Psychosomatik in der Augenoptik
Inhaltsverzeichnis:
1 Einführung
2 Grundlagen
3 Psychosomatik in der Augenoptik
Ametropien Heterophorie und Heterotropie Presbyopie und Catarakt Pathologische Veränderungen
Lehprobleme in besonderen Lebenssituationen
Beschwerden bei Bildschirmarbeit Hysterische Augenstörungen Augenoperationen Erblindung Multiple Sklerose
5 Möglichkeiten der Einflußnahme auf das "Sehen"
6 Unterstützende Therapien
Theorien von Bates Autogenes Training Augentraining
7 Resümee
8 Anhang
9 Quellenverzeichnis
" So wie man nicht die Augen ohne den Kopf
und den Kopf nicht ohne den Körper heilen sollte,
so sollte man den Körper nicht ohne die Seele behandeln "
Sokrates
1 Einführung
Schon vor vielen Jahren prägte der Volksmund Sätze wie "Liebe macht Blind ", "etwas hüten wie den eigenen Augapfel " oder "Haß macht starräugig ", was bedeutet, dass selbst damals die psychosomatische Komponente der Augen bereits wohlbekannt war. Auch die Tatsache, dass dem Auge Attribute wie Lachen, Weinen, Funkeln, Sprühen, Blitzen und Drohen zugeschrieben werden, spricht für diese These.
Kurz gesagt: Augen spiegeln Gefühle wider, oder in einer leicht verfloskelten Variante : " Ein Blick sagt mehr als tausend Worte ".
2 Grundlagen
Das der Zusammenhang zwischen Körper und Geist, dem Bewußten und dem Unbewußten, dem Leben und Erleben vorhanden ist, stellt heutzutage kein großes Geheimnis mehr dar. Längst ist es wissenschaftlich belegt, dass unser Dasein von komplexen Vorgängen in der Natur geleitet, gesteuert und bestimmt wird. Ziel dieser Ausarbeitung ist der Versuch einer Darstellung der Zusammenhänge von Auge und Psyche unter augenoptischen Gesichtspunkten.
Im allgemeinen lässt sich feststellen, dass die Wechselwirkungen unseres Organismus sich sowohl von der Psyche auf dem Körper, genauso wie vom Körper auf die Psyche beziehen. Im speziellen soll nun als "Teilgebiet" der Physe der visuelle Aspekt der Augen stellvertretend stehen, um dem Augenoptiker einen Einblick in ein für ihn häufig zu stiefmütterlich behandeltes Thema zu geben.
3 Psychosomatik in der Augenoptik
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den konkreten Zusammenhängen von ophtalmologisch relevanten Veränderungen am Auge mit psychosomatischen Hintergrund, die Einfluß auf das Berufsfeld des Augenoptikers/Optometristen nehmen können.
3.1 Ametropien
Insbesondere im Bezug auf die Myopie wurde schon im 1900 Jahrhundert Ursachenforschung betrieben. Im Laufe der folgenden Jahre kristallisierten sich hierbei einige Thesen heraus, mit deren Hilfe versucht wurde das Geheimnis der Kurzsichtigkeit zu entschlüsseln. Die wohl bekannteste, die sogenannte "Nah-Arbeits-Theorie", ist auch gleichzeitig die älteste. Sie geht davon aus, dass sich insbesondere durch überhöhte Akkommodationsreize in der Kindheit (z.B. Schule) ein Brechungsfehler im Auge bilden kann. Dies wurde durch umfangreiche Untersuchungen an Schulen und später an nahorientierten Arbeitsplätzen im Beruf belegt. Allerdings ließ diese These viele Fragen offen, insbesondere die Tatsache, dass die Myopiesierung nicht zwangsläufig im Zusammenhang mit andauernder Naharbeit während der Entwicklungsphase auftritt. Auch die von Darwin entwickelte Evolutionstheorie spielt in diesen Zusammenhang eine gewisse Rolle, insofern in der heutigen Zeit Fehlsichtigkeiten häufiger vorkommen, weil sie durch ihre Korrigierbarkeit mit Brille nicht mehr dem natürlichen Selektionsprozeß unterworfen sind.
