Mutter Courage und ihre Kinder

1. Inhalte

1.1. Die Darstellung der Thematik
Bertolt Brechts "Mutter Courage und ihre Kinder" ist ein gesellschaft - politisch geprägtes Drama, welches, besonders zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, die relativ schlechte Kombinationsmöglichkeit von politischen Forderungen und gesellschaftlichen Interessen verdeutlicht.
Das Stück besteht aus zwei ineinanderfließende Hauptthemen :
1. Der Dreißigjährige Krieg, der wie ein Leitfaden die ganze Handlung umschliesst.
2. Das Verhalten der Mutter Courage, welches sich allerdings auch noch in zwei Themenbereiche unterteilen lässt .
Da wäre einmal, das Verhalten der Mutter Courage als Händlerin, die von dem Krieg profitieren möchte und zum anderen, das Verhalten der Courage als Mutter, die sich um ihre Kinder sorgt und diese eigentlich auch vom Krieg fernhalten möchte.

1.2. Skizze des Inhalts
Anna Fierling, auch Mutter Courage genannt, zieht im Jahre 1624, zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, mit ihren drei Kindern Eilif, Schweizerkas, ihrer stummen Tochter Kattrin und ihrem Marktwagen, durchs Land. In Darlene begegnen sie einem Feldwebel und einem Werber, die für den Feldzug in Polen Soldaten suchen. Als Wahrsagerin sagt sie dem Feldwebel, aber auch ihren eigenen Kindern den Tod voraus, um ihren Sohn von dem Soldatenleben fernzuhalten, was ihr aber durch einen Handel, der sie ablenkt, nicht gelingt. 1625/26 trifft sie ihren Sohn Eilif, als Soldatenheld, in Polen wieder. Auf seine Heldentat, einen Bauern zu erschlagen und sein Vieh zu stehlen, reagiert sie sehr negativ.
Drei Jahre später gerät Mutter Courage, gemeinsam mit dem finnischen Regiment, in die Gefangenschaft der Katholiken. Ihr Sohn Schweizerkas, ist Zahlmeister geworden und verwaltet die Regimentskasse, doch als er diese vor den Katholiken in Sicherheit bringen will, wird er erwischt und in Gefangenschaft genommen. Um ihn freikaufen zu können, versucht die Courage, ihren Marktwagen an den Obristen der Lagerhure Yvette, zu verpfänden, doch durch ihre Geldgier und die lange Feilscherei um den Preis, verliert sie doch ihren Sohn Schweizerkas.
Sie gerät immer wieder in den Konflikt, aus dem Krieg Provit zu machen und ihre Mutterrolle wahrzunehmen.
Ihr zweiter Sohn Eilif wird zum Tode verurteilt, weil er zur Zeit des Friedens eine Bauersfrau umgebracht hat. 1636 wird auch ihre Tochter Kattrin erschossen, da sie versucht die Stadt Halle vor der Gefahr der kaiserlichen Truppen zu warnen.
Im Unwissen über den Tod ihres zweiten Sohnes, zieht die Courage mit ihrem Wagen weiter, ohne etwas aus ihrem Verhalten im Krieg gelernt zu haben.

2. Stilistik

2.1. Die Charakteristik der sprachlichen Gestaltung des Werkes insgesamt
Das Drama ist von sprachlichen Verfremdungen durchzogen, wie z.B. Wortwitzen, Sinnesverdrehungen, Umformulierungen von Zitaten, Paradoxien und Mißverständnissen.
Z.B. auf Seite 59, wo durch die Veränderung des Kommas zum Doppelpunkt, der ganze Sinn des Orginalsatzes: "Der Mensch denkt, Gott lenkt." verändert wird.
In der Sprache der Mutter wird oft der Akkusativ für den Dativ eingesetzt, wie z.B. auf der S.55: " ...mit die Säbel..." oder S.93: "... mitn Wagen...".
Ebenso benutzt die Mutter statt des Relativpronomen, das Wort "wo". S.40: "...,den Schweden, wo Hörner aufhat" oder S.84: "Der Alte, wo beinah mein Wagen gekauft hätt" oder "Der Pfeifenpieter! Wo die Weiber verrückt gemacht hat!"
Es sind viele Ausdrücke aus der einfachen Umgangssprache enthalten, wie z.B. auf S.62: "..., Krampen!" oder S.10: "...umgestanden,...".
Auch ihr Sprachwitz ist sehr auffällig, z.B. auf S.10, wo der Werber sagt: "Im Lager brauchen wir Zucht." und die Mutter antwortet: "Ich dacht Würst."
Brecht verwendet den Verfremdungseffekt des epischen Theaters und beeinflußt damit ein unerwartetes Sprachmuster, was eine gewisse Undurchsichtigkeit und Unklarheit der Reden hervorruft. Es geht ihm nicht um eine Wortmagie, er will nicht verzaubern, sondern entzaubern.
Dadurch wird dem Sprecher erlaubt, ungestraft subversive Wahrheiten auszusprechen.
Z.B. auf Seite 64, wo sich die Mutter Courage zu dem Tod des Feldhauptmanns äussert, wird die geheime Subversität durch Ausdrücke von Hochachtung und Trauer neutralisiert.1
Auch dadurch, dass er vor jeder Szene schon kurz berichtet, was in dieser geschehen wird, nimmt er dem Leser die Spannung und neutralisiert ihn.

