Der Meteor
1. Inhalt
Die Szene des ersten Aktes der Komödie "Der Meteor" stellt ein armseliges Maleratelier im Dachgeschoß eines Großstadthauses dar; eine Nische mit schrägem Oberlicht und Klappfenster gibt den Blick auf Mietskasernen und Himmel frei. Im Atelier herrscht ein ziemliches Durcheinander: Gestelle mit Farben, Pinseln, Geschirr, an der rechten Seitenwand ein Bett, hinter dem eine spanische Wand steht, zwei alte Stühle, eine wackelige Kommode; in der Mitte des Ateliers ein Eisenofen, der als Kochstelle dient, mit einer phantastischen Ofenröhre, die sich über dem Ofen teilt und in der rechten Seitenwand verschwindet. Überall hängen Aktbilder herum, andere stehen auf dem Boden. Windeln sind auf Schnüre gehängt, links neben dem Ofen steht ein alter, wackliger Lehnstuhl neben dem alten, runden, etwas schiefen Tisch. Vor einer Staffelei arbeitet der Maler Nyffenschwander, Zigarette zwischen den Lippen, an einem Akt. Das Modell, seine Frau Auguste Nyffenschwander, liegt nackt vor ihm auf dem Bett.
Plötzlich tritt der Nobelpreisträger Wolfgang Schwitter ein, trotz der mörderischen Hitze des längsten Sommertages in einem kostbaren Pelz, zwei prall gefüllte Koffer in der Hand, unter den linken Arm zwei Kerzen geklemmt. Er ist soeben vom Totenbett aufgestanden und aus der Klinik ausgerissen, wo er operiert und verstorben war - Professor Schlatter, der Chirurg, eine bekannte Kapazität, hatte seinen Tod festgestellt -, hat den städtischen Autobus genommen und ist hierher, in sein altes Atelier, das er vor vierzig Jahren bewohnt hatte, gekommen, um hier in Ruhe zu sterben.
Er bittet, das Atelier mieten und sich hinlegen zu dürfen, um zu sterben. Seine Beine seien schon gefühllos, er leide an Atemnot, er will an nichts mehr denken, einfach verdämmern. Schwitter bittet Nyffenschwander, seine letzten Manuskripte zu verbrennen, die Kerzen aufzustellen und anzuzünden "Ein wenig Feierlichkeit gehört nun einmal zum Sterben" und ihn sich selbst zu überlassen.
Kaum haben Nyffenschwander und seine Frau den Raum verlassen, springt Schwitter auf, öffnet einen der Koffer und beginnt, den Inhalt in den Ofen zu stopfen. Bei dieser Tätigkeit überrascht ihn der gerade eintretende Pfarrer Emanuel Lutz. Schwitters Frau hatte ihn an das Krankenlager des Nobelpreisträgers in der Klinik gerufen, dort hatte man ihm gesagt, dass Schwitter nach seinem Tode entwichen sei; die Oberschwester hatte gehört, wie Schwitter in der Agonie geäußert habe, sein altes Atelier aufsuchen zu wollen.
So sei er hierher gekommen. Er hilft nun Schwitter, dessen gesamtes Vermögen, lauter Tausendernoten, in den Ofen zu stecken und zu verbrennen. Obwohl Schwitter dem Pfarrer sagt, er sei nur scheintot gewesen, meint der Pfarrer, ein Wunder sei geschehen. Die Tatsache der Auferstehung Schwitters von den Toten erregt den Pfarrer so sehr, dass er stirbt.
Es erscheint nun der Hauswart Glauser. Dieser, Nyffenschwander, dessen Frau Auguste und Schwitter tragen die Leiche des Pfarrers auf den Korridor hinaus, das Bett ist wieder frei für Schwitter. Er bittet Auguste, ihn ins Bett zu führen; sie gefällt ihm immer mehr. Dem hereinstampfenden achtzigjährigen Hausbesitzer Muheim erzählt Schwitter, er habe ihn, als er noch in diesem Atelier hauste, mit seiner Frau betrogen "Ich brachte Ihrer Gattin jeweils am Ersten des Monats den Zins, wir stiegen ins Bett, und ich durfte die hundert wieder mitnehmen!" ; auf diese Nachricht hin bricht Muheim seelisch zusammen. Nun erscheint das schöne neunzehnjährige Callgirl Olga, Schwitters vierte Frau. Er sagt ihr wenig Erfreuliches und schickt sie brutal weg.
