Erfolg
Entstehung
Als Lion Feuchtwanger 1925 in Berlin mit den Arbeiten zu seinem Roman "Erfolg" begann, befand er sich bereits auf der "inneren Flucht" aus Deutschland. Feuchtwanger, Jude und Literat, wurde das Leben in seiner Heimatstadt München, in der er die Revolutionswirren 1918, die Räterepublik, die Herrschaft der "Weißen", die Inflation und schließlich den Putschversuch Hitlers im November 1923 erlebt hatte, durch das vorgehen der nationalsozialistischen Unruhestifter unerträglich.
Der räumliche Abstand zwischen Berlin und den Geschehnissen in München löste in Feuchtwanger wohl das Bedürfnis aus, sein Verhältnis zu Bayern zu klären und einen Roman zu schreiben, der seiner Verbitterung über erlittenes Unrecht - in Nachfolge der gescheiterten Revolution - an sich selbst, seinen Freunden und Bekannten Luft machte. Für ihn muss es eine Herausforderung gewesen sein, seine Kenntnisse über die bayerischen Zustände und seine Besorgnis über die politische Entwicklung seines Landes künstlerisch zu verarbeiten, den komplexen Bayernstoff in Verkleidung einer Fiktion zu durchleuchten und eine tiefere Erklärung für die Missstände zu suchen. Nach Marta Feuchtwanger waren es
"keine persönlichen Erlebnisse, die Lion Feuchtwanger veranlassten, seine historischen Stoffe aufzugeben; es war nur die brennende Notwendigkeit, Zeugnis abzugeben, zu warnen, zu sagen, was ist."
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, verlangte Lion Feuchtwanger genaue Nachforschungen über jene Jahre, die er und seine Sekretärin Lola Sernau mit Hilfe der Zeitungen (v.a. die von Kurt Eisner herausgegebene "Münchner Post") jener Jahre und an den Geschehnissen beteiligter Personen anstellten.
Im Jahr 1930 erschien "Erfolg" schließlich als zweibändige Ausgabe beim Gustav Kiepenheuer Verlag in einer Auflage von 40.000 Exemplaren. Gleichzeitig erschien das Buch in England, Amerika und in Schweden.
Darstellung Hitlers und der NS-Bewegung
"Erfolg"
Konzeption
Lion Feuchtwanger hatte in den Jahren der Entstehung der "Wartesaal" - Trilogie eine relativ konsistente Theorie über die Möglichkeiten und die Aufgaben des modernen historischen Romans entwickelt. Der historische Stoff ist nach Feuchtwangers Auffassung nur Gewand. Daher ist es dem Verfasser freigestellt, mit historischen Fakten umzugehen, wie es in seine erzählerischen Absichten passt. Er will nicht mit dem Historiker in Wettstreit treten und historische Belehrung in Romanform betreiben. Trotz dessen muss der Romancier die Wirklichkeit genau kennen, um die "'bewegenden Kräfte'", die hinter der Vielfalt der Ereignisse stehen, ausfindig machen zu können. Um diese "bewegenden Kräfte" mit den begrenzten Möglichkeiten des Romans darstellen zu können, muss der Autor auf die Darstellung von Einzelindividuen verzichten und statt dessen kollektive Typen erschaffen, die stellvertretend für die riesige Zahl der wirklichen Menschen stehen und diese gleichnishaft vertreten. "Das Buch 'Erfolg' erzählt nicht von wirklichen, sondern von historischen Menschen." So wollte Feuchtwanger in "Erfolg" die tieferen Ursachen für eine historische Krise, in der Vertreter einer sterbenden Epoche sich nur mit Gewalt und Willkür an der Macht halten konnten, darstellen und nicht die Klassenjustiz und die Hitlerbewegung.
Handlung
Der Roman lässt sich in drei Handlungsstränge, die miteinander verwoben sind, unterteilen:
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Der Fall Krüger. Der Kunsthistoriker und stellvertretende Direktor der staatlichen Galerien in München, Dr. Martin Krüger, wird aufgrund einer von Klenk (bayerischer Justizminister) konstruierten Anklage zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Seine liberale Kunstpolitik hatte dem reaktionären Kultusminister Flaucher missfallen und Krüger war nicht gewillt gewesen, sich ihm unterzuordnen. Um die Wiederaufnahme des Prozesses bemüht sich Johanna Krain, die Freundin und spätere Frau Krügers. Unterstützt wird sie von dem jüdischen Anwalt Dr. Siegbert Geyer, dem Autokonstrukteur und Kommunisten Kaspar Pröckl, und ihrem neuen Freund, dem Schriftsteller Jacques Tüverlin. Krüger erliegt nach zwei Jahren in der Zelle einem Herzleiden, nur wenige Tage vor der von Tüverlin durch Beziehungen erreichten Amnestie. Die politische Reaktion in Bayern bis zum Zusammenbruch des "Kutznerputsches". Vor dem Hintergrund der Inflation, der Ruhrbesetzung und dem bayerischen Separatismus steuert die Bewegung der "Wahrhaft Deutschen" unter ihrem Führer Rupert Kutzner, gefördert von Politik und Wirtschaft, ihrem Machthöhepunkt zu.
Als sich die Regierung in Berlin zur Aufgabe des Ruhrkampfes entschließt, spitzt sich der Konflikt zwischen Bayern und dem Reich zu. Kutzner plant, gemeinsam mit dem bayerischen Generalstaatskommissar Flaucher gegen Berlin vorzustoßen und die nationale Revolution zu proklamieren. Flaucher erkennt jedoch, dass es aufgrund der Stabilisierung der Mark und der Verständigung mit Frankreich für einen Putsch zu spät ist. Am Abend des 8. November schlägt Kutzner schließlich im Alleingang los und will Flaucher zum Mitmachen zwingen. Flaucher stellt sich jedoch gegen Kutzner und schlägt den Putsch schon am nächsten Tag mit der Reichswehr nieder.
Das Reich ist konsolidiert, die Reichsmark stabilisiert, der Hochverratsprozeß gegen Kutzner und seine Mitstreiter gerät allerdings zur Farce. Kutzner triumphiert über Flaucher, der in den Augen der Öffentlichkeit als der Verräter der nationalen Sache das Gesicht verloren hat. Die Entstehung des Romans "Das Buch Bayern oder der Jahrmarkt der Gerechtigkeit". Mit den beiden ersten Handlungssträngen verwoben ist die Liebesgeschichte zwischen Johanna Krain und Jacques Tüverlin. Die innere Anteilnahme, die Tüverlin aufgrund der Liebe zu Johanna Krain erfährt, führt am Ende der Geschichte zu der dichterischen "Vision" einer fruchtbaren Bewältigung des Bayernstoffes in Form eines Romans. Tüverlin erlebt seinen Beruf als "Auftrag", der ihn verpflichtet, Zeugnis abzulegen über die Gewalttaten bayerischer Politiker gegenüber Unschuldigen.
"Erfolg" ist also in gewissem Sinne auch ein Roman über die Entstehung eines Romans.
Maßgebliche Personen
Im folgenden werden die wichtigsten Personen kurz charakterisiert und ihre Entsprechungen in der Realität genannt, wobei diese realen Entsprechungen nie genau deckungsgleich mit den Romanfiguren sind, sonder nur eine ähnliche Rolle in der Vergangenheit gespielt haben.
