Leutnant Burda
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Zur Entstehung ........................................................................................................... 2
1.1 Ferdinand von Saar - Biographisches ................................................................... 2
1.2 Die Entstehung des Leutnant Burda ...................................................................... 2
1.3 Erste Veröffentlichungen und die Aufnahme bei Publikum und Kritik ........ 3
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Leutnant Burda - eine autobiographische Novelle? ......................................... 4
2.1 Leutnant Burda - ein Leben zwischen den StÀnden ......................................... 4
2.2 Parallelen zum Leben Ferdinand von Saars ....................................................... 6
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Leutnant Burda und sein ErzÀhler ........................................................................ 7
3.1 Der ErzÀhler in Leutnant Burda .............................................................................. 7
3.2 Burdas Wahn und die Melancholie des ErzÀhlers .............................................. 9
3.3 Der Einfluss Arthur Schopenhauers und die Rolle des Zufalls ..................... 11
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Weitere Bedeutungsebenen ................................................................................... 13
4.1 ErzÀhlte Literatur .................................................................................................. 13
4.2 Zeitgeschichtliche BezĂŒge .................................................................................... 15
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Bibliographie .............................................................................................................. 17 Zur Entstehung
Ferdinand von Saar wurde am 30. September 1833 in Wien geboren und entstammte einer geadelten Beamtenfamilie. Sein Vater starb frĂŒh, und so fĂŒhrte Saar mit seiner Mutter ein bescheidenes und zurĂŒckgezogenes Leben.
Als wÀhrend seiner Gymnasialzeit 1848 die Revolution ausbrach, ergriff er auf Geheià seines Vormunds den Beruf des Soldaten. Bei geringem Sold und ohne förderliche Beziehungen blieb Saar bis 1860 beim MilitÀr und nahm dann seinen Abschied, um als freier Dichter zu leben.
Die folgenden Jahre wurden sehr schwer fĂŒr Saar; kleinere Schulden aus der MilitĂ€rzeit brachten ihn wiederholt in Haft; Schreibhemmungen verhinderten eine rasche Produktion, mit der er sich dem Publikum hĂ€tte bekannt machen oder Geld verdienen können. Seine finanzielle Situation spitzte sich immer mehr zu.
In dieser Zeit unterstĂŒtzten ihn besonders adelige Gönnerinnen, unter ihnen die FĂŒrstin Marie zu Hohenlohe, die auch an der Entstehung des Leutnant Burda maĂgeblich beteiligt war.
Obwohl Saars Lebenswerk nach und nach sichtbar wurde, und er auch zunehmende Anerkennung von auĂen erfuhr, gewann eine pessimistische und melancholische Grundhaltung immer mehr die Ăberhand. Seine letzten Jahre wurden durch Krankheit und Klagen ĂŒber den mangelnden Absatz seiner Werke sowie seine Erfolgslosigkeit als Dramatiker verdĂŒstert; seine Gesundheit wurde durch ein chronisches Leiden immer stĂ€rker angegriffen.
Ohne Aussicht auf Heilung nahm sich Saar 1906 schlieĂlich das Leben.[1]
1.2 Die Entstehung des Leutnant Burda
Dem Erscheinungsdatum nach gehört Leutnant Burda zu Saars spĂ€teren Werken, aber PlĂ€ne zu der Novelle haben wohl schon recht frĂŒh existiert.
Seiner Gönnerin FĂŒrstin Marie zu Hohenlohe berichtete er bereits im September 1879 von fĂŒnf neuen Novellen, die er zu schreiben ĂŒberlegte, eine davon Leutnant Burda. Die Arbeit kam aber frĂŒh ins Stocken; Saar befĂŒrchtete, dass seine neuen Stoffe, die er in seiner Lebenserfahrung begrĂŒndete und von den frĂŒheren deutlich abgehoben sah, das Publikumsinteresse nicht gerade fördern wĂŒrden.
Obwohl Saar sich in den folgenden Jahren mit anderen Projekten beschĂ€ftigte, blieb er seinem Plan der Novellen treu, und so ermunterte ihn die FĂŒrstin 1885, sie doch am Werden seiner Werke teilnehmen zu lassen. Auf dieses Angebot kam Saar dann 1886 auch zurĂŒck, als er, um eine möglichst realistische Darstellung bemĂŒht, der FĂŒrstin eine Reihe von Fragen zum Benehmen bei Hofe stellte, die diese sehr ausfĂŒhrlich beantwortete.
Wieder folgte auf eine Phase des konzentrierten Arbeitens eine schöpferische Pause. In einem Brief an den Verleger Karl Emil Franzos vom November 1886 kommt aber deutlich die Absicht heraus, Leutnant Burda bald fertig zu stellen. Saar hatte sich nĂ€mlich entschlossen, Franzos die Novelle fĂŒr dessen Literaturzeitschrift Deutsche Dichtung zur VerfĂŒgung zu stellen. Neben der Absicht, dem Kollegen und Freund einen Gefallen zu erweisen, stand wohl auch die Hoffnung dahinter, ein breiteres Publikum als sonst zu erreichen.
Ăberzeugt von der QualitĂ€t seiner ErzĂ€hlung machte sich Saar an die Arbeit und konnte im Mai 1887 der FĂŒrstin Hohenlohe endgĂŒltig den Abschluss seines Leutnant Burda melden.[2]
1.3 Erste Veröffentlichungen und die Aufnahme bei Publikum und Kritik
Wie bereits erwĂ€hnt, versprach Ferdinand von Saar schon wĂ€hrend der Entstehung des Leutnant Burda die Novelle Karl Emil Franzos fĂŒr seine Deutsche Dichtung. Dort erschien sie dann auch im Herbst 1887.
Ein Jahr spĂ€ter, im September 1888, erschien die Novelle erneut im Rahmen der Sammlung Schicksale. Das EinfĂŒgen zusĂ€tzlicher AbsĂ€tze bewirkte eine noch deutlichere und bewusstere Strukturierung des Textes.
Nun blieben schnelle Reaktionen nicht aus. ZunĂ€chst kam uneingeschrĂ€nktes Lob, etwa vom Altgermanisten Anton E. Schönbach, der sich in seinem Buch Ăber Lesen und Bildung ausfĂŒhrlich mit zeitgenössischer Literatur auseinandersetzte, oder in der Rezension Adam MĂŒller - Gutenbrunns im Abendblatt der Deutschen Zeitung vom 24. November 1888.
