Risikobegriff
Inhalt
Einleitung
1 Der Risikobegriff *
1.1 Was versteht man unter Risiko? *
1.1.1 Technisch wissenschaftliche Dimensionen *
1.1.2 Ökonomische Dimensionen *
1.1.3 Alltagsweltliche Dimensionen *
1.2 Die Abgrenzung von Risiko und Gefahr *
2 Die Konstruktion des Risikos *
3 Natur und fabrizierte Unsicherheiten *
Literaturverzeichnis *
Einleitung
Satellitenstarts sind zur Routine geworden. Hunderte befinden sich mittlerweile in geostationären oder sonstigen Umlaufbahnen. Doch es gibt auch hin und wieder Fehlstarts. Die Wahrscheinlichkeit, von einem abstürzenden Satelliten erschlagen zu werden, ist aber äußerst gering (schätzungsweise 10-9) und die zu erwartenden naturzerstörerischen Auswirkung sind belanglos. Anders ist es natürlich, wenn der Satellit radioaktives Material enthält. Wissenschaftsminister Jürgen Rüttgers sagte in einem Interview mit dem ARD-Magazin Report (23.07.1997) über den Start eines umstrittenen Satelliten, der eine überaus große Menge an Plutonium als Antriebsenergie mitführen soll: "...was ich in Gesprächen mit Wissenschaftlern erfahren habe, so ist das Leben hier auf der Erde risikoreicher als durch den Satellitenstart an Risiko hinzukommt." Diese Aussage zeigt, dass der Risikobegriff leicht zu Verständnisproblemen führen kann: Wird hier Risiko lediglich als Maß für Gefährlichkeit gebraucht, lassen sich Risiken addieren und wie vergleicht man Risiken?
Dieses Referat soll etwas mehr Klarheit über den Risikobegriff verschaffen. Es werden zunächst unterschiedliche Risikodefinitionen vorgestellt und mögliche Abgrenzungen zwischen Risiko und Gefahr erläutert. Dann wird auf die Konstruktion des Risikos eingegangen und zuletzt geht es um Becks Thesen zur Natur und den fabrizierten Unsicherheiten.
1 Der Risikobegriff
1.1 Was versteht man unter Risiko?
Als erste Annäherung an den Risikobegriff werden im folgenden Risikodefinitionen aus dem Bereich der Technik, der Alltagswelt und der Ökonomie vorgestellt.
1.1.1 Technisch wissenschaftliche Dimensionen
In der Technik und Wissenschaft wird der Risikobegriff häufig im Zusammenhang unsicherer künftiger Zustände als Folge eines Ereignisses oder Handlung gebraucht. Dabei ist der Zustand meist negativ und wird z.B. als Schadensfall oder Todesfall deklariert. So ist die Verbindung mit den beiden Komponenten Unsicherheit und (negative) Konsequenzen für das Risiko typisch. Die gängigste Formel für Risiko lautet: "Risiko gleich Schadensgröße mal Eintrittswahrscheinlichkeit".
In den Ingenieurwissenschaften und v.a. in den Disziplinen Toxikologie, Biostatistik und Versicherungsstatistik geht es um möglichst präzise Risikoabschätzungen. Daher gibt es noch viele weitere Definitionen des Risikobegriffs, wie sie Jungermann und Slovic beschreiben, auf die ich hier aber nicht weiter eingehen möchte:
- Risiko als Wahrscheinlichkeit eines Schadens Risiko als Ausmaß des möglichen Schadens Risiko als Produkt aus Wahrscheinlichkeit und Ausmaß des Schadens Risiko als Varianz der Wahrscheinlichkeitsverteilung aller möglichen Konsequenzen einer Entscheidung Risiko als Semivarianz der Verteilung aller (negativen) Konsequenzen mit einem bestimmten Bezugspunkt Risiko als gewichtete lineare Kombination der Varianz und des Erwartungswertes der Verteilung aller möglichen Konsequenzen
Anzumerken ist, dass Risikoabschätzungen unter Verwendung mathematischer Methoden oft problematisch sind, da die ceteris paribus-Klausel zu beachten ist.