Basierend auf diesen Untersuchungen lassen sich auf die psychosomatischen Auswirkungen einer Fehlsichtigkeit bestimmte Zusammenhänge ableiten, welche aber immer als allgemeine, grundsätzliche und vor allem durchschnittliche Erscheinungen zu sehen und zu werten sind :
Der intellektuelle, zurückgezogene Kurzsichtige und der extrovertierte "Weitsichtige" (wie der Volksmund sagt) sind bekannte Persönlichkeitstypen. Schon in der Kindheit werden einem Menschen häufig Attribute, welche mit ihrer Fehlsichtigkeit in Verbindung stehen, zugeschrieben. Während typischerweise das kurzsichtige Kind oft als Versager bei Spiel und Sport gilt und seine Stärken im Lesen, Lernen und in der Liebe zum Detail liegen, wird das übersichtige Kind eher als beliebt, sehr motorisch und freiheitsliebend bezeichnet, wobei hier im Gegenatz dazu Lernfaulheit, Unaufmerksamkeit und eine (oftmals) oberflächliche Sichtweise der Dinge unterstellt werden. Dieses bezieht sich auf unerkannte und nicht korrigierte Fehlsichtigkeiten, wobei gerade eine solche Entwicklung in frühester Jugend durchaus charakteristisch für den weiteren Lebensweg sein kann (z.B. ausgeprägtes Farbempfinden im Gegensatz zum schlecht entwickelten Formempfinden bei einem kurzsichtigen Maler).
Auch wurden eindeutige Zusammenhänge im Bezug auf Temperament und Lebenseinstellung einzelner Völker speziell auf deren durchschnittliche Art und Häufigkeit der entsprechender Fehlsichtigkeit festgestellt :
Etwa 50 bis 60% der Japaner sind kurzsichtig: Der höchste Prozentsatz an Myopie, der jemals bei einem Volk festgestellt wurde. Im Gegensatz dazu weisen die als temperamentvoll, spontan und offenherzig bekannten südamerikanischen Völker mit nur 2% die wenigsten Kurzsichtigen unter der Bevölkerung auf. Dem aufmerksamen Beobachter wird in diesem Zusammenhang die fast übertriebene Höflichkeit und Unterwürfigkeit der asiatischen Völker sicherlich nicht entgangen sein.
In weiteren Untersuchungen ergab sich also eine interessante Hypothese :
Offenbar sind Kurzsichtige besser in der Lage, ihre Gefühle zu kontrollieren als ihre emmetropen und hyperopen Mitmenschen. Sie sind schwerer in Erregung zu versetzen, zeigen sich weniger aggressiv nach außen und verhalten sich somit als sozial und gesellschaftlich "erwünschter" oder negativ formuliert "angepaßter". Weitere physiologische Befunde (1941 nach Wenger und 1977 nach Alexander) weisen darauf hin, dass kurzsichtige Menschen häufig Parasymphatiker sind.
3.2 Heterophorie und Heterotrophie
Sämtliche Stellungsfehler, ob latent oder manifest, sind in psychosomatischer Sicht als frühkindliche Symbiosestörungen aufzufassen. Da der Säugling in den ersten 6 Lebensmonaten seine Augenbewegungen nicht koordinieren kann, können sich Störungen psychischer Natur somit auch auf das Erlernen der Augenbewegungen niederschlagen. Dies hängt im Einzelnen speziell mit der sehr engen Mutter-Kind-Beziehung zusammen, was bedeutet, das psychische Belastungen der Mutter (zum Beispiel Partnerschaftskonflikte) möglicherweise Einfluß auf die Entwicklungsphase haben können. Dies wird (nach Balint) als "Störung der primären Liebe" bezeichnet. Die Psychosomatik einer Heterotrophie speziell bei Kindern erweist sich in der Praxis als besonders schwierig, da sich die Eltern häufig durch die Anomalie ihres Sprößlings gestraft sehen und selber darunter leiden. Dies führt meist zu einem überfürsorglichen Verhalten, welches dann leider meist ins Negative umschlägt, da dem Kind dadurch der Stellungsfehler erst als Problem suggeriert wird.