Erste kritische Anmerkungen stammen von Karl Emil Franzos, der am 15. Dezember 1888 in der Deutschen Dichtung unter einem Pseudonym eine Besprechung des Novelle veröffentlichte. Franzos kritisierte, "die ZufĂ€lle, welche die Einbildungen des unglĂŒcklichen Helden nĂ€hren, [wĂ€ren] zu Ă€uĂerlich".[3]
Diese Beobachtung wurde in der Folge von weiteren Rezensenten gemacht und wird auch noch Gegenstand weiterer Betrachtungen im Zusammenhang mit Arthur Schopenhauer sein.
Die aber - im GroĂen und Ganzen - bemerkenswerte Zustimmung zu den Schicksalen und zu Leutnant Burda schlug sich auch im Absatz des neuen Novellenbandes nieder und wirkte auf den Autor selbst zurĂŒck. So bemerkte er im Februar 1890 in einem Brief an Franziska von Wertheimstein "[...] ich selbst halte ihn [Leutnant Burda, Anm.] fĂŒr eine meiner besten Arbeiten".[4]
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Leutnant Burda - eine autobiographische Novelle?
In keiner anderen Novelle hat Ferdinand von Saar persönlich Erlebtes in derart direkter Weise verwendet wie in Leutnant Burda. Saar selbst hat verschiedentlich geĂ€uĂert, dass seine Novelle Lebenswirklichkeit spiegele. In einem Brief an Karl Emil Franzos gibt er zu, seine "Biographie gehe ja zum Teil aus der Novelle selbst hervor".[5]
Texte mit autobiographischem Bezug wie Leutnant Burda erscheinen fĂŒr Ernst Kobau "wie Versuchsanordnungen, die anhand eigenen biographischen Materials mögliche Alternativen der Lebensgestaltung im RĂŒckblick experimentell erproben".[6]
Trotzdem wĂ€re es natĂŒrlich falsch, in diesem Zusammenhang Saar und Leutnant Burda als deckungsgleich zu betrachten, da die Figuren durch die Herausarbeitung dominierender Charaktermerkmale, die ihre Motivationen und Handlungsweisen bestimmen, doch zu eigenstĂ€ndigen Charakteren werden.[7] AuĂerdem sind die biographischen Fakten, die in die Darstellung der Figuren eingegangen sind, jeweils der ErzĂ€hlabsicht untergeordnet und modifiziert.[8]
Der Begriff des autobiographischen Details ist immer ein problematischer, da nicht nur persönlich Erlebtes, sondern auch "Erdichtetes" und Phantasie ihren Bezugspunkt in der Biographie des Autors finden.
2.1 Leutnant Burda - ein Leben zwischen den StÀnden
Leutnant Burda, "in Anbetracht seiner Charge nicht mehr allzu jung, er mochte sich bereits den DreiĂigern nĂ€hern" (5,3 ff.)[9] wird als "tĂŒchtiger, verwendbarer Offizier" (5,11) beschrieben, der sich "durch allerlei LektĂŒre eine Art höherer Bildung erworben" (5,12 f.) hatte, "die er sehr vorteilhaft mit feinen, weltmĂ€nnischen Manieren zu verbinden" (5,13 f.) wisse.
Er ist kein DuckmĂ€user, aber kameradschaftlich, hilfsbereit, zurĂŒckhaltend und als Vorgesetzter streng, aber gerecht. Zudem ist er duellerfahren. Herausstechend ist vor Allem sein beinahe pathologisches EhrgefĂŒhl. Burdas gröĂten SchwĂ€chen sind wohl seine Eitelkeit und seine kalkuliert wirkende Eleganz. In der Tat kann seine Erscheinung "eine höchst einnehmende" (6,15) genannt werden. Burda ist "von hoher und schlanker Gestalt, [hat] ein wohlgebildetes Antlitz [...] und auffallend schöne graue Augen, die von langen Wimpern eigentĂŒmlich beschattet [werden]" (6,16 ff.). Seine Offizierskameraden jedenfalls zollen ihm eine Art "sehnsĂŒchtiger Bewunderung" (10,23 f.)
Es gibt jedoch bei Burda einen Punkt, an dem sein "Hang zum Höheren" speziell wird. "Wie nĂ€mlich fĂŒr einen mehr berĂŒchtigten als berĂŒhmten Feldherrn der Mensch erst beim Baron anfing, so [beginnt] fĂŒr Burda das weibliche Geschlecht erst bei der Baronesse" (8,16 ff.). Nur: Burda ist kein Feldherr, sondern ein Leutnant kleinbĂŒrgerlicher, "sehr bescheidener Herkunft" (9,6 f.) mit "dĂŒrftiger Erziehung" (9,8). Dennoch setzt er eine klare soziologische Schwelle, eine Grenzlinie, vor der er in Wirklichkeit lebt, hinter die er in einem Zurechtdenken der Wirklichkeit aber gelangen möchte.[10]
Dieser Illusionismus, dem gerade aus kleinbĂŒrgerlichem Milieu entstammende Unteroffiziere wie Burda erlagen, resultierte aus der Diskrepanz zwischen ihrem Selbstbild - Mitglieder der bewunderten und vornehmen Armee zu sein - und ihrer ökonomisch marginalen Existenz als schlechtbezahlte Heeresangehörige. Mitglieder dieses "Standes zwischen den StĂ€nden"[11], die am Hofball teilnehmen, beinahe unentgeltlich die HofbĂŒhnen besuchen konnten und nach langer Dienstzeit Anspruch auf Nobilitierung hatten, mussten sich dem Adel einfach nahe fĂŒhlen und imitierten Leitbilder, die ökonomisch wie ihrem gesellschaftlichen Rang nach jenseits der Erreichbarkeit lagen.[12]
So kommt es zu Beginn der ErzĂ€hlung zu einem markanten Zwischenfall. Burda unterschreibt ein SchriftstĂŒck mit "Gf. Burda", erklĂ€rt aber, dass diese AbkĂŒrzung keineswegs das Wort "Graf" bedeuten solle, sondern die AbkĂŒrzung seines zweiten Namens Gottfried wĂ€re. (11,20 ff.) Sein Wunsch nach gesellschaftlicher Geltung wird aber spĂ€testens im dritten Abschnitt deutlich, als er die Vermutung Ă€uĂert, aus einem alten adeligen Geschlecht zu stammen (32,11 ff.). Jegliche BemĂŒhungen, dies zu belegen, sind aber zum Scheitern verurteilt; der mit den Nachforschungen betraute Historiker kann keinerlei Unterlagen, die einen definitiven Schluss zulassen, auffinden. (76,1 ff.)