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Franz Flaucher ist Kultusminister, später Ministerpräsident und Generalstaatskommissar von Bayern. Er hat eine starke Abneigung gegen den Kollegen Klenk. Sein Pendant in der Wirklichkeit ist Gustav Ritter von Kahr. Otto Klenk ist bayerischer Justizminister. Nach seiner Entlassung engagiert er sich bei den Wahrhaft Deutschen und wird deren graue Eminenz. Sein historisches Gegenstück ist am ehesten Generalstaatsanwalt Dr. Christian Roth, der jedoch nicht den Einfluss Klenks besaß. Baron von Reindl ist Wirtschaftsführer und Vertreter der wahren Machthaber in Bayern, Besitzer der Bayerischen Kraftfahrzeugswerke, des Kapuzinerbräus und des Generalanzeigers. In Absprache mit den übrigen wahren Machthabern, die im Hintergrund bleiben, setzt er die verschiedenen Minister ein und ab. Ihm entspricht in etwa Friedrich Flick. General Vesemann, den der Krieg "spinnert" gemacht hat, steht beim Putsch an der Seite Kutzners. Sein realer Doppelgänger ist Erich von Ludendorff. Toni Riedler und seine seine so genannten Wehrsportverbände treten militärisch provokant auf. Riedler arbeitet im Hintergrund auf die Ablösung der gemäßigten Kräfte der bayerischen Regierung hin. In der Realität kommt ihm Ernst Röhm mit dem Bund Oberland am nächsten. Rupert Kutzner ist der literarisch verfremdete Hitler. Auf ihn wird im folgenden noch näher eingegangen.
Tatsachenhintergrund
Politische Situation in der Frühphase der Weimarer Republik
Die nur knapp 15 Jahre zwischen dem Ende des ersten Weltkrieges und der Machtübernahme durch Hitler 1933 waren eine politisch, wirtschaftlich und sozial extrem unruhige Epoche, die nur mit der Ära Stresemann eine vorübergehende Stabilität erlangte. Die Jahre vor und nach diesem Zeitraum waren geprägt von Auflehnung gegen die Weimarer Verfassung und ihre Schöpfung, die Republik, seitens der extremen Rechten und Linken. Diese trugen dazu bei, dass schnell wechselnde Minderheitsregierungen im Reich wie auch in den Einzelstaaten gebildet werden mussten. Die Regierungen waren zu schwach, um den Kampf gegen Inflation und Arbeitslosigkeit auf der einen, Großgrundbesitzer, Schwerindustrie und einer dem Kaiserreich treu verbliebenen Beamtenschaft auf der anderen Seite, aufzunehmen. Zu diesen innenpolitischen Schwierigkeiten kamen die außenpolitischen mit dem Versailler Vertrag, "ein(em) Werkzeug zu Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln", der den Rechtsparteien eine breite Angriffsfläche gegen die Regierung in Berlin bot.
Die politische und soziale Problematik eines zahlenmäßig dezimierten Offizierskorps, das an der Dolchstoßlegende festhielt, und die separatistischen Bestrebungen Bayerns und des Ruhrgebiets lösten Krisensituation, wie die beiden Rechtsputsche (Kapp 1920, Hitler 1923) aus, die nur mit Hilfe der Notstandsgesetze niedergeschlagen werden konnten.
Die Ruhrbesetzung durch Frankreich 1923 trieb Deutschland an den Rand eines Bürgerkriegs, die Inflation und die wirtschaftliche Not der Bevölkerung erreichten ihren Höhepunkt. Die frühere Industriekonjunktur erwies sich als eine Scheinblüte. Deutschland konnte den Verlust von 75% der Eisenvorräte, seiner Kriegs- und Handelsflotte und Teilen der Kohlenproduktion nicht ausgleichen. Erst nach der Währungsreform im November 1923 begann sich die Wirtschaft langsam zu erholen. Doch erst im Jahr 1927 erreichten Löhne und Gehälter wieder Vorkriegsniveau.
Die Rolle der Justiz
Die Justizbürokratie wurde nach dem Ende des Kaiserreiches in der Weimarer Republik übernommen. Ihre Vertreter hangen zum größten Teil noch den Idealen der Kaiserzeit, "wirtschaftliche(r) und politische(r) Vorherrschaft der besitzenden Klassen, Obrigkeitsstaat und militärischer Machtstaat", an. Die Justizbürokratie stammte fast ausschließlich aus dem Bürgertum, das sich infolge der Revolution in seinen Vorrechten bedroht fühlte. Daher war die politische Richtung der meisten Justizbeamten deutschnational. Diese Umstände hatten Einwirkungen auf den Verlauf vieler politischer Prozesse dieser Zeit. Einseitige Beweisführungen, unangemessene Strafmaße und fragwürdiger Amnestiemöglichkeiten waren Erscheinungen, die die rechtsgerichteten Gegner der Republik schützten. Im Gegensatz dazu wurde jede Kritik, die liberale, pazifistische oder sozialistische Politiker und Publizisten an der illegalen Institution der Schwarzen Reichswehr und anderen Erscheinungen eines militärischen Rechtsradikalismus übten, als Landesverrat geahndet. Die Justiz hat eine unheilvolle Rolle in der Weimarer Republik gespielt. Sie hat "der Gegenrevolution als Schrittmacherin gedient" und war somit "'als Voraussetzung und Quellengrund des Dritten Reiches zu betrachten'".
Die soziale und politische Struktur Bayerns
Bayern war im Jahre 1924 ein ausgesprochener Agrarstaat, vier von sieben Millionen Einwohnern lebten auf dem Lande in kleinen Gemeinden, eine weiter Million in Flecken und Kleinstädten. Noch 1919 gab es erst drei Großstädte. Die Landwirtschaft war fast ausschließlich auf Eigenbedarf und nicht auf Erwerb ausgerichtet. Gerade "der in Bayern weitaus vorherrschende Bauernstand" wurde "vom Krieg und seinen wirtschaftlichen Folgen objektiv und subjektiv am schärfsten getroffen", stellte der Untersuchungsausschuss des Deutschen Reichstages, der über die "Ursachen des Deutschen Zusammenbruches im Jahre 1918" zu befinden hatte fest.
Die verkehrsungünstige Lage und der Mangel an Bodenschätzen hatten in Bayern die industrielle Revolution weitestgehend verhindert. In den Städten waren kleine handwerklich Betriebe die größten Arbeitgeber. Sie ermöglichten Angestellten und Inhabern bis 1924 ein solides kleinbürgerliches Leben. Als im Krieg die Lebenshaltungskosten stiegen, hielten die Löhne nicht mit. Die Folgen des Krieges waren Arbeitslosigkeit und Inflation. Die Lebensverhältnisse der mittleren und der unteren Schichten, die 1914 noch dem Mittelstand angehörten, verschlechterten sich teilweise entschieden. Die Klassenspannungen, die im demokratisch gesinnten, ausgeprägt mittelständischen Vorkriegsbayern nicht vorhanden gewesen sind, machten sich erst mit der Proletarisierung breiter bürgerlicher Schichten im Zuge der Not der Nachkriegsjahre bemerkbar. So hatte der Revolution von 1918/1919 noch die Schicht gefehlt, die sie hätte tragen können.
Das Denken in Bayern war aus Tradition egoistisch, nicht klassenbewusst. So waren es 1923 die unmittelbaren Nöte und die Besorgnis der Münchner Bevölkerung um ihre soziale Stellung, die sie auf die Versprechungen Hitlers hören ließen. Gegenüber den Kategorien des Klassenkampfes, den die Kommunisten propagierten, blieb die Masse dagegen kalt. Hinzu kam, dass die soziale Situation durch die schlechte wirtschaftliche Lage der vielen Festbesoldeten, Rentner, Pensionisten und der von den eigenen Ersparnissen Lebenden in München besonders angespannt war.
Die Revolution in Bayern
Am 7. November 1918 kam es zum Sturz der bayerischen Monarchie der Wittelsbacher. Ludwig III. War in Bayern unbeliebt, ihm wurde verübelt, dass er auf die Reichspolitik keinen Einfluss ausüben konnte. In der Nacht zum 8. November wurde in München die Republik durch Eisner, USPD, mit Unterstützung der MSPD, ausgerufen. Eisner zog einen klaren Tennungsstrich zwischen sich und der radikalen Linken. Die Republik wurde durch die von Eisner gebildeten Arbeiterräte, jedoch nicht durch die eigentliche Keimzelle der Revolution, den Soldatenräten, unterstützt.