Daraus folgt, dass eine Fehlbildung am Auge, speziell wenn diese seit der Kindheit besteht, Einfluß auf die Entwicklung der Persönlichkeit nehmen kann und somit zum Teil der Ich-Struktur wird. Gerade beim manifesten Schielen lässt sich beobachten, dass häufig tief liegende psychische Störungen zu finden sind, welche nicht selten ihren Ursprung in der eigenen Einstellung und der Umgehensweise der Umwelt mit der Fehlstellung des Betroffenen haben. Dies ist ein typisches Beispiel dafür, wie körperliche Anormalitäten oder Veränderungen Einfluß auf die Psyche des Menschen haben können (Psychosomatik).
Untersuchungen von Schielpatienten zeigten zudem eine erhöhte emotionale Labilität, eine deutlich über der Norm liegende Gehemmtheit und eine herabgesetzte Aggressivität bei einer erheblichen depressiven Grundstimmung in der Persönlichkeitsstruktur. Die Betroffenen selber zeigen im Gespräch gehäuftes Bedauern über Einsamkeit und Konzentrationsmangel.
3.3 Presbyopie und Catarakt
Die Presbyopie ist im eigentlichen Sinne weder eine Erkrankung, noch eine Fehlsichtigkeit. Trotzdem wird sie für viele Menschen häufig die Ursache von Sorgen und Problemen, da durch das "In-die-Ferne-rücken" des Nahpunktes gleichzeitig durch die Notwendigkeit einer Brille ein "In-die-Ferne-rücken" der Jugend und somit das Herannahen des Alters zur Realität wird. Gerade in der heutigen Zeit, in der die Jugendlichkeit zum Ideal hochstilisiert wird, darf dieses Problem nicht unterschätzt werden.
Zudem fällt das Nachlassen der Akkomodationsfähigkeit in eine Lebensperiode, in welcher viele Menschen ihre sogenannte "Midlife-crisis" erleben, die ihre eigene Problematik besitzt und dadurch die Notwendigkeit einer "Sehprothese" (analog zu den dritten Zähnen) zum Symbol einer umfassenden Konfliktsituation werden kann.
Im Gegensatz hierzu ist der Catarakt zwar ebenfalls durch den Alterungsprozeß der Augenlinse bedingt, wird im allgemeinen jedoch als degenerative Erkrankung definiert, da in diesem Fall diesbezüglich kein zwingender Zusammenhang besteht. Für meist älteren Kunden ist die Diagnose oft gleichbedeutend mit unabwendbarer Blindheit und damit eine Quelle großer Angst. Da die extrakapsuläre Extraktion, verbunden mit der Implantation einer Intraokularlinse im Kapselsack, heutzutage jedoch zu einer sehr sicheren Routineoperation geworden ist, sollte diese Angst eigentlich theoretisch unbegründet sein. Vielmehr beeinflußt eine erfolgreiche Star-Operation das Leben eines älteren Menschen in der Regel derart positiv, dass ihm, bedingt durch seinen gesteigerten Visus, ein Großteil seiner Lebensfreude und Selbständigkeit, verbunden mit neuen Lebensinhalten, zurückgegeben werden kann. Es ist sehr wichtig, diese Tatsache im Gespräch mit dem Betroffenen herauszustellen und somit besagte und durch Unwissenheit entstandene Ängste abzubauen.