Trotzdem verliebt sich Burda in die Prinzessin L., von der er annimmt, dass sie ihn auch liebt. Das Gedicht, welches er ihr sendet, versiegelt er mit feinem, blassgelbem Lack, den er in ihrem gelben Kleid im Burgtheater wenige Tage spĂ€ter wiedererkennen zu vermeint. (27,18 ff.) Auch ein Inserat aus der Zeitung, das er auf sich bezieht, versteht er als Antwort der Prinzessin. (47,5 ff.) In beiden FĂ€llen wĂ€hlt Burda aus einer FĂŒlle an Deutungsmöglichkeiten eine bestimmte aus, nĂ€mlich die, die das bestĂ€tigt, was er sich wĂŒnscht.
Der vierte Abschnitt bringt nun den Wendepunkt, die Reaktion der Welt, an die Burda sich wendet. Sie kommt in Form eines Majors, der auf dem Hofball den Freund Burdas, den Ich - ErzĂ€hler anspricht und ihn ersucht, Burda auf das "Unstatthafte seines Benehmens" (42,3) aufmerksam zu machen. Er blicke nĂ€mlich "im Theater stĂ€ndig nach der fĂŒrstlichen Loge" (41,5 f.), schreite "vor dem Palast auf und nieder" (41,9) und sei "beim Ein - und Aussteigen stets in der NĂ€he [der Prinzessin, Anm.]" (41,13 f.). "Bereits zum zweiten Mal [sind] mit der Post anonyme Verse eingetroffen" (41,22 ff.). Burda will die "feinen Unterschiede" nicht wahrhaben, die die Vertreter des ererbten Adels schon voneinander schied, gar nicht zu reden von jenen, die sich traditionslos mit ihm zu assimilieren wĂŒnschten.[13]
Burda verfĂ€llt nun zunehmend seinem Wahn und deutet sich seine eigene Wirklichkeit zurecht. Auch der ErzĂ€hler, sein Freund, kann oder will Burda nicht eines Besseren belehren. Veilchen, die nach einem Theaterbesuch irrtĂŒmlich in seine Manteltasche geraten waren, können nur von der Prinzessin stammen (54,16 ff.) und dass er die Prinzessin in Böhmen, wohin seine Kompanie verlegt worden war, im Zug sieht, kann nur heiĂen, dass sie ihm nachgereist ist (63,8 ff.).
Auch negative Ereignisse wollen genau in Burdas Schema passen. Der abschlĂ€gige Bescheid auf seine Bewerbung zum Korpskommandanten ist natĂŒrlich eine Intrige (74,5 ff.) und der Historiker, der Burdas Adelstitel nicht bestĂ€tigen kann, wurde in Burdas Augen bestochen (76,1 ff.).
Diese Annahme leitet dann schlieĂlich den letzten Teil der ErzĂ€hlung ein. Burda will sich fĂŒr diese Intrige an Leutnant Schorff, dem Neffen des Kommandierenden schadhaft halten und ihn zum Duell auffordern (77,2 ff.). Die Sticheleien der wohlhabenden Kavalleristen im vornehmen Restaurant "Englischer Hof" waren ihm ohnehin schon lange ein Dorn im Auge (78,9 ff.). Nach einem offenen Konflikt am Kavalleristentisch kommt es schlieĂlich zur AnkĂŒndigung des Duells (83,1 ff.), das zwei Tage spĂ€ter stattfindet und bei dem Burda durch einen Kopfhieb Schorrffs ums Leben kommt (88,24 ff.).
In der Stunde seines Todes scheint Burda seine TĂ€uschung zu erkennen, doch schlieĂlich beteuert er, "diese Veilchen sind von ihr" (93,24) und stirbt in diesem Glauben.
2.2 Parallelen zum Leben Ferdinand von Saars
Wie aus seiner Biographie erkennbar, hatte Ferdinand von Saar als junger Leutnant die Armee zur GenĂŒge kennengelernt und so waren ihm die unbefriedigende wirtschaftliche Situation der meisten Soldaten, das gespannte VerhĂ€ltnis zwischen der Infanterie und der sozial besser gestellten Kavallerie, sowie die Gepflogenheiten der Offiziere wohlbekannt.
Eine groĂe Ăhnlichkeit zwischen Saar und Leutnant Burda besteht in der sehr "bescheidenen Herkunft" (9,6) Burdas, als auch Saars, bei dem die Dinge Ă€hnlich lagen. WĂ€hrend Infanteristen wie Burda an anderer Stelle sparen mĂŒssen, um sich eine Mahlzeit im "Englischen Hof" leisten zu können, ist es fĂŒr die Kavalleristen selbstverstĂ€ndlich, jeden Tag dort opulent zu dinieren. Auch bei den Frauen haben sie auf Grund ihrer besseren wirtschaftlichen Situation leichteres Spiel.[14]
Die Problematik des Adelsnachweises, den Burda mit groĂer HartnĂ€ckigkeit verfolgt, trifft auch auf Saar zu. Papiere im Nachlass des Autors lassen auf Ă€hnliche VorgĂ€nge in seiner eigenen Familie schlieĂen, jedoch fallen auch Saars BemĂŒhungen enttĂ€uschend aus, da das Archiv keine der "dokumentirten [!] alten Bittschriften"[15] aufbewahrt hat. Lediglich der einfache Beamtenadel blieb den GebrĂŒdern Saar, Vorfahren des Dichters im 18. Jh., vorbehalten.
Ernst Kobau erkennt darin den zentralen Punkt von Saars "unbewĂ€ltigtem Lebensprojekt"[16], seine Sehnsucht nach nicht nur Ă€uĂerlicher Integration in die Gesellschaftsschicht seiner Gönner und MĂ€zene. Saars eigene Ambitionen nach sozialem Aufstieg werden in der Novelle als eigentliche Ursache von Burdas Lebenskatastrophe sichtbar. Die schon im "Stand zwischen den StĂ€nden" ausgedrĂŒckte Existenz von zwei Welten, in denen sich ein junger Leutnant bewegte, traf auch auf den Dichter zu. Auch bei ihm klafften die eigene EinschĂ€tzung gesellschaftlicher Stellung und seine reale Lebenssituation auseinander. Schriftsteller blieben vom Zugang zur "RingstraĂengesellschaft" weitgehend ausgeschlossen: "Die Aristokratie liest ihre Werke, verschmĂ€ht jedoch ihre Person".[17]
Saar, so Kobau, beharrte "mit Stolz auf seine Herkunft und zeigte demonstrativ seine Verachtung jener Welt gegenĂŒber, der zugehörig zu sein doch seine geheime Sehnsucht war"[18]. Weil er sich als AuĂenseiter fĂŒhlte, wurde er Dichter und weil er Dichter war, bestand er auf seiner AuĂenseiterrolle.
