Wie wirklich ist die Wirklichkeit

Konstruktivismus

Ist die in der Philosophie der Mathematik zwischen Formalismus und Platonismus stehende Position, nach der die Existenz mathematischer Objekte zwar prinzipiell nicht geleugnet, aber nur insoweit anerkannt wird, als ihre Existenz beweisbar ist.

Dieses Buch handelt davon, dass die so genannte Wirklichkeit das Ergebnis von Kommunikation ist.

Die Wirklichkeit ist das, was wirklich der Fall ist, und Kommunikation nur die Art und Weise sie zu beschreiben und mitzuteilen.

Wir müssen oft Tatsachen verdrehen, damit sie unserer Wirklichkeitsauffassung nicht widersprechen. Es gibt zahllose Wirklichkeitsauffassungen, die sehr widersprüchlich sein können, die alle das Ergebnis von Kommunikation sind.

Das Studium der so genannten Pragmatik der menschliche Kommunikation, das heißt der Art und Weise, in der sich Menschen durch Kommunikation gegenseitig beeinflussen, dieses Studium ist ein verhältnismäßig neuer Zweig der Forschung. (Es können dadurch ganz verschiedene "Wirklichkeiten", Weltanschauungen und Wahnvorstellungen entstehen.)

Achtung: Buch wurde schon 1978 veröffentlicht!

Der Glaube, dass die eigene Sicht der Wirklichkeit die Wirklichkeit schlechthin bedeute, ist eine "gefährliche" Wahnidee.

Einteilung des Buches

Teil Eins

Es handelt von Konfusion, das heißt von Kommunikationsstörungen und der daraus folgenden Verzerrungen des Wirklichkeitserlebnisses.

Teil Zwei

Es untersucht den Begriff der Desinformation, womit jene Komplikationen und Störungen der zwischenmenschlichen Wirklichkeit gemeint sind, die sich bei der aktiven Suche nach Information ergeben können.

Teil Drei

Dieser Teil ist den faszinierenden Problemen der Anbahnung von Kommunikation dort gewidmet, wo noch keine besteht.

Konfusion

Konfusion ist die Folge gescheiteter Kommunikation und hinterlässt den Empfänger in einem Zustand der Ungewissheit oder eines Missverständnisses.

Konfusion ist ein recht alltägliches Ereignis, sie ist unerwünscht und daher zu vermeiden.

Konfusion ist das Spiegelbild "guter" Kommunikation.

Es gibt Formen sprachlicher Konfusion die sich aus der unterschiedlichen Bedeutung gleicher oder ähnlicher Worte ergeben.

Eine sprachliche Konfusion besteht ebenfalls bei den österreichischen und italienischen Bienen bei der Beschreibung der Entfernung der Futterquelle:

    Rundtanz: wenn sich der gefundene Nektar in unmittelbarer Nähe des Stocks befindet. Sicheltanz: Futter befindet sich in mittlerer Entfernung vom Stock. Schwänzeltanz: Futter ist weit vom Stock entfernt.

Diese Bienenarten kreuzen sich, leben friedlich zusammen, sprechen aber unterschiedliche Dialekte, das heißt, die erwähnten Entfernungsangaben haben für sie verschiedene Bedeutung.

Die italienische Biene verwendet den Schwänzeltanz zur Angabe von Entfernungen über vierzig Meter, während für die österreichische dasselbe Signal eine Entfernung von mindestens neunzig Metern bedeutet.

Es gibt unzählige Verhaltensformen, die allen Mitgliedern einer bestimmten Kultur zur Vermittlung averbaler Kommunikation dienen.

Diese Verhaltensweisen sind das Resultat des Aufwachsens und der Sozialisierung in einer bestimmten Kulturform, Familientradition usw. und werden dadurch sozusagen in uns hineinprogrammiert.

Die Ethnologen verweisen darauf, dass es in verschiedenen Kulturen buchstäblich Hunderte von Formen der Begrüßung, des Ausdrucks von Freude oder Trauer, des Sitzens, Stehens, Gehens, Lachens usw. gibt.

In jeder Kultur gibt es eine Regel über den richtigen Abstand, den man einem Fremden gegenüber z.B.: bei der Begrüßung einzunehmen hat.

Bei Nordamerikanern und Westeuropäern ist der Abstand wesentlich größer als bei Lateinamerikanern. Solange die Kommunikationsteilnehmer denselben Abstand einhalten, kann zwischen diesen kein Konflikt entstehen. Wenn sich nun aber ein Nordamerikaner und ein Südamerikaner in dieser Situation befinden, werden beide das Gefühl haben, dass sich der andere "falsch" benimmt und beide werden versuchen, die Situation zu korrigieren.

Der Nordamerikaner wird die Situation als unangenehm empfinden und durch Zurücktreten die für ihn "richtige" Distanz herstellen, der Südamerikaner hat aber dann das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, und wird aufrücken.

Weiteres Beispiel: Ehezwist/ Flitterwochen (verschiedene Interpretationen vom Zweck und der Bedeutung der Flitterwochen S.18)

In beiden Fällen bräuchte man einen "Übersetzer", der mehr als nur Sprachen kennen muss.

Wichtig ist auch die Tatsache, dass eine Sprache nicht nur Information übermittelt, sondern auch Ausdruck einer ganz bestimmten Wirklichkeitsauffassung ist.

Verschiedene Sprachen sind nicht ebenso viele Bezeichnungen einer Sache, es sind verschiedene Ansichten derselben.

Diese Eigenschaft aller Sprachen fällt besonders in internationalen Konferenzen ins Gewicht, wo es zum Zusammenprall von Ideologien kommt.

Paradoxien

Man sieht, dass Konfusion überall dort auftreten kann, wo von einer Sprache (im weitesten Sinne) in eine andere übersetzt werden muss. Es kann sich aus verschiedenen Gründen ergeben, dass eine Mitteilung für Sender und Empfänger verschiedenen Sinn und Bedeutung hat.

Die Konfusion ist im nächsten Beispiel nicht als Folge einer Störung des Übertragungsvorganges aufgetreten, sondern sie ist in der Struktur der Mitteilung selbst enthalten.