3.4 Pathologische Veränderungen
Krankhafte Veränderungen am Auge bedürfen selbstverständlich einer gezielten Diagnostik und Therapie durch den Opthalmologen. Trotzdem spielen auch hier psychosomatische Einflüsse eine gewisse Rolle, deren Kenntnis gerade für den verstärkt in der Optometrie tätigen Augenoptiker sehr hilfreich sein kann :
Auffälligkeiten im vorderen Augenabschnitt spielen gerade im Bereich der nonverbalen Kommunikation eine wichtige Rolle, da diese indirekt hierdurch beeinflußt wird. Als Beispiel seien hier der müde Blick bei hängenden Augenliedern (Ptosis oder Schwellung) oder der ständig starrende Blick bei weiter Lidspalte (Exophtalmus) angeführt. Im Bezug auf dem Ausdruck von Emotionen, insbesondere der Trauer, ist die Tränendrüse das steuernde Organ. Durch eventuelle Störungen in der Gefühlswelt des jeweiligen Menschen ( speziell beim Unterdrücken des Weinens) kann das autonome Gleichgewicht empfindlich gestört werden. Betrachtet man die Ursachen bei einer gestörten Tränenproduktion, sind neben der Zunahme der immer häufiger werdenden Bildschirmarbeitsplätzen oft auch Alkohol - und Tablettenmißbrauch anzutreffen. Die in diesem Zusammenhang auftretenden Störungen im Feuchtigkeitshaushalt können bei andauernden Zustand wiederum zu Veränderungen in Bindehaut und Hornhaut führen (z.B. Lidkantenparallele Conjunctivalfalten).
Ein weiters deutliches Beispiel hierfür ist das "Triefauge" eines Trinkers, wobei hier die sichtbare Veränderung am Auge in seiner Sucht begründet ist, die vom Betroffenen häufig als visuelles Merkmal seines persönlichen Versagens interpretiert wird.
Eine weitere Rolle im Bezug auf die Psychosomatik von pathologischen Veränderungen am Auge spielt auch das Krankheitsbilds des Glaukoms. Obwohl psychische Faktoren als Auslöser hierfür von einigen Experten abgelehnt werden, setzt sich trotzdem immer mehr, insbesondere beim akuten Glaukomanfall, die Überzeugung eines direkten Zusammenhang mit psychischen Streßsituationen durch. Desweiteren lässt sich beim Glaukompatienten eine verstärkte Neigung zu Depressionen und Hysterie feststellen.
4 Sehprobleme in besonderen Lebenssituationen
Bestimmte Situationen und Momente im Leben eines Menschen können sich unter anderem verstärkt auf das visuelle System auswirken. Anhand einiger charakteristischer Beispiele sollen diese Zusammenhänge erläutert werden.
4.1 Beschwerden bei Bildschirmarbeit
Grundsätzlich ist es wichtig, dieses Kapitel gerade auch unter augenoptischen Gesichtspunkten umfassend und differenziert zu betrachten. Es ist unabdingbar, das die Versorgung eines Klienten bei Bildschirmtätigkeit in den Punkten Ergonomie und der auf den speziellen Sehbereich abgestimmten Vollkorrektion auf höchstem fachlichen Niveau stattfinden muss. Es spielen allerdings noch einige psychologische Hintergründe eine gewisse Rolle, deren diesbezügliche Zusammenhänge keineswegs vernachlässigt werden dürfen:
Bildschirmarbeit bietet keine unmittelbare Befriedigung, da Gespräche mit Kollegen und eine Ablenkung durch andere Menschen fehlen. Insbesondere die Tatsache, kein unmittelbares und "faßbares" Ergebnis nach einem Arbeitstag in den Händen zu halten, kann auf die Dauer demotivierend wirken. Hinzu kommt, dass das menschliche Wahrnehmungssystem von Natur aus nicht für diese Tätigkeit ausgerichtet ist: Die linke Gehirnhälfte, die für abstrakte Denkaufgaben, wie der Codierung und Verarbeitung des Bildschirminhaltes, verantwortlich ist, kann die ständigen Bewegungen der sich auf- und abbauenden Lichtpunkte des Monitors nicht verarbeiten. Also muss die eigentlich ganzheitlich emotional orientierte rechte Gehirnhälfte diese Tätigkeit übernehmen, was wiederum zu Überanstrengungen führen kann.