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Leutnant Burda und sein ErzÀhler
3.1 Der ErzÀhler in Leutnant Burda
Die Rolle des Ich - RahmenerzÀhlers ist in Leutnant Burda noch zentraler als in den anderen ErzÀhlungen Saars. Er ist nicht nur Beobachter, sondern regelrecht in das Geschehen eingebunden. Trotzdem kann er es nicht beeinflussen; Burdas "Wahn" und das Schicksal, zwei in diesem Zusammenhang sehr wichtige Begriffe, stellen sich ihm in den Weg.
FĂŒr die ErzĂ€hlungen Saars ist charakteristisch, dass der ErzĂ€hler meist den "gesunden Menschenverstand und die opinio communis"[19] vertritt und die Hauptperson sich von ihm "durch betonte CharakterzĂŒge abhebt".[20] Die ErzĂ€hler in den Novellen Saars gleichen sich: "Sie reisen ab, sie kommen wieder, sie registrieren VerĂ€nderung. Es sind merkwĂŒrdig flĂŒchtige Gestalten, sie widmen sich [...] den Hauptpersonen mit AusschlieĂlichkeit".[21]
So ist es auch im Falle von Leutnant Burda. Der ErzĂ€hler, einfĂŒhlend, rĂŒcksichtsvoll, aber auch passiv und ohne Entschlusskraft,[22] widmet sich der Hauptperson. Steht er ihm am Anfang der Novelle noch fremd und wie seine Regimentskameraden bewundernd gegenĂŒber, löst er sich bald aus dem Wir - Kollektiv und tritt mit Burda in eine persönliche Beziehung. Trotzdem ist er ihm nicht wirklich nĂ€hergekommen, gibt es doch kein GesprĂ€ch, in dem Burda dem ErzĂ€hler recht gĂ€be. Ebenso wird immer nur ĂŒber Burdas Probleme gesprochen, es gibt keine Stelle, an der zur Abwechslung auch einmal eine Privatsache des ErzĂ€hlers erörtert wĂŒrde. Neben erzĂ€hldynamischen GrĂŒnden, in der Novelle ist ja nur Platz fĂŒr eine kurze und prĂ€gnante Darstellung, ist das auch ein Zeichen von Distanz. Karlheinz Rossbacher hĂ€lt fĂŒr das Verbindende, das gemeinsame Element "Burdas Wahn, fĂŒr den der ErzĂ€hler ein dauerhaftes und manchmal durchaus selbstbetroffenes Interesse zeigt".[23]
Der ErzĂ€hler zweifelt Burdas Interpretationen der Wirklichkeit an und versorgt den Leser mit seiner Sicht der Dinge, billigt Burdas Denkgebilden aber unter bestimmten UmstĂ€nden auch einen Grad von PlausibilitĂ€t zu. Gerade durch die "Individualisierung des Ich - ErzĂ€hlers, dessen UrteilsfĂ€higkeit durch die eigene Betroffenheit ebenso wie durch die eigene Unsicherheit in Frage gestellt wird, gewinnt die ErzĂ€hlung in einem hohen Grade an ObjektivitĂ€t". [24] Sie ist gleichsam Geschehen, das sich selbst mitteilt und ĂŒber das nur der Leser in eigener Verantwortung urteilen kann.
Ab dem vierten Abschnitt, als die Welt Burda in Form des Majors antwortet, hat der ErzĂ€hler endgĂŒltige Gewissheit ĂŒber die wirklichen VorgĂ€nge um Burda erlangt. Er fĂŒhlt sich fĂŒr Burda verantwortlich und reflektiert immer wieder sein eigenes Verhalten Burda gegenĂŒber. SchlieĂlich muss er aber zur Einsicht gelangen, dass jedes BemĂŒhen seinerseits, Burda zur Vernunft zu bringen, an dessen Verfassung scheitern muss. Das macht ihn fĂŒr Ludwig Geiger zum "Prototyp des SchwĂ€chlings", der den Leser zu einer Empörung hinreiĂt, die kein objektiver Berichterstatter auslösen dĂŒrfte.[25]
Der ErzĂ€hler tritt nun immer mehr zu Gunsten Burdas in den Hintergrund. Seine Verantwortung fĂŒr Burda mischt sich auf Grund der Tragik der ganzen Sache mit Mitleid und obwohl die Distanz zunehmend charakteristisch fĂŒr den Umgang mit Burda geworden ist, empfindet er sich mit ihm gefĂŒhlsmĂ€Ăig weitgehend verbunden. Um das Schlimmste zu verhindern, will er auf Burda mĂ€Ăigend einwirken, die Kontrolle ĂŒber die Ereignisse bewahren. Er muss aber erkennen, dass er mit seinen Handlungen rein gar nichts bewirkt und zum "Begleiter seiner [Burdas, Anm.] Katastrophe"[26] wird.
Durch den im Mitleid begrĂŒndeten Identifikationsprozess mit der Hauptfigur nimmt der ErzĂ€hler nun selbst wahnhafte ZĂŒge an. Er wird zum Teilnehmer an Burdas Schicksal, ist selbst in das Geschehen hineinverwickelt. Der Einklang mit den ĂŒbrigen Regimentskameraden, von denen er sich in seiner Hingabe an Burda abgesondert hatte, tritt erst wieder mit der emotionalen Betroffenheit nach dem "Mord" (89,4) an Burda ein.
3.2 Burdas Wahn und die Melancholie des ErzÀhlers
Schon einige Male war vom "Wahn" des Leutnant Burda die Rede und davon, wie der Ich - ErzĂ€hler immer mehr in diesen Dunstkreis hineingezogen wird. Das Fortschreiten von Burdas Wahnvorstellungen und die Reaktionen des ErzĂ€hlers wurden schon eingehend dargestellt; nun interessieren uns aber die HintergrĂŒnde fĂŒr diesen "Wahn" und auch, was der ErzĂ€hler, der in der Forschung oft als "melancholisch" dargestellt wird, damit zu tun hat.
