Wolburg

Dr. Martin Wolburg ist die Hauptfigur in Günter Eichs (1907 - 1972)

Hörspiel Die gekaufte Prüfung, welches 1950 veröffentlicht und 1952/ 1953

vom Südwestfunk produziert wurde.

Drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges unterrichtet er an einem

humanistischen Gymnasium in Deutschland. Seine Geradlinigkeit und sein

Pflichtbewußtsein gegenüber der Schule werden durch den Schüler Fritz Weber

auf eine harte Probe gestellt. Dieser hat realistisch gesehen keine Chance

auf ein erfolgreiches Bestehen der Abiturprüfung mehr, was in Abhängigkeit

zu der Notengebung Wolburgs und eines Kollegen namens Balfrin steht. Der

Doktor zeigt zunächst seine Empörung über den Vorschlag Webers, ihm für

etwas Nachsicht bei den Zensuren eine große Menge an Nahrung vom Schwarzen

Markt zu besorgen, welche andererseits das Elend seiner Familie lindern

würden. Ohne eine Spur von Unsicherheit lehnt der Lehrer das Angebot

anfänglich vehement ab und schreibt die Flegelei dieses für ihn sittenlosen

Angebotes der Jugend Webers zu.

Moralische Hemmungen lassen ihn sogar eine Verdopplung der Offerte, unter

seinem starren Verständnis von Recht und Ordnung, ablehnen. Selbst die

Vorwürfe seiner Frau Luise, welche das Gespräch mitgehört hat, lassen ihn

nicht zweifeln. Die von ihm empfundene Machtlosigkeit, die elende Situation

nicht ändern zu können, zeigt ihm seine begrenzte Macht auf und bestärkt

aber gleichzeitig sein Verantwortungsgefühl gegenüber seiner Familie. Er

vertritt die Auffassung, dass es keine Gewissensfreiheit geben kann ("Gibt

es wirklich kein Gewissen?"), denn für ihn ist es nicht erdenklich, die

Verantwortung gegenüber der Schule problemlos zu verdrängen.

Aber exakt dieses Gewissen, welches ihm seine Pflicht als Pädagoge in den

Geist ruft, lässt es ebenfalls nicht zu, seine Familie leiden zu sehen.

Diese innere Stimme versucht er am Anfang zu verdrängen, indem er seinen

Ethos zu beschwichtigen versucht ("Ist alles erlaubt, nur weil es andere

tun?"). Da er aber nicht wider seine Ãœberzeugung handeln kann, versucht er

Luise geschickt durch seine emotionale, mitleiderregende Diktion zu

überzeugen. Doch seine Gattin kann, bedingt durch die Notsituation, nur an

das Wohl der Familie denken und würde ihn beim Hungertod ihrer Kinder sogar

als Mörder verurteilen. Die Tatsache, dass er nun trotz beträchtlicher

Gewissensbisse den Forderungen seiner Frau nachkommt und das Angebot Webers

annimmt, veranschaulicht einen gewissen Mangel an Durchsetzungskraft. Aus

eigenem Anstoß hätte er niemals in den Handel eingewilligt. Jenes

anfängliche Zögern ist vielleicht noch in Anbetracht seiner gewohnten,

korrekten Lebensweise zu verstehen, aber die steife Beständigkeit dieser

Meinung, lässt dabei jedoch ein Stück Menschlichkeit vermissen.

Er ist trotz der trostlosen Lage seiner Familie nicht von der Integrität

seines Handelns überzeugt, was auch im Kontrast zu der sonst von ihm an den

Tag gelegten Aufrichtigkeit steht. Dies wird besonders an der immensen

Überwindung veranschaulicht, welche vonnöten ist, um in die Bestechung

einzuwilligen. Seinen Grundsatz des vorbildlichen Pädagogen vernachlässigt

er hierbei vollends, denn seine Unantastbarkeit und die Gewißheit für

Weber, dass nicht jeder Mensch käuflich ist, wäre für des Schülers

zukünftiges Leben eine größere Lehre, als das korrumpierte Abitur.

Aber seine einzigen Gedanken gehören, selbst Jahre nach der Währungsreform

und den Zeiten der Not, den Selbstvorwürfen. Er kommt nicht über seine

vermeintliche Untat hinweg und seine Wut darüber ist so groß, dass er sogar

Luise für die damalige Rettungstat beschuldigt und einen Streit mit ihr

beginnt. Er ist die ganze Zeit über so mit seiner Sünde beschäftigt, dass er

die einstige Notwendigkeit seiner Tat völlig verkennt, falls er sie

überhaupt jemals eingesehen hat.

Zweifellos sieht sich Wolburg als rechtschaffene, pflichtbewußte Person an,

doch seine Kompromißlosigkeit auch sich selbst gegenüber lässt ihn nicht

zur Ruhe kommen und steuert ihn in die entgegengesetzte Richtung dessen,

was er eigentlich zu sein strebt: in einen Frevler, welcher sich sogar

beinahe des Exitus seiner Familie schuldig gemacht hätte. Dass er es nicht

vermag mit den Geschehnissen zu leben und er sich selbst beim

Schulministerium anzeigen will, belegt, dass es ihm nicht möglich ist seine

Grundsätze zu verleugnen ("Ich fürchte nichts mehr als mein Gewissen. Es

ist der unerbittlichste Gläubiger. Er muss vor allen anderen befriedigt

werden"), so dass er von seiner Beständigkeit immer wieder eingeholt wird.

Durch die Person Wolburgs will Günter Eich die Widersprüchlichkeit des

Pflichtbegriffes illustrieren. Er schildert die Problematik, dass der Mensch

sich mit unterschiedlichen Verpflichtungen auseinandersetzen und sie

bisweilen in Einklang bringen muss. So gibt es beispielsweise nach Friedrich

Hebbel "Fälle, wo Pflichterfüllen sündigen heißt". Dies trifft hier genau

den Punkt, da das unbeugsame Pflichtbewußtsein Wolburgs gegenüber der

Lehranstalt faßt zum Tode seiner Familie geführt hätte. Wilhelm Meister

("Was ist Pflicht? Pflicht ist die Forderung des Tages") bestätigt dies

gleichermaßen mit seiner Aussage. Meiner Meinung nach zeigt sich in

Wolburgs Absicht seinen Fehltritt aufzuklären jedoch kein Egoismus, denn

er weiß nichts von Balfrins Verstrickung in diese Affäre und Webers Abitur

ist ohnehin hinterlistig erkauft, sondern umschreibt sein unflexibles

Handeln, das durch seine Definition der Pflicht eingeengt ist.

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