Berlin Alexanderplatz
Alfred Döblins Buch "Berlin Alexanderplatz" handelt von einem Mann, der gegen sein Schicksal bestehen muss.
Um die zu bearbeitende Textstelle besser behandeln zu können, stelle ich zunächst einmal die Handlung vor.
Franz Biberkopf, der vier Jahre wegen Totschlags an seiner damaligen Freundin Ida im Gefängnis Berlin-Tegel saß wird frei gelassen. Im Ersten Moment findet er sich in der Großstadt Berlin, in der Öffentlichkeit, der er nun ausgesetzt ist, nicht zurecht.
Am Anfang wird er von zwei freundlichen Juden aufgenommen, die ihm helfen wollen.
Später geht er zu Minna, der Schwester von Ida, welche er umgebracht hat. Er vergewaltigt sie, sie fügt sich ihm aber. Als Entschädigung lässt er ihr zwei Scheiben Kalbsfilet zukommen.
Von einem Freund bekommt Franz den Rat, Händler zu werden, um etwas Geld zu verdienen. Er wird daraufhin Straßenhändler. Mittlerweile hat Franz eine neue Freundin. Sie ist Polin und heißt Lina.
Durch seine Arbeit kommt Franz mit verschiedenen Bereichen in Kontakt. Zuerst soll er Zeitungen zur sexuellen Aufklärung verkaufen, später völkische Zeitungen mit nationalsozialistischem Inhalt. Er ist, wie hier deutlich wird sehr leicht zu beeinflussen, da er kurzerhand die nationale Gesinnung übernimmt. Er berichtet Lüders, einem Freund, wie er beim Hausieren von einer Witwe viel Geld bekommen hat. Lüders raubt die Witwe am nächsten Tag aus.
Da Franz von der Tat nichts wusste, geht er noch einmal zu der Witwe, die ihn nicht hereinlässt. Er ist zutiefst enttäuscht von Lüders.
Franz zieht sich daraufhin zurück, er möchte nicht gefunden werden. Er beginnt zu trinken und zieht sich immer weiter zurück. Er gibt sein ganzes Geld für Alkohol aus.
Schließlich rafft er sich aber doch wieder auf und versucht, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Er verkauft wieder Zeitungen. Eines Abends lernt er Reinhold kennen, von dem er fasziniert ist. Reinhold "tritt" seiner Ex-Freundinnen an Franz ab. Da Reinhold jedoch sehr oft seine Freundin wechselt, beginnt Franz die Frauen, die Reinhold will zu warnen. Reinhold stellt Franz deshalb eine Falle und so wird Franz in kriminelle Aktivitäten hineingezogen. Dabei wird er von Reinhold aus einem fahrenden Auto geworfen, wobei er seinen rechten Arm so sehr verletzt, dass er schließlich amputiert werden muss. Franz verrät Reinhold trotz allem nicht.
Später rafft Franz sich wieder auf, er braucht dringend Geld. Er kommt durch Freunde an eine Prostituierte, die ab da für ihn arbeitet, er wird Zuhälter.
Franz bekundet kurzzeitig Interesse am Marxismus. Später nähert er sich Reinhold wieder an.
Er hat immer noch Respekt vor ihm. Da er Reinhold von seiner Prostituierten mit dem Namen Mieze erzählt, beschließt dieser, sie ihm wegzunehmen. Franz will wieder mit Reinhold zusammenarbeiten. Reinhold beginnt Mieze zu kontaktieren, als diese jedoch erfährt, dass er es war, der den Verlust des Armes von Franz verschuldet, macht sie ihm schwere Vorwürfe. Reinhold bringt sie daraufhin um. Er wurde allerdings beim Verscharren der Leiche gesehen und wird deshalb verhaftet. Als auch Franz des Mordes beschuldigt wird, geht es ihm psychisch wieder schlechter.
An dieser Stelle kommen zwei Engel ins Spiel, Sarug und Terah. Diese beiden geben, wie man aus dem Dialog erfährt, die Seele von Franz noch nicht verloren.
Nun komme ich zum zu interpretierenden Abschnitt.
Die beiden Engel schlendern in dieser Szene, - Franz spaziert gerade über den Alexanderplatz unsichtbar neben ihm her und unterhalten sich über ihn und seine Seele. Dem Dialog ist zu entnehmen, dass die Engel allwissend sind, da sie sowohl seine Geschichte, als auch seine momentanen und vergangenen Gemütszustände kennen und verstehen.