Nach Wolfgang MĂŒller - Funk liegt die Heroik des Melancholikers in dem "inneren Zwiespalt von BedĂŒrfnis und Befriedigung".[27] "Schmerz als Sinn des Daseins und als seine ErfĂŒllung".[28] Saars Dichtung spricht seiner Meinung nach eine kollektive GefĂŒhlslage aus: die Melancholie eines ganzen Staatswesens. In seiner historisch - soziologischen Untersuchung Melancholie und Gesellschaft versuchte Wolf Lepenies, gesellschaftliche Rahmenbedingungen herauszuarbeiten, die ein massives Auftreten von Melancholie hervorrzurufen vermögen. Einige davon sind "HandlungsohnmĂ€chtigkeit, Resignation, Machtverlust, politische Niederlagen, fehlender gesellschaftlicher Aktionsradius".[29] Melancholie definiert er als "Verweigerung ohne positive Alternative".[30]
Im Falle Ăsterreichs ist wohl seit 1848 ein Schwund revolutionĂ€ren Elans zu konstatieren. Der Weg fĂŒhrte von den Barrikaden direkt in den kleinen Kreis des kultivierten GesprĂ€chs wo sentimentale historische Reminiszenzen zweimal die verpasste Möglichkeit eines liberalen Ăsterreichs durchschimmern lassen: Im Josephinismus und im Revolutionsjahr 1848. Die HĂ€ufigkeit und Beobachtung dieser PhĂ€nomene lassen Melancholie als konstitutives Element modernder Welterfahrung und moderner Dichtung erscheinen und unter diesem Gesichtspunkt scheinen Saars "traurige" Geschichten und seine "traurigen" Gestalten eine BrĂŒcke zur Moderne zu sein.[31]
Handlungsverzicht, Leidensbereitschaft und desillusioniertes Bewusstsein ermöglichen laut MĂŒller - Funk die unbedingte Teilnahme, die "hinnimmt und jegliche Hoffnung verabschiedet".[32] Und so werden dem "traurig - wissenden ErzĂ€hler, Zuhörer und Beobachter"[33] - stellvertretend fĂŒr den Leser - die tragischen Lebensbeichten vorgetragen. Er analysiert nicht, sondern "malt seelische Aquarelle, die [...] den Optimismus des Lesers sanft [...] erschĂŒttern".[34]
Aber nicht nur der ErzĂ€hler, auch Burda ist Melancholiker. Er wird in der Forschung oft als "Don Quixote" dargestellt und der ErzĂ€hler selbst erwĂ€hnt seine "melancholische WĂŒrde" (6,8 f.). Burda kĂ€mpft aber nicht fĂŒr Tugenden und Ideale, er will keine Gesellschaft durch seine Konfrontation verbessern. Idealistisches und Inhalte treten in seinem Fall zu Gunsten der Art und Weise, wie Wirklichkeit wahrgenommen und verarbeitet wird, in den Hintergrund.
Burda befindet sich in einem Zwiespalt zwischen BedĂŒrfnis und Befriedigung. Er leidet er aber nicht darunter, da er sich seine Wirklichkeit selbst zurechtbiegt. "SelbsteinschĂ€tzung, Vorstellung und Projektion" sind fĂŒr ihn "Wirklichkeiten [...], die sein Handeln und [...] seinen Lebensweg entscheidend prĂ€gen".[35]
Diese "groĂe persönliche SchwĂ€che"[36] trennt Burda fortan von der RealitĂ€t seines Lebens, die er nicht anerkennt. Er baut eine undurchdringliche Scheinwelt auf, die ihm zum VerhĂ€ngnis wird. In den Augen Burdas gehen seine WĂŒnsche in ErfĂŒllung, nicht aber in den Augen seiner Umwelt, die durch seinen Freund, den ErzĂ€hler, reprĂ€sentiert wird. EinwĂ€nde und Zweifel kann Burda mĂŒhelos widerlegen, "das Gesetz der KausalitĂ€t eröffnet beliebig viele Kombinationsmöglichkeiten".[37]
Je mehr nun Wunsch und RealitĂ€t auseinanderklaffen, um so mehr verdichtet sich der "Wahnsinn" Leutnant Burdas. In seinem Vortrag Wahn fĂŒhrt Theodor Meynert den Wahn auf ein Versagen logischer Gehirnoperationen zurĂŒck und deutet ihn im Sinne eines "Ăberhandnehmens von Nebenassoziationen".[38] Im Falle Burdas ist damit seine durch den Willen gesteuerte Wahrnehmung zu verstehen, die "selektiv Angenehmes beobachtet, Unangenehmes verdrĂ€ngt, damit aber immer mehr den Bezug zur RealitĂ€t verliert".[39]
Geht es um angenehme Ereignisse, verfĂ€llt Burda in einen Beachtungswahn, etwa wenn er glaubt, die Prinzessin trage ein gelbes Kleid, weil Gelb die Farbe seines Siegels am Gedicht war (27,18 ff.). Geht es hingegen um unangenehme Ereignisse, verfĂ€llt er in einen Verfolgungswahn. So bezeichnet er zum Beispiel die Ablehnung seiner Bewerbung als Intrige (74,10). Burdas Abstammungswahn, in dem er sich bemĂŒht, einen Geburtsadel nachzuweisen (32,11 ff.), kann als GröĂenwahn gedeutet werden.
In jedem Fall verliert Burda den Bezug zur RealitĂ€t und dadurch auch die Gewalt ĂŒber sein Leben und Tun.
3.3 Der Einfluss Arthur Schopenhauers
Unter den weltanschaulichen Strömungen, die auf Leutnant Burda gewirkt haben, ist wohl die Philosophie Schopenhauers eine der bedeutendsten. Ferdinand von Saar verfĂŒgte in der Tat ĂŒber eine minutiöse Kenntnis der Schriften Schopenhauers.
FĂŒr die Charakterisierung von Leutnant Burda und den Aufbau der Handlung orientierte sich Saar offensichtlich an den poetologischen Forderungen Schopenhauers, der in seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung folgendes beschreibt:
"[...] zuerst die Charaktere im Zustand der Ruhe vorfĂŒhrt, [...] dann aber ein neues Motiv eintreten lĂ€sst, welches eine Handlung herbeifĂŒhrt, aus der ein neues und stĂ€rkeres Motiv entsteht, welches wieder eine bedeutendere Handlung hervorruft, [...] wodurch dann [...] an die Stelle der ursprĂŒnglichen Ruhe die leidenschaftliche Aufregung tritt, in der nun die bedeutsamen Handlungen geschehen, an welchen die in den Charakteren vorhin schlummernden Eigenschaften [...] in hellem Lichte hervortreten."[40]
Entsprechend diesen Forderungen findet sich Burda zu Beginn der ErzÀhlung im Ruhezustand gezeichnet, bis mit der Unterschriften - Episode (11,20 ff.) ein auslösendes Moment gesetzt ist, das die Kettenreaktion der Motive und Handlungen in Gang setzt.