2.2. Die detaillierte sprachliche Analyse einer typischen Passage
In dem " Lied von der großen Kapitulation" wird die Grundhaltung der Mutter verdeutlicht.
Das Lied besteht aus drei gleich aufgebauten Strophen. An jeweils eine vierzeilige Strophe, schließt sich ein neunzeiliger Refrain an. Die Strophen werden nach der zweiten und vierten Zeile, durch einen in Klammern gesetzten Text, kommentiert.
In der ersten Strophe wird die Mutter als junges, optimistisches Mädchen dargestellt, die sich für etwas Besonderes hält. Der in der Klammer dargestellte Text zeigt, dass sie sich von der Masse abheben will und ihr Leben selber gestalten möchte (die nächsten beiden Zeilen). Durch in Klammern gesetzte Redewendungen, verstärkt sie nochmals ihr Vertrauen an sich selbst.
Der Refrain nach der ersten Strophe wird mit "Doch" eingeleitet und spricht die Courage, die noch nicht kapituliert hat, durch das "du" direkt an. Es wurde das Bild der Kapelle gewählt, da es nicht die Individualität, einer einzelnen Person in der Masse, sehr gut darstellt. Die zweite Strophe beginnt damit, dass sie an ihren Lebensumständen scheitert und ihre Ziele nicht mehr verwirklichen kann. Der in Klammern geschriebene Kommentar enthält wieder Redewendungen, die aber diesmal die Anpassung und nicht das Abheben von der Gesellschaft beschreiben. Diesmal spricht der Refrain, durch "sie marschiert", die nun auch kapitulierende Courage direkt an. Die dritte Strophe setzt diese, in Strophe eins und zwei auftretenden Antithesen, gegeneinander. Es wird noch einmal das Selbstvertrauen bestärkt, doch werden die Erfahrungen des Unmöglichen der Courage dagegen gesetzt. 2

2.3. Die Frage nach der Angemessenheit der sprachlichen Mittel
Die Sprache ist gemessen an der Thematik eigentlich ziemlich unpassend gewählt. Der Ernst des Krieges und die teilweise fast komödienhafte Sprache der Mutter sind sehr wiedersprüchlich zueinander. Anderseits versucht Brecht, durch genau diese Wiedersprüchlichkeit, den Leser zu schockieren und ihn dadurch von dem Verhalten der Personen zu distanzieren.3Damit wäre die Sprache im Sinne des epischen Theaters doch ganz gut gewählt.
3. Biographische Bezüge