Am 21. Februar wurde Eisner durch den Grafen Arco ermordet. Dies war der Auslöser der zweiten Revolution, die Revolution der radikalen Linken, die damit die Bildung einer mehrheitssozialdemokratischen Regierung in Bayern verhinderte, welche die "kontinuierliche Überleitung des Staates in die Demokratie ermöglicht hätte (Fenske)". Unter der Führung der russischen "Berufsrevolutionäre" Levien und Leviné nahmen die Kommunisten die Macht an sich. Am 7. April wurde Bayern vom Zentralrat zur Räterepublik erklärt, die im März gebildete Regierung Hoffmann musste Anfang April nach Bamberg ausweichen. Als die Thulegesellschaft am Palmsonntag zu putschen versuchte, schlug die radikalste linke Gruppe um Leviné zu. Die nun errichtete zweite Räterepublik beseitigte den Zentralrat, sozialisierte des Eigentum und organisierte eine "Rote Armee". Diese leistete den Regierungstruppen Noskes und Hoffmanns Widerstand, zuletzt vom 1. bis 3. Mai in München. Die Räterepublik verabschiedete sich mit zehn Geiselmorden, die Regierungstruppen antworteten mit hunderten von standrechtlichen Erschießungen. Die Geschichtsforschung spricht in diesem Zusammenhang von "'unmenschlicher Rache an allen, die irgend etwas mit der Revolution zu tun hatten'" und von einem "'teilweise sogar barbarischen Vorgehen der Regierungstruppen'".
"Die Vorgänge bei der Einnahme Münchens und die Flut politischer Prozesse mit unglaublich einseitigen Urteilen, die bald darauf in München über die Bühne geht, wirken mit, die Münchener Einwohnerschaft für lange Jahre zu spalten und günstigen Boden für politischen Radikalismus zu schaffen."
Nach der Niederschlagung der Räterepublik im Juni 1919 regierte in Bayern eine Koalition aus Sozialdemokraten und Bürgerlichen. Die wirkliche Macht jedoch lag bei den antirepublikanischen Kräften, die nun auch laufend Verstärkung aus dem übrigen Reich erhielten. Sie bekamen Unterstützung aus dem Bürgertum, das nach den Ereignissen im Zusammenhang mit der Räterepublik weit nach rechts gerutscht war, und aus der partikularistischen Tradition, die sich nun nicht mehr von links sondern von rechts gegen die "marxistische" Reichsgewalt in Berlin, richtete.
Nach dem Kapp-Putsch 1920 wurde die SPD aus der bayerischen Regierung ausgeschlossen und eine Rechtsregierung unter Gustav von Kahr gebildet, deren Kurs in Einklang mit den Wehrverbänden zunächst einen latenten, später einen offenen Konflikt mit der Reichsregierung heraufbeschwor.
Die Auseinandersetzung mit dem Reich
Die reichs- und republikfeindliche Haltung Bayerns seit 1920 basiert auf zwei politischen Strömungen:
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Zum einen das Streben nach größerer Selbständigkeit Bayerns innerhalb des Reiches und Wiedereinsetzung der Wittelsbacher Monarchie, auch wenn damit eine vorübergehende Abspaltung vom Reich nötig wäre. Zum anderen entwickelte sich in Bayern ein starker Ableger der norddeutschen schwarz-weiß-roten (kaiserlichen), v.a. aber der militärischen Reaktion.
Die weiß-blaue bayerische Richtung kündigte sich schon am Ende des Weltkrieges an. Man erwog die Möglichkeit eines Sonderfriedens mit Frankreich und ein vergrößertes selbständiges Bayern außerhalb des Reiches. Dr. Heim verhandelte 1919 als bayerischer Außenminister mit den Franzosen und stimmte in der Nationalversammlung gegen die Weimarer Verfassung. Nach dem Scheitern seines Planes setzte er seine Frankreichpolitik fort und wollte die kulturellen und historischen Beziehungen für eine neue Mitteleuropapolitik nutzbar machen. Frankreich schickte in diesem Zusammenhang auch einen Gesandten nach München - unter Berufung auf den Versailler Vertrag, aber im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung.
Die Bayerische Volkspartei (BVP), 1918 als Abspaltung des Zentrums gegründet, behielt auch weiterhin ihren separatistischen Kurs bei, noch 1921/'22 wurde die Möglichkeit einer Abspaltung Bayerns vom Reich diskutiert.
Inzwischen hatten sich in Bayern unter ständigem Zuzug aus dem Reich eine große Anzahl Freikorps und Einwohnerwehren - wie in fast allen Einzelstaaten - gebildet, die sich in Bayern jedoch unter Forstrat Escherich eine mächtige Dachorganisation geschaffen hatten (Organisation Escherich - Orgesch). Als die Alliierten die Auflösung der Einwohnerwehren forderten, kam aus Bayern der lauteste Protest. Bayern war inzwischen zum "Eldorado der (...) heimatlosen Rechten" geworden, die überdies begonnen hatten, sich aktiv in die Politik einzumischen. Die Regierung Kahr (1920) wollte auf ihre "stärkste Stütze nicht gern verzichten". Daher kam es im Verlauf des kommenden Jahres zu harten Auseinandersetzungen zwischen Berlin und München, das anstatt der geforderten Auflösung mit einem Aufmarsch der militärischen Verbände provozierte. Erst 1921, nach einem Ultimatum der Entente, kapitulierten die bayerischen Einwohnerwehren. Sie ließen sich entwaffnen und auflösen, was jedoch vielfach bedeutete, dass sie im Untergrund weiter operierten.
Die Thule-Gesellschaft war die Tarnorganisation des 1912 gegründeten Germanenordens (dessen bayerische Ordensprovinz im Januar 1918 von Rudolf Freiherr von Sebottendorff ins Leben gerufen war), der sich als die geheime Femeorganisation der Widerstandsbewegung gegen die Demokratisierung der deutschen Gesellschaft sah. Sie war deutschvölkisch und antisemitisch, ließ sich vom Zusammenbruch der alten Ordnung im Herbst 1918 nicht erschüttern, sondern gründete am 10. November den Kampfbund Thule. So wurde die Thulegesellschaft zum ersten
"nachrevolutionären Kristallisationspunkt der völkischen Bewegung in Bayern und ein wichtiges Zentrum des Widerstandes. Sie arbeitete dabei eng mit den Alldeutschen zusammen, die ihre Sitzungen in ihren Räumen abhielt; auch gingen von ihr Impulse auf die DAP (die spätere NSDAP) aus.".
Der Bund Oberland, "das politisch und militärisch bedeutsame Freikorps", ebenfalls von Sebottendorff gegründet, hielt militärische Übungen ab und verweigerte die Abgabe von Waffen an die Behörden. Die Mitglieder sorgten dafür, dass Gefährdete München verlassen konnten und Unliebsame aus dem Weg geräumt wurden (Fememorde).
So spielte die Thulegesellschaft eine wichtige Rolle bei der Flucht der Erzberger-Mörder mit Hilfe des Polizeipräsidenten Poehner, der ihnen falsche Pässe ausstellte.
Es begann die Zeit der politischen Morde. Der Fraktionsführer der bayerischen USPD, Otto Gareis, wurde in München am 9. Juni 1921 erschossen. Er hatte im Bayerischen Landtag die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses bewirkt, um festzustellen, ob sich eine Organisation zur gewaltsamen Beseitigung von Menschen gebildet habe.
Erstes Opfer der Fememörder in Bayern wurde aber ein 19jähriges Mädchen, Marie Sandmayer, die ein sich auf dem Schloß ihres Dienstherren befindliches Waffenlager anzeigen wollte, jedoch in Folge eines Mißverständnisses der Einwohnerwehr in die Hände fiel. Sie wurde am 6. Oktober 1920 im Forstenrieder Park erdrosselt aufgefunden. Wie die meisten bayerischen Fememordfälle endete das gerichtliche Verfahren mit der Voruntersuchung.
Die Auflösung der Einwohnerwehren hatte in Bayern einen regelrechten "Dschungel" von radikalen Organisationen hinterlassen. Sie schufen sich im November 1922 in den Vereinigten Vaterländischen Verbänden (VVV) eine Dachorganisation. Unter diesen Grüppchen schob sich im Laufe des Jahres 1922 eine Gruppe immer mehr in den Vordergrund: Die NSDAP unter Führung von Adolf Hitler.