Auch Burdas Hang zum Melancholischen, der immer wieder direkt oder indirekt angesprochen wird, kann auf den Einfluss Schopenhauers zurĂŒckgefĂŒhrt werden. FĂŒr Schopenhauer ist Melancholie ein Merkmal des Jugendalters, da die Jugend im Gegensatz zum heiteren Alter noch unter dem "Frondienst des Geschlechttriebs"[41] stehe. Diese Aussage korreliert mit der Liebesthematik in der ErzĂ€hlung.
Des weiteren erweist sich Burdas Melancholie aber auch als bestimmende geistige Grundhaltung, die die wahnhaften ZĂŒge, die sein Wesen im Laufe der Geschichte annimmt, unterstĂŒtzt. Wieder ergibt sich der Vergleich mit Don Quixote, wie er liest Burda nĂ€mlich Romane (5,12). Schopenhauer warnte jedoch, dass eine zu frĂŒhe Konfrontation mit Romanen der "EinprĂ€gung von Vorurteilen"[42] Vorschub leiste und damit die Urteilskraft lĂ€hme. Hier ist also schon ein erster Hinweis auf Burdas Wahn gegeben, der durch das fĂŒr ihn so bezeichnende EhrgefĂŒhl noch unterstĂŒtzt wird. Schopenhauer selbst bezeichnete in dem Kapitel Von dem, was einer vorstellt die militĂ€rische Ehre als "Wahn", jede Weisung, das EhrgefĂŒhl rege zu halten, als "Menschendressierungskunst".[43] Eitelkeit definierte er als "leeres und gehaltsloses Streben".[44] Damit eng in Zusammenhang steht eine Aussage Christine Touaillons, die im Jahre 1911 ĂŒber Leutnant Burda bemerkte:
"Nichts ist geschehen, nichts - und doch geht an diesem Nichts ein Leben zugrunde."[45]
Neben Burdas verfehlter EinschĂ€tzung der Wirklichkeit sind bei ihm auch einige geradezu krankhafte physiologische Merkmale erkennbar, die diesen Befund bestĂ€tigen. So sei Burda "eigentlich schief gewachsen" (6,23) und er habe eine "kleine, gedrĂŒckte Stirn" (39,19); beides laut Schopenhauer deutliche Zeichen fĂŒr einen Mangel an intellektuellen FĂ€higkeiten. Seine naturwissenschaftliche Ăberlegung:
"[...] je gröĂer und entwickelter das Gehirn und je dĂŒnner, im VerhĂ€ltniĂ [!] zu ihm, das RĂŒckenmark und die Nerven sind, desto gröĂer nicht nur die Intelligenz, sondern zugleich auch die MobilitĂ€t und Folgsamkeit aller Glieder ist [...]"[46]
fĂŒhrte zu folgendem ResĂŒmee:
"[...] dumme Menschen bewegen sich wie GliedermÀnner; an geistreichen spricht jedes Gelenk."[47]
Auch dem Gesicht kÀme eine wichtige Funktion im Hinblick auf die Beurteilung der intellektuellen FÀhigkeiten eines Menschen zu:
"[...] sind die geistigen Eigenschaften aus dem Gesichte zu erkennen, aus der Gestalt und GröĂe der Stirn, der Anspannung und Beweglichkeit der GesichtszĂŒge und vor Allem aus dem Auge."[48]
Angesichts dieser Merkmale kann Burdas Verhalten also auch im eigentlichen medizinischen Sinne "pathologisch" genannt werden und seine gesteigerte Aufmerksamkeit, ja all seine Wahnvorstellungen, krankhaft. Auch Schopenhauer machte die Ursache fĂŒr den Wahn im Intellekt fest, dort wo die "logischen Verbindungen"[49] entstehen. In seinem dritten Buch der Welt als Wille und Vorstellung schreibt er ĂŒber den Wahnsinn:
"In jenem Widerstreben des Willens, das ihm Widrige in die Beleuchtung des Intellekts kommen zu lassen, liegt die Stelle, an welcher der Wahnsinn auf den Geist einbrechen kann. [...] Denn der Intellekt hat seine Natur aufgegeben, dem Willen zu gefallen: der Mensch bildet sich jetzt ein was nicht ist."[50]
Kaum treffender kann Burdas Zustand beschrieben werden. Seine Wahrnehmung ist durch den Willen gesteuert, der selektiv Angenehmes beobachtet, Unangenehmes aber verdrÀngt und damit immer mehr den Bezug zur RealitÀt verliert.
Der Zufall, der, wie schon erwĂ€hnt, von einigen Kritikern als zu Ă€uĂerlich, zu gewollt bezeichnet wurde, ist hier "geheime Notwendigkeit"[51] und verweist auf den, an Schopenhauer angelehnten Schicksalsbegriff, der in Saars Werk zentrale Bedeutung besitzt. Laut Ernst Kobau ist der Zufall notwendigerweise einem tragischen Geschick zugehörig seine Formen sind "blind und spielerisch und von einer höhnischen Ungebundenheit".[52] Burdas innerer Anlage des sich gegenĂŒber aller RationalitĂ€t blind durchsetzenden Willens entspricht seine Ă€uĂere Realisierung als Wahnsystem. So ist die "TĂ€uschung [...] die notwendige Folge der inneren Disponiertheit, und ihre Erscheinungsformen sind kontingent".[53]
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Weitere Bedeutungsebenen
Neben den autobiographischen BezĂŒgen, auf die schon in 3.2 eingegangen wurde, fallen in Leutnant Burda noch die zahlreichen literarischen Anspielungen, als auch der zeitgeschichtliche Bezug auf. Diesen beiden weiteren Bedeutungsebenen innerhalb des Textes soll dieser Abschnitt Rechnung tragen.
4.1 ErzÀhlte Literatur
Die Grundmotive der ErzÀhlung, nÀmlich die Liebe zu einer Adeligen und die Abstammungsproblematik, wurden von Ernst Schulzes mÀrchenhafter Bezauberte[n] Rose beeinflusst. Dort ist es das Motiv des Knappen (der sich allerdings am Schluss als Königssohn entpuppt), der sich mit einer Königstochter ein geheimes Stelldichein gibt.
