Stefan Zweig
Stefan Zweig * 28.11.1881 † 23.02.1942
Universität in Wien Philosophie, Romanistik und Germanistik. Er litt an der sogenannten "schwarzen Leber", einer Art immer wiederkehrender Depression, die ihn selbst bei bester Stimmung für die "Schattenseiten des Lebens" anfällig machte.
Stefan Zweig war immer pazifistisch und weltpolitisch eingestellt, wünschte sich ein Kultureuropa ohne Grenzen und fungierte oft als Vermittler zwischen den Nationen. Sein Leben war durch ständiges Reisen innerhalb Europas, unter anderem durch Belgien, Frankreich, England und Italien, geprägt. Diese Reisen nannte er seine "wirklichen Studien".
Schon 1919 zog er nach Salzburg um, da diese Stadt zentraler gelegen und somit geeigneter für seine Auslandsreisen war als Wien.
Sein Erfolg - schon zu Lebzeiten war er der meistübersetzte und international bekannteste österreichische Schriftsteller - lässt sich durch verschiedene Faktoren erklären: Stefan Zweig besitzt die Kunst, geschichtliche Begebenheiten auf eine novellistische Art zu erzählen, kann typisch menschliches Verhalten auf eine fesselnde Art und Weise darstellen und weiß sich dabei des psychoanalytischen "Auseinandernehmens" zu bedienen; eine Art Einfühlungsvermögen ist in seinen Werken zu erkennen.
Er selbst war ein für alles offener und in einer selbstaufopfernden Weise Hilfe leistender Mitmensch, der immer an das Gute im Menschen zu glauben schien. Eine Art "Überparteilichkeit" gehörte ebenfalls zu seinen Charakterstärken. Durch eine "böse Vorahnung", die er für Österreichs politische Entwicklung hegte, entschloß er sich, 1933 nach London zu reisen. 1934 ließ er sich dort nieder und nahm 1940 die britische Staatsbürgerschaft an. Seine Ehefrau Friderike (gebürtige von Winternitz) blieb derweil in Österreich zurück. In Lotte Altmann, seiner Sekretärin, fand er in England bald seine neue Lebensgefährtin.
Stefan Zweig ließ sich durch seine Eigenschaft der "Überparteilichkeit" nicht vom damals aufkommenden Fanatismus begeistern, wodurch er auffiel. Seine eigene politische Meinung tat er, wie so oft, durch seine folgenden Werke kund, jedoch musste er durch den aufkommenden Nationalsozialismus mit seinem Verlag brechen, der seit 30 Jahren seine Werke veröffentlicht hatte. Doch auch in England fühlte er sich nicht wohl, ihn überfiel eine Art innere Unruhe, der er sich nicht entziehen konnte, seine Idee vom vereinigten Kultureuropa war zerstört.
Durch eine Vortragsreise kam Stefan Zweig 1940 nach Brasilien. Dort ließ er sich in Petrópolis (nahe bei Rio de Janeiro) mit seiner nachgereisten Lebensgefährtin nieder. Er wollte nicht mehr in eine völlig zerstörte Welt in Europa zurückkehren. Dort schrieb er nicht nur die "Schachnovelle", sondern auch 1941 seine eigene Biographie, die er "Die Welt von gestern" nannte - die Welt, die er nie wieder sehen würde. Die Ideale, die ihm einst so wichtig waren, waren vernichtet worden.
Mit dem Eintritt Japans in den Weltkrieg und der Niederlage Singapurs, den schlimmen Nachrichten aus Europa und der Hoffnungslosigkeit seiner eigenen Lage, wählten Stefan Zweig und seine Lebensgefährtin Lotte Altmann am 23. Februar 1942 in Petrópolis den Freitod.