1.1.2 Ökonomische Dimensionen
In der Ökonomie sind zwei Kategorien von Risikodefinitionen gebräuchlich, die formale und die materielle.
Formaler Risikobegriff
Unter einem formalen Risiko versteht man ein Risiko im Zusammenhang mit objektiven Wahrscheinlichkeiten. Dabei gelten Wahrscheinlichkeiten als objektiv, wenn sie nach statistischen Kriterien auf einem hinreichenden Beobachtungsumfang beruhen. (Liegen keine oder nur subjektive Wahrscheinlichkeiten vor, so wird in der Ökonomie anstatt von Risiko von Unsicherheit gesprochen.)
Materieller Risikobegriff
Von einem materiellen Risiko spricht man bei einer Verlustgefahr bzw. beim möglichen Eintreten eines oder mehrerer unerwünschter Ereignisse. Hierbei wird Risiko definiert als "Summe der Möglichkeiten, dass sich Erwartungen aufgrund von Störprozessen nicht erfüllen".
1.1.3 Alltagsweltliche Dimensionen
Laut Renn sind im Alltagsleben fünf Vorstellungsmuster des Risikobegriffs zu unterscheiden, die im folgenden kurz erläutert werden.
Risiko als Damoklesschwert:
Manche Ereignisse, wie z.B. Störfälle bei Großtechnologien, sind so selten bzw. ihre Wahrscheinlichkeit ist so gering, dass keine Voraussagen über den Zeitpunkt des Eintritts möglich sind. Ähnliche Störfalle wie z.B. in Tschnernobyl können statistisch gesehen zwar zu jeder Zeit wieder eintreten, jedoch mit einer äußerst geringen Wahrscheinlichkeit. So wird bei dieser Art von Großereignissen weniger die Wahrscheinlichkeit, sondern vielmehr die Zufälligkeit als Gefahrenfaktor wahrgenommen. Dadurch, dass man sich auf diese Art von Gefahren nicht einstellen oder vorbereiten kann, entsteht ein Gefühl von Machtlosigkeit und Bedrohtheit.
Risiko als Schicksalsschlag:
Meist werden natürliche Katastrophen, wie z.B. Erdbeben, Vulkanausbrüche, Ãœberflutungen oder Wirbelstürme, als schicksalhafte Ereignisse interpretiert und hingenommen. Natürliche Gefahren werden oft verneint oder verdrängt. So werden bspw. bekannte Erdbeben- und Ãœberflutungs-Gebiete besiedelt, und selbst nach einem Rückzug bei Katastrophen wird häufig in die Gefahrenzone zurückgekehrt.
Risiko als Herausforderung an die eigenen Kräfte:
Free-Climbing, Downhill-Biking oder Drachenfliegen sind Freizeitaktivitäten, bei denen neben dem Naturerlebnis das "Spiel mit dem Risiko" im Vordergrund steht. Laut Renn gehen Menschen Risiken ein, um sich über die Natur hinwegzusetzen oder die Befriedigung auszukosten, eine Gefahrensituation gemeistert zu haben. Bietet der Alltag zu wenig riskante Herausforderungen, wird das natürliche Bedürfnis nach Abenteuer und Risiko durch künstliche Situationen befriedigt. Dies ist jedoch mit folgenden Bedingungen verbunden:
- Freiwilligkeit, persönliche Kontrolle und Beeinflussung des Risikos, zeitliche Begrenzung der Risikosituation, Bekanntheitsgrad der Risikofolgen, Vorbereitung auf die riskante Tätigkeit und Einüben entsprechender Fertigkeiten und soziale Anerkennung, die mit der Beherrschung des Risikos verbunden ist.
Risiko als Glücksspiel:
Bei Lotterien oder Glücksspielen hängen Verlust oder Gewinn selten von den Fähigkeiten des Spielers ab. Daher macht die Möglichkeit oder Erwartung auf einen großen Gewinn den besonderen Reiz aus und nicht der Spielvorgang an sich. Wird von der Möglichkeit der Spielsucht abgesehen, so geht man üblicherweise das Risiko eines relativ kleinen materiellen Verlustes ein, um der Chance eines vielfach größeren Gewinnes wegen. Der statistische Erwartungswert spielt dabei keine Rolle.