Durch die ganze ErzĂ€hlung hindurch zieht sich nun ein Geflecht an literarischen Anspielungen, die durch ihre Position im Text zur Strukturierung der ErzĂ€hlung beitragen und in verschiedener Form die Grundmotive unterstĂŒtzen und die Bezauberte Rose umspielen. Wenn Burda zum Beispiel Theater - oder OpernauffĂŒhrungen besucht, so beschrĂ€nkt sich sein Interesse nicht nur darauf, bei dieser Gelegenheit der Prinzessin zu begegnen, sondern er bezieht den Inhalt der StĂŒcke auch ausdrĂŒcklich auf sein eigenes Schicksal. Daneben begegnen dem Leser auch noch literarische Werke, die dem ErzĂ€hler zur Illustration seiner Gedanken dienen, so zum Beispiel der schon erwĂ€hnte Don Quixote oder Romeo und Julia.
Schon Don Quixote gibt einen wertvollen Hinweis auf das VerhĂ€ltnis von Illusion und RealitĂ€t. Der Bezug zur Bezauberte[n] Rose ist dadurch gegeben, dass beide Werke ritterliche Elemente erhalten und damit auch eine spezifische Beziehung zur Welt des Adels, im Don Quixote aber gerade der Versuch, die Ritterromane ins Leben zu ĂŒbersetzen, also die gelebte Literatur, zum Problem wird. Auch Burda ist ja unfĂ€hig, seine Imagination unter Kontrolle zu bringen, was letztlich die Ursache fĂŒr sein Scheitern ist.
In symmetrischer Position werden zwei Dramen erwĂ€hnt, deren AuffĂŒhrungen beide von Burda besucht werden: Das Drama Minna von Barnhelm im dritten und die Oper Martha im siebten Kapitel. Beide StĂŒcke bezieht Burda auf sich und beide haben bemerkenswerterweise einen glĂŒcklichen Ausgang. Zum einen wird Burda in seiner Hoffnung auf die Erwiderung seiner Liebe bestĂ€rkt, da der ehrenhafte Major Tellheim in der Minna von Barnhelm am Schluss selbst eine Adelige zur Frau gewinnt, zum anderen hofft er auf eine Abwertung seiner Abstammungsproblematik, da sich im Falle der Martha adelige Damen zu bĂŒrgerlichen TĂ€tigkeiten herablassen. Freilich ĂŒbersieht Burda, dass Tellheim selbst adelig und das Verhalten der Damen in der Martha nur scherzhaft gemeint ist.
Zwei weitere dramatische Werke werden in symmetrischer Position ins Spiel gebracht, im dritten Kapitel Meyerbeers Oper Der Prophet und im fĂŒnften Verdis Oper Ernani. Im Mittelpunkt beider Werke steht das Motiv der Ehre, was ein Charakteristikum Burdas, nĂ€mlich seine Empfindlichkeit auf den sogenannten "Ehrenpunkt" (5,23) spiegelt. Auch gehen beide StĂŒcke auf Grund der Ruhmsucht und Verblendung der Protagonisten schlecht aus. Ihre ErwĂ€hnung lĂ€sst eine Problematisierung des EhrverstĂ€ndnisses erkennen. Auf dem Hintergrund der Bedeutung des Namens "Burda", was aus dem Polnischen ĂŒbersetzt, "Krawall" bedeutet und der Geschichte seiner Vorfahren, die aus Böhmen vertrieben wurden (32,17 ff.), kann sie nicht zufĂ€llig erscheinen, sondern nur eines bedeuten: "Aufstand und Revolution".[54]
FĂŒr Zufall, Irrtum und schlieĂlich Tod stehen erneut Ernani einerseits und Romeo und Julia andererseits. Ernani entpuppt sich im Verlauf der Handlung als Adeliger und auch die Handlung von Romeo und Julia ist durch eine Reihe von ZufĂ€llen bestimmt. Beide Werke enden mit dem Liebestod der Protagonisten. Nun ist aber der Tod Leutnant Burdas kein Liebestod im eigentlichen Sinne, eine Tatsache, auf das im Zusammenhang mit den zeitgeschichtlichen BezĂŒgen noch einzugehen sein wird. Vielmehr erscheint Burdas Tod als notwendige Folge seines von Zufall und Irrtum bestimmten Lebens, worauf sowohl Ernani, als auch Romeo und Julia anspielen.[55]
4.2 Zeitgeschichtliche BezĂŒge
Wie schon erwĂ€hnt, ist Leutnant Burdas Tod kein Liebestod im eigentlichen Sinne, eher wird hier der ZusammenstoĂ zweier völlig unterschiedlicher Welten ausgedrĂŒckt, der des "alten Wien" des Adels, der Monarchen und der des neuen Besitz - und BildungsbĂŒrgertums, das mit dem Adel in einem Prozess der Selbsterhöhung in Konkurrenz trat.
Deutlich wird, um diese Konkurrenz zu unterstreichen, der sich in der GrĂŒnderzeit vollziehende Wandel im Stadtbild ins Spiel gebracht. Das Bild der RingstraĂe wurde sehr deutlich durch die beiden konkurrierenden gesellschaftlichen Gruppen geprĂ€gt. Glorifiziert Saar das "alte Wien", den Zustand vor dem Bau der RingstraĂe, der in den Jahren 1858 bis 1865 erfolgte (14,15 ff.), so kritisiert er den Bau der RingstraĂe, durch den viele Orte und GebĂ€ude, wie etwa das Glacis, das Burgtheater oder der Stephansplatz, zerstört oder umgestaltet wurden.
Infolge der Konkurrenz ist auch eine gewisse Anpassung, ja Nachahmung der adeligen Schichten zu bemerken. Leutnant Schorff, der "Baron", wie er von allen fĂ€lschlicherweise auf Grund seines Vermögens genannt wird, ist ein Vertreter genau dieses neuen Besitz - und BildungsbĂŒrgertums. Leutnant Burda hĂ€ngt vergeblich immer noch dem alten Glanz der Kaiserzeit nach und verachtet den Emporkömmling. Schorff ist "Kind einer neuen, die Werte Burdas in Frage stellenden Zeit"[56], ein Gegner, der diesen zum ĂuĂersten reizen muss. Burda, durch die Beleidigung Schorffs, zum Handeln gezwungen, handelt nach seinem ritterlichen Ehrenkodex. Der Verlauf des Duells aber arbeitet gegen ihn. Nicht das moralische Recht, sondern das Recht des StĂ€rkeren ist ausschlaggebend.