3.1. Die Biographie des Autors
Am 10.Februar 1898 wird Bertolt Brecht (eigentlich Bertolt Eugen), in Augsburg, als Sohn des kaufmännischen Angestellten Bertolt Friedrich Brecht (1869 - 1939) und der Mutter Sofie (geborene Brenzin 1871 - 1920), geboren. Als Gymnasiast schreibt Brecht seine ersten provozierenden Gedichte, in denen deutlich wird, dass er etwas gegen die herrschende Moral seiner bürgerlichen Umgebung hat. Sein erstes Drama "Die Bibel" entsteht. Brecht distanziert sich sehr schnell von seiner vorhergegangenen Kriegsbegeisterung. 1971 legt Brecht sein Notabitur ab. Er beginnt in München ein Medizinstudium, wird dann aber als Sanitätssoldat eingezogen und erlebt das Kriegsende in einem Augsburger Lazarett. In seinem nun fertiggewordenem Stück "Baal" wird wieder seine Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Moral deutlich. 1919 wird Brechts erster Sohn Frank geboren. Mutter ist seine damalige Jugendfreundin Paula ("Bie") Banholzer. Brecht sucht Kontakte mit Theatern und Verlegern und verfasst Theaterkritiken für die USDAP - Zeitung "Volkswille". Nachdem es ihm gelingt an den Münchener Kammerspielen einen Vertrag als Dramaturg abzuschließen, entsteht sein zweites Stück "Trommeln in der Nacht", in dem er sich mit dem revolutionären Kampf der Spartakisten beschäftigt. 1920 verstarb seine Mutter und er heiratet zwei Jahre später die Sängerin Marianne Zoff. In München wird in der Uraufführung von "Trommeln in der Nacht", das Mittel der Verfremdung das erste Mal benutzt. 1923 wird seine Tochter Hanne geboren. 1924 zieht Brecht nach Berlin und arbeitet auch dort als Dramaturg am Deutschen Theater, wohnt dort allerdings mit seiner späteren zweiten Frau, Helene Weigel, zusammen. Von ihr wird Brechts zweiter Sohn Stephan geboren. Ein Jahr später erscheint die "Hauspostille", eine Sammlung von Gedichten aus den Jahren 1915 - 1926. Ebenfalls entsteht das Stück "Mann ist Mann" und dann 1927 das Songbeispiel "Mahagonny". Brecht wird von seiner ersten Frau, Marianne Zoff, geschieden. Durch seinen Freund, den marxistischen Kritiker Walter Benjamin (1892 - 1940), wird er immer mehr über den Marxismus belehrt, so dass er letztendlich die marxistische Arbeiterschule "MASCH" besucht und sich Ende der zwanziger Jahre für die revolutionäre Arbeiterklasse entscheidet. Als Auftragsarbeit entsteht dann 1928 "Die Dreigroschenoper". Am 10. April heiratet er Helene Weigel und sie bekommen eine Tochter, Maria Barbara. Brecht erarbeitet mit verschiedenen Freunden die Lehrstücke "Der Ozeanflug", "Die Maßnahme", "Die Ausnahme und die Regel" und "Der Jasager und Der Neinsager", die schon seine endgültige marxistisch - klassenkämpferische Position darstellen. Er wechselt, durch seine veränderte gesellschaftspolitische Haltung, auch in der Theaterpraxis zu dem "epischen Theater", welches durch eine starke Distanzierung des Zuschauers versucht, ihn eine unbeeinflusste, eigene Lösung finden zu lassen.
Unter Mitarbeit von Slatan Dudow, Hans Eisler und Günther Weisenborn entsteht das Stück "Die Mutter". 1929/30 schreibt Brecht "Die heilige Johanna der Schlachthöfe". Am 28. Februar 1933 wandert Brecht über Prag, Wien, Zürich und Paris von Deutschland nach Dänemark aus. Der "Dreigroschenroman" und "Die Horatier und die Kuratier" entstehen. 1935 reist er nach Moskau, wo ihm von den Nazis die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt wird. Nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges entsteht das Stück "Die Gewehre der Frau Carrar", dann das Stück "Der gute Mensch von Sezuan" und 1938 einige Novellen und theoretische Schriften mit dem Titel "Der Messingkauf". Ebenfalls wird "Das Leben des Galilei" fertiggestellt. Diese Stücke haben alle eins gemeinsam, sie analysieren die Funktionsweise der kapitalistischen Gesellschaft und rufen den Zuschauer zu Kritik und Veränderung auf.
Nach dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges 1939, wandert Brecht nach Schweden aus, wo er Ende 1939 auch das Stück "Mutter Courage und ihre Kinder" fertigstellt.
Als im April 1940 deutsche Truppen in Dänemark und Norwegen einmarschieren, verlässt Brecht Schweden und fährt nach Helsinki, wo er dann unter anderem sein Stück "Herr Puntila und sein Knecht Matti" beendet.
Brecht arbeitet an den "Geschichten vom Herrn Keuner" und beginnt die "Flüchtlingsgespräche" niederzuschreiben. 1941 entsteht unter Mitarbeit von Margarete Steffin "Der unaufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui". Im April 1941 wird in Zürich "Mutter Courage und ihre Kinder" uraufgeführt, doch ist Brecht mit dieser Aufführung sehr unzufrieden, da er merkt, dass er mit seiner Absicht eines Lehrstückes mißverstanden wurde und es als eine Tragödie aufgefasst wurde. Er gelang durch seine Flucht vor den Faschisten nach Los Angeles. In Hollywood lässt er sich dann mit seiner Familie nieder, wo er erfährt, dass sein Sohn als deutscher Soldat in Russland starb. Sein Sohn Stephan wird amerikanischer Staatsbürger. "Die Gesichte der Simone Machard" entsteht unter Zusammenarbeit mit Lion Feuchtwanger. Er versucht alle Hitlergegner in einem Exil zu vereinen, was allerdings nicht gelingt, da die Gegensätze zwischen marxistischen und bürgerlichen Intellektuellen zu groß sind. 1944 entsteht "Der kaukasische Kreidekreis" und "Schwejk im Zweiten Weltkrieg". Anfang 1945 entsteht durch eine Versübertragung des Kommunistischen Manifests das "Lehrgedicht von der Natur der Menschen". Sofort nach Kriegsende versucht Brecht wieder nach Europa zurückzukehren. Er lebt dann in Feldmeilen bei Zürich und schreibt das "Kleine Organon für das Theater". Er bemüht sich die österreichische Staatsbürgerschaft für sich und seine Frau zu erhalten, was 1950 allerdings erst gelingt. Im Sommer beginnt er zusammen mit Helene Weigel die Arbeit am "Berliner Ensemble" und findet in Berlin auch die Möglichkeit seine Theorie des epischen Theaters auszuführen, was ihn zur Bearbeitung von dem "Hofmeister" bringt und zur Veröffentlichung der "Kalendergeschichten" beiträgt. Durch SED Kritik, muss er den Titel von "Das Verhör des Lukullus" in "Die Verurteilung des Lukullus" umändern. 1951 wird ihm der Nationalpreis 1. Klasse der DDR verliehen. Er bearbeitet Shakespears "Coriolan" und Anna Seghers "Der Prozeß der Jeane d'Arc zu Ruoen 1431". Brecht wird im Mai 1953 zum Präsidenten des PEN - Zentrums Ost und West gewählt und schreibt im selben Jahr "Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher". Er wird Vizepräsident der Deutschen Akademie der Künste und erhält in Moskau im Mai 1955 den Stalin - Friedenspreis. Darauf beginnen Arbeiten zur Verfilmung der "Mutter Courage...", die aber wegen Meinungsverschiedenheiten erst fünf Jahre später fertigestellt wurden.
Brecht starb am 14. August 1956, mit achtundfünfzig Jahren, an einem Herzinfakt und wurde auf dem Dorotheenfriedhof beerdigt.4