Erstes Beispiel: Der Teufel stellte die Allmacht Gottes dadurch in Frage, dass er ihn aufforderte, einen Felsen zu schaffen, der so riesengroß war, dass nicht einmal Gott selbst ihn aufheben konnte. Wie vereinbart sich das mit Gottes Allmächtigkeit? Solange er den Felsen aufheben kann, hat er es nicht fertig gebracht, ihn groß genug zu schaffen; kann er ihn aber nicht heben, so ist er aus diesem Grunde nicht allmächtig.

Zweites Beispiel: "IGNORE THIS SIGN" - Um diese Aufforderung zu befolgen, muss man das Schild erst lesen. Damit verletzt man die Anweisung der Nichtbeachtung.

Drittes Beispiel: Corry fragt Mary Poppins, ob ihre Tochter noch keine Pfefferkuchen hergegeben hat, andererseits beklagt sie sich darüber, dass ihre Tochter gerade im Begriff war, dieses zu tun, ohne die Erlaubnis der Mutter. Bei Corrys Tochter lassen sich drei Variationen des Grundthemas unterscheiden:

    Wer für seine Wirklichkeitswahrnehmungen oder für die Art und Weise, wie er sich selbst sieht, von Menschen, die für ihn lebenswichtig sind, getadelt wird, wird schließlich dazu neigen, seinen Sinnen zu misstrauen. Durch Unsicherheit kommt es zu der Aufforderung der anderen, sich mehr anzustrengen und die Dinge "richtig" zu sehen. Es wird der Person immer wieder nahe gelegt, sie habe Unrecht, dadurch fällt es ihr noch schwerer, sich in der Welt und in zwischenmenschlichen Situationen zurechtzufinden. Sie wird in ihrer Konfusion dazu neigen, auf immer abwegigere Weise nach jenen Sinnzusammmenhängen und jener Ordnung der Wirklichkeit zu suchen, die den anderen anscheinend so klar sind, ihr aber nicht. Ihr Verhalten (in künstlicher Isolierung) würde dem klinischen Bild der Schizophrene entsprechen. Wer von für ihn lebenswichtigen Personen dafür verantwortlich gemacht wird, anders zu fühlen, als er fühlen sollte, wird sich schließlich dafür schuldig fühlen, nicht die richtigen Gefühle in sich erwecken zu können. Ein Dilemma ergibt sich dann, wenn Eltern der Meinung sind, ein richtig erzogenes Kind müsse ein fröhliches Kind sein. "Nach allem, was wir für dich getan haben, solltest du froh und zufrieden sein." Auf diese Weise wird die kleinste Traurigkeit oder Verzagtheit des Kindes zu Undankbarkeit und Böswilligkeit abgestempelt und kann in ihm endlose Gewissensqualen erzeugen. Das sich daraus ergebende Verhalten (in künstlicher Isolierung) des Kindes entspricht dem klinischen Bild der Depression. Wer von Personen, die für ihn lebenswichtig sind, Verhaltensanweisungen erhält, die bestimmte Handlungen sowohl erfordern als auch verbieten, wird dadurch in eine paradoxe Situation versetzt, in der er nur durch Ungehorsam gehorchen kann.
    Beispiel: Es gibt Eltern, die sehr großen Wert auf Gewinnen bei ihren Kindern legen, ihnen würde auch jedes Mittel recht sein. Andererseits legen sie auch großen Wert auf Fairness und Ehrlichkeit.
    Beispiel: Wenn eine Mutter ihre Tochter bereits in sehr frühem Alter vor der Hässlichkeit und den Gefahren alles Sexuellen zu warnen beginnt, gleichzeitig aber dem Mädchen "eintrichtert", dass man sich als Frau von Männern umschwärmen und begehren lassen soll.
    Das sich aus diesem Widerspruch ergebende Verhalten entspricht häufig der sozialen Definition der Haltlosigkeit. Die "Sei spontan!"- Paradoxien: Entstehen dann, wenn ein Partner vom anderen ein ganz bestimmtes spontanes Verhalten fordert, das sich aber deswegen nicht spontan ergeben kann, weil es gefordert wurde. Geforderte Spontanität führt in die paradoxe Situation, in der die Forderung ihre eigene Erfüllung unmöglich macht.
    Beispiel: Ehefrau beklagt sich bei ihrem Mann, ihr doch gelegentlich Blumen mitzubringen. Sie hat sich nun die Erfüllung ihrer Sehnsucht endgültig verbaut. Wenn er ihren Wunsch ignoriert, wird sie sich noch weniger geliebt fühlen. Kommt er aber doch einmal mit Blumen, so wird sie trotzdem unzufrieden sein, denn er bringt ihr die Blumen ja nicht spontan von sich aus, sondern nur, weil sie es verlangte.

Paradoxien sind universal, und sie können ihr Unwesen in allen möglichen Gebieten menschlicher Beziehungen treiben. Es besteht guter Grund zur Annahme, dass sie unsere Wirklichkeitsauffassung nachhaltig beeinflussen können.

Vorteile der Konfusion

Situation: Susi betritt ein Zimmer, und die dort Anwesenden brechen in lautes Lachen aus. Für sie ist das sehr verwirrend, denn entweder sehen sie die Situation anders, oder sie sind im Besitz von Informationen, die ihr unbekannt sind. Sie sucht nun nach Anhaltspunkten für das Lachen (dreht sich z.B. um, ob irgendjemand Faxen hinter ihrem Rücken macht, verlangt eine Erklärung für ihr Verhalten...)
Jeder Zustand der Konfusion löst also eine sofortige Suche nach Anhaltspunkten aus, die zur Klärung der Ungewissheit und dem damit verbundenen Unbehagen dienen können. Eine Folge von Konfusion, nämlich die Tatsache, dass sie unsere Wahrnehmung für unter Umständen kleinste Einzelheiten schärft, ist von großem Interesse. In ungewöhnlichen Lagen, zum Beispiel in großer Gefahr, sind wir unvermutet gewisser Reaktionen fähig, die vollkommen aus dem Rahmen unseres Alltagsverhaltens fallen können. Im Bruchteil einer Sekunde und ohne auch nur zu überlegen, können wir komplizierte, lebensrettende Entscheidungen treffen und durchführen.