Nun kommt Jochen Schwitter, der Sohn aus erster Ehe, um von dem vermeintlich Verstorbenen sein Erbe abzuholen. Als er vernimmt, dass sein Vater alles Geld verheizt hat, verlässt er den Sterbenden, nicht ohne ihm vorher den Rauch seiner Zigarette ins Gesicht geblasen zu haben. Schwitter, der inzwischen einige Flaschen Kognak geleert hat, bleibt allein. Er liegt wie tot und hofft endlich sterben zu können. Als Auguste zu ihm kommt, lässt er von ihr die Türe verriegeln, die Vorhänge zuziehen und fordert sie auf, sich auszuziehen. Während ihr Mann draußen an der Türe rüttelt, steigt Auguste zu Schwitter ins Bett.
Der zweite Akt spielt im Atelier Nyffenschwanders eine Stunde später. Schwitter ist endlich entschlafen. Um sein Bett herum stehen mehrere schwarzgekleidete Herren, unter anderem der Starkritiker Friedrich Georgen und Schwitters Verleger. Presseleute fotografieren mit Blitzlicht. Der Starkritiker hält die Leichenrede und preist Schwitters Eigenart und Bedeutung.
Nachdem die Trauergesellschaft das Atelier verlassen hat, kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen Nyffenschwander und seiner Frau. Sie hat in Schwitter noch auf dessen Totenbett einen faszinierenden Mann kennengelernt und will Nyffenschwander nunmehr verlassen. In diesem Moment richtet sich Schwitter im Totenhemd auf, nimmt sich die Kinnbinde ab und sagt: "Das Bett steht falsch."
Nyffenschwander stellt ihn sofort wegen Hintergehung und Zerstörung seiner Ehe zur Rede, aber Schwitter entgegnet: "Nyffenschwander, Ihre Sorgen möchte ich haben. Da sterbe ich unaufhörlich, da warte ich Minute um Minute auf einen würdigen Abgang in die Unendlichkeit, verzweifle, weil es nie so recht klappen will, und Sie kommen mir mit einer Nebensächlichkeit." Als Nyffenschwander Schwitter tätlich bedroht, erscheint plötzlich Muheim und wirft Nyffenschwander die Treppe hinunter, wo er sich das Genick bricht. Schwitter fühlt sich so wohl, dass er wieder zu saufen und zu rauchen beginnt; dann kommt er erneut auf Muheims Frau zu sprechen, verwechselt diese aber - ob absichtlich oder nicht, bleibt dahingestellt - mit anderen früheren Geliebten, bis Muheim gereizt auf ihn losgeht, von eintretenden Polizisten jedoch wegen der "Ermordung" Nyffenschwanders und Bedrohung eines Sterbenden verhaftet und abgeführt wird.
Zugleich mit der Polizei ist der berühmte Chirurg Schlatter gekommen, um die Todesursache Nyffenschwanders festzustellen. Er untersucht jetzt Schwitter und stellt fest, dass dieser bei bester Gesundheit ist. Schwitters Bitte, ihm eine Spritze zu geben, damit er endlich sterben könne, lehnt Schlatter ab. Mit den Worten "Jetzt bringt Ihre Todesraserei auch mich zur Strecke" stürzt er davon. Endlich erscheint die Abortfrau, Frau Nomsen, die Mutter des Callgirls Olga und somit Schwitters Schwiegermutter. Schwitter findet in ihr die erste wirkliche Partnerin und legt vor ihr sozusagen seine Lebensbeichte ab. Er stellt seine Tätigkeit und sein Gewerbe dem ihren gleich: "Sie gaben sich mit Hurerei ab, ich bloß mit Literatur. Ich schrieb nur, um Geld zu verdienen. Mit einem gewissen Stolz, Frau Nomsen, darf ich nachträglich sogar feststellen: Ich war Ihnen geschäftlich und moralisch nicht ganz un- ebenbürtig."
Diese Bankrotterklärung Schwitters "Mein Leben war nicht wert, dass ich es lebte" trifft Frau Nomsen so tief, dass sie stirbt. Nun dringt die Heilsarmee herein und begrüßt den Auferstandenen mit feierlichen Hymnen. In ihr von Posaunen untermaltes Halleluja hinein tönt Schwitters verzweifelter Schrei: "Wann krepiere ich denn endlich?"
2. Interpretation
Einen Totentanz hat man Dürrenmatts "Meteor" nicht selten genannt. Denn im "Meteor" ist der Tod die Figur, die eigentlich sterben will, sterben müsste: Wolfgang Schwitter. Er, mit seinem meteorgleichen Aufflammen, ein erloschenes Gestirn, das durch die Reibung an fremder Substanz neu erglüht, er bringt allem, was sich ihm nähert, Tod oder Verderben. Er wird immer lebendiger dadurch, dass er den Tod um sich herum aussät. Dabei bleibt er ein Mensch mit all seiner Anfechtbarkeit: Dass er wiedererweckt worden ist, nimmt er ja nicht an, er bäumt sich auf gegen den Einbruch einer ungebetenen Gnade in sein Leben.