3.2 Die Stellung des Werkes in der Vita des Autors
Für den marxistischen Brecht hatte die Mutter Courage eine wichtige Stellung in seinem Leben. Durch dieses Stück versucht er die Menschen, von dem eben nicht unabwendbaren Schicksal des Krieges, zu überzeugen. Er versucht seine marxistische Haltung mit dem epischen Theater zu verdeutlichen und dem Menschen klar zu machen, dass er Dinge verändern kann, wenn er es nur will (materialistische These "das gesellschaftliche sein bestimmt das Bewußtsein").
Durch seine Merkmale des epischen Theaters, wie z.B. das des Verfremdungs - Effekts, will er eine Distanzierung und keine Identifizierung des Zuschauers mit dem auf der Bühne Dargestellten. Damit zwingt er ihn gleichzeitig zu einer eigenen, kritischen Stellungnahme, was ihn dazu bringt eine eigene Entscheidung zu treffen.
Genau dieses wünscht sich Brecht auch in der Realität. Der Mensch soll besonders das politische Geschehen nicht einfach nur hinnehmen, sondern er soll sich damit auseinandersetzen und er soll es auch mit beeinflussen.
Brecht richtet sich mit diesem Wunsch besonders an die unterdrückten, unteren Schichten.5

4. Bewertungen

4.1. Die Bedeutung der Inhalte für das Lesepublikum
4.1.1. Ist die Thematik ein abstruser Einzelfall oder wird mit dem Besonderen auch Allgemeines erfaßt?
Die Thematik, die sich mit den gesellschaftspolitischen Problemen beschäftigt, ist nicht nur ein Problem der damaligen Zeit, sondern lässt sich auch noch auf die heutige Zeit übertragen.
Es ist die Sorge um den Frieden, mit der sich Brecht damals beschäftigt hat und die sich an Beispielen wie dem Golfkrieg und vielen anderen politischen Auseinandersetzungen auch immer wieder aktualisieren lässt. Schon damals war Brecht der Ansicht, sein Stück wäre zu spät gekommen (im Bezug darauf, dass er es als eine Art Lehre vor der Hitlerzeit veröffentlichen wollte und dies aber nicht schaffte), könnte aber dennoch aus der Furcht vor neuen Kriegen wieder gespielt werden.6 Auch die Zwiespältigkeit der Menschen ist in der heutigen Gesellschaft wiederzuerkennen. Der Mensch muss sich auch heute noch mit dem Konflikt des gesellschaftlichen Seins und des Bewußtseins auseinandersetzen.