Zudem zwingt die Computer-Technik den Menschen durch seine lineare und logische Verarbeitung sich in seiner Arbeitsweise zu verändern und sich in seiner eigenen Denkstruktur anzupassen. Dieser Lernprozeß wird um so schwieriger, je älter der Mensch ist, woraus folgt, das genau diese Leute sich den immer stärker wachsenden Anforderungen im Computer- Zeitalter nicht mehr gewachsen sehen. Es ist wichtig, eine negative Beeinflussung des individuellen Selbstwertgefühles hierbei unbedingt zu vermeiden, welches wiederum negative Auswirkungen auf Motivation und Freude an der Arbeit hätte.
4.2 Hysterische Augenstörungen
Die hysterische Blindheit ist eine Extremsituation, welche plötzlich einsetzt und nicht immer klar pathologisch begründet ist. Viele Symptome können auf den Hintergrund einer Hysterie als seelischer Krankheit hindeuten: Als wichtigste Beispiele seien hier die Einengung des Gesichtsfeldes, das Auftreten von Skotomen, eine plötzliche starke Veränderung der Ametropie, Funktionsstörung der Augenmuskeln und die nicht näher anatomisch zu begründende Amblyopie genannt. Der psychische Hintergrund einer hysterischen Sehstörung liegt nach Freud in der Tatsache, dass für den Hysteriker das "nicht Sehen können" gleich bedeutend mit dem "nicht Sehen dürfen" ist. Aus diesem Grund ist bei diesem Krankheitsbild eine tiefenpsychologische Therapie unumgänglich.
4.3 Augenoperationen
Hierbei ist es entscheidend, in wie weit der Patient im Vorfeld der Operation über Art, Notwendigkeit und Folgen des geplanten Eingriffs aufgeklärt worden ist. Dies kann sehr zur Dämpfung der unvermeidlichen Angstmomente während des Eingriffes und zur Vermeidung postoperativer Psychosen beitragen.
Noch schwieriger ist eine Augenoperation bei Kindern. Da die Ich-Struktur hier noch sehr wenig entwickelt ist, wird eine Operation häufig als Bestrafung empfunden. Deswegen sind hierbei präoperarative Aufklärung und Gespräche überaus wichtig. Aus psychologischem Blickwinkel betrachtet, sollte eine unumgängliche Augenoperation jedoch möglichst früh erfolgen, da sich das Kind normalerweise schon sehr früh über die Vorstellungen bezüglich des eigenen Körpers zu entwickeln beginnt.
4.4 Erblindung
Die Angst vor der Dunkelheit gehört wahrscheinlich zu den elementarsten Urängsten des Menschen. Allein deswegen ist die Blindheit wohl die bedrohlichste Behinderung des visuellen Systems. Bei plötzlichem Verlust der Sehfähigkeit erfolgt zunächst eine Art Schock, in dem sich der Erblindete meist an illusionäre Hoffnungen klammert. Nach diesem Zustand erfolgt meist das langsame Erkennen der realen Situation, verbunden mit Momenten der Depression und hoffnungsloser Selbstbedauerung. Diese Phase ist allerdings wichtig, um wieder voll in die Realität eintauchen zu können und die Blindheit als solche akzeptieren zu lernen.
Noch schwieriger als die vollkommene Erblindung stellt sich der Umstand der partiellen Blindheit dar, da diese offensichtlich immer noch mit einer gewissen Hoffnung auf spätere Besserung verknüpft ist. Somit lebt der Betroffene in einem ständigen Zustand der Unsicherheit und Angst vor der endgültigen Erblindung.
