Effi Briest
Autor:
Theodor Fontane ist der bedeutendste Vertreter des deutschen Realismus. Geboren in Neuruppin, das nördlich von Berlin gelegen ist, als Sohn eines Apothekers hugenottischer Abstammung, wurde er Apothekerlehrling in Berlin, das sein bleibender Wohnsitz wurde. Seinen erlernten Beruf übt er bis zu seinem 30. Lebensjahr aus. Kurze Zeit später versucht er sich als freier Schriftsteller, aber die Verantwortung für Frau und Familie zwangen ihn in die bürgerliche Existenz eines Journalisten. Als solcher berichtete er über die zeitgenössischen Kriege. Er schuf sich einen Namen mit Theater-, Kunst- und Literaturkritiken bei verschiedenen Zeitungen, aber erst der "alte Fontane" zwingt der Nachwelt Bewunderung und Begeisterung auf.
Mit 55 Jahren schafft er es endlich sich als freier Schriftsteller zu etablieren und vielleicht erreichte er durch seine Entwicklung erst im Alter das große Talent. Auch seine Reisen nach England dürften dazu beigetragen haben.
Immer wieder beschäftigte ihn der Niedergang des preußischen Landadels angesichts des aufkommenden modernen Industriezeitalters. Er behandelt in seinen realistischen Romanen Standes- und Ehekonflikte, die Diskrepanz zwischen Gesellschaft und dem einzelnen, sowie politische und soziale Fragen.
Fontane ist ein Meister der differenzierten Milieuschilderung und Menschendarstellung. Erwähnt sei auch die Alterslyrik, die in ihrer Aussagekraft der späteren Prosa in nichts nachsteht.
Einige seiner Prosawerke seien hier aufgelistet:
Die Poggenpuhls, Schach von Wuthenow, Unterm Birnbaum, Cecile, Irrungen Wirrungen, Frau Jenny Treibel, Effi Briest, Der Stechlin.
Seit den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts erfuhren Fontanes Werke eine Renaissance, nicht zuletzt durch zahlreiche Verfilmungen. Besonders Effi Briest, das Werk über welches ich hier sprechen werde, hat sich immer wieder als Filmstoff angeboten:
z.B. hat Werner Fassbinder 1974 einen Film über dieses Thema gedreht.
Inhalt:
Die siebzehnjährige Effi, Tochter des Ritterschaftsrats von Briest auf Hohen-Cremmen, heiratet auf das Betreiben ihrer Eltern hin, den fast doppelt so alten Landrat Baron von Innstetten und folgt ihm in sein Haus im hinterpommerschen Kessin. Der Ehe des unerfahrenen und lebensfrohen Mädchens mit dem prinzipientreuen und korrekten, doch hölzernen Innstetten fehlt die Liebe, und die neue Umgebung macht der phantasiebegabten Effi Angst: allerlei Spukgeschichten ranken sich um ihr neues Zuhause und ihr Mann gibt sich auch nicht viel Mühe ihre Ängste zu zerstreuen. Es scheint im Gegenteil so, als wolle er sie dadurch noch fester an sich binden.
Das gesellschaftliche Leben in Kessin ist ihr langweilig, nur der Apotheker Alonzo Gieshübler, ein schüchterner, aber höflicher Schöngeist, schafft es ab und zu ihrem Leben ein paar Glanzlichter aufzusetzen. Selbst die Geburt der Tochter Annie beseitigt nicht Effis Gefühl der Einsamkeit an der Seite ihres wenig verständnisvollen Mannes.
Beinahe ohne eigenes Zutun geht sie eine Liebesbeziehung zu dem verheirateten Major Crampas ein, einem leichtsinnigen und gewandten "Damenmann" und Prinzipienverächter. Effis Schuldgefühle lassen jedoch keine Leidenschaft aufkommen, und sie folgt bald darauf geradezu erleichtert ihrem Mann nach Berlin, der ins Ministerium berufen wurde.
Nach sechs Jahren ruhigen gemeinsamen Ehelebens findet Baron von Innstetten durch Zufall Crampas alte Briefe an Effi. Für ihn ist sein Lebensglück zerstört - nicht aufgrund verletzter Gefühle, sondern wegen seines vermeintlichen Ehrverlusts.
Die Pflicht, der Moralkodex seines Standes, die Gesellschaft gebieten ihm, gegen seinen eigenen Willen ohne Haß- oder Rachegefühle sich selbst und seine Familie zu ruinieren.
Der von Innstetten geforderte Crampas fällt im Duell, und Effi muss Mann und Kind verlassen. Auch das elterliche Haus bleibt ihr verschlossen, denn auch ihre Eltern haben nicht den Mut sich gegen die Gesellschaft zu stellen. So lebt sie zurückgezogen mit ihrer Bediensteten Roswitha in Berlin. Eine Begegnung mit ihrer Tochter Annie, die ihr auf Innstettens Betreiben hin fremd geworden ist, führt zum Zusammenbruch Effis. Die Todkranke darf, auf Bitten ihres Arztes hin, wieder nach Hohen-Cremmen heimkehren, und innerlich versöhnt, auch mit dem vereinsamten und verbitterten Innstetten, stirbt sie.
In der ohne Leidenschaft und Pathos erzählten Geschichte deutet Fontane mehr an, als er ausspricht. Das vermeintliche schicksalhafte Dilemma, in das Effi und Innstetten geraten, ist in ihren Charakteren und in den gesellschaftlichen Verhältnissen begründet. Die Frage nach Schuld bleibt offen.
Welchen Normen und Regeln hatte nun die Frau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu gehorchen?