"Der kluge Hans"

Ein gewisses Maß an absichtlicher Unaufmerksamkeit erhöht unsere Sensibilität gerade für die besonders kleinen, averbalen Kommunikationen, die in zwischenmenschlichen Situationen oder solchen zwischen Mensch und Tier von besonders ausschlaggebender Bedeutung sein können.
Diese Phänomene sind von großem Interesse für die Kommunikationsforschung und für Untersuchungen der Natur dessen, was wir Wirklichkeit nennen.
1904 ging einer der ältesten Wunschträume der Menschheit in Erfüllung: Die Verständigung zwischen Mensch und Tier. Ein pensionierter Lehrer in Berlin hat seinem Pferd Hans, einem 8-jährigen Hengst, Arithmetik beigebracht, auch die Fähigkeit, die Uhr zu lesen, und Fotos von Leuten zu erkennen, die ihm vorgestellt worden waren. Der Kluge Hans klopfte das Ergebnis mathematischer Aufgaben mit seinem Huf. Die Ergebnisse nichtnumerischer Aufgaben buchstabierte er (indem er für a einmal klopfte, für b zweimal usw.) Seine Fähigkeiten wurden äußerst sorgfältigen, wissenschaftlichen Prüfungen unterzogen, man wollte die Möglichkeit einer Täuschung durch geheimes Signalisieren seitens seines Herrn gänzlich ausschalten. Hans Leistungen waren in Abwesenheit seines Herrn fast ebenso gut wie in dessen Gegenwart! Wissenschaftler und Fachleute schlossen eine absichtliche Täuschung aus wie auch eine unwillkürliche Zeichengebung.
Jedoch im Dezember 1904 hatte Prof. Dr. Carl Stumpf festgestellt, dass das Pferd versagt, wenn die Lösung der gestellten Aufgabe keinem der Anwesenden bekannt ist. Das Pferd versagt auch, wenn es durch große Scheuklappen die Personen, denen die Lösung der Aufgabe bekannt ist, (meistens der Fragesteller) nicht sehen kann. Das heißt: das Pferd muss im Laufe des langen Rechenunterrichts gelernt haben, während des Tretens immer genauer die kleinen Veränderungen der Körperhaltung, mit denen der Lehrer unbewusst die Ergebnisse seines eigenen Denkens begleitet, zu beachten und als Schlusszeichen zu benutzen.
Wir Menschen senden fortwährend Signale aus, deren wir uns unbewusst sind und über die wir daher keinen Einfluss haben.
Jeder, der eine enge Beziehung zu einem Tier (besonders Katze, Hund, Pferd) hat, weiß, wie erstaunlich genau die Wahrnehmungen und das Verständnis dieses Tieres besonders dann zu sein scheint, wenn es sich um affektgeladene Situationen handelt. In solchen Situationen geben wir vorübergehend einige unserer intellektuellen Haltungen auf und werden somit dem Tier viel verständlicher. Tiere sind total auf die richtige Wahrnehmung und Auslegung kleinster Anhaltspunkte angewiesen. In ihrem täglichen Leben, vor allem auf freier Wildbahn, sind sie dauernd Situationen ausgesetzt, die für ihr Überleben die richtige Einschätzung der Situation und die richtige Entscheidung in Bruchteilen von Sekunden erfordern.

Subtile Beeinflussung

Nicht nur Tiere, sondern auch wir Menschen unterliegen also Beeinflussungen, die uns nicht bewusst sind und zu denen wir daher auch keine bewusste Stellung ergreifen können. Wir selbst sind nicht nur Empfänger, sondern auch Sender solcher außerbewusster Beeinflussungen, wie sehr wir uns auch bemühen mögen, sie zu vermeiden. Wir beeinflussen unsere Mitmenschen fortwährend in verschiedenster Weise, ohne uns dessen bewusst zu sein. Diese Sparte der Kommunikationsforschung stellt uns vor philosophische und ethische Probleme der Verantwortlichkeit. Sie zeigt nämlich, dass wir die Urheber von Einflüssen sein können, von denen wir nichts wissen, und die uns unter Umständen völlig unannehmbar wären, wenn wir von ihnen wüssten.

Beispiel: die Mutter eines Jugendkriminellen legt oft zwei sehr widersprüchliche Haltungen an den Tag:

    eine "offizielle" kritische, die gutes Benehmen und Respekt für gesellschaftlichen Normen verlangt und eine ganz andere, averbale, indirekte und provozierende Haltung, der sie sich selbst in Tat und Wahrheit unbewusst ist. Dem Außenstehenden, und vor allem ihrem Sohn, ist das Leuchten ihrer Augen und ein gewisser "Stolz" bei der Aufzählung des Sündenregisters ihres Kindes unverkennbar.

Eckhard H. Hess (Universität Chicago) beschäftigte sich mit solchen averbalen, mittelbaren Einflüssen. Er fand heraus, dass die Pupillengröße keineswegs nur von der Stärke des einfallenden Lichts abhängt, sondern auch von gefühlsmäßigen Faktoren. Er konnte im Laufe seiner Untersuchungen feststellen, dass Zauberkünsteler und Taschenspieler plötzliche Veränderungen der Pupillengröße genau beachten und daraus ihre Schlussfolgerungen ziehen. Wird zum Beispiel jene Karte aufgeschlagen, die sich die Versuchsperson merkte, so vergrößern sich meist ihre Pupillen.

Pupillenreaktionen sind also nur eine von vielen averbalen und außerbewussten Verhaltensweisen, die die zwischenmenschliche Wirklichkeit alltäglich und nachhaltig beeinflussen.

Außersinnliche Wahrnehmung

Es besteht also kein Zweifel, dass wir alle viel mehr wahrnehmen und von unseren Wahrnehmungen viel mehr beeinflusst werden, als wir wissen. Wir sind in einem dauernden Austausch von Kommunikationen begriffen, über die wir uns nicht bewusst Rechenschaft geben, die unser Verhalten aber weitgehend bestimmen.