Im November 1922 wird, unter dem Einfluß der Kahr-Anhänger, die "Graf Lerchenfeld sein Amt verekelt haben", die bayerische Regierung von Knilling vereidigt, eine Koalition aus BVP und der deutschnationalen Bayerischen Mittelpartei. Der Regierungschef ist wieder ein Beamter, "wieder ein von den wirklichen BVP-Führern vorgeschobener, bei Bedarf leicht auswechselbarer Strohmann". Er verbindet sich mit dem Rechtsradikalismus und bekennt sich zum alten Programm Kahrs, "der bisher grollend im selbst gewählten Exil auf seine Stunde gewartet, aber nicht mehr lange warten muss". Denn die Ereignisse des Jahres 1923 bringen das bayerische Problem zum dritten Mal in Bewegung und diesmal zu Lösung.
Aufstieg Hitlers und der NSDAP bis zum November 1923
Hitler kam 1919 als V-Mann eines Münchner Regiments in Kontakt mit der DAP (der späteren NSDAP) und schloss sich ihr schließlich im September 1919 an. Er fiel alsbald durch seine antisemitischen Reden auf. So schreibt Maser:
"Er peitscht die Propagandaarbeit voran. (...) Die Mitgliederzahl wächst. Hitler wird langsam in München bekannt und wird der Partei unentbehrlich. (...) Hitler wird der Trommler der nationalen Sache. Er wird sein eigener Propagandist. Eifrig arbeitet er für die Partei und sich. (...) Hitler ist erster Parteivorsitzender mit diktatorischen Vollmachten. Ein neuer 'Hitlerstil' wird entwickelt. Hitler ist bereits der 'Führer'."
Die schlagkräftigen Vergröberungen Hitlers und seine Art, sie vom Podium den Zuhörern ins Gesicht zu schleudern, wirkten phantasiebelebend und hoffnungserregend, besonders auf die Jugend. Auch die NSDAP hatte ihre "Turn- und Sportabteilung", die sich schnell aus der "Saalordnertruppe" entwickelt hatte und mit Hilfe von militärischen Führern aus den aufgelösten Einwohnerwehren zu einem "Sturmblock der Partei" wurde und dem Führer "zur Verfügung" stehen sollte (SA).
Die Geldgeber in der Frühzeit der NSDAP blieben meist im Hintergrund, so dass es kaum möglich ist, sich ein vollständiges Bild zu machen. Fest nennt in diesem Zusammenhang Dr. Gansser, der Hitler mit den außerbayerischen Industriellen in Kontakt brachte, Geheimrat Kirdorf, die Daimlerwerke, den Bayerischen Industriellenverband, "doch auch tschechoslowakische, skandinavische und vor allem schweizerische Finanzkreise", die der Partei Geld liehen. In Bayern warben um Geld, Waffen und Ausrüstung für die SA vor allem Dietrich Eckart, "ein politischer Bohemien stark antisemitischer Färbung", Max Erwin Scheubner-Richter, "ein Abenteurer mit vielen Verbindungen zur Industrie und zum Hause Wittelsbach", und Ludendorff, der von den Großgrundbesitzern und der Industrie Unterstützung erhielt. Die großen Geldgeber waren allesamt nicht Mitglieder der NSDAP, sonder vertraten das gutsituierte Bürgertum. Es wollte sich gegen eine Wiederholung der Revolutionsmaßnahmen im Zuge der Räterepublik (Sozialisierung von Eigentum) absichern. Als Gegenwehr zu den Kommunisten unterstützten sie alle Kräfte, die sich gegen eine Revolution von links stemmten. Sie wollten "weniger Hitler nach oben helfen als sich der energischsten Kraft gegen die Revolution bedienen".
Die prekäre finanzielle Lage, in der sich die Partei noch im Sommer 1922 sah, wich bald einem wirtschaftlichen Aufschwung.
"In dem Maße in dem er (Hitler, d.Vf.) 'begehrter' zu werden schien, wuchs auch das Bankkonto der Partei. (...) Trotz der katastrophalen Inflationsverhältnisse des Jahres 1923 (...) belief sich das Parteivermögen bei der Auflösung der Partei nach dem Putsch bereits auf 100.000 Goldmark"
Mit Hilfe von heimlichen Armeegeldern wurde der Völkische Beobachter im Dezember 1920 zum Organ der NSDAP und der Propaganda Hitlers. Zwei Jahre später konnte Hitler das Blatt in eine Tageszeitung umwandeln. Finanziert wurde sie durch Spenden. Geldgeber waren Gertrud von Seidlitz und Putzi Hanfstängl, wie auch die Münchner Familien Bechstein und Bruckmann. Ebenfalls 1922 entschied sich der antisemitische, den Schutz der Kahr-Regierung genießende "Mießbacher Anzeiger" für Hitler und die NSDAP. Die Weltbühne sah in ihm den "Wegbereiter für den Faschismus", Feuchtwanger urteilte über dieses Hetzorgan in spöttischen Zeilen in "Erfolg".
Im Herbst 1922 nimmt Hitler energisch an der Hetze gegen das Gesetz zum Schutz der Republik teil. Im November wird er jedoch von Schwejer vor den Folgen seiner feurigen Reden gegen die "Novemberverbrecher" und "Vaterlandsverräter" gewarnt: mit unterstützung der Armee und der Polizei für einen Aufstand sei nicht zu rechnen.
Durch die Ruhrbesetzung Frankreichs gewann die Bewegung Hitlers verstärkten Zulauf, seine Haßreden einen konkreten Angriffspunkt.
Ende Januar 1923 beruft Hitler einen Parteitag nach München ein. Er wollte ihn mit einer einschüchternden Demonstration seiner Macht verbinden. 5.000 SA-Männer aus ganz Bayern sollten aufgeboten werden (erste feierliche Standartenweihe auf dem Marsfeld), hinzu sollten zwölf weiter Massenveranstaltungen kommen. "Die Größenordnungen machten ebenso wie die seit Wochen umlaufenden Gerüchte über einen bevorstehenden Pusch der NSDAP die gestiegene Bedeutung Hitlers im politischen Kräftefeld sichtbar.", urteilt Fest. Die bayerische Regierung befand sich unterdes in einem Dilemma: Zum einen war die NSDAP entschieden national und daher nützlich gegen die Linke. Zugleich jedoch "missachtete" sie "allen Respekt vor Exzellenzen und Spielregeln und brüskierte unentwegt die Ordnung, die" sie "beschwor".
So kam es zu einem Kompromiss. Die Standartenweihe wurde verboten, ebenso sechs von insgesamt zwölf Versammlungen, sowie die Kundgebung der Sozialdemokraten am folgenden Tag. Hitler beschwor den Polizeipräsidenten Nortz, das Verbot aufzuheben, Nortz, auf die Staatsautorität verweisend, blieb unbeeindruckt. Hitler brach daraufhin los, er werde die SA auf jeden Fall marschieren lassen, worauf der Ministerrat ein totales Verbot beschloss. Durch die Intervention von Stabschef Röhm, Hitlers Bindeglied zur Reichswehr, bei General von Lossow, der Willens war, der Regierung mitzuteilen, dass er "im Interesse der Landesverteidigung eine Verprellung der nationalen Verbände bedauern" würde, wurde das Verbot teilweise wieder aufgehoben. Hitler ließ ungeachtet dessen die Veranstaltung in vollem Umfang ausführen. In seiner Rede auf diesem ersten Parteitag der NSDAP ließ Hitler keinen Zweifel daran, dass es sein Ziel war, die Regierung in Berlin zu stürzen.
Nach diesem Triumph Hitlers über die Staatsgewalt veränderte die Partei ihr Aussehen: "Aus einem politischen Verein für asoziale Abenteurer, Wirrköpfe und Empörer wurde eine stoßkräftige Partei mit bürgerlichem Ansehen auch in Regierungskreisen". Die Partei verzeichnete von Februar bis November 1923 rund 35.000 Neuzugänge.