4.5 Multiple Sklerose
Der Name "Multiple Sklerose" beschreibt ein sehr komplexes neurologisches Krankheitsbild, welches durch multiple, zeitlich gestaffelte Schübe charakterisiert ist. Eine Entzündung des Sehnervs beispielsweise ist in 60% bis 70% aller Fälle durch eine Multiple Sklerose begründet. Die Folge ist ein starker Visusabfall innerhalb weniger Tage. MS-Patienten zeichnen sich häufig durch eine gewisse psychische Labilität aus, die jedoch oft durch unangemessene Euphonie und Kritiklosigkeit ihrer Krankheit gegenüber überspielt wird. Dies kann im Extremfall bis zu schweren Persönlichkeitsstörungen führen. Es bleibt festzustellen, das die MS auf jeden Fall einen breitgefächerten psychosomatischen Hintergrund, wenn nicht sogar Ursprung hat. Die genaue Deutung und Analyse des jeweils sehr speziellen Krankheitsbildes sollte deswegen zwingend unter Mitarbeit eines erfahrenden Psychologen oder Psychotherapeuten erfolgen.
Möglichkeiten der Einflußnahme auf das "Sehen"
Im ersten Teil der vorliegenden Ausarbeitung ist nun primär auf die Auswirkungen eines bestimmten anatomischen Zustandes am Auge auf die Psyche des Menschen eingegangen worden. Dies ist wichtig für das globale Verständnis der komplexen Wechselwirkungen in speziell dieser Hinsicht. Ein weiterer interessanter Bereich umfaßt die Fragestellung, inwiefern es möglich ist, durch bewußte Einflußnahme (psychischer und psychischer Natur) das Sehen merklich zu beeinflussen. Da viele Bereiche der Psychosomatik allerdings selbst heutzutage noch sehr wenig erforscht sind, ist eine eindeutige Beweisführung im Bezug auf die Wirksamkeit eines sogenannten "Augentrainings" kaum möglich. Es wäre ein Fehler, sich von teilweise spektakulären Einzelerfolgen einer Methode blenden zu lassen, da die Aspekte und Wirkungsweisen selbst von ihren eingefleischten Befürwortern seltenst stichhaltig und im wissenschaftlichen Sinne haltbar begründet werden können. Im nun folgenden zweiten Abschnitt des Referates sollen die wichtigsten und bekanntesten Theorien auf den Zusammenhang der oben beschrieben bewußten Einflußnahme auf das visuelle System hin beschrieben und aus augenoptischer Sicht diskutiert werden. Da es teilweise schwer möglich ist, generell einen Kommentar im Sinne der Optometrie zu liefern, sind sämtliche ohne angeführte Begründung genannte Gegenüberstellungen, die nun folgen, als subjektiv und der persönlichen Auffassung der Autoren nach entsprechend als Meinung zu werten.
6 Unterstützenden Therapien
Die folgenden Unterpunkte stellen einen kurzen Streifzug durch eine Landschaft von alternativen und unterstützenden Behandlungsmethoden als mögliche Ergänzung zur praktischen Arbeit des Opthalmologen und Optometristen (Augenoptikers) dar. Sie erheben weder den Anspruch der Vollständigkeit, noch den einer begründeten oder nachgewiesenen Wirksamkeit.
6.1 Theorien von Bates
Der amerikanische Optometrist Bates und andere Anhänger der sogenannten "Brille-nein-danke"-Bewegung vertreten die Auffassung, dass es möglich sei, mit Zuhilfenahme von Augenübungen, Atemtechniken, Massagen und speziellen refraktiven Korrektionen die Kurzsichtigkeit und andere Augenbeschwerden in soweit zu reduzieren, das auf das Tragen einer Brille möglichst verzichtet werden kann. Eng verwandt hiermit sind Veröffentlichungen wie zu Beispiel das Buch "Spielend besser Sehen" (Kaplan), in dem der Autor einige seltsam anmutende Überzeugungen vertritt. So propagiert er unter anderen eine Refraktionsmethode, deren Ziel eine beiderseits monokulare Korrektion auf einen Visus von 0,83 ohne binokulare Berücksichtigung ist. Das dies im Sinne der Theorie einer binokularen Vollkorrektion völlig unhaltbar ist, erklärt sich schon allein aus der Tatsache, dass der persönliche Visus im Bezug auf die Vergleichbarkeit immer individuell gesehen werden muss, weil auch der natürliche maximale Visus von Mensch zu Mensch differiert.