Versuch: 25 Karten, von denen je 5 dasselbe Symbol haben (Kreuz, Kreis, Quadrat, Fünfeck oder Wellenlinie). Versuchsperson soll Symbol der Karte erraten, die Versuchsleiter abhebt und ansieht.

Versuchsperson rät einmal pro Karte, Versuchsleiter teilt sofort mit, ob sie richtig oder falsch geraten hat. Es wird eine Konfusion erzeugt, in der die Versuchsperson zu den subtilsten Wahrnehmungen Zuflucht nimmt. Wenn nun der Versuchsleiter beim Ansehen eines bestimmten Symbols jeweils dasselbe minimale Anzeichen gibt (z.B.: winzige Kopfbewegung) steigt die Erfolgskurve der Versuchsperson rasch an (vorausgesetzt, es wird dasselbe Minimalzeichen für dasselbe Symbol gegeben).

Das Interessante ist, dass die Versuchsperson den wahren Grund für den Erfolg nicht kennt und fest annimmt, tatsächlich "außersinnliche" Fähigkeiten in sich entdeckt zu haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach beruht ein Großteil angeblichen Gedankenlesens und Hellsehens eben auf dieser menschlichen Wahrnehmungs- und Deutungsfähigkeit minimaler Anzeichen.

Desinformation

Bisher hat sich Watzlawick mit Situationen befasst, in denen eine Mitteilung ihren Empfänger in der vom Sender beabsichtigten Form entweder deswegen nicht erreicht, weil ein Hindernis in der Übermittlung oder Übersetzung dies unmöglich machte oder weil die Mitteilung selbst so geartet war, dass sie ihrer eigenen Bedeutung widersprach und damit eine Paradoxie schuf. In beiden Fällen führte dies zu Konfusion. Eine durch Konfusion erzeugte Wirklichkeit löst ein sofortige Suche nach Ordnung aus. Diese Form von Unwirklichkeit kann auch durch bestimmte Experimente herbeigeführt werden. Sehr merkwürdige Störungen der Wirklichkeitsauffassung können dann auftreten, wenn diese Ordnung schwer zu erfassen ist oder überhaupt nicht besteht.

Es gibt genug Lebenssituationen, die neuartig sind und zu deren Lösung keine oder nur unzureichende frühere Erfahrungen zur Verfügung stehen. Der Zustand von Desinformation wird durch einen Mangel an direkt anwendbarer Erfahrung und die sich daraus ergebende Unfähigkeit, das Wesen der Situation auf Anhieb zu erfassen, gebildet. Wenn nun eine solche Situation keinerlei innere Ordnung hat, dieser Umstand dem Betreffenden aber unbekannt ist, so wird er nach Sinnbezügen zu Wirklichkeitsauffassungen und Verhaltensformen suchen. Bei den folgenden Experimenten besteht keine ursächliche Beziehung zwischen dem Verhalten des Versuchstiers (oder der Versuchsperson) und der Belohnung (oder Bestrafung) für dieses Verhalten.

Das betreffende Wesen glaubt, es besteht eine unmittelbare, erfassbare Beziehung (eine so genannte Kontingenz) zwischen seinem Verhalten und den sich daraus ergebenden Folgen, während diese nicht besteht.

Ein nichtkontingentes Experiment:
"Das neurotische Pferd": eine Glocke läutet, kurze Zeit später gibt es einen leichten elektrischen Schock auf der Metallplatte im Boden. Das Pferd wird rasch eine Kausalbeziehung zwischen dem Glockensignal und dem Schock vermuten. Es wird daher beim Glockenzeichen den betreffenden Huf vom Boden abheben. Schockapparat abmontieren - Pferd wird trotzdem beim Läuten der Glocke Huf heben, um auf dies bewährte und verlässliche Weise den Schock zu vermeiden.
Dies führt zu dem interessanten Resultat, dass das Tier jedes Mal, wenn es den Huf hebt und "daher" keinen Schock erhält, in der Annahme bestätigt wird, das Heben des Hufs sei das richtige Verhalten, das vor einem unangenehmen Erlebnis schützt. Dieses Verhalten macht es aber dem Pferd unmöglich, die wichtigste Entdeckung zu machen, dass die Bedrohung durch den Schock nicht mehr besteht. Seine Lösung ist also zu einem Problem geworden.
Beim Menschen würde man von einem neurotischen oder psychotischen Symptom sprechen.

Weiteres Experiment: "Die abergläubische Ratte":
Aberglauben gilt allgemein als eine typisch menschliche Schwäche oder als magischer Versuch, Einfluss über die Unberechenbarkeit des Lebens und der Welt zu gewinnen.
Versuch: Ratte wird in Raum gelassen, am anderen Ende steht Futternapf. 10 sec nach Öffnen des Käfigs fällt Futter in den Napf, vorausgesetzt, dass die Ratte erst 10 sec nach Öffnen des Käfigs zum Napf kommt. Kommt sie früher dorthin, bleibt Napf leer.
Nach einigem blinden Ausprobieren (dem so genannten Versuchs- oder Irrtumsverfahren) erfasst die Ratte die offensichtliche Beziehung zwischen dem Erscheinen (bzw. Nichterscheinen) von Futter und dem Vergehen der Zeit. Ratte braucht nur 2 Sekunden um zum Napf zu gelangen, die restlichen 8 Sekunden muss sie in einer Weise vergehen lassen, die ihrem natürlichen Impuls, direkt zum Futter zu laufen, widerspricht. Jedes, auch das zufälligste Verhalten der Ratte ist in diesen Sekunden selbstbestätigend und selbststärkend. Es kann zu jener Handlung kommen, von der sie annimmt, sie sei notwenig, um, dafür durch das Auftauchen von Futter belohnt zu werden - und das ist das Wesen dessen, was wir im menschlichen Bereich einen Aberglaubennennen.
Die Ratte führt nun Bewegungen aus, die sie zuerst rein zufällig ausführte, nun aber sorgfältig wiederholt, da für sie der Erfolg mit dem Futter ausschließlich davon abhängt. Denn jedes Mal, wenn sie beim Ankommen am Napf Fressen vorfindet, bestärkt dies die "Annahme", es sei durch ihr "richtiges Verhalten" erzeugt worden.
Es besteht eine Ähnlichkeit mit menschlichen Zwangshandlungen, die auf dem Aberglauben beruhen, sie seien zur Beschwichtigung oder Günstigstimmung einer höheren Macht notwendig.

