsendungen Fontanes, wenn er überflüssige Elemente in eckige Klammern setzt. Bsp.: S. 14)

Stimmung

Die Stimmung der Erzählung ist sehr schwer in Worten zu fassen. Ich würde sie als eigenartig und merkwürdig bezeichnen. Durchwegs liegt eine gewisse Spannung in der Luft, etwas Unbekanntes scheint im Hintergrund zu warten, doch der erwartete Knalleffekt bleibt gänzlich aus.

Persönliche Meinung

"Mathilde Möhring" ist ein sehr interessanter, relativ unbekannter, Roman, der sehr viel hergibt und an dem man bei jeder wiederholten Lektüre neues entdecken kann.

[1]Diese hatten sich in Brandenburg niedergelassen, weil sie Ludwig XIV. im katholischen Frankreich nicht mehr duldete. Der Kurfürst bot ihnen daraufhin die Aufnahme in Brandenburg an und sicherte ihnen Vergünstigungen zu.

[2]Nach der revisionistischen neuen Berliner Stadtverfassung sind von 427.000 Einwohnern nur noch 21.000 wahlberechtigt.

[3]Der vom Stadtbaurat ausgearbeitete "Bebauungsplan von den Umgebungen Berlins" beschleunigt 1862 die Bodenspekulation und den Mietskasernenbau auch in den an das erweiterte Berlin angrenzenden, schnell wachsenden Siedlungen. Die "Schöneberger Millionenbauern" werden sprichwörtlich für plötzlich entstandenen Reichtum aus Ackerlandverkäufen zu Bauinvestoren.

[4]1866 wird der "Norddeutsche Bund" gegründet; dieser kurzlebigen bundesstaatlichen Vereinigung von 22 Mittel- und Kleinstaaten sowie Freien Städten nördlich der Mainlinie dient Berlin als Hauptstadt.

[5]dänischer Krieg 1864, deutscher Krieg 1866 gegen Österreich, der für Preußen zu riesigen Gebietsgewinnen dank dem Nikolsburger Frieden führt, deutsch-französischer Krieg 1870/71.

[6]1877 beginnt eine Einwanderungswelle aus dem armen Oberschlesien.

[7]Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche 1895, Berliner Dom

[8]Blutarmut im Gehirn

[9]1876 wird die Reichsbank gegründet sowie die reichseinheitliche Währung "Mark" eingeführt.

[10]Halbedelstein mit vertieft eingeschnittener Verzierung, Intaglio -> Gemsengesicht

[11]Dorf an der Warthe

[12]"ein sonderbares altes Genie, das zwischen Maurerpolier und Architekt stand"

[13]Anwärter auf die höhere Beamtenlaufbahn nach dem Staatsexamen

[14]"Gehalt 3000 Mark bei freier Wohnung und einigen andern Emolumenten."

[15]Johannes dem Täufer heiliger Tag, 24. Juni

[16]Sie hat einen Artikel eines Unbekannten für ihre Zwecke überarbeitet.

[17]hält Masern für eine tödliche Erkrankung, spricht von Billettern

[18]Anwärter auf die Beamtenlaufbahn nach der ersten Staatsprüfung

[19]Calderon de la Barca (17.1.1600 - 25.5.1681), span. Dramatiker (über 120 Dramen)

[20]dem Kapotthut ähnlicher Hut, kleiner, unter dem Kinn gebundener Damenhut

[21]Sonnabend vor Ostern

[22]Bolle = Zwiebel

[23]1. die Annonce für die Burgemeisterstelle 2. der Lobartikel auf den Landrat

[24]1. Mutter an Mathilde 2. Thilde schreibt ihrer Mutter von Hugos Tod

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