Die nächste große Kraftprobe kam am 1. Mai. Hitler plante, durch Sprengung der traditionellen Gewerkschaftskundgebungen die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Auf dem Oberwiesenfeld sollten sich 20.000 SA-Leute versammeln. Die Aktion wurde jedoch zu Hitlers "grenzenloser Verblüffung" durch General von Lossow verhindert, der die durch Röhm beschlagnahmten Waffen der Reichswehr zurückverlangte. Hitler kapitulierte, da er sich ohne Zustimmung der Offiziere keinen Sieg versprach. In einer Rede am selben Abend im Zirkus Krone rechtfertigte er die "Verschiebung" der Aktion vor seinen Leuten.
Das Unternehmen hatte für Hitler keine Folgen. Eine staatsanwaltschaftliche Untersuchung wurde bald darauf eingestellt. Hitler hatte mit "'landesverräterischen Enthüllungen'" gedroht. "Es war" jedoch "der erste empfindliche Rückschlag nach einem jahrelangen Aufstieg."
Hitlerputsch
Der Putschversuch Hitlers im November 1923 war das Produkt von hektischen Bemühungen, die Stimmung in Deutschland seit dem Beginn der Ruhrokkupation in die nationalsozialistische Richtung zu radikalisieren. Hitler befürchtete, der passive Widerstand gegen die Franzosen könnte das Reich hinter der Regierung vereinen.
Die bayerischen Minister versuchten in diesen Tagen den bayerischen Separatismus einzufrieren und behandelten die NSDAP dementsprechend als Störenfriede. Noch dazu wurde immer deutlicher, dass Hitlers radikale Ziele und seine persönlichen Machtansprüche weit über diejenigen der bayerischen Reaktion hinausgingen.
Als Stresemann am 14. September den passiven Ruhrwiderstand aufgab, sah Hitler seine Chance gekommen. Die Nationalsozialisten kündigten 14 Massenveranstaltungen an, die SA wurde aktionsbereit gemacht. Hitler hatte keine konkreten Putschpläne, er wollte die Volksstimmung über den weiteren Verlauf bestimmen lassen.
Die bayerische Regierung ließ sofort den Ausnahmezustand für Bayern proklamieren, um Hitlers Versammlungen verbieten zu können. Die Berliner Reichsregierung ihrerseits misstraute Kahrs Absichten und antwortete mit dem Ausnahmezustand für das ganze Reich. Daraufhin schlug das offizielle Bayern einen Kurs ein, der, provoziert durch Hitler, einen offenen Konflikt mit Berlin heraufbeschwor.
Kahrs eigentliche Ziele in diesen Tagen sind bis heute unklar. ur Disposition stehen zum einen das Ziel, eine konservative Regierung in Berlin zu gründen, oder zum anderen die Loslösung Bayerns vom Reich und die Errichtung eines süddeutschen Staates unter der Herrschaft der Wittelsbacher.
Hitler, der eine stark zentralistische Erneuerung auf Reichsbasis anstrebte und den Separatismus offen bekämpft hatte, erkannte, dass er den Streit zwischen Bayern und dem Reich für seine Zwecke ausnützen konnte. Kahr andererseits wollte nicht auf Hitler und die im Kampfbund vereinigten Kräfte verzichten.
"Aus dieser zweideutigen Situation heraus entwickelte sich ein unruhiger Bund zwischen Kahr und den Nationalsozialisten, in dem jeder den anderen zu überlisten und für eigene Zwecke auszunützen trachtete."
Am 27. Oktober forderte Kahr den Rücktritt der Reichsregierung. Er befahl den ihn unterstützenden Verbänden außerhalb Bayerns, sich mit ihm an den Grenzen zu Sachsen und Thüringen zu versammeln. In diesen beiden Staaten regierte eine Koalition aus Sozialdemokraten und Kommunisten. Kahr konnte also mit der Unterstützung weiter Kreise rechnen, wenn er die Gefahr einer Revolution von links beseitigen würde. Von Dresden aus war dann der Weg nach Berlin nicht mehr weit. Lossow und Kahr versicherten Hitler und Röhm und den Führern des Kampfbundes (VVV), dass sie zuschlagen würden, sobald die Lage Reif sei.
In beiden Lagern wurden Vorbereitungen getroffen. Doch die Nationalsozialisten verloren Tag für Tag mehr das Vertrauen zu Kahr und Lossow. Schließlich stabilisierte sich die Lage im Reich, Sachsen und Thüringen boten keinen Anlass mehr einzugreifen.
Am 6. November, nach einem Zusammentreffen mit Kahr und Lossow, erkannte Hitler, dass er Staat und Reichswehr nur noch durch Überrumpelung in seinen Plan würde einfügen können. Hitler befürchtete, Kahr könnte einen eigenen monarchistischen Putsch vorbereiten. Die Situation gipfelte in den dramatischen Ereignissen am Abend des 8. November im Bürgerbräukeller in München: Hitler stellte das Dreigespann Kahr-Lossow-Seißer (letzterer war Polizeipräsident) vor das Fait accompli der Machtergreifung: mitmachen oder sterben.
Doch der Putsch brach bereits am folgenden Vormittag auf dem Odeonsplatz endgültig zusammen. Auf Befehl von Kahr und Lossow beschossen Reichswehrsoldaten die Nationalsozialisten.
Was Kahr den Verbandsführern am 6. November versprochen hatte, nämlich die Schaffung einer nationalen Regierung, eines Direktoriums, sollte mit Hitlers dramatischem Überrumpelungsmanöver in die Bahn geleitet werden, ehe es endgültig zu spät war. Der Vorschlag Hitlers, Kahr zum Landesverweser zu machen, deutete ja darauf hin, dass er den Rivalen nicht verdrängen, sondern zumindest vorläufig auf seiner Seite haben wollte, um die bayerische Reichswehr und womöglich auch den Schein der Legalität für die geplante Operation zu gewinnen.
Der Hochverratsprozess gegen Hitler und Ludendorff
Direkt nach dem Scheitern des Putsches fiel Hitler in "dumpfe Verzweiflungszustände" und dachte an Selbstmord. Als er jedoch erfuhr, dass ihn ein ordentliches Gerichtsverfahren erwartete, gewann er seine Zuversicht wieder. Sofort dachte er an die große Bühne die ihm damit bereitgestellt würde. Später bezeichnete er selbst den gescheiterten Putsch als das "'vielleicht größte Glück'" seines Lebens. Es gelang ihm, die Katastrophe des planlosen und blamabel beendeten Putsches doch noch in den Triumph eines Demagogen zu verwandeln.
Der Hochverratsprozess, der am 24. Februar 1924 eröffnet wurde, war bestimmt vom stillschweigenden Einverständnis aller Beteiligten, "an das 'Eigentliche' jener Ereignisse nicht zu rühren"
Angeklagt waren außer Hitler und Ludendorff noch sieben weiter Beteiligte. Kahr, Lossow und Seißer traten hingegen als Zeugen auf. Aus dieser eigentümlichen prozessualen Gegenüberstellung hat Hitler allen Nutzen gezogen. Kahr, Lossow und Seißer wurden von der Verteidigung der Lächerlichkeit preisgegeben. Über die Beziehungen zwischen Reichswehr und Polizei sowie über die Aufmarschpläne gegen Berlin war in der öffentlichen Verhandlung gemäß der stillschweigenden Vereinbarung nichts zu hören. Das Gericht duldete die hemmungslose Beschimpfung der Republik durch die Angeklagten, die die wahren Helden des Prozesses wurden.
Nach weniger als neun Monaten Festungshaft in Landsberg war Hitler wieder in Freiheit. Er wurde vorzeitig aus der Haft entlassen, verurteilt war er zu fünf Jahren. Nach Fest konnte der Vorsitzende die drei Laienrichter nur mit dem Hinweis, dass die vorzeitige Entlassung Hitlers zu erwarten sei, zum Schuldspruch überreden. So hob das Urteil auch den "rein Vaterländischen Geist und edelsten Willen der Angeklagten hervor". Ludendorff wurde freigesprochen.
"Der Staat hatte erneut die Auseinandersetzung verloren", resümiert Fest.