1941 erschien mit der psychologischen Schachnovelle Zweigs wohl bekanntestes Werk. Jeremias (1917) ist eine "dramatische Dichtung" und ebenfalls sehr bekannt. Stefan Zweig schrieb außerdem Biographien und Novellen, darunter Der Amokläufer (1922), Angst (1925) und Verwirrung der Gefühle (1927). Neben zahlreichen Essays, z. B. Drei Meister (1920), Drei Dichter ihres Lebens (1925), Die Heilung durch den Geist (1931) sowie Sternstunden der Menschheit (1927) entstanden auch Spätwerke. Zu ihnen gehören die Romanbiographien Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam (1934), Marie Antoinette (1932) und Maria Stuart (1935). Seine nostalgische Autobiographie Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers wurde 1942 posthum herausgegeben. Weitere Werke des Autors sind die Gedichtbände Silberne Saiten (1901) und Die frühen Kränze (1906), die Dramen Tersites (1907) und Das Haus am Meer (1912), die Biographien Joseph Fouché (1929) und Magellan (1938) sowie die Prosabände Erstes Erlebnis (1911), Die Augen des ewigen Bruders (1922), Begegnungen mit Menschen, Büchern, Städten (1937) und Rausch der Verwandlung (veröffentlicht 1982).
2.) Inhaltsangabe des Buches
An Bord eines Passagierdampfers der Linie New York - Buenos Aires begegnet der Ich - Erzähler dem Schachweltmeister Mirko Czentovic. In einem Rückblick wird Czentovics Weg zum Erfolg geschildert.
Mirko ist der Sohn eines armen, südslawischen Donauschiffers, welcher bei einem Schiffsunglück ums Leben kam. Der Ortspfarrer nimmt den damals Zwölfjährigen aus Mitleid auf und bemüht sich sehr um seine Bildung. Mirko kann jedoch keinen Sinn in Buchstaben und Wörtern erkennen. Willig verrichtet er häusliche Arbeiten, jedoch mit "totaler Teilnahmslosigkeit". Abends, wenn der Pfarrer mit dem Polizisten Schach spielt, sitzt Mirko scheinbar schläfrig daneben. Seine Fähigkeit, Schach spielen zu können, stellt sich heraus, als der Pfarrer zu einer Kranken gerufen wird und Mirko mit dem Polizisten die angefangene Partie zu Ende spielt. Später stellt Mirko sein Können im Schachclub in der Nachbarstadt unter Beweis. Die Mitglieder des Clubs sind von Mirkos Talent begeistert und fördern seine Karriere. Aus dem geistig zurückgebliebenen Schiffersohn wird schließlich der Schachweltmeister.
Der Ich - Erzähler möchte mit dem Slawen Kontakt aufnehmen, um etwas über ihn zu erfahren. Er versucht, durch ein (gestelltes) Schachspiel mit seiner Frau im Smoking Room des Schiffes Czentovics Interesse zu wecken, um ihn anschließend in ein Gespräch verwickeln zu können. Doch als erster Interessierter gesellt sich nicht Czentovic zu ihnen, sondern ein reicher, schottischer Tiefbauingenieur namens McConnor. Dieser fordert den Ich - Erzähler zu einem Match auf. Mitten in dem sich anschließenden Spiel betritt Czentovic den Raum und beobachtet das Spiel just zu dem Zeitpunkt, als McConnor einen besonders ungeschickten Zug macht. Der Weltmeister würdigt den "Schachlaien" keines weiteren Blickes und verlässt den Smoking Room wieder. Als McConnor klar wird, dass niemand anders als der amtierende Schachweltmeister ihre Partie, wenn auch nur kurz, verfolgt hat, eilt er hinter Czentovic her und fordert ihn zu einer sogenannten "Simultanpartie" heraus. Dieser sagt zu, allerdings nur unter der Bedingung, dass er ein Honorar von 250, - $ pro Spiel bekommt. Der Millionär willigt ein. Die erste Runde erweist sich als äußerst kurz, und Czentovic geht als triumphaler Sieger hervor. Bei der zweiten Partie jedoch greift ein fremder Herr, der österreichische Emigrant Dr. B., beratend in die schon fast verlorene Partie ein. Durch dessen geschickte Taktik und meisterhafte Vorausberechnung kann er ein Remis gegen den Weltmeister retten.