Ein entscheidender Punkt darf hierbei nicht außer acht gelassen werden :
Im Zuge einer alternativen Bewegung mit möglichst natürlichen Verhaltens- und Behandlungsweisen stoßen solche Methoden auf eine große Bereitschaft. Für einen Leidenden ist die Versuchung groß, die scheinbaren Hilfsangebote dieser Autoren engagiert aufzugreifen. Mangels Wissens um die komplexen Zusammenhänge kann es hierbei jedoch gleich zu einer Überforderung kommen und für den Laien ist es logischerweise sehr schwierig zwischen Kurpfuscherei und einer beachtenswerten Außenseitermethode zu unterscheiden. Gerade in diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass durch die Bates-Methode (und deren artverwandte Theorien) das Sehen nicht im Sinne eines Überflüssigwerdens eines optischen Korrektionsmittels beeinflußt wird. Vielmehr kann das Wahrnehmen und das Sich-Zurechtfinden ohne Sehhilfe geübt werden. Das dies jedoch in keinster Weise Einfluß auf die tatsächliche Korrektion einer möglichen Fehlsichtigkeit hat, ist es fatal, in diesen Punkt falsche Hoffnungen zu schüren.
Autogenes Training
Das autogene Training hat in seiner Funktion als Verfahren der tiefen Entspannung sowohl physiologische als auch psychologische Wirkungen. Es soll ein Zustand der passiven Konzentration erreicht werden, der es Geist und Körper gestattet, sich auf einen harmonischen Zustand hin selbst zu regulieren, mit den Ziel, sich einem rein organischen Prozeß zu überlassen, ohne vom bewußten Willen Gebrauch zu machen. Es liegt nahe, dass sich eine solche Methodik sicherlich auf Grund ihrer Ganzheitlichkeit für viele unterstützende Therapiebereiche eignet. Im speziellen hat sich das autogene Training auch nachgewiesenermaßen bereits sehr nützlich zur zusätzlichen Behandlung bei Augenkrankheiten erwiesen. Auch in der Praxis des Augenoptikers kann es unter anderem auf dem psychischen Wege wichtige Voraussetzungen schaffen, beispielsweise dass das Fremdkörpergefühl beim Tragen von Kontaktlinsen in Einzelfällen leichter bewältigt werden kann. Desweiteren erweist sich die tiefe Entspannungsreaktion häufig als ein sehr nützlicher Schlüssel zu akkommodativen Entkrampfungsübungen besonders bei manifester Hyperopie.
Es bleibt festzuhalten, dass das autogene Training, solange man ihm einen unterstützenden Charakter im Bezug auf die klassischen refraktiven Korrektionsmethoden beimißt, eine sehr gute, weil globale Möglichkeit der physischen und psychischen Entspannung ist, was wiederum eine sehr gute Basis für die weitere ophtalmologische oder optometristische Arbeit darstellt.
6.3 Augentraining
Das Gebiet des Augentrainings ist sehr weitläufig und umfaßt viele Übungen und Techniken, die von nützlich über unorthodox bis leider teilweise auch sinnlos zu bezeichnen sind. Hierbei gilt es, in zwei generelle Gruppen zu unterscheiden, die jeweils unterschiedliche Ansätze und Zielvorstellungen im Bezug auf ihre praktische Zielvorstellung haben. Zum einen existieren Übungen, deren hauptsächliche Aufgabe (ähnlich wie beim autogenen Training) es ist, einen Entspannungszustand der Augen, häufig kombiniert mit einer imaginären Bildvorstellung, herbeizuführen, welcher sich somit indirekt auf des körperliche und seelische Wohlbefinden auswirkt und dadurch auch Einfluß auf das Sehen ausübt. Hierzu gehören Übungen wie das "Palmieren" (Abschirmen der Augen mit den Handflächen, um in der dadurch erzeugten Dunkelheit einen Entspannungszustand für die Augen zu erreichen) und das sogenannte Visualisieren (ähnlich dem Palmieren, wobei hier durch innere Vorstellungskraft ein für das Auge reelles Bild erzeugt wird. Dadurch soll der Sinn für natürliche Farben und Formen geschärft werden).