Sozialistische Ideen haben die Bewegung der Frauenemanzipation gefördert. Doch diesen fortschrittlichen Bemühungen standen konservative Ansichten entgegen, die vor allem im Adel und im höheren Bürgertum verwurzelt waren. Einfluß auf das Bild der Frau hatten in diesen Gesellschaftsschichten die Gedanken des Philosophen Schopenhauer. Zitat aus dem Alterswerk "Parerga und Paralipomena":
"Schon der Anblick der weiblichen Gestalt lehrt, dass das Weib weder zu großen geistigen noch körperlichen Arbeiten bestimmt ist. Es trägt die Schuld des Lebens nicht durch Tun sondern durch Leiden ab, durch die Wehen der Geburt, die Sorgfalt für das Kind, die Unterwürfigkeit unter den Mann, dem es eine geduldige und aufheiternde Gefährtin sein soll."
Wenn man sich diese Aussage durch den Kopf gehen lässt, versteht man das Leben Effi Briests gleich um einiges besser. Wir, die wir doch ein ganzes Jahrhundert später dran sind, möchten ihr zurufen: wehr dich doch, lass nicht alles mit dir geschehen, lass dich nicht wie einen Gegenstand herumschieben!
Doch die Frau von damals war im gesellschaftlichen Korsett eingezwängt und Effis einmaliger Versuch ein Stück vom Leben zu erhaschen wird mit lebenslanger Ächtung bestraft.
Die Ehefrauen gehörten zum Inventar, sie waren Staffage, völlig abhängig von ihrem Ernährer. So musste sich die hochbegabte und musikalische Clara von ihrem Mann, dem Komponisten Robert Schumann sagen lassen: "Bist du nicht glücklich in meinem Besitz?"
Überhaupt wurde die Bildung der Frau, so wie wir sie heute kennen, in dieser Zeit auf das Sträflichste vernachlässigt. Ein bißchen Klavier, eventuell Gesang und einem Haushalt vorstehen, das heißt Kontrolle über Hausmädchen und Wirtschafterin, wurden erwartet. Auch die Pflege der Kinder wurde durch spezielles Personal übernommen und von der Mutter überwacht.
Man darf sich deshalb nicht wundern, dass in so einem Frauenleben grenzenlose Langeweile, phantastische Spintisierereien und sehnsüchtige Wünsche vorherrschten. Das Leben in der Stadt mochte noch einige Anregungen und Abwechslungen bereithalten, doch die Damen, die in der ländlichen Einsamkeit lebten, wie Effi in Kessin, hatten viel Zeit und Muße über ihr Leben nachzudenken. Sie grübelt über die alten Spukgeschichten, fürchtet sich vor Gespenstern und Geistern und hat den lieben langen Tag nichts zu tun, als auf ihren Mann zu warten. Nun behandelt sie dieser auch nicht als eine gleichwertige Partnerin, sondern die Gespräche laufen zwischen den beiden ab, wie zwischen Lehrer und Schüler. Major Crampas reißt sie für wenige Stunden aus dieser Einsamkeit und gibt ihr das Gefühl von Wichtigkeit, Esprit und Anziehungskraft. Was sonst als die Liebe würde das Leben spannend und abenteuerlich machen?
Man kann also auch von heutiger Sicht das Verhalten der Frauen, Damen und Fräuleins begreifen. Und man spürt den gewaltigen Druck des gesellschaftlichen Moralkodex, den Käfig voller Konventionen, in dem sie eingeschlossen waren.
Nur die Frauenbewegung - alle gemeinsam also - hatte eine Chance gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen.
Aber auch die Männer, die doch auf der einen Seite so viel mehr Freiheit besaßen, waren andererseits auch in den gesellschaftlichen Konventionen gefangen.
Der Mann hatte geradezustehen für den Namen seines Hauses, seiner Familie und seiner Frau. Selbst Innstetten, der scheinbar Zielstrebige, opfert da, wo er dem Lauf der Dinge eine Wendung zum Guten geben könnte, sein Lebensglück einer im Grunde angezweifelten Konvention: er fordert zum Duell.
Zitat Seite 267
Er will das Duell nicht und er bringt es doch nicht fertig sein Herz sprechen zu lassen, menschlich zu handeln.
Die Männer im alten Preußen wurden hart erzogen, das Militär hatte eine große Tradition. Männer sollten sich durch Härte und Durchsetzungsvermögen auszeichnen, egal ob sie nun den väterlichen Besitz übernahmen, eine militärische Zukunft planten oder die Karriereleiter im Ministerium hinaufkletterten.
Effi sagt, als sie im Sterben liegt über ihren Mann: Zitat Seite 335
Innstetten hat sich mit seiner Duellforderung also so verhalten, wie es tausend andere in seiner Situation zu der damaligen Zeit getan hätten. Sogar Major Crampas, der doch ein etwas leichtfertiger Charakter ist, und einer, der alle Konventionen ablehnt, auch er stellt sich dem Duell und zollt so der Gesellschaft den geforderten Tribut.
Ein paar Jahre später hat der österreichische Schriftsteller Arthur Schnitzler in seiner Novelle "Leutnant Gustl" das Widersinnige des Duellwesens aufgezeigt und stand damals ziemlich im Kreuzfeuer der Kritik.
Zum Abschluß muss noch gesagt werden, dass man nach dem Lesen eines einzelnen Romans natürlich nicht die Menschen einer ganzen Epoche beurteilen kann, denn Fontanes Figuren verhalten sich eher passiv und lassen mit sich geschehen. Über ihnen waltet der Staat, die Gesellschaft mit ihren Forderungen nach Moral, Sitte und Anstand.
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