Hitler und die NS-Bewegung im Spiegel von "Erfolg"
Die Figur "Rupert Kutzner"
Der Bezug auf Hitler ist aufgrund der Rolle,die Kutzner als Führer der Wahrhaft Deutschen und bei den Ereignissen vom 8. und 9. November spielt, unübersehbar. Aus dem "gescheiterten Künstler, dem heimatlosen Österreicher" wird im Roman der Monteur Rupert Kutzner, ein "bayerisches 'Urviech'". Die äußere Erscheinung Kutzners ist, bis auf die für den Roman typischen satirischen Überspitzungen, mit der Hitlers identisch. Es passt daher nicht so recht mit dem Urbild des Bayern, das Kutzner ansonsten verkörpert, zusammen.
Kutzners Familie wird ähnlich der Cajetan Lechners als typisch kleinbürgerlich dargestellt. Die Mutter, "wie viele Bewohner der bayerischen Hochebene mit tschechischem Einschlag", der Onkel Xaver und der brave Sohn Alois, ein Vertreter der bayerischen Romantik und Sentimentalität, bilden die Familie Kutzner. Rupert Kutzner wird als treuer und anhänglicher Sohn geschildert:
"Der Führer kannte keine Standesdünkel. Er hielt seine greise Mutter in Ehren. Er fuhr großartig vor in seinem grauen Auto; aber dann hockte er wie ein ganz einfacher Mensch bei ihr am Tisch"
Der Höhepunkt dieser skurrilen Familiengeschichte ist die Bitte der Mutter an Kutzner, den Plan des Putsches, der abweichend von der historischen Wirklichkeit zunächst auf die Zeit der Baumblüte, also im Frühjahr 1923, angesetzt ist, fallen zu lassen. Kutzner verschiebt auf Drängen seiner Mutter den Putsch tatsächlich, obwohl ihn Klenk, mittlerweile die graue Eminenz der Völkischen, bedrängt. Insgesamt ist Kutzner, wie Müller-Funk feststellt, eine "satirisch-verfremdete Verkleinerung" Hitlers. So wird Kutzner von den wahren Machthabern Bayerns für einen "Ausbund von Dummheit und Blumenkohl", oder auch für "ein blühendes Rindvieh" gehalten.
Auch die im Roman hervorgehobene Rednergabe gleicht eher "schlecht gespielten Heldenvorführungen". Im Roman nimmt Kutzner beim Schauspieler Stolzing rhetorischen Unterricht. Stolzings Bemühungen zielen im Roman darauf ab, seine Schüler für die Heldenrolle auf der historischen Bühne vorzubereiten.
Der historische Hitler war keineswegs so dumm, abergläubisch und ängstlich wie sein literarisches Pendant Kutzner. Selbst der Hitler der zwanziger Jahre verfolgte seine politischen Ziele zweckrational. Jedoch war die Beurteilung Hitlers als dumm typisch für die liberale und linke Intelligenz der Weimarer Republik: den politischen Gegner hielt man "für dumm, sich selbst aber für gescheit".
Die "Wahrhaft Deutschen"
Mitgliederstruktur
Als einen wesentlichen Grund für das Wachstum der "Wahrhaft Deutschen" benennt der Roman die Verunsicherung des Münchner Kleinbürgertums, das exemplarisch an der Figur des Cajetan Lechner dargestellt wird. Der im Grunde politisch völlig uninteressierte und uninformierte Lechner, der die komplexen ökonomischen Mechanismen der Inflation nicht durchschaut, nimmt lediglich war, wie ihm sein Besitz wegschwindet. Er sucht Halt und Hilfe bei Kutzner:
"Er (Cajetan Lechner, d. Vf.) ging zum Kutzner, überzeugt, der Führer werde ihn rächen und bewirken, dass er doch noch hochkommt"
Die Schuld für seine mißliche Lage sieht Cajetan Lechner in der Republik und im Sozialismus, Begriffe, die für ihn Synonyme sind: "Die waren an allem Schuld, die Brüder, die roten Hunde, die roten." Insbesondere das Kleinbürgertum erhofft sich von Kutzner, der immer wieder in aggressiver demagogischer Weise gegen die "Novemberverbrecher" aufhetzt und fordert, man dürfe nicht ruhen, bis an jedem Laternenpfahl ein Linker aufgehängt sei, dass er "Ordnung schaffen" wird. Fest schreibt in diesem Zusammenhang:
"Dieser Abwehrhaltung gegen die marxistische Revolutionsdrohung hat der Nationalsozialismus zum erheblichen Teil Pathos, Aggressivität und inneren Zusammenhalt verdankt."
"Die Unruhen, der Radikalismus der politischen Massen, die Revolutionswirren wurden überwiegend nicht nur als Nachwehen des Krieges verstanden, sondern auch als Vorzeichen einer fremd und chaotisch heraufziehenden Zeit, in der nichts mehr gelten würde, was Europa groß und vertraut gemacht hatte"
Aber nicht nur die ältere, verunsicherte Generation, sondern auch die im Krieg entwurzelte, sich in die Nachkriegsordnung zum Teil schwer einfindende und unausgefüllte Jugend strömt zu Kutzner, unter ihnen selbst Kommunisten, die sich von seiner wilden Aktivität angezogen fühlen. Der Prototyp dieser jungen, aktionistischen Generation ist Erich Boornhaak, der uneheliche Sohn des jüdischen Anwalts Dr. Geyer. Er wird als gewissenlose, ausschließlich nach persönlichen Vorteilen und Vergnügen strebende Person geschildert, die mit dem dubiosen Versicherungsangestellten Dellmaier kriminelle Geschäfte macht. Beide schließen sich Kutzner nicht aus politischer Überzeugung an, sondern aus Bestätigungsdrang und um im Schutze der Parteiorganisation ihren zweifelhaften Geschäften nachzugehen. Für Erich Boornhaak ist selbst der politische Mord nur ein Mittel zum sozialen Aufstieg. Auch sein politisches Engagement ist ausschließlich von der Suche nach persönlichem Vorteil bestimmt:
"Wenn Erich sich mit so wilder Betriebsamkeit in der Partei betätigte, dann v.a., weil Kutzner und Vesemann ihm seinen Freund (Dellmaier, der Mörder des Reichsaußenministers Rathenau; d. Vf.) aus dem Gefängnis herausholen sollten"
Die Beschreibung des Weltbildes von Boornhaak und Dellmaier kann als typisch für das einer Jugend, die im Krieg um alle Hoffnungen und Wertvorstellungen gebracht wurde, angesehen werden:
"Sie hatten den Schwindel durchschaut. Hatten Heldentaten verrichtet, aus Langeweile. Hatten verlernt an irgend etwas zu glauben. Bismarck, Gott, Schwarzweißrot, Lenin, völkische Belange (...): es war alles der selbe Schwindel."
So arbeitet der illusionslose Boornhaak zwar eifrig für die Partei, steht ihrer Ideologie jedoch völlig gleichgültig gegenüber. Sehr deutlich erkennt er auch, wie in der Ideologie der Wahrhaft Deutschen Logik durch Emotion ersetzt wird: "Die Patrioten machten sich's leicht. Wo in der Erkenntnis eine Lücke war, sprangen sie einfach mit Gefühl hinein." Auch durchschaut Boornhaak die Unhaltbarkeit der faschistischen Rassentheorie:
"Mit was für Begriffen sie herumwarfen: Hochkultur, Herrenvolk, südische, ostische Rasse. Überall gefühlsmäßige Wertungen. Eine weitläufige Mythologie, zusammengebaut, wie Kinder am Meer ihre Sandburgen bauen. Nirgends solider, wissenschaftlicher Boden. Wenn man ihn näher belinste, den nordischen Gedanken, dann war er Bluff."
Auf der anderen Seite ist er gerade deshalb von dieser Theorie fasziniert, da sie Logik ablehnt und Glauben verlangt.
"Es löste sich alles so einfach, wenn man die Menschen teilte in Helden, in Herrenrassen, von der Natur bestimmt, auszubeuten, und in Feiglinge, in Sklaven, bestimmt ausgebeutet zu werden."
Verhältnis zu den Marxisten
Lion Feuchtwanger beschreibt in "Erfolg" seiner Ansicht nach bestehende Analogien zwischen dem linken und dem rechten Extrem. In dem Mitgliederpotential dieser Bewegungen sieht er gewisse Ãœberschneidungen.