Risiko als Frühindikator für Gefahren:
Die zunehmende Medienberichterstattung über Umweltprobleme und deren langfristigen Auswirkungen auf Gesundheit, Leben und Natur eröffnete ein neues Anwendungsgebiet des Risikobegriffes. So gelten nun in der öffentlichen Diskussion wissenschaftliche Risikoberechnungen als Frühzeitindikatoren für schleichende Gefahren. Indem wissenschaftliche Studien versuchen, Kausalbeziehungen herzustellen, z.B. zwischen Umweltverschmutzung und Waldsterben, sollen sie helfen, verborgene Gefahren frühzeitig zu erkennen.
1.2 Die Abgrenzung von Risiko und Gefahr
Handeln ist mit Ungewißheit verbunden und nur wer handelt, hat mit Risiken zu tun, sagt Thielemann. Dabei gibt es komplementär zum Risiko als ungewisse, negative Wirkung eine positive Wirkung - die Chance. Risiken kann man eingehen während man Gefahren nur erleidet. Zu beachten ist, dass nicht nur eine in Betracht kommende Handlung risikoreich ist, sondern auch die Alternativhandlung oder auch die Unterlassung. Unter Gefahr versteht Luhmann jede Möglichkeit eines Schadens, deren Eintritt der Umwelt zugerechnet wird. Dagegen liegt ein Risiko vor, wenn die eigene Entscheidung einen Nachteil verursachen kann, d.h. bei einer anderen Entscheidung der mögliche Schaden ausbleiben würde. Bei der Unterscheidung von Gefahr und Risiko kommt es also auf die Perspektive an - ist man Subjekt oder Objekt? "Das, was dem Entscheider als Risiko erscheint, ist für den Betroffenen eine Gefahr."
Als ein weiteres Charakteristikum zur Abgrenzung von Risiko und Gefahr beschreibt Bonß Zurechenbarkeit und Verantwortbarkeit. So sind Gefahren als subjektunabhängige und demnach vom Individuum nicht beherrschbare Unsicherheiten nicht verantwortbar. Demzufolge erscheinen z.B. Unglücke als schicksalhaft und nicht beeinflußbar. Im Gegensatz dazu sind Risiken menschlich erzeugt - ein bewußtes Wagnis, für dessen Folgen der Handlungsträger zur Rechenschaft gezogen werden kann. Zu beachten ist, dass durch eine Übertragung der Verantwortbarkeit, sich Gefahren in Risiken verwandeln können. Dies ist z.B. bei Dämmen, die gegen Fluten schützen, der Fall. So kann durch die Möglichkeit, Dämme zu bauen, die Bedrohung "Flut" verringert werden. Dadurch wird nun die "Gefahr" Flut zu einem "Risiko": das Risiko beruht auf der Entscheidung, den Damm nicht zu bauen und verhinderbare Verluste bei einer Flut in Kauf zu nehmen oder den Damm zu bauen und bei Ausbleiben der möglichen Fluten den Damm umsonst gebaut bzw. unnötig Ressourcen verschwendet zu haben.
Nach Beck sind Risiken entscheidungsbedingte, kalkulierbare Unsicherheiten, die in der Industriegesellschaft entstehen. Risiken setzen, ökonomisch gesehen, Nutzenabwägungen voraus, sind berechenbar und entstehen als industrielle Nebenfolgen technisch-ökonomischer Vorteile im Prozeß des industriellen Fortschritts.
Ökologische, atomare, chemische und genetische Großgefahren bezeichnet Beck als spätindustrielle, nicht beherrschbare Gefahren und trennt sie von Risiken in folgenden Punkten: Einerseits ist keine örtliche, zeitliche und soziale Eingrenzung möglich, andererseits entsprechen sie nicht den Regeln von Kausalität, Schuld und Haftung. Außerdem sind sie nicht versicherungsfähig, da das ökonomische Risiko den privatwirtschaftlichen Versicherungskonzernen zu groß oder unkalkulierbar erscheint.