In einem weiteren Rückblick wird die Schachkunst des in Schachkreisen Unbekannten erklärt: Dr. B. wurde zur Nazizeit als Vermögensverwalter großer Klöster von der Gestapo verhaftet und während seiner Haft in einem Hotelzimmer mit lediglich einem Bett, einem Sessel, einer Waschschüssel und einem vergitterten Fenster festgehalten. Die Absicht der Nazioffiziere war, ihn so zu isolieren, dass er irgendwann die Geheimnisse der Reichsgegner verraten würde, nur um wieder unter Menschen zu kommen. Er konnte sich nur vor nervlicher Zerrüttung und geistiger Aushöhlung bewahren, indem er monatelang eine Sammlung von 150 Meisterpartien auswendig lernte, welche er aus dem Mantel eines Militäroffiziers hatte stehlen können. Dieses Buch bot ihm eine geeignete Beschäftigung gegen die Monotonie der Haft. Als er aber alle Partien auswendig konnte, ging der Reiz verloren, Partien lediglich im Geist nachzuspielen. So verfiel er der geistigen Schizophrenie und versuchte, gegen sich selbst zu spielen, also sein Bewußtsein in ein "Ich - Weiß" und "Ich - Schwarz" zu teilen. Diese künstliche Bewußtseinsspaltung brachte Nebenwirkungen mit sich: Der Gefangene wurde nervös und ging in seinem Zimmer auf und ab. Außerdem litt er unter ständigem Durst, wieviel er auch trank. Schließlich verlor er fast seinen Verstand, von ihm selbst als "Schachvergiftung" bezeichnet. Dabei zog er sich eine Schnittwunde an der rechten Hand zu, die dauerhaft als Narbe sichtbar blieb. Der Verletzte wurde in ein Hospital verlegt, dessen Leiter bald darauf seine Entlassung erwirkte.
Czentovic, der sehr von den Schachkenntnissen des Dr. B. beeindruckt ist, fordert den Österreicher zu einer Partie ohne andere Mitspieler auf. Dr. B. sagt nach einigem Zögern zu, will jedoch nur eine einzige Partie gegen Czentovic spielen, um zu erfahren, ob er der psychischen Belastung dieser Partie standhalten kann. Er trifft sich mit Czentovic und spielt zum ersten Mal seit seiner Haft nun wieder Schach, aber diesmal auf einem richtigen Schachbrett und gegen einen menschlichen Gegner. In der ersten Partie schlägt er Czentovic, zeigt aber schon klare Symptome der wiederkehrenden "Schachvergiftung". Er rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her und leidet, wie in seiner Einzelhaft, an einem unstillbaren Durst. Auch beginnt er wieder, nervös umherzulaufen. Czentovic bemerkt, dass die Ursache für Dr. B.s Nervosität in den langen Pausen zwischen den Zügen liegt, die sich Czentovic gestattet. Trotzdem geht der Österreicher als Sieger aus dieser Partie hervor. Im folgenden Spiel hemmt der kühle und berechnende Schachweltmeister den Spielfluß durch absichtliche Verzögerungen. Für Dr. B. ist das ständige Wartenmüssen so belastend, dass er beginnt, sich mit imaginären Partien zu beschäftigen. Sein Zustand eskaliert, und er muss kurz vor seinem endgültigen Delirium vom Schachbrett entfernt werden.
3.) Charakteristik der Personen
Aus der großen anonymen Menge der Passagiere hebt Stefan Zweig nur drei Personen hervor. Um sie gruppieren sich "Statisten" ohne größere Bedeutung. Die drei hervorgehobenen Personen sind:
McConnor, ein Tiefbauingenieur, der in Amerika zu beträchtlichem Wohlstand gekommen ist, wird schon am Anfang der Novelle mit eindeutig negativen Merkmalen eingeführt. Er wird als "...ein stämmiger Mensch mit starken, fast quadratisch harten Kinnbacken..."1beschrieben. Sein Aussehen findet sich auch in seinem rüden, selbstgefälligen, mürrischen, rücksichtslosen und triumphierenden Charakter wieder ("Die auffällig breiten, fast athletisch vehementen Schultern machten sich leider auch im Spiel charaktermäßig bemerkbar, denn dieser Mister McConnor gehörte zu jener Sorte selbstbesessener Erfolgsmenschen, die auch im belanglosesten Spiel eine Niederlage schon als Herabsetzung ihres Persönlichkeitsbewußtseins empfinden."2). Er selbst wird als ein sogenannter "Selfmademan"3, seine Sprache als direkt, unqualifiziert und als zum Teil unhöflich dargestellt.