Zum anderen lässt sich die zweite Gruppe der Augenübungen in eine solche der direkten und bewußten Einflußnahme in Trainingsmethoden im direkten Zusammenhang mit den natürlichen Augenfunktionen wie Blickbewegung, Akkommodation und Fusion einordnen.
Hierzu ist jedoch aus optometristischer Sicht folgendes zu bemerken:
Es steht außer Zweifel, das Übungen die der muskulären Entspannung und dem Training der Augenmuskeln dienen, sicherlich vom Ansatz her richtig und auch durchaus nützlich sind. Es bleibt jedoch fraglich, inwiefern sich sogenannte Fusionsübungen im Zusammenhang einer bezüglich Winkelfehlsichtigkeit mit eventueller Fixationsdisparation auf das Panum-Sehen des Klienten auswirkt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich Übungen zur bewußten Stärkung des Fusionsreizes negativ im Zusammenhang mit der Förderung der Entstehung einer Pseudofovea bei einer langjährig bestehenden Heterophorie auswirken kann. Dies stünde in direkten Gegensatz zur Meß- und Korrektionsmethode nach Haase, welche eine vollkommene Egalisierung sämtlicher motorisch und vor allem sensorisch bedingter latenter Stellungsfehler der Augen im Bezug auf das binokulare Sehen zum Ziel hat. Folglich ist eine Fusionsübung nur dann sinnvoll und zu empfehlen, wenn zuvor sämtliche Ungleichgewichte der äußeren Augenmuskulatur korrigiert wurden (oder eine natürliche Orthophorie vorliegt) und nachweislich keine Fixationsdisparation vorhanden ist.
7. Resümee
Abschließend stellt sich nun folgende Frage:
Inwiefern können uns oben beschriebene Erkenntnisse im Berufsbild des Augenoptikers nützlich sein? Es ist sicherlich wichtig, um die generelle Problematik (wenn man dieses so sehen möchte) der Psychosomatik im Bezug auf das Auge und somit das visuelle Erleben unserer Umwelt zu wissen, und dies besonders im Hinblick auf die Anamnese zum Einsatz zu bringen. Hier schließt sich der Kreis, denn wie eben erwähnt, ist eine gute psychosomatische Analyse der Lebensumstände des Kunden die Basis für eine gewissenhafte Anamnese, die ihrerseits dann die Grundlage für die Verträglichkeit und Akzeptanz der ermittelten Korrektionswerte bildet. Dadurch nun wird dem Kunden ein angenehmeres und beschwerdefreies Sehen ermöglicht, was sich dann im Endeffekt wiederum positiv auf die Psyche niederschlägt. Unterstützende Therapien wie das autogene Training oder die meisten Augenübungen (abgesehen vom Fusionstraining) können hierbei durchaus hilfreich und unterstützend sein, solange sie die optometristische Arbeit begleitend unterstützen und kein Eigenleben entwickeln.
Kurz gesagt: Je mehr wir uns in unserem Beruf nicht nur als primär handwerklich orientierte Augenoptiker (physisch arbeitend), sondern auch zu einem gewissen Teil als psychologisch interessierter Gesprächspartner (mit der Psyche arbeitend) sehen, desto eher wird es uns gelingen, den Menschen als komplexe Einheit zu sehen und somit die Ursachen von individuellen Sehstörungen besser ergründen und verstehen zu können.
Anhang
Diverse erläuternde Folien
9 Quellenverzeichnis
Schultz - Zehden / Bischof "Auge und Psychosomatik"
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