In der folgenden Tabelle wird der Unterschied zwischen vorindustriellen Gefahren, die schicksalhaft von außen zugewiesen werden, und entscheidungsbedingten, berechenbaren industriellen Risiken deutlich. Für Becks Risikogesellschaft ist kennzeichnend, dass in der heutigen Zeit wieder nicht kalkulierbare Unsicherheiten auftreten und zwar in Form von spätindustriellen, technischen Großgefahren.
Tabelle 1: Risiken und Gefahren
| Vorindustrielle Hochkulturen | Klassische | Industrielle |
Art und Beispiel | Gefahren, Naturkatastrophen, Pest | Risiken, Unfälle (Beruf, Verkehr) | Selbstgefährdungen, künstliche Katastrophen |
Entscheidungsabhängig entstanden? | Nein: | Ja: | Ja: atomare, chemische, genetische Industrien und politische |
Freiwilligkeit | Nein: | Ja (z.B. Rauchen, Auto, Skifahren, Beruf) | Nein: Kollektiventscheidung, individuell nicht vermeidbare |
| Externes | Regelgeleitete Zurechenbarkeit | Ja und nein |
Reichweite, | Länder, Völker. Kulturen | Örtlich, zeitlich, sozial begrenzte Ereignisse und Zerstörungen | Unabschließbare "Unfälle" |
Kalkulierbarkeit (Ursache-Wirkung, Risiko-Versicherung) | Offene Unsicherheit; politisch neutral, da Schicksal | Kalkulierbare Unsicherheit (Wahrscheinlichkeit, Entschädigung) |
|
Quelle: Beck, Ulrich (1988), Gegengifte. Die organisierte Unverantwortlichkeit. Frankfurt am Main - Suhrkamp Verlag, pp. 121f.
2 Die Konstruktion des Risikos
Wie schon in Kapitel 1.1 beschrieben, gibt es keine einheitliche Definition des Risikobegriffs. Risiken werden von Experten und Laien, von Entscheidern und Betroffenen oder von politischen Parteien und sozialen Bewegungen unterschiedlich bewertet. Das verdeutlicht, dass Risiko ein Konstrukt ist. So beschreiben Holzheu und Wiedemann Risiko nicht nur als Beobachtungsgegenstand, sondern als Beobachtungskonzept. Demnach werden Risiken durch eine Art Brille erfaßt. Sie entsprechen nicht der unmittelbaren Wirklichkeit, sondern werden von der jeweiligen "Brille" und der Sichtweise beeinflußt. Risiko ist also Ergebnis eines Wahrnehmungs- und Urteilsprozesses:
Das Material, aus dem Risiken konstruiert werden, liefern uns die Sinne. Aber ob wir etwas als Risiko auffassen oder nicht, hängt ab von unseren Urteilen, die von Meinungen, Moden und Moralvorstellungen geprägt sind. Daraus resultiert eine Bewertungsvielfalt:
Was für die einen ein Risiko ist, braucht für den anderen noch lange keins zu sein.
Tabelle 2: Risiko-Rangeinschätzung bei Mitgliedern einer Frauenbewegung, bei Studenten und bei Experten (in den USA); dem größten Risiko wird Rang 1 zugeordnet.