Weiteres Experiment: "Der vielarmige Bandit":
Der vielarmige Bandit ist eine Maschine, die von Wright an der Stanford - Universität gebaut wurde. Sie hat 16 identische und unbezeichnete Klingelknöpfe, die kreisförmig auf einem Schaltbrett angeordnet sind. Im Mittelpunkt des Kreises ist ein 17. Druckknopf und über den Knöpfen ein dreistelliges Zählwerk angebracht. Die Versuchsperson muss die Knöpfe drücken und eine Höchstzahl von Punkten erzielen. Die Versuchsperson weiß aber nicht, wie sie das Erreichen kann und muss sich auf blindes Ausprobieren verlassen.
Langsam wird sich aber die Leistung der Person verbessern. Wenn der richtige Knopf gedrückt wird, ertönt ein Summerton und das Zählwerk wird einen Punkt mehr anzeigen. Die Versuchsperson muss aber nach dem Drücken eines Knopfes den Kontrollknopf in der Mitte drücken, um herauszufinden, ob sie damit einen Punkt gewonnen hat.
Was die Versuchsperson nicht weiß, ist, dass die "Belohnung" der Summerton, der ihr mitteilt, dass sie den "richtigen" Knopf gedrückt hat, nichtkontingent ist; das heißt, es besteht kein Zusammenhang zwischen den von ihr gedrückten Tasten und dem Ertönen des Summertons.
Im Verlauf der ersten 250 Versuche erhält die Versuchsperson eine gewisse Anzahl von Bestätigungen (Summertönen), die aber wahllos gegeben werden. Der Versuchsperson werden nur ungefähre Annahmen über die Regeln gestattet. Während der nächsten 50 Versuche erhält die Versuchsperson keinen einzigen Summerton, bei den letzten 25 Versuchen ertönt der Ton nach jedem Tastendruck.
Lage: Die Versuche schlagen anfangs fehl, bis der Ton auf einmal ertönt. Die Situation scheint vorläufig weder Hand noch Fuß zu haben. Langsam bilden sich einige scheinbar verlässliche Annahmen heraus. Gerade dann geht irgendetwas schief, das alles bisher Erarbeitete in Frage stellt. Kein einziger Versuch erweist sich als richtig. Doch dann kommt die entscheidende Entdeckung, man hat die Lösung gefunden, der Erfolg ist 100%ig.
An diesem Punkt wird der Versuchsperson die Wahrheit über die Versuchsanordnung mitgeteilt. Ihr Vertrauen in die Richtigkeit der eben erst mühsamst erarbeiteten Lösung ist aber so unerschüttlich, dass sie die Wahrheit zunächst nicht glauben kann. Einige nehmen sogar an, dass der Versuchsleiter derjenige ist, der einer Täuschung zum Opfer fiel oder dass sie eine unentdeckte Regelmäßigkeit gefunden haben.
Wenn wir nach langem Suchen und peinlicher Ungewissheit uns endlich einen bestimmten Sachverhalt erklären zu können glauben, kann unser darin investierter emotionaler Einsatz so groß sein, dass wir es vorziehen, unleugbare Tatsachen die unserer Erklärung widersprechen, für unwahr oder unwirklich zu erklären, statt unsere Erklärung diesen Tatsachen anzupassen. Dies kann bedenkliche Folgen für unsere Wirklichkeitsanpassung haben.
Wright konnte nachweisen, dass die Versuchspersonen, deren Versuche öfter als fünfzig Prozent mit dem Summerton belohnt wurden, verhältnismäßig einfache Erklärungen entwickelten.
Andere, deren Versuche mit weit unter fünfzig Prozent liegender Häufigkeit für richtig erklärt wurden, fanden das Problem häufig unlösbar und gaben auf.

Interpunktion

Eine Ratte erklärt sich wahrscheinlich das Verhalten des Versuchsleiters so: "Ich habe diesen Mann so trainiert, dass er mir jedes Mal Futter gibt, wenn ich diesen Hebel drücke." Damit beweist die Ratte, dass sie in derselben Reiz-Reaktionsfolge eine andere Gesetzmäßigkeit sieht als der Versuchsleiter. Für ihn ist der Hebeldruck der Ratte eine von ihr erlernte Reaktion auf einen von ihm unmittelbar vorher gegebenen Reiz. Die Ratte sieht aber die Wirklichkeit anders: Ihr Hebeldruck ist ein Reiz, den sie dem Versuchsleiter erteilt, worauf er mit dem Geben von Futter als erlernte Reaktion antwortet.
Obwohl beide also dieselben Tatsachen sehen, schreiben sie ihnen zwei sehr verschiedene Bedeutungen zu und erleben sie daher als zwei verschiedene Wirklichkeiten.

Interpunktieren heißt hier, der Wirklichkeit eine bestimmte Ordnung zuzuweisen und ohne diese Ordnung würde uns unsere Welt chaotisch, völlig unvorhersehbar und daher äußerst bedrohlich erscheinen. Man sieht also, dass das verschiedene Ordnen (interpunktieren) von Ereignisabläufen im eigentlichen Sinne des Wortes verschiede Wirklichkeiten erzeugt.