Die Darstellung des zweiten wichtigen Schauplatzes, Prag, fÀllt nun wesentlich spÀrlicher aus als die Wiens. Symbolisch bleibt lediglich, dass die Tötung Burdas sich im Hradschin, der Prager Burg ereignet, also genau in dem Einflussbereich, in den Burda vergeblich aufzusteigen versuchte.
Im Unterschied zu Wien wird aus den Augen des ErzĂ€hlers die Idylle in Prag nĂ€mlich nicht durch einen architektonischen Eingriff zerstört, sondern durch die aufkommenden nationalen Bestrebungen; revolutionĂ€re Tendenzen, die auf der Linie der nationalen Bewegungen des neunzehnten Jahrhunderts liegen. Hier kommt die schon erwĂ€hnte Bedeutung des Namens "Burda", also "Krawall" zum Tragen und die ErwĂ€hnung der Schlacht am WeiĂen Berg (32,15), die vor Jahrhunderten kein gutes Ende nahm, lĂ€sst auch in der Gegenwart nichts Gutes erahnen.
Auch die Beschreibung einer weiteren böhmischen Landschaft (59,20 ff.), die sich in etwa bei Budweis befindet, stellt einen deutlichen zeitkritischen Bezug dar. Die Beschreibung des Schlosses ermöglicht die Zuordnung zu einer bestimmten Richtung des Historismus, die durch den Adel gerade in Böhmen stark vertreten war, nĂ€mlich der Neogotik. Dieser Stil war politisch mit dem freiheitlichen Konservatismus verbunden, mit dem Hang, sich zu isolieren. Das ausgeprĂ€gte Standesbewusstsein fĂŒhrte zum Kampf aller gegen alle. Auf diese Tendenzen spielt Saar durch die Erinnerung an Zeiten des Faustrechts an, was schlieĂlich in der Katastrophe, in der die ErzĂ€hlung endet, dem Duell (88,13 ff.), das ja nichts anderes als ritualisiertes Faustrecht ist, gipfelt.
War zuerst die Rede von einer Konkurrenz, aber auch einer Anpassung des neuen Besitz - und BildungsbĂŒrgertums an den Adel, so existierte auch das umgekehrte PhĂ€nomen. Der Adel vollfĂŒhrte eine AnnĂ€herung an die Welt des BĂŒrgers, die freilich ihre eigenen Gesetze hat. Sie war auf keinen Fall so drastisch wie in der Oper Martha dargestellt, in der Adelige gleichsam BĂŒrger nachahmen, aber es gab doch - neben einem ausgeprĂ€gten Standesbewusstsein - Tendenzen aller sozialen Schichten, sich miteinander zu vermischen. FĂŒr sie ist aber weniger eine allgemeine Harmonisierung verantwortlich, sondern eher der stĂ€ndig gegenwĂ€rtige Kampf um Rang und Ansehen.[57]
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Bibliographie
Killy, Walther (Hrsg.): Literatur Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Bertelsmann Verlag, S. 86 - 88.
Kobau, Ernst: Rastlos zieht die Flucht der Jahre. Josephine und Franziska von Wertheimstein - Ferdinand von Saar. Wien: Böhlau Verlag 1997.
MĂŒller - Funk, Wolfgang: Das Verschwinden der Gegenwart. Interpretatorische Ăberlegungen zur Traurigkeit des GlĂŒcks im ErzĂ€hlwerk Ferdinand von Saars. In: Sprachkunst 17 (1986), S. 1 - 22.
Rossbacher, Karlheinz: Leutnant Burda und sein ErzÀhler. Wahn und Wirklichkeit bei Ferdinand von Saar. In: Die andere Welt. Aspekte der österreichischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Hrsg. v. Kurt Bartsch u.a. Bern: Francke Verlag 1979, S. 147 - 163.
Saar, Ferdinand von: Leutnant Burda. Kritisch herausgegeben und gedeutet von Veronika Kribs. TĂŒbingen: Niemeyer Verlag 1996.
Saar, Ferdinand von: Leutnant Burda. Hrsg. v. JĂŒrgen Manthey. Göttingen: Steidl Verlag 1998.
[1] Nach: Killy, S. 86 f.
[2] Nach: Kribs, S. 83 ff.
[3] Kribs, S. 112
[4] Kribs, S. 117
[5] Kribs, S. 161
[6] Kobau, S. 366
[7] Nach: Kobau, S. 366
[8] Nach: Kribs, S. 167
[9] SĂ€mtliche Seiten - bzw. Zeilenangaben beziehen sich auf: Saar, Ferdinand von: Leutnant Burda. Hrsg. v. JĂŒrgen Manthey. Göttingen: Steidl Verlag 1998.
[10] Nach: Rossbacher, S. 151
[11] Kobau, S. 369
[12] Nach: Kobau, S. 368 f.
[13] Nach: Kobau, S. 375
[14] Nach: Kribs, S. 162
[15] Kribs, S. 164
[16] Kobau, S. 367
[17] Kobau, S. 371
[18] Kobau, S. 374
[19] Rossbacher, S. 149
[20] Ebd., S. 149
[21] Ebd., S. 149
[22] Nach: Rossbacher, S. 153
[23] Rossbacher, S. 154
[24] Kribs, S. 220
[25] Kribs, S. 211
[26] Ebd., S. 217
[27] MĂŒller - Funk, S. 1
[28] Ebd., S. 2
[29] MĂŒller - Funk, S. 3
[30] Ebd., S. 3
[31] Nach: MĂŒller - Funk, S. 4
[32] MĂŒller - Funk, S. 5
[33] Ebd., S. 7
[34] Ebd., S. 7
[35] Ebd., S. 18
[36] Ebd, S. 19
[37] Ebd., S. 20
[38] Kribs, S. 201
[39] Ebd., S. 201
[40] Ebd., S. 194
[41] Kribs, S. 196
[42] Ebd., S. 196 f.
[43] Ebd., S. 197
[44] Ebd., S. 197
[45] Ebd., S. 137
[46] Ebd., S. 198
[47] Ebd., S. 198
[48] Kribs, S. 199
[49] Ebd., S. 201
[50] Ebd., S. 201
[51] Kobau, S. 376
[52] Ebd., S. 377
[53]Kobau, S. 377
[54] Kribs, S. 189
[55] Nach: Kribs, S. 181 ff.
[56] Kribs, S. 207
[57] Nach: Kribs, S. 168 ff.
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