Faktor | Experte | Mitglieder einer Frauenbewegung | Studenten |
Autofahren | 1 | 2 | 5 |
Rauchen | 2 | 4 | 3 |
Alkohol | 3 | 6 | 7 |
Schußwaffen | 4 | 3 | 2 |
Chirurgie | 5 | 10 | 11 |
Kraftradfahren | 6 | 5 | 6 |
Röntgenbestrahlung | 7 | 22 | 17 |
Schwimmen | 10 | 19 | 20 |
Kernkraft | 20 | 1 | 1 |
Quelle: Rapoport, Anatol (1989), "Risiko und Sicherheit in der heutigen Gesellschaft: Die subjektiven Aspekte des Risikobegriffs". In: Leviathan, Jg. 16, p. 133
Die Tabelle zeigt, dass bei den obersten sechs Faktoren sich die Risikoeinschätzungen der verschiedenen Gruppen nicht groß unterscheiden. Lediglich die Studenten schätzen die Risiken von Autofahren und Alkohol etwas geringer ein. Dagegen zeigen sich beim Schwimmen und Röntgenbestrahlung deutliche Diskrepanzen und die Kernkraft, die bei den Experten an 20. Stelle steht, nimmt bei Frauen und Studenten den ersten Rang ein. Rapoport führt diesen Unterschied auf das "Selbstverantwortlichkeitsgefühl" zurück: "Beim Autofahren wie beim Schwimmen glaubt der Handelnde, dass er in großem Maße die Ereignisse kontrollieren kann. Daher glaubt er, er könne das Risiko vermindern, indem er vorsichtig handelt. Gegen die Drohung eines Kernkraftwerkunfalls dagegen fühlt er sich hilflos."
Bei den neuen bzw. "modernen" Gefahren, wie Beck sie beschreibt, stellt sich das Problem, dass sie sich primär der menschlichen sinnlichen Wahrnehmung entziehen. Daher werden Naturwissenschaftler und ihre Meßmethoden gebraucht. Sie ermitteln Giftgehalte in Luft, Wasser, Boden, Pflanzen und Nahrungsmitteln und stellen über komplexe Klimamodelle Vorhersagen auf. Die Politik setzt danach Grenzwerte als Entscheidungskriterium für Gefahren fest. Das Konzept der Grenzwertfestsetzung zur Gefahrenverwaltung ist jedoch aus ökologischer Sicht problematisch. So suggerieren Schadstoffausstösse oder
-konzentrationen, die unter den Grenzwerten liegen, eine Normalität und Gefahrenlosigkeit, obwohl die normative Bestimmung der Grenzwerte eher von der industriellen Akzeptanz und vom Nichtbehindern des wirtschaftlichen Wachstums abhängt als sie von gesundheitlichen oder ökologischen Aspekten beeinflußt wird. So gelten bspw. Ozonwerte erst ab 180 mg/E als kritisch, obgleich schon deutlich niedrigere Werte, z.B. bei Kleinkindern, gesundheitliche Schäden verursachen können. Zudem können die Grenzwertlisten nicht so schnell erweitert werden, wie neue Gefahren- und Giftstoffe auf den Markt kommen. Schließlich vernachlässigen jegliche Grenzwerte die Summierungseffekte. Nach Beck wird dadurch eine Politik der Gefahrenlegalisierung betrieben und damit die staatlichen Kontroll- und Sicherheitsversprechen widerlegt. Beck ist zudem der Meinung, dass die Grenzwerte das Verursacherprinzip "aushebeln", da die Verursacher, die zur Verantwortung gezogen werden sollten, dadurch geschützt werden. Er nennt dies die "organisierte Unverantwortlichkeit".
Risiken sind wissensabhängig, aber das Wissen um die neuen Gefahren der Großtechniken wird selten durch eigene Erfahrungen, sondern aus "zweiter" oder "dritter Hand" durch die Massenmedien erlangt. Nach Untersuchungen von Dunwoody und Peters sind Journalisten zwar nicht technikkritisch eingestellt und neigen nicht zu Sensationalismus und Unausgewogenheit gegenüber wissenschaftlichen Risikoinformationen, aber man kann davon ausgehen, dass aufgrund der Medienwirksamkeit von Katastrophen, Umweltskandalen und Bedrohungen die Berichterstattung ein verzerrtes Bild von den tatsächlichen Umwelt- und Technikrisiken zeigt.