Beispiel: Eine Mutter mag sich als einzige Brücke zwischen ihrem Mann und ihren Kindern sehen. Ohne ihre dauernde Anstrengung, zwischen ihnen zu vermitteln, bestünde zwischen ihm und den Kindern überhaupt keine Bindung. Für den Mann ist die Mutter ein dauerndes Hindernis zwischen ihm und den Kindern '- wenn sie sich nicht dauernd einmischen würde, könnte er zu ihnen eine viel engere und herzlichere Beziehung haben.
Genau wie die Ratte und der Versuchsleiter sehen auch sie nicht die einzelnen Ereignisse als solche anders, sondern die Bedeutung, die innere Ordnung ihres Ablaufs - und dies führt dann zu widersprüchlichen Perspektiven wie "Brücke" oder "Hindernis".
Partner in einem Beziehungskonflikt begehen meist den Fehler, dass sie übersehen, dass sie ihre zwischenpersönliche Wirklichkeit widersprüchlich geordnet haben und nun blind annehmen, dass es nur eine Wirklichkeit und daher auch nur eine richtige Wirklichkeitsauffassung (nämlich die eigene) gibt. Daraus folgt zwangsläufig, dass der Partner verrückt oder böswillig sein muss, wenn er die Dinge ganz anders sieht.

Beispiel: In den letzten Phasen des Weltkriegs haben sich viele amerikanische Soldaten vorübergehend in Großbritannien aufgehalten. Vergleich des Paarungsverhaltens in den beiden Kulturen: es ergab sich, dass sowohl die amerikanischen Soldaten als auch die englischen Mädchen sich gegenseitig des Mangels an sexuellem Taktgefühl und Zurückhaltung bezichtigten. Es kam ein typisches Interpunktionsproblem ans Licht.
Das kulturspezifische Paarungsverhalten, vom ursprünglichen Kennen lernen bis zum Geschlechtsverkehr durchläuft sowohl in England als auch in den USA ungefähr dieselben dreißig Verhaltensstufen; die Reihenfolge dieser Verhaltensweisen ist aber in den beiden Kulturen verschieden. Während in den USA Küssen zum Beispiel relativ früh kommt und recht harmlos ist, gilt es in England für sehr erotisch und nimmt daher einen viel späteren Platz im Verhaltensablauf ein.
Wenn also der Amerikaner annahm, es sei Zeit für einen unschuldigen Kuss, war dieser Kuss für die Engländerin durchaus kein unschuldiges, sondern ein sehr unverschämtes Benehmen, das für sie keineswegs in dieses Frühstadium der Beziehung passte. Sie fühlte sich irgendwie um einen Teil des richtigen Paarungsverhaltens betrogen und sie musste sich auch entscheiden, ob sie diese Beziehung an diesem Punkt abbrechen oder sich ihrem Freund sexuell hingeben sollte. Nun fand der amerikanische Soldat das Verhalten seiner Freundin auf Grund seiner außerbewussten Verhaltensregeln als nicht in das Frühstadium der Beziehung passend und daher schamlos.
Es handelt sich hier um Konflikte die nicht auf einen der Partner reduziert werden können und dürfen, sondern die ausschließlich im Wesen der Beziehung liegen. Es ist typisch für solche Probleme, dass die Partner sie meist nicht von sich aus lösen können, da ihnen die zwischenpersönliche Natur des Konflikts verborgen bleibt und sie daher in einem Zustand der Desinformationen leben.

Ausbildung von Regeln

Angst, mit der auch unbedeutende Desinformationssituationen besetzt sein können, beweist, wie notwendig es ist, eine Ordnung im Laufe der Dinge zu sehen, oder eine Ordnung in die Ereignisse einzuführen, das heißt zu interpunktieren.
Es entsteht nun die Frage, wie Menschen sich in einer Situation verhalten, die für sie so ungewöhnlich und neuartig ist, dass frühere Erfahrung keinen Schlüssel zu ihrer Bewältigung bietet; eine Situation, für die nicht bereits ein Interpunktionsschema vorliegt.

Beispiel: Jemand hat sein erstes Rendezvous mit einem Mädchen, sie verspätet sich um zwanzig Minuten. Er erwähnt ihre Verspätung mit keinem Wort. Mit dieser Nichterwähnung bildet sich aber die erste Regel ihrer Beziehung heraus. Sie hat nun sozusagen das Recht, auch zu den künftigen Rendezvous zu spät zu kommen, und er hat "kein Recht", sie deswegen zu kritisieren. Täte er dies, so könnte sie die berechtigte Frage stellen: "Wieso beschwerst du dich heute plötzlich darüber?"

Es tauchen Regeln und Gesetzmäßigkeiten auf, besonders in zwischenmenschlichen Beziehungen verringert jeder Austausch von Verhalten die Zahl der bis dahin offenen Möglichkeiten. Es bedeutet, dass selbst dann, wenn ein bestimmtes Verhalten nicht ausdrücklich erwähnt, geschweige denn vom Partner ausdrücklich gutgeheißen wird, die bloße Tatsache seines Eintretens einen Präzedenzfall schafft und damit eine Regel herbeiführt. Das Brechen solcher schweigender Regeln gilt als unannehmbares oder zumindest unrichtiges Verhalten, obwohl die Regel als solche unter Umständen beiden Partnern ganz außerbewusst sein mag.

Interpendenz

Jedermann weiß, was es bedeutet, wenn ein Ding im selben Maße vom anderen abhängt. Wenn aber dieses andere, zweite Ding im selben Maße vom ersten abhängt, so dass also beide sich gegenseitig beeinflussen, so nennt man diese Beziehungsform interpendent. Dieses Muster liegt dem nächsten Beispiel zugrunde: das Verhalten jedes Partners bedingt das des anderen und ist seinerseits von dem des anderen bedingt.