Döblin wirft am Anfang dieses Abschnittes ein, die Szene mit den Engeln, könne als Kinderei abgetan werden, sie wäre auch etwas unglaubwürdig, da Engel sich normalerweise nicht mit einem ehemaligen Totschläger, jetzigen Einbrecher und Zuhälter abgeben.
Er begründet das Auftreten der Engel jedoch damit, dass es in und um Franz Biberkopf beginnt, sich zu verändern und klarer zu werden, sich die Geschichte zu einem entscheidendem Punkt hinwendet.
Da Franz Biberkopf auf den vorausgegangen Seiten immer wieder schweren Schicksalsschlägen ausgesetzt war, ist seine Persönlichkeit stark angekratzt und er ist auch ständigen Veränderungen unterworfen. Auch die Engel sprechen darauf an, dass er bald "sehend" und "fühlend" wird. Dies weist ebenfalls auf einen wichtigen folgenden Punkt hin.
Aus dem Gespräch der Engel erfahren wir unter anderem auch, dass Franz nicht der erste ist, der sich seinen Problemen stellen wird und darüber erhaben und gestärkt wieder hervorkommen wird. Es gibt aber, laut den Engeln nur wenige, die den entscheidenden Schritt tun - Die meisten anderen, die ähnlichen Miseren erlebt hätten, hätten diesen entscheidenden Schritt nicht geschafft und währen daran zu Grunde gegangen. Man merkt aber auch, dass sich beide noch nicht ganz sicher sind, ob Franz diesen Schritt schafft. Vor allen Dingen ein Engel, Sarug, der jüngere von beiden, hat noch Zweifel. Er wird aber von Terah zurechtgewiesen, dass er noch nicht alles wisse und kenne, da er erst seit ein paar tausend Jahren ein Engel wäre. Außerdem wirft Terah ein, wisse Sarug nicht, was er vorher einmal war und wie es dazu gekommen sie, dass er jetzt eine Engel sei, da man ihm gänzlich das Gedächtnis genommen habe.
Es ist vielleicht ein bisschen weit hergeholt, doch besteht die Möglichkeit, dass Franz Biberkopf aufgrund dieser Aussage vielleicht selber ein Engel werden wird. Sicher ist auf jeden Fall, dass diese Szene klarstellen soll, dass Franz Biberkopf noch nicht am Ende ist, dass er innerlich stärker ist, als er denkt und dass er den Punkt überwinden kann, an dem die meisten zu Grunde gehen und sich nur noch den Tod wünschen.
Franz sagt ganz am Anfang der Szene: "Ich bin kaputt". Zu diesem Zeitpunkt hat er sich schon fast aufgegeben, hat aber seine innere Stärke noch nicht erkannt. Er muss erst, wie auch Terah sagt, "die Bahn des Erlebens durchmessen", und sich dem Erlebten stellen und nicht auszuweichen, sondern zu fühlen und Stand zu halten. Genau dies ist der Punkt auf den die Geschichte hinsteuert, der Punkt, den Franz Biberkopf überwinden muss, damit er sein Leben in den Griff bekommt.
Die allwissenden Engel, seine momentanen Begleiter sind sozusagen die Boten, die das bevorstehende Ereignis ankündigen. Durch ihre Allwissenheit kann Alfred Döblin den Leser über die Zustände des Franz Biberkopf besser informieren und durch die Diskussion der beiden zum Reflektieren und Nachdenken über die vergangenen Geschehnisse anregen.
Durch die Unsicherheit der Engel will Döblin dem Leser zwar die Chance geben, den kommenden entscheidenden Punkt der Geschichte vorauszuahnen, ohne jedoch den Ausgang der Geschichte und auch das Ende des Buches vorwegzunehmen.
Interessant ist auch, dass diese Engel keinen ersichtlichen religiösen Hintergrund haben. Sie brauchen diesen auch nicht zu haben, da sie in der Funktion von Beschützern unterwegs sind und ein religiöser Hintergrund keinen weiteren Einfluss auf die Geschichte hätte.
Sarug stellt die These auf: "Man ist nie stark von sich auf, von sich allein, man hat schon etwas hinter sich".
