Die verlorene Ehre der Katharina Blum
1 EINLEITUNG
1.1 BEGRÃœNDUNG DER TEXTAUSWAHL 1
1.2 AUFBAU DER ARBEIT
2 TITEL, MOTTO UND AUFBAU DER KRIMINALERZÄHLUNG
2.1 TITEL UND MOTTO DER KRIMINALERZÄHLUNG
2.2 AUFBAU DER KRIMINALERZÄHLUNG 2
3 ANALYSE DER KRIMINALERZÄHLUNG "DIE VERLORENE
EHRE DER KATHARINA BLUM" VON HEINRICH BÖLL
3.1 INHALTSANGABE 3
3.2 ERZÄHLERFIGUR UND ERZÄHLERHALTUNG
3.3 DIE HAUPTPERSON - KATHARINA BLUM 4
3.3.1 CHARAKTERISIERUNG DER KATHARINA BLUM
3.3.2 MORDMOTIVE DER KATHARINA BLUM 7
3.4 SPRACHLICHE MITTEL
3.4.1 NAMEN DER HANDLUNGSTRÄGER ALS SYMBOLISCHE
KENNZEICHNUNG 9
3.4.2 DIE SPRACHE DER ZEITUNG 10
3.4.3 DIE SPRACHE UND DER SPRACHSTIL 11
3.5 GEGENWARTSBEZUG - ZEITUNG UND BILDZEITUNG 12
4 SCHLUSSBEMERKUNG 13
5 LITERATURVERZEICHNIS I
6 ANHANG - Lebensdaten Heinrich Böll AI
1 EINLEITUNG
1.1 BEGRÃœNDUNG DER TEXTAUSWAHL
Ich habe mich für "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" von Heinrich Böll entschieden, da mich das Thema dieses Buches interessiert und es bis heute nicht an Aktualität eingebüßt hat.
Hauptbestandteil des Buches ist der Sensationsjournalismus und dessen Folgen. Durch fiktive Zeitungsberichte, die denen einer realen Boulevardzeitung besonders ähneln, wird der Leser zum Denken angeregt. Durch einen Schreibstil, der die breite Masse anspricht und leicht verständlich ist, treiben die Boulevardblätter die Auflagen in die Höhe.
1.2 AUFBAU DER ARBEIT
Die schriftliche Ausarbeitung über die Kriminalerzählung "Die verlorene Ehre von Katharina Blum" von Heinrich Böll widmet sich zunächst dem Titel und Untertitel, da sich an diesen bereits eine Kernaussage über das Erzählte treffen lässt. Des weiteren beinhaltet sie neben einer Inhaltsangabe, eine Untersuchung der Erzählperspektive, ein Psychogramm und Charakterisierung der Hauptfigur sowie die von Böll verwendeten sprachlichen Mittel. Den Schluß der Arbeit bildet eine Wertung und Stellungnahme des Verfassers der Hausarbeit.
2 TITEL, MOTTO UND AUFBAU DER KRIMINALERZÄHLUNG
2.1 TITEL UND MOTTO DER KRIMINALERZÄHLUNG
Die hier zu analysierende Kriminalerzählung wurde von dem Autor Heinrich Böll mit einem Titel, einem Untertitel und einem Motto versehen.
Mit dem Titel der Kriminalerzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" individualisiert und konkretisiert Böll den Ehrbegriff.[1] Es ist die Ehre der Hauptfigur Katharina Blum, die diese Ehre des unbescholtenen und ehrlichen Bürgers durch fremde Einwirkung verliert.
Dieser Verlust der Ehre hat eine Folge, hier kommt der Untertitel" oder: wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann" zum Einsatz. Die entstehende Gewalt führt im Fall der Kriminalerzählung von Böll bis zu dem durch den Sensationsjournalismus verursachten Mord. Der Untertitel hat einen exemplarischen Charakter, der sich auch auf die Allgemeinheit beziehen lässt. Mit dem Begriff Gewalt ist die verbale Gewalt in den Berichten der Boulevardpresse gemeint.
Als drittes Element verwendet Böll in seiner Kriminalerzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" eine salvatorische Klausel "Personen und Handlungen dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bildzeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich". [2] Diese Klausel benutzt Böll nicht nur, um sich rechtlich abzusichern, sondern auch um den Leser zum nachdenken anzuregen. Diese Klausel wird unter 3.5 im Zusammenhang mit der Bildzeitung ausführlich erläutert.
2.2 DER AUFBAU DER KRIMINALERZÄHLUNG
Heinrich Böll hat sein Buch "Die verlorene Ehre der Katharina Blum: oder Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann" als Kriminalerzählung in insgesamt 58 knappen gefaßten Kapiteln verfaßt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Kriminalerzählungen, in denen der Täter gesucht wird, stellt sich der Täter am Anfang der Geschichte. Im Verlauf der Erzählung geht es um ein stufenweises Aufdecken und Enthüllen von Mordmotiven.[3] Diese Mordmotive werden erst während der Erzählung vor der Mordtat der Katharina Blum aufgebaut. Die Erzählung endet, wie der Anfang, mit dem Mord.
3 ANALYSE DER KRIMINALERZÄHLUNG "DIE VERLORENE EHRE
DER KATHARINA BLUM" VON HEINRICH BÖLL
3.1 INHALTSANGABE
Die Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder : Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann" von Heinrich Böll handelt von einer Frau, die durch eine zufällige Bekanntschaft eines gesuchten Rechtsbrechers in das Visier von Boulevardpresse und Polizeiermittlungen gerät, unter dem Druck der Verfolgung 'zusammenbricht' und in ihrer ausweglosen, in die Enge getriebenen Situation letzen Endes einen Sensationsreporter