Das Gefangenendilemma: Ein Staatsanwalt hält zwei Männer in Untersuchungshaft, die des Raubs verdächtigt sind. Die gegen die beiden vorliegenden Indizien reichen aber nicht aus, um den Fall vor Gericht zu bringen. Er lässt sich die beiden Gefangenen vorführen und teilt ihnen mit dass er zu ihrer Anklage ein Geständnis brauche. Er erklärt ihnen, dass er sie dann, wenn beide den Raubüberfall leugnen, nur wegen illegalen Waffenbesitzes zur Anklage bringen kann und dass sie dafür schlimmstenfalls zu je 6 Monaten Gefängnis verurteilt werden könnten. Gestehen beide aber die Tat ein, so werde er dafür sorgen, dass sie nur das Mindestmaß für Raub, nämlich 2 Jahre Gefängnis, bekommen. Wenn aber nur einer ein Geständnis ablegt, der andere aber weiterhin die Tat leugnet, würde der Geständige damit zum Kronzeugen und ginge frei aus, während der andere das Höchststrafmaß, nämlich 20 Jahre erhalten würde. Ohne ihnen die Möglichkeit einer Aussprache zu geben, schickt er die Gefangenen in getrennte Zellen zurück und macht damit jede Kommunikation zwischen ihnen unmöglich.

Erste Überlegung: Beide würden am besten abschneiden, wenn sie die Tat leugnen (sechs Monate). Doch es entstehen dann erste Zweifel.

Zweite Überlegung: Was aber, wenn der andere, der sich unschwer vorstellen kann, dass ich zu diesem Entschluss gekommen bin, die Situation ausnützt und die Tat gesteht? Er wird dann freigelassen, was für ihn entscheidend ist, während ich nicht 6 Monate, sondern 20 Jahre bekomme. Ich bin besser dran, wenn ich gestehe, denn wenn er nicht gesteht, bin ich derjenige, der freigelassen wird.

Dritte Überlegung: Wenn ich aber gestehe, so enttäusche ich nicht nur sein Vertrauen, dass ich vertrauenswürdig genug bin, um die für uns beide vorteilhafteste Entscheidung zu treffen (nämlich nicht zu gestehen und daher mit 6 Monaten davonzukommen), sondern ich laufe Gefahr, dass ich, wenn er genauso egoistisch und unzuverlässig ist wie ich selbst und daher aus derselben Überlegung heraus gesteht, zu 2 Jahren verurteilt werde, was viel schlimmer wäre als die 6 Monate, die wir bekämen, wenn sie beide leugneten.

Dies ist ihr Dilemma und es hat keine Lösung.

Denn selbst wenn die Gefangenen es fertig brächten, irgendwie miteinander zu kommunizieren und eine gemeinsame Entscheidung zu vereinbaren, würde ihr Schicksal trotzdem von der Frage abhängen, ob sie es ihrem Komplizen zutrauen können, sich im entscheidenden Moment der Gerichtsverhandlung an diese Vereinbarung zu halten. Da sie dies aber auf keinen Fall mit Sicherheit annehmen können, beginnt der oben erwähnte Teufelskreis ihrer Überlegungen an diesem Punkte von Neuem.

Und bei längerem Nachdenken werden beide begreifen, dass die Vertrauenswürdigkeit ihres Komplizen weitgehend davon abhängt, wie vertrauenswürdig sie selbst dem anderen erscheinen, und dies wiederum hängt davon ab, wie viel Vertrauen jeder seinerseits dem anderen zu schenken bereit ist.

Menschliche Situationen, die die Struktur des Gefangenendilemmas haben, sind häufiger, als man annehmen möchte. Sie treten überall dort auf, wo Menschen sich in einem Zustand der Desinformation befinden, weil sie eine gemeinsame Entscheidung treffen müssen, sie andererseits nicht treffen können, da ihnen die Möglichkeit direkter Kommunikation (und damit der Vereinbarung des bestmöglichen Vorgehens) fehlt.

Zwei Gründe sind dafür verantwortlich: Mangel an gegenseitigem Vertrauen und die physische Unmöglichkeit zu kommunizieren.

Das zweitwichtigste Merkmal jedes Gefangenendilemmas ist die physische Unmöglichkeit, über die bestmögliche gemeinsame Entscheidung zu kommunizieren. Andererseits muss eine gemeinsame Entscheidung getroffen werden. Die Antwort ist nicht einfach, und wie so oft bei der Lösung schwieriger Probleme ist es besser, die Frage umzudrehen: Was darf nicht getan werden?

Offensichtlich darf mein Beitrag zu einer interdependenten Entscheidung nicht darauf beruhen, was ich aus rein persönlichen Gründen vorziehe und dafür für die beste Lösung halte. Ich muss vielmehr überlegen, was der andere für die beste Lösung hält. Und wie im Falle der beiden Gefangenen wird auch seine Entscheidung weitgehend davon bestimmt sein, was er glaubt, dass sein Komplize für die beste Entscheidung hält. Alle interdependenten Entscheidungen, in denen offene und freie Kommunikation aus irgendwelchen Gründen unmöglich ist, beruhen auf diesem theoretisch unendlichen Regress dessen, was ich denke, dass er denkt, dass ich denke...

Weiteres Beispiel: Wenn ein Mann seine Frau in einem Kaufhaus aus den Augen verliert und die beiden keine Vereinbarung darüber getroffen haben, wo sie in diesem Fall aufeinander warten werden, sind ihre Chancen, sich wieder zu finden, trotzdem gut. Man stellt sich nicht einfach vor, wohin der andere gehen wird, denn der andere wird dorthin gehen, wovon er sich vorstellt, dass man selbst hingehen wird. Dieses Beispiel zeigt, dass eine interdependente Entscheidung (in Abwesenheit direkter Kommunikation) nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn sie auf der Basis einer von beiden Partnern geteilten Wirklichkeitsauffassung beruht.

Drohungen

Eine Drohung ist eine Forderung nach einem bestimmten Verhalten. Sie ist mit der Ankündigung bestimmter Folgen im Falle der Nichtausführung verbunden. Um erfolgreich zu sein, muss eine Drohung drei Voraussetzungen erfüllen:

    Sie muss glaubhaft, das heißt überzeugend sein, um ernst genommen zu werden. Sie muss ihr Ziel, also den zu Bedrohenden, erreichen. Der Bedrohte muss imstande sein, der Drohung nachzukommen.