4.1.2 Gelingt über die gewählten Inhalte die Kontaktaufnahme zum Leser?
Brecht gelingt die Kontaktaufnahme zum Leser durch das teilweise schockierende Verhalten der Mutter Courage, die durch ihre Geldgier verursacht, dass ihre Kinder sterben.
Dieses schockierende, widersprüchliche Verhalten zwischen Mutter und Händlerin soll dem Leser verdeutlichen, wie der Mensch durch die kapitalistische Gesellschaftsordnung zum unnatürlichem Handeln getrieben wird, auch wenn er es eigentlich nicht will.
Der Leser wird durch das Verhalten der Mutter dazu gebracht, über das Dargestellte, die Fehler und die Ursachen nachzudenken und eventuell sogar eine eigene bessere Lösung zu finden.
Brecht versucht durch diese Inhalte die Veränderlichkeit des Menschen und der Welt zu verdeutlichen. Es kommt Brecht nicht darauf an, die Mutter Courage am Ende einsichtig zu machen, was in der 6. Szene teilweise passiert, sich dann aber wieder zur Uneinsicht wandelt, er möchte nur, dass der Leser am Ende etwas sieht, was ihm auch gelingt.7

4.2. Die Bedeutung der Stilistik für die Rezepienten: "lesbar" oder nicht?
Durch die bayrisch - alemannische Dialektverfärbung8der Mutter Courage, spricht sie sozusagen in der Umgangssprache der damaligen Zeit, was dazu führt, dass die Sprache für den Rezipienten relativ gut zu verstehen ist. Die Dialoge werden in keiner hochgestochenen Art und Weise geführt und sind mit der Ausnahme einer weniger Wörter gut nachzuvollziehen. Der größte Teil des Wortschatzes, ist mit dem der heutigen Zeit noch ziemlich übereinstimmend.
Jedoch wird der Leser, durch die in 2.1. schon erklärten Verfremdungseffekte, in eine gewisse Unklarheit gebracht, die von Brecht, durch seine Art des epischen Theaters, aber beabsichtigt wird.

5. Skizze eines produktorientierten Interpretationsansatzes
In dem Drama "Mutter Courage und ihre Kinder" von Bertolt Brecht, wird besonders die Widersprüchlichkeit der Mutter Courage deutlich. Dies beginnt schon in der ersten Szene, wo sie einerseits Handel mit dem Werber betreibt, andererseits dennoch versucht ihren Sohn Eilif vom Kriegsgeschehen fernzuhalten. Doch überwiegt hier schon der Drang zum Handel und die Rolle als sorgsame Mutter wird verdrängt. Der Feldwebel erkennt schon in dieser Szene die Unvereinbarkeit dieser beiden Rollen und sagt: "Du willst vom Krieg leben, aber dich und die Deinen willst du draußen halten, wie?" und:
"Will vom Krieg leben
Wird wohl müssen ihm auch was geben." (S.19)
Auch in der zweiten Szene kommt dieser Konflikt wieder durch, als sie die Heldentat ihres Sohnes ausnutzt, um bei ihrem Geschäft zu profitieren.
Sie sieht den Krieg als etwas Positives, da er ihr hilft durch die allgemeine Notlage Geld zu verdienen. Nur in der 6. Szene verflucht sie den Krieg, weil ihre Tochter nur negative Erfahrungen mit ihm gemacht hat. "Der Krieg soll verflucht sein."(S.74). Sie schlüpft kurz in die Rolle der Mutter.
Doch direkt in der Szene danach sieht sie wieder nur die "positiven" Seiten des Krieges.
Auch der Versuch ihren zweiten Sohn durch Bestechung vor dem Tod zu retten, gelingt ihr durch ihre Habgier nicht.
Allerdings schlüpft sie in der 9. Szene wieder kurz in die Mutterrolle, da sie sich statt für den Koch und eine gute Unterkunft, für ihre Tochter entscheidet: "Ich brauch nix zu überlegen. Ich lass sie nicht hier." (S.96)
Es stellt sich dennoch heraus, dass sie nichts aus den grauenhaften Kriegsereignissen gelernt hat, was sich durch den Satz: "Ich muss wieder in den Handel kommen."(S.107) bestätigt.
Sie hat alle ihre Kinder durch das Kriegsgeschehen verloren und sieht ihn dennoch als etwas Positives, etwas woraus sie profitieren kann und der ihr das Überleben ermöglicht.
Es ist das Schockierende, was Brecht damit hervorzieht. Er möchte das sich die Leute den grausamen Kriegen nicht einfach so hingeben. Sie sollen anfangen mit dem Herzen und nicht, wie hier dargestellt, zu sehr mit dem Kopf denken.