"In Berlin gingen die Mißvergnügten zu den Kommunisten; in München flüchteten sie zum Hakenkreuz."
Auch hinsichtlich ihres öffentlichen Auftretens zieht Feuchtwanger vergleiche zwischen Kommunisten und den Wahrhaft Deutschen. Beide Gruppen gehen regelmäßig in die Stammlokale der jeweils anderen um sich gegenseitig zu verprügeln. So verweist er auch auf "sonderbare Fäden von den Kommunisten (...) hinüber zu den Patrioten" und sieht eine Wesensverwandtschaft zwischen den beiden Richtungen, die sich "alles von Gewalt" erhoffen und "begierig auf Kampf" sind. Der "Durst nach Kampf und Änderung (...), nach Putsch einte Kommunisten und Patrioten". Aufgrund der daraus resultierenden Sympathie "sucht man sich gerade in den beiderseitigen Hauptquartieren die Partner aus für die landesüblichen Stechereien", so dass "eine schöne und gesunde Rauferei" entstand.
Die auch in der Realität zu beobachtende Fluktuation zwischen Kommunisten und Patrioten in den frühen zwanziger Jahren, erklärt Feuchtwanger genau als Folge dieser Analogien.
"In der Wirtschaft 'Zum Gaisgarten' (Stammlokal der Wahrhaft Deutschen, d. Vf.) hatte ein gewisser Sölchmaier verkehrt, ein Setzerlehrling aus der Druckerei Gschwendtner (Verleger des Vaterländischen Anzeigers, d. Vf.), ein trüber Bursche. Der Faktor der Druckerei konnte ihn nicht leiden, schikanierte ihn, mißhandelte ihn. Der Sölchmaier übertrug seine Gefühle gegen den Faktor auf den Inhalt der Kutznerschen Zeitung, an der er setzte. Betrachtete sie mit immer kritischeren Augen, wechselte, als er schließlich aus dem Betrieb des Gschwendtner hinausgeschmissen wurde, hinüber in die Hundskugel (Stammlokal der Kommunisten, d. Vf.), wo noch immer die Rote sieben tagte."
"Viele von den Kommunisten waren früher Patrioten gewesen."
Feuchtwanger ist jedoch weit davon entfernt eine Gleichung "rot = braun" aufzustellen. Ideologie und gesellschaftliche Praxis unterscheidet er grundsätzlich. In den Faschisten sieht er eine reale Gefahr für die Demokratie und Republik, die Kommunisten sind im Roman hingegen gesellschaftlich bedeutungslos.
"Kutzner", die "Wahrhaft Deutschen" und ihre Förderer
Kutzner und die "Wahrhaft Deutschen" entwickeln sich im Laufe des Romans zum "verhätschelten Liebling" der bayerischen Regierung. Auch erlangen sie die gunst potenter bayerischer, norddeutscher und sogar ausländischer Geldgeber.
Sowohl die bayerische Regierung als auch die Industrie halten sich Kutzner und seine Anhänger als wirksames Instrument gegen linke Kräfte. Sie sind davon überzeugt, dass sie die Wahrhaft Deutschen, falls sie sie nicht mehr brauchen, schnell loswerden würden. So unterstützt Ministerpräsident Flaucher die Patrioten von Anfang an und vertritt auch offen deren Ideologie. Erst im Moment des Putsches, der seine eigenen Pläne durchkreuzt, die auf ein eigenständiges Bayern zielen, wendet er sich von Kutzner ab. Seine eigenen Ziele lassen ein konsequentes Paktieren mit den Wahrhaft Deutschen nicht weiter zu.
Auch Klenk begünstigt die Wahrhaft Deutschen, wenn auch aus ganz anderen Gründen:
"Klenk hingegen machte sich lustig über Kutzner, sein gipsernes Geprotz, seine miserablen Reden. Hier war einer der prinzipiellen Gegensätze zwischen Klenk und Flaucher. Der Minister Flaucher begünstigte die Wahrhaft Deutschen. Der Minister Klenk benutzte die Bewegung, wo er sie brauchen konnte, fand aber, man müsse dem Kutzner, werde er seiner Neigung gemäß zu frech, ab und zu aufs Maul hauen. 'Ich fürchte, einmal müssen wir in auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen, den Kutzner.'"
Nachdem Klenk während einer vorübergehenden schweren Krankheit von rivalisierenden Politikern aus dem Amt gedrängt wurde, entwickelt er jedoch starke Haß- und Rachegefühle gegen die bayerische Regierung und seine Landsleute im Allgemeinen. Er erkennt zwar in Kutzner den "Hohlkopf", sieht, dass die Wahrhaft Deutschen, gelangten sie wirklich an die Macht, nur Schaden anrichten würden, unterstützt sie nun jedoch genau aus diesem Grund.
"Er (Klenk, d. Vf.) sah Bilder, wüst und großartig, wie er es seiner stupiden, undankbaren Vaterstadt zeigen wird. Er hat die patriotische Bewegung seinen Landsleuten zum Vorteil drehen wollen; darauf haben sie ihn auf kleine, gemeine, niederträchtige Art davongejagt. Nun wird er sie halt gegen sie drehen"
"Offiziell mochte der Kutzner ruhig vornan stehen; (...) es lag ihm (Klenk, d. Vf.) nichts am Schein der Macht: die wirkliche Macht wollte er. Er hatte sie. Er gab die Richtlinien, die Ideen."
An dieser Stelle wird auch die generelle Haltung der Förderer deutlich, die in Kutzner nur eine Marionette ihrer eigenen Absichten sehen. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen dem historischen Hitler und Kutzner. zwar hat Hitler, wie im Roman Kutzner, bereits in den frühen zwanziger Jahren wesentliche Unterstützung erhalten, im Gegensatz zu der Romanfigur hat Hitler jedoch seine Politik bei all diesen Zuwendungen nicht den Wünschen und dem "zweckrationalen Kalkül" seiner Gönner angepaßt.
Reindl ist im Roman der Repräsentant der wirtschaftlichen Protektion der Wahrhaft Deutschen. Die Großindustrie sieht in den Wahrhaft Deutschen ein geeignetes Mittel gegen sozialistische Bestrebungen und protegiert und benützt sie deswegen: "Damit den Sozialisten Leute weggenommen werden, darum unterstützen wir den Kutzner." Aus diesem Gründen erlangte auch Hitler die Unterstützung der Industrie.
Auch die Norddeutsche Industrie, bei der "Vaterland und Profit zu einer unlöslichen Idee verfilzt" war, unterstützte die Wahrhaft Deutschen. Sie gab den "Patrioten Geld, weil sie den Roten Leute wegfangen, weiße Organisationen gegen sie aufziehen wollten". Sie wollten "eine wirklich zuverlässige Rückendeckung gegen die Forderungen der Arbeiter".
Der Putsch "Kutzners"
Bei der Darstellung des "Kutznerputsches" hält sich Feuchtwanger nur vordergründig an die historischen Wirklichkeit. Die Hintergründe des Putsches, die zeitlichen Verhältnisse werden verschoben: Amerikanische Anleihen gab es in nennenswerten Umfang erst 1924/25 im Zusammenhang mit dem Dawes-Plan; die Stabilisierung der Reichsmark fällt ebenfalls erst in diesen Zeitraum. Die Einigung der französischen mit der deutschen Industrie und damit das Ende des Ruhrkampfes werden im Roman als Gründe für das Scheitern des Putsches gewertet, da die wahren Machthaber (vor allem Reindl) zu diesem Zeitpunkt ihre Unterstützung bereits zurückzogen:
"Im November, über Nacht schlug der Wind um. (...) '(...) ich (Reindl, d. Vf.) höre, das Gesicht des Herrn Kutzner gefällt ihnen jetzt weniger, Herr Staatskommissar (Flaucher, d. Vf.). Auch ich habe mich entschlossen kein Geld, mehr in den Herrn zu stecken.' (...) Er (Flaucher, d. Vf.) verstand (...), dass die lässige Bemerkung dieses verfluchten Reindl mehr wog als tausend patriotische Kundgebungen. (...) Das Kapital zeigte den Anhängern des Staatsstreiches und des Wehrgedankens die kalte Schulter."