Wenn auch nur eine dieser Voraussetzungen nicht gegeben ist oder verunmöglicht werden kann, ist die Drohung wirkungslos. In der Regel muss man damit drohen, bestimmt und nicht vielleicht zu handeln, wenn der Forderung nicht stattgegeben wird. Vielleicht zu handeln bedeutet, dass man vielleicht nicht handeln wird - dass man sich nicht festgelegt hat.
Möglichkeiten einer Gegenmaßnahme ist eine Gegendrohung von ähnlicher oder sogar größerer Glaubwürdigkeit und Schwere. Auch hier hängt der Erfolg von der richtigen Einschätzung dessen ab, was für den anderen (und nicht für einen selbst) ein zwingender Grund ist.

Es dürfte einleuchten, dass eine Drohung, die entweder nicht an ihrem Ziel ankommt oder die, aus welchen Gründen auch immer, vom Bedrohten nicht verstanden wird, scheitern muss. Geistesgestörte, Fanatiker, Schwachsinnige oder Kinder mögen für Drohungen unzulänglich sein, da sie sie nicht begreifen (oder dies zumindest glaubhaft vorschützen). Eine wirkungsvolle Maßnahme gegen eine Drohung besteht darin, ihren Erhalt unmöglich zu machen. Dies lässt sich auf verschiedene Weise bewerkstelligen. Es reicht manchmal eine vorgebliche Verstehensbehinderung aus: Zerstreutheit, Taubheit, Unaufmerksamkeit, Betrunkenheit, die Vermeidung eines warnenden Blickes durch Wegsehen, die Behauptung, Ausländer zu sein und die Landessprache nicht zu verstehen, usw. Selbstverständlich muss es glaubhaft sein, dass man die Drohung nicht begreift.

Es zeigt sich, dass eine Drohung interdependente Merkmale hat: ihr Urheber wie der Bedrohte müssen versuchen, den anderen im richtigen Erraten dessen zu übertreffen, was jener für plausibel und überzeugend hält.
Geistesgegenwärtigen Bankbeamten gelingt manchmal bei einem Banküberfall eine erfolgreiche Weigerung, die die Lage von Grund auf umdeutet und auf die der Räuber daher nicht vorbereitet ist. Bei der Planung des Überfalls hat er versucht, alle nur möglichen Aspekte der Wirklichkeit, in der er zu handeln hat, in Betracht zu ziehen. Nun ist er plötzlich mit einer anderen Wirklichkeit konfrontiert. Der Schalterbeamte spielt sozusagen ein anderes Spiel, auf das die Spielregeln des Räubers nicht anwendbar sind.

Selbst dann, wenn eine Drohung glaubhaft ist und ihr Ziel erreicht hat, ist noch nicht alles verloren. Wenn ich meinen Bedroher überzeugen kann, dass es mir unmöglich ist, seiner Drohung nachzukommen, wird die Drohung unwirksam.

Beispiel: Wenn jemand von mir unter Todesdrohung eine Million Euro fordert, wird es mir nicht zu schwer fallen, ihm zu beweisen, dass ich diese Summe nicht besitze und auch nicht aufbringen kann. Verlangt er dagegen hundert oder zehntausend Schilling, ist meine Lage viel gefährlicher. Manchmal kann die unmittelbare Wirkung einer Drohung selbst eine Situation herbeiführen, die ihre Erfüllung unmöglich macht. Eine Ohnmacht, ein Herzanfall oder ein epileptischer Anfall, ob tatsächlich oder nur vorgetäuscht, setzt nicht nur das Opfer, sondern auch den Urheber der Drohung außer Gefecht. Eine Todesdrohung kann auch dann unwirksam werden, wenn der Bedrohte eiserne Nerven hat und überzeugend glaubhaft machen kann, dass er ohnehin im Begriff war, Selbstmord zu begehen, oder dass er an einer unheilbaren Krankheit leidet und sich bereits mit dem Tode abgefunden hat. Jede Drohung hat ein zugrunde liegendes Kommunikationsmuster. Der Erfolg einer Drohung oder einer Gegenmaßnahme beruht fast ausschließlich auf der korrekten Einschätzung der Wirklichkeitsauffassung des anderen. Drohungen sind ebenso Phänomene der Interdependenz.

Zwei Wirklichkeiten

Es gibt keine absolute Wirklichkeit, sondern nur subjektive, zum Teil völlig widersprüchliche Wirklichkeitsauffassungen, von denen naiv angenommen wird, dass sie der "wirklichen" Wirklichkeit entsprechen.

Wir vermischen meist zwei verschiedene Begriffe der Wirklichkeit: der erste bezieht sich auf die rein physischen und daher weitgehend objektiv feststellbaren Eigenschaften von Dingen und damit entweder auf Fragen des so genannten gesunden Menschenverstands oder des objektiven wissenschaftlichen Vorgehens. Der zweite beruht ausschließlich auf der Zuschreibung von Sinn und Wert an diese Dinge und daher auf Kommunikation.

Beispiel: Gold. Die Wirklichkeit erster Ordnung sind seine physischen Eigenschaften. Die Bedeutung, die das Gold aber seit Urzeiten im menschlichen Leben spielt hat mit seinen physischen Eigenschaften sehr wenig zu tun. Diese andere, zweite Wirklichkeit des Goldes ist es aber, die einen zum Krösus oder Bankrotteur machen kann.

Ganz offensichtlich gibt es keinen objektiv "richtigen" Abstand zwischen zwei Personen, und ebenso offensichtlich kann Küssen, je nach den Normen einer Kultur, im Frühstadium oder erst gegen Ende des Paarungsverhaltens für "richtig" gelten. Diese Regeln sind also subjektiv. Im Bereich dieser Wirklichkeit zweiter Ordnung ist es also absurd, darüber zu streiten, was "wirklich" wirklich ist.

Wir verlieren diesen Unterschied nur zu leicht aus den Augen oder sind uns des Bestehens dieser zwei verschiedenen Wirklichkeiten überhaupt nicht bewusst. Wir leben dann unter der naiven Annahme, die Wirklichkeit sei natürlich so wie wir sie sehen, und jeder, der sie anders sieht, müsse böswillig oder verrückt sein.

5793 Worte in "deutsch"  als "hilfreich"  bewertet