Dürrenmatt verpaßt keine Gelegenheit, Schwitter unsere Sympathie zu verunmöglichen. Und doch bezwingt uns Schwitter - durch seine Theatergerechtheit, seine komödiantische Vehemenz. Wenn er gleich zu Anfang des Stücks im Atelier des unbegabten und schwächlichen Malers Nyffenschwander erscheint, nein "aufkreuzt", im Pyjama und Pelzmantel, trotz mörderischer Hitze, mit zwei prallen Koffern und zwei Riesenkerzen unter den Arm geklemmt, wenn es dann heißt- "Sie Sie sind doch -", und Schwitter antwortet: "Ich bin's. Wolfgang Schwitter", so ist das die Art, wie sich klassische Helden seit eh und je vorgestellt haben. Der Auftritt ist lapidar, ein meteorgleicher Einbruch.
Aber ähnlich stark bezwingende Situationen folgen das ganze Stück hindurch. Eine solche ist natürlich die zweite Auferstehung Schwitters am Anfang des zweiten Teils - die erste wurde erzählt, die zweite sehen wir im Theater. Grotesk in ihrer Banalität, sagt doch der mit Kränzen bedeckte und zum Begräbnis hergerichtete plötzlich: "Das Bett steht falsch." Wenn dann gleich darauf ein wildes Aufräumen und Ummöblieren angeht, verwoben in einen Streit zwischen dem neuen Lazarus und dem Maler, dem der "Meteor" kurz vorher in einem besonders starken Aufglühen die Frau weggenommen hat, so ist auch das von nicht mehr zu steigernder Situationskomik. Die Wirkung ist unwiderstehlich. Die Unvereinbarkeit der beiden Sphären des Stücks tritt in einem so unvermittelten Anprall zutage, dass ein Lachen entsteht, wie es eigentlich nur in der Welt des Schwanks heimisch ist.
Hier bäumen sich die Gegensätze höher aneinander auf als je zuvor. Wilde Lästerung der Schöpfung durch Schwitter prallt gegen das Halleluja der Gläubigen. Das Leben sei "eine Schindluderei der Natur, eine obszöne Verirrung des Kohlenstoffs, eine bösartige Wucherung der Erdoberfläche, ein unheilbarer Schorf", schreit Schwitter. Aber was vermag solches gegen ein Halleluja aus den gläubigen Kehlen der Armen im Geiste? Schwitter fleht die Sänger an: "Zerreißt mich, ihr Himmelstrommler, zerstampft mich, ihr Handorgelbrüder, schmettert mich die Treppe hinunter, ihr Psalmenjodler, seid gnädig, ihr Christen, schlagt mich mit euren Gitarren und Posaunen tot." Die Antwort ist der Choral "Morgenglanz der Ewigkeit", einer der schönsten der protestantischen Kirchenliteratur. Schwitter versucht, ihn aufzuhalten, er schreit: "Wann krepiere ich denn endlich!" Das wird nicht sein letztes Wort sein, er lebt ja weiter. Der Pfarrer war dem Glück, seinen Glauben leibhaftig bestätigt zu sehen, erlegen. Die Heilsarmisten haben kräftigere Gemüter, ihnen wird der lästernde Schwitter zur reinen Erbauung.
Kein Stück Dürrenmatts ist so sehr wie der "Meteor" auf den paradoxen Zusammenprall der Motive hin konstruiert. Da ist nirgends Entspannung, da wird alles zum unlösbaren Zusammenprall, Höchstes und Niedrigstes, Erhabenes und Banales, Reines und Schmutziges. Das ist kein Spiel mit dem Tod, sondern aus dem Tod, wie es ein Spiel ist aus der Gnade, Spiel aus dem Unglauben, Spiel aus dem Glauben. Durchaus unerträglich. Aber das will es sein, so soll es sein. Wer das spielen will, muss komisch sein können und entsetzlich zugleich. Dürrenmatt: "Wer hier mildert, macht das Stück kaputt."
Dürrenmatt, Friedrich: Der Meteor. Zürich Diogenes Verlag 1980, ISBN 3-257-20839-1
Goertz, Heinrich: Dürrenmatt, Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH 1987, ISBN 3-499-50380-8
Kaestler, Reinhard: Erläuterungen zu Friedrich Dürrenmatt, Der Meteor, Hollfeld: Bange 1991, ISBN 3-8044-0273-9
1668 Worte in "deutsch" als "hilfreich" bewertet