In der Realität aber dürfte erst die Aufgabe des Ruhrkampfes und das damit entstehende Machtvakuum einer Revolution von rechts Aussicht auf Erfolg gegeben haben, worauf der chronikalische Erzähler in "Erfolg" auch hinweist:
"In München die Wahrhaft Deutschen triumphierten. (...) nicht die Baumblüte, der erste Schnee war die rechte Zeit für den Marsch nach Berlin"
Der Einfluß der wahren Machthaber und des Geldes verhindern in "Erfolg" von vornherein den Erfolg der Unternehmungen Kutzners. Zur Zeit der Baumblüte bekommt Flaucher die Nachricht von einer Anleihe aus Amerika, die ihm derart den Rücken stärkt, dass er das Verbot der Fahnenweihen durchsetzen kann. Als Reindl den Geldhahn der Industrie zudreht, ist in "Erfolg" der Putsch zum Scheitern verurteilt.
Die Abläufe der Ereignisse in der Nacht vom 8. auf den 9. November sind hingegen sehr genau der Realität entsprechend wiedergegeben. Die Rede Kutzners im Kapuzinerbräu ist so gut wie identisch mit der Hitlers im Bürgerbräukeller. Der Marsch der Wahrhaft Deutschen am nächsten Tag durch München wird mit wenigen gezielten Schüssen der Reichswehr aufgelöst; die Regierung Flaucher hat den Putsch niedergeschlagen. Dieser Zusammenbruch des Putsches wird in "Erfolg" aus der Perspektive des kleinbürgerlichen Mitläufers Cajetan Lechner dargestellt, "den nach der Begeisterung des Vorabends allmählich das Grauen packt".
Der "Kutzner-Vesemann-Prozeß"
Der Prozess gerät im Roman wie in der Wirklichkeit zur Farce und wird zu einem triumphalen Sieg Kutzners.
Sowohl der Verlauf des Prozesses, den Kutzner - wie auch Hitler - als Forum für sich nutzen, die Verschleierung der wahren Tatsachen, die Anklage Kutzners und Vesemanns, aber nicht Flauchers, als auch der Ausgang des Prozesses und die Aufnahme des Urteils bei den Zuhörern sind im Roman und in der Realität entsprechend.
Aufnahme des Romans in der zeitgenössischen Presse
Als der Roman 1930 nach dem Ende der goldenen Ära Stresemann erschien, erweckte er großes Aufsehen. Zu dieser Zeit hatte die NSDAP einen sensationellen Stimmenzuwachs von fünf Millionen erhalten. Es war gefährlich geworden, ein satirisches Buch über Hitler zu veröffentlichen. So schreibt der "Völkische Beobachter" über "Erfolg":
"Nach dieser Leistung bleibt dem Löb Feuchtwanger wohl nur noch zu bescheinigen, dass er sich einen zukünftigen Emigrantenplatz reichlich verdient hat."
Joseph Goebbels bezeichnet den Roman als
"Giftstoff, seelenlose Asphaltliteratur, wie sie eben durch jüdische Literaturherrschaft in Deutschland hochkommen konnte."
Auch der "Bayerische Staatsanzeiger" verliert kein gutes Wort an den Roman:
'"Schandwerk (...) mit objektiv unwahren Behauptungen (...) typisches Erzeugnis gehässiger Schundliteratur (...) gemeine Schmähschrift gegen Bayern und München. Kein einziges Abbild entspricht der Wahrheit, manche sind mit diplomatischer Vorsicht skizziert, die meisten gröblich, ja infam verzeichnet und entstellt. (...) von verblendetem Hass diktierte Unwahrheiten und perfide Verleumdungen des Landes, Volkes und der führenden Persönlichkeiten Bayerns (...) die bayerische Justiz mit kaum zu übertreffender Frechheit in den Schmutz gezogen (...) man kann dieses langstielige 'edelanarchistische' Gesudel aus der Sphäre der bolschewistischen Sendboten und 'internationalen' Literaten nicht ohne Ekel und Anfälle von Seekrankheit lesen (...). In dieser Hinsicht haben wir Grund zu glauben, dass ein bayernfresserisches Buch unseren jüdischen Mitbürgern in Bayern höchst unerwünscht kommt (...). Merkwürdig, dass gebildete Menschen, selbst so gescheite, erfolgreiche Literaten wie Lion Feuchtwanger - nicht wissen was sie tun.'"
Eine Ausnahme in der überwiegend ablehnenden Haltung der inländischen Presse bildet "Die literarische Welt":
"Zu gewissen Zeiten sammelt sich die Wirkliche Tapferkeit innerhalb einer Nation bei den Schriftstellern an. Schon heute gehört keine Tapferkeit dazu, innerhalb der Armee eine bestimmte Art von Landesverrat zu begehen, aber es gehört Tapferkeit dazu, sich als Schriftsteller lächelnd vor die Mächte zu stellen, denen zur Zeit das Trompetensolo im politischen Orchester zufällt. (...) Somit attestiere ich Lion Feuchtwanger für seinen zweibändigen Roman 'Erfolg' gleich zu Anfang eine mutige und unpopuläre Haltung, denn er poltert nicht, sondern schreibt mit dem bitteren Humor des aristophanen Geistes eine große Satire über das Land Bayern. (...)
Feuchtwanger stellt das, wie die Stabilisierung des Volks- und Stammesrechts notwendig zum Zerfall des Geistes und damit wieder zu einer nationalistischen Anarchie führen muss (...)
Kein historischer Roman, sondern die erste große Zeitsatire über einen störrigen Volksstamm (...), von absoluter Treffsicherheit im Psychologischen, scharf im Zugriff, ein Satyrspiel vor dem Hintergrund einer Tragödie die vorübertanzend, rücksichtslos und derb im Spaß wie im Zorn."
Im Ausland erfuhr der Roman eine überwiegend positive Aufnahme, wie das wohl repräsentative Beispiel des schwedischen Literaturkritikers Carl David Marcus zeigt:
"Er (der Roman, d. Vf.) heißt 'Erfolg', geht (...) von einem gewissen Rechtsfall aus, der wenig mit Recht, aber viel mit Politik zu tun hat, diesmal in Bayern, und enthüllt in einer langen Reihe von ätzend scharfen Kapiteln das politische und geistige Leben eines Bauernstaates mit einer Vielfalt von lebendigen Figuren und einer Beherrschung hinter der tiefgehenden Kritik, die in der deutschen Epik eine Neuheit sein dürfte."
Literaturverzeichnis
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Brückener, Egon / Modick, Klaus: Lion Feuchtwangers Roman "Erfolg". Leistung und Problematik schriftstellerischer Aufklärung in der Endphase der Weimarer Republik. Kronberg / Ts.: 1978; (Monographien.: Literaturwissenschaft; Band 42) Clason, Synnöve: Die Welt erklären. Geschichte und Fiktion in Lion Feuchtwangers Roman "Erfolg". Stockholm: 1975 (Acta Universitatis Stockholmiensis: Stockholmer Germanistische Forschungen; Band 19) Fest, Joachim C.: Hitler. Eine Biographie. Frankfurt am Main: 1973 (5) Feuchtwanger, Lion: Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Berlin: 1995 (2) Heiber, Helmut: Die Republik von Weimar. München: 1982 (15); (dtv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts) Hoegner, Wilhelm: Die verratene Republik. Deutsche Geschichte 1919-1945. München: 1979 Maser, Werner: Der Sturm auf die Republik. Frühgeschichte der NSDAP. Frankfurt am Main: 1981 Müller-Funk, Wolfgang: Literatur als geschichtliches Argument. Zur ästhetischen Konzeption und Geschichtsverarbeitung in Lion Feuchtwangers Romantrilogie Der Wartesaal. Frankfurt am Main: 1981; (Europäische Hochschulschriften: Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur; Band 415) Seitz, Gabriele: Über Lion Feuchtwangers Roman "Erfolg", in: Fischer Cinema, Frankfurt am Main: 1991
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