Am Beispiel von Franz Biberkopf betrachtet kann man, da er erst ja dann, nachdem er sich selbst überwunden hat, stark ist und sein Leben in den Griff bekommen hat, dass dies auf ihn zutrifft.
Franz Biberkopf hat viele Schicksalsschläge erlitten und ist nie wirklich damit fertig geworden. Er muss erst Lernen dieses zu verarbeiten, sich ihnen zu stellen und sie zu verstehen, um sich darüber stellen zu können und stärker zu sein als das Schicksal selbst. Er muss lernen mit den verschiedensten Situationen, in die er sich begibt, oder die zufällig geschehen fertig zu werden. Sei es der Tod von Nahestehenden, der Verlust seines Armes, Liebeskummer, die Verantwortung für kriminelle Taten, die in ethisch wie rechtlich belasten, oder andere Dinge, wie z.B. Eifersucht; All diese Dinge kann er nicht richtig kompensieren, da er nicht weiss, wie er damit umgehen soll. Er schraubt sich immer tiefer und tiefer hinab in ein schwarzes Loch an dessen Ende die meisten, wie auch schon in der Interpretation angeführt der Tod wartet, seine Welt wird immer "nebliger" und konfuser.
Franz Biberkopf hat zwar einige Menschen, die ihm dabei helfen könnten, wieder stark zu werden und sein Leben zu organisieren, er will sich aber nicht helfen lassen. Franz Biberkopf ist sehr eigensinnig und bemerkt die ihm angebotene Hilfe manchmal nicht. Es ist für ihn wahrscheinlich auch der einzige Weg mit den Geschehnissen fertig zu werden, wenn er sie selbst bewältigt.
Manche Menschen haben einen festen Glaube, eine Art letzten inneren Halt, an dem sie sich festhalten können, um nicht ganz abzurutschen. Als Beispiel hierfür könnte man die Romanfigur Smilla nennen, die in Peter Høegs Roman "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" von sich selbst behauptet, sie habe schon immer eine Art Plattform, einen Punkt in ihrem Innern gehabt, an dem sie sich festhalten könne, um nicht ganz den Boden unter den Füssen zu verlieren. Es gibt also auch Leute, die von sich aus stark sind und auf die diese These nicht zutrifft.
Aus eigener Erfahrung muss ich jedoch sagen, dass man in Situationen geraten kann, auf die man sich nicht vorbereiten kann, die man erleben und spüren muss, um damit fertig zu werden.
Gerade wenn etwas geschieht, sei es, dass jemand stirbt, der einem selbst sehr Nahe stand, ist es so, dass die eigene, innere Stärke auf die Probe gestellt wird und man sich gewissermaßen vor sich selbst beweisen und sich selbst überwinden muss. Wenn man dabei auf die Hilfe anderer Personen zählen kann, so hilft dies in sofern weiter, als das man nun die Möglichkeit hat, unterstützt zu werden. Ob man diese Hilfe nun annimmt, oder alleine mit der Sache kämpfen wird und inwieweit man diese auch bewältigen kann, ist im Endeffekt jedem einzelnen, bzw. der inneren Stärke eines jeden Einzelnen überlassen. Man sieht, dass also auch das soziokulturelle Umfeld eine wichtige Rolle bei der Problemlösung spielt.
Franz Biberkopf, der die ihm angebotene Hilfe nicht positiv nutzen kann, muss erst für sich selbst stark werden, bevor er sich ändern kann.
Ich persönlich bin der Ansicht, dass es zwar Menschen geben mag, die einen so festen inneren Halt haben, dass sie jeder Situation, jedem Schicksalsschlag trotzen können, ohne auch nur im geringsten daran zu zerbrechen, dass diese aber nur einen geringen Teil der Menschheit darstellen. Ein Großteil der Menschen wird sicher nur durch persönlich erlebte Situationen stärker, man könnte auch sagen reifer. Man muss sich seiner Umwelt stellen, um mit ihr fertig zu werden. Der größte Teil dieser Menschen wird irgendwann auf irgendeine Art und Weise stärker werden, doch gibt es immer einen Teil, die das überhaupt nicht schaffen oder, wie Franz Biberkopf erst ganz unten ankommen müssen, um sich sich selbst und der Realität zustellen.
1737 Worte in "deutsch" als "hilfreich" bewertet