6. Zusammenfassende Darstellung der Rezeptonsgeschichte
In der Spielzeit 1961/62 nahm das Theater der Stadt Baden - Baden auf Drängen der Stadtverordnetenversammlung, aus Gründen politischen Takts und moralischen Empfindens, das Stück aus dem Spielplan. Zu dieser Zeit setzten auch neun weitere renommierte westdeutsche Bühnen die Aufführung ab. Im April 1956 verbot das ZK der SED 700 Studenten der Karl - Marx - Universität Leipzig eine Diskussion mit Brecht im Schiffbauerdamm - Theater Berlin. Walter Ulbricht benannte das Stück als "eine Brüskierung der Partei". Brecht war zu seinen Lebzeiten im Westen sowie auch im Osten umstritten.
Der Geist revolutionärer Dialektik war im ersten deutschen Arbeiter - und Bauernstaat nicht gefragt.
Der IV. Schriftsteller - Kongreß der DDR warf ihm sogar eine Vulgarisierung der Literatur vor.
In den sechziger und siebziger Jahren änderte sich dies. Alleine in der Zeit zwischen 1969/70 wurde auf den westlichen deutschsprachigen Bühnen " Mutter Courage..." 145 Mal aufgeführt.
Helmut Jendreiek unterschied 1969 im Rückblick auf die Nachkriegsjahre drei Phasen der Brecht - Rezeption: die polemische, die strukturalistische und die marxistische.9
Nach der vorherigen Ignorierung seiner Literatur wurde Brecht seit Beginn der 60er Jahre immer mehr für den Deutschunterricht verwendet, allerdings wurde der "politische" Brecht immer mehr von dem "literarischen" getrennt. Die dritte Phase, seit dem Ende der 60er Jahren untersucht Brecht eher unter dem Aspekt des Marxismus.10

7. Zusammenfassendes Urteil ("Lesempfehlung")
Das Drama "Mutter Courage und ihre Kinder" von Bertolt Brecht ist sehr empfehlenswert, da es durch die Art des epischen Theaters einmal eine andere Art von Drama darstellt.
Der Leser wird gezwungen sich zu diesem Stück kritisch zu distanzieren und sich sein eigenes Bild von dem Ganzen zu machen, ohne die typischen Wege in den Schoß gelegt zu bekommen. Man wird nicht in ein märchenhaftes Geschehen einbezogen, sondern erhält eine Art Denkanstoss, für Dinge die sich im wahren Leben abspielen.
Teilweise sind dargestellte Verhaltensweisen schwer nachzuvollziehen, was aber von Brecht so beabsichtigt wurde und nur zum anderen eigenen Denken führen soll.
Ansonsten ist "Mutter Courage und ihre Kinder" ein wirklich etwas andersartiges, aber dennoch sehr empfehlenswertes Drama.

Ammerkungen:
1Edgar Hein S.36ff.
2Gert Eversberg S.87ff.
3Gert Eversberg S.39ff.
4Gert Eversberg S.14ff.
5Gert Eversberg S.42ff.
6Gert Eversberg S.55
7Gert Eversberg S.99ff.
8Edgar Hein S.35
9Edgar Hein S.80
10Gert Eversberg S.10

Literaturverzeichnis


Einfach, oder in Klammern angegebene Seiten beziehen sich auf:
Bertolt Brecht, Mutter Courage und ihre Kinder, edition suhrkamp 49, Frankfurt am Main 1963

Edgar Hein, Bertolt Brecht, Mutter Courage und ihre Kinder: Interpretation / von Edgar Hein. - 2., überarb. u. korr. Aufl. in der neuen Rechtschreibung - München, Oldenbourg, 1997. (Oldenbourg Interpretationen; Bd. 66)

Gert Eversberg, Bertolt Brecht, Mutter Courage und ihre Kinder, Beispiel für Theorie und Praxis des epischen Theaters, Analysen und Reflexionen, Band 19, Joachim Beyer Verlag, 8601 Hollfeld/Ofr. 1976


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