Bemerkenswert hierzu ist die Meinung von Wildavsky: "Neue Informationen bringen die Menschen viel eher dazu, Gefahren höher, aber nur selten dazu, sie niedriger einzuschätzen." Allerdings haben laut Wildavsky weniger das Wissen über Risiken oder die Persönlichkeitsmerkmale einen Einfluß auf den Umgang mit Risiken, sondern v.a. die Kultur prägt die Risikowahrnehmung. Aufbauend auf einen Vergleich der Risikowahrnehmung von sozialen Gruppen unterschiedlicher Ethnien unterscheidet er zwischen vier "Risikokulturen": Bürokraten, Egalitäre, Individualisten und Fatalisten. So sind Bürokraten davon überzeugt, dass die Großtechniken kontrollier- und regulierbar seien. Individualisten sehen Risiko v.a. als Herausforderung oder Chance zu ihrem eigenen Vorteil während Anhänger des Egalitarismus nur Risiken eingehen, um individualistische und hierarchische Strukturen aufzulösen und Ausgleich zu schaffen. Fatalisten stehen dem Risiko abgeneigt gegenüber, da sie glauben, dass alles in der Welt zufällig geschieht und die Natur nicht zu überlisten sei. Laut Wildavsky bestimmt nicht "...das, was irgendwie 'in' den Ereignissen steckt [...] die Wahrnehmung, sondern das, was man in sie einbringt".
Die Bedeutung unterschiedlicher kultureller Wahrnehmung unterstützt Beck und betont im Zusammenhang mit ökologischen Fragen die Bedeutung erfahrbarer Symbole. Er stellt die These auf, dass nicht die Zerstörung der Natur, sondern die Gefährdung eines bestimmten kulturellen Entwurfs von Natur, in Deutschland z.B. symbolisiert durch den Wald, Ursache von Protestbewegungen sind. Demgegenüber gelten z.B. in Frankreich Kernkraftwerke als Symbole höchsten technischen Fortschritts und dienen trotz Tschnernobyl als Pilgerstätten.
3 Natur und fabrizierte Unsicherheiten
Grundlegend für Becks Ökologieverständnis ist, dass er die Gegenüberstellung von Natur und Gesellschaft für ein Konstrukt des 19. Jahrhunderts hält, welches auf der Annahme beruhte, dass die Natur zu beherrschen oder zu ignorieren wäre. Zudem gibt es "die Natur", auf die sich insbesondere die Umweltschützer berufen, nicht mehr. Wir haben heute eher einen "Naturverschnitt" oder eine "Kunstnatur" als Ergebnis der gesellschaftlichen Eingriffe. Auffallend ist, dass Beck nicht von Umwelt-, sondern von "Innenwelt-Problemen" spricht. Damit möchte er wohl verdeutlichen, dass Umweltprobleme keine Probleme sind, die von außen kommen, sondern innere d.h. gesellschaftliche Ursachen haben.
Für Beck steckt die Politik in einer ökologischen Krise, da die Folgen und Gefahren der technischen Großindustrie inzwischen global sind. Diese selbstfabrizierten Unsicherheiten der modernen Gesellschaft unterlaufen die industriegesellschaftlichen Kontrollinstanzen, wie das Versicherungsprinzip, der Katastrophenschutz oder vorsorgende Nachsorge. Die Grenze der privatwirtschaftlichen Versicherbarkeit, also wo das "Tauschprinzip" Geld gegen Schaden nicht mehr greift, sieht Beck dabei als idealen Indikator für die neuen Gefährdungslagen. Dies paßt sicherlich für manche Großtechniken, wie z.B. für Atomkraftwerke oder Chemische Großanlagen. Allerdings sind meiner Meinung nach diese Gefährdungen trotz vereinzelt großer Schadensereignisse, wie z.B. Tschernobyl, Bhopal oder Basel, für die Ökologie global nicht relevant. Ökologische Gefährdungen sind meist "schleichende Katastrophen" und keine Einzelunfälle, wie z.B. Versauerung der Böden, Überfischung der Gewässer, Waldsterben oder Rückgang der Artenvielfalt. "Und das größte Risiko, die globale Klimaerwärmung, hat mit unfallträchtiger High Tech gar nichts zu tun; es folgt aus der fortgesetzten massenhaften Anwendung alter Techniken, die hundert Jahre lang als problemlos galten." Zudem liegen auch die Folgen der Politik jenseits von Versicherbarkeit oder stellen etwa die Privatisierung der Telekom oder die europäische Währungsunion ökologische Großgefährdungen dar?
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