Mirko Czentovic, geboren als Sohn eines armen südslawischen Donauschiffers, wird nach dem Tode seines Vaters als Zwölfjähriger von einem Dorfpfarrer aufgenommen und erzogen. Trotz allen Anstrengungen gelingt es diesem nicht, dem Jungen eine elementare Bildung zu verschaffen. Mirko wird als "maulfaules, dumpfes, breitstirniges Kind"4beschrieben. Sein Gehirn arbeitet nur schwerfällig. Willig verrichtet er häusliche Arbeiten, aber mit "totaler Teilnahmslosigkeit"5.
Der Chronist stellt Czentovic zwar als Schachprofi dar, gleichzeitig aber schildert er auch dessen negative Charakterzüge. Der Slawe ist behäbig und unbeweglich, seine Kaltschnäuzigkeit und Emotionslosigkeit ist sein Erfolgsrezept, an seiner "zähen und kalten Logik"6sind viele intelligentere und ihm an Phantasie überlegene Champions gescheitert. Sein ganzes Leben lang hat er all seine Denkweise dem Schachspiel gewidmet, dem einseitig Begabten bleibt jeder Zugang zur eigentlichen Welt verschlossen. Er ist stur und nimmt keinen Kontakt zu seinen Mitmenschen auf, da er fürchtet, dass diese seinen fehlenden Intellekt bemerken. Mirko wird als "unmenschlicher Schachautomat"7, der nur einen "flüchtigen Blick" aufs Schachbrett wirft und die Gegner von oben herab behandelt, beschrieben. Auf dem Schachbrett hat er Erfolg, doch im Leben ist er eine "groteske, beinahe komische Figur"8.
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1 Stefan Zweig: Schachnovelle, Seite 26
2 Stefan Zweig: Schachnovelle, Seite 26
3 Stefan Zweig: Schachnovelle, Seite 26
4 Stefan Zweig: Schachnovelle, Seite 9
5 Stefan Zweig: Schachnovelle, Seite 10
6 Stefan Zweig: Schachnovelle, Seite 16
7 Stefan Zweig: Schachnovelle, Seite 34
8 Stefan Zweig: Schachnovelle, Seite 17
Dr. B. ist eine stille und unauffällige Person, bevor er in der Isolationshaft der Nazis an der "Schachvergiftung"9erkrankt. In dem "Hotel" ist Dr. B. von der
Außenwelt abgeschnitten, jegliche Beschäftigung und Kommunikation mit
Mitmenschen wird ihm untersagt. Um nicht dem psychischen Druck der Nazis zu unterliegen, beschäftigt er sich mit aufgezeichneten Schachpartien. Dies endet in einer "künstlichen Schizophrenie"10. Dr. B. versucht, "eine Spaltung in ein Ich Weiß und ein Ich Schwarz"11zu vollziehen, um Partien nicht nur im Geist nachzuspielen, sondern gegen sich selbst zu spielen - nach Dr. B. "eine solche Paradoxie, wie über seinen eigenen Schatten zu springen."12Nachdem seine geistige Verwirrung durch einen Arzt festgestellt wird, kann er das Gefängnis der Nazis verlassen.
Doch Dr. B. ist nach dieser Haft nicht mehr derselbe. Die vollständige Einsamkeit hatte ihn menschenscheu, verwirrt und unruhig gemacht. Wenn er unter Streß steht, ist er ängstlich und nervös. Besonders im Schachspiel gegen Czentovic, der immer die volle Zugzeit ausnutzt, wirkt er unruhig und sehr gereizt. Schließlich steht er kurz vor dem nervlichen Zusammenbruch und kann nur durch Hilfe des Erzählers vor einem Delirium geschützt werden, indem dieser ihn an seine Vergangenheit erinnert ("Ich sagte nichts als ,Remember!‘13und fuhr ihm mit dem Finger über die Narbe seiner Hand."14). Aus dem ehemals freundlichen und bescheidenen Menschenfreund ist durch die Nazihaft eine psychisch gestörte Person geworden.
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9 Stefan Zweig: Schachnovelle, Seite 85 f.
10 Stefan Zweig: Schachnovelle, Seite 82
11 vgl. Stefan Zweig: Schachnovelle, Seite 78
12 Stefan Zweig: Schachnovelle, Seite 78
13 engl. für "Erinnere dich!"
14 Stefan Zweig: Schachnovelle, Seite 109
4.) Aufbau des Buches
Die Novelle "Die Schachnovelle" von Stefan Zweig ist eine Ich - Erzählung, in der die erzählende Person jedoch eine untergeordnete, beobachtende Stellung einnimmt, so dass über weite Abschnitte hinweg der Eindruck einer Er - Erzählung entsteht. Unterbrochen wird die auf dem Schiff spielende Handlung durch zwei eingeschobene Erzählungen, von denen die eine in der Erform (Karriere Czentovics), die andere in der Ichform (Isolationshaft Dr. B.s) vorgetragen wird.
Die Novelle ist deutlich in zwei Abschnitte geteilt. Den ersten Teil bestimmt die Gestalt des Schachmeisters, den zweiten die des Dr. B. Beide Teile zeigen einen ähnlichen Aufbau. Nachdem das Interesse an der jeweiligen Hauptperson geweckt ist, wird dessen Geschichte wiedergegeben - Czentovics Weg zum Erfolg bzw. Dr. B.s Gefangenschaft. Die Teile unterscheiden sich durch den unterschiedlichen Gebrauch der Erzählform, der Personen, der Zeiten und des Ortes. Dr. B.s Erzählung ist sehr ausführlich beschrieben (ca. 53 von 120 Seiten), während Czentovics Kindheit auf nur gut 12 Seiten dargestellt wird. Dadurch wird deutlich, dass Stefan Zweig den Schwerpunkt der Novelle auf die grausamen Foltermethoden der Nazis und deren Nachwirkungen legt, was durch den Titel "Schachnovelle" jedoch nicht sehr deutlich wird. Aber gerade durch diese geschickte Verschmelzung zweier normalerweise völlig unterschiedlicher Themen bringt Stefan Zweig auch eine bestimmte Gruppe von Lesern dazu, sein Werk mit Interesse und Spannung durchzulesen, nämlich diejenigen, die sich nicht für die Vergangenheit Deutschlands, das Hitlerregime und dessen schreckliche Methoden interessieren. Diese Leser vermuten hinter dem Titel des Buches eine vordergründige Erzählung über das Schachspiel, fangen an zu lesen, und finden sich später völlig vertieft und gespannt gerade in Dr. B.s Erzählung wieder.
5.) Eine typische Textstelle des Buches
"Dass nun ein Weltmeister ein halbes Dutzend mittlerer oder unmittlerer Spieler mit der linken Hand niederfegt, war an sich wenig erstaunlich; verdrießlich wirkte eigentlich auf uns alle nur die präpotente Art, mit der Czentovic es uns allzu deutlich fühlen ließ, dass er uns mit der linken Hand erledigte. Er warf jedesmal nur einen scheinbar flüchtigen Blick auf das Brett, sah an uns so lässig vorbei, als ob wir selbst tote Holzfiguren wären, und diese impertinente Geste erinnerte unwillkürlich an die, mit der man einem räudigen Hund abgewendeten Blicks einen Brocken zuwirft." (Schachnovelle Seite 33 f.)
Der Ausschnitt ist im Prinzip so aufgebaut wie die Mehrzahl der Satzgefüge dieser Novelle. Der sachlichen Feststellung folgt als Beispiel ein ins Bild gehobener Vergleich. Auffällig an diesem Zitat ist aber die Häufigkeit von Pronomen und Adverbien, die dem Ganzen, trotz einiger hervorstehender, schlagkräftiger Adjektive und bedeutungsvoller Substantive das Flüssige, aber auch das Farblose der Alltagssprache geben. Dies ist ein Zug, der durch die ganze Novelle zu verfolgen ist, selten aber so offensichtlich wie hier. Hervorgehoben werden muss neben der charakteristischen Neubildung "unmittlerer..." das Adjektiv "präpotent" (veraltet: übermächtig), das hervorstechend das Überhebliche und zugleich Ungeistige Czentovics bezeichnet. Ebenso charakteristisch für die geringschätzige Art des Weltmeisters ist die Wendung "mit der linken Hand".
6.) Merkmale einer Novelle
Die "Schachnovelle" besitzt wie alle anderen Novellen charakteristische Merkmale, die typisch für "die kleine Schwester des Dramas" (Benno von Wiese) sind. Die Merkmale sind:
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Authentizitätsnachweis Geschlossene Form Exposition strammer Handlungsstrang Höhe - /Wendepunkt der "Zufall als Regent" Dingsymbol
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Authentizitätsnachweis:
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Geschlossene Form:
In der Exposition werden die Hauptpersonen, der Handlungsort und die Zeit, in der die Novelle spielt, dargestellt. Die Exposition in der "Schachnovelle" reicht von dem Beginn der Schiffsreise bis zu der Vorstellung der Person Mirko Czentovic. Näheres siehe "Authentizitätsnachweis".
2.) strammer Handlungsstrang:
Der hauptsächliche Handlungsstrang, nämlich die Schiffahrt und die dort stattfindenden Begebenheiten, werden nur durch die Rückblicke unterbrochen, die dem Leser die Personen des Dr. B. und des Czentovic näherbringen sollen. Bis zum Ende der Novelle läuft die Handlung hintereinander ab, es gibt keine Nebenhandlungen, die sich parallel zu den Ereignissen mit Czentovic, Dr. B., McConnor und dem Erzähler entwickeln.
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Höhe - /Wendepunkt
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der "Zufall als Regent"
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Dingsymbol
7.) Persönlicher Eindruck
Die "Schachnovelle" von Stefan Zweig gefällt mir gut, da der Stil von Stefan Zweig sehr einfach und flüssig zu lesen ist. Die ca. 120 Seiten sind schnell durchgelesen. Schon nach den ersten fünf Seiten hatte ich mich eingelesen und legte das Buch erst wieder beiseite, nachdem ich das Ende der Novelle erfahren hatte. Das Buch zog mich besonders bei Dr. B.s Erzählung in seinen Bann, da es in diesem Abschnitt sehr spannend und anspruchsvoll geschrieben ist. Ich fieberte mit dem Gefangenen mit und hoffte auf eine Befreiung oder Entlassung Dr. B.s. Doch auch die Geschehnisse an Bord des Passagierschiffes sind fesselnd in Szene gesetzt - die Schachspiele hat Stefan Zweig sehr dramatisch und nervenaufreibend beschrieben.
Auch gefällt mir die Thematik der Novelle, da der Autor dem Naziregime gegenüber kritisch eingestellt ist und die psychischen Foltermethoden der Offiziere tadelt. Der Leser wird durch Dr. B.s Erzählung über die unmenschliche Behandlung der Regimegegner aufgeklärt. Da Stefan Zweig nicht nur nackte Zahlen sprechen lässt, sondern das Schicksal der betroffenen Personen an einem Beispiel besonders ausführlich schildert, wurde mir das Verhängnis dieser Leute erst richtig bewußt.
8.) Historischer Hintergrund
Die "Schachnovelle" wurde von Stefan Zweig im Jahre 1941 zur Zeit des Zweiten Weltkriegs geschrieben. Zweig war sehr pazifistisch und weltoffen eingestellt und konnte sich daher mit dem faschistischen Regime Hitlers nicht identifizieren. Andersdenkenden wie ihm wurde von diesem Regime jedoch jede Art von Widerstand im eigenen Lande unmöglich gemacht, weshalb Zweig ins Exil flüchten musste. In Brasilien verfaßte er seine letzte abgeschlossene Prosadichtung, die "Schachnovelle", ein Werk aus der Gattung der Exilliteratur. Czentovic, der stumpfsinnige, ungebildete Schachspieler verkörpert den "Ungeist" und somit für diese Zeit den Nationalsozialismus, während Dr. B. als gebildeter, eloquenter und überaus intelligenter Mensch ein Symbol für die geheimen Widerstandsbewegungen (z. B. die "Weiße Rose") gegen das Hitlerregime verkörpert. Dr. B. erscheint zweifellos als der bessere Schachspieler, verfällt im Schachspiel gegen Czentovic jedoch dem Nervenfieber und muss die Partie abbrechen. Dies legt dar, dass die Widerstandsbewegungen im 3. Reich die falsche Propaganda der Nationalsozialisten frühzeitig durchschauten und die Absicht eines Krieges erkannten, jedoch von dem Hitlerregime und der Gestapo aufs bitterste verfolgt und schließlich durch Einweisungen in Konzentrationslager oder Zuchthäuser mundtot gemacht wurden.
9.) Quellenverzeichnis
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Stefan Zweig: Schachnovelle,
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Microsoft Encarta 99 Enzyklopädie Hartmut Müller: Stefan Zweig,
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Meyers Großes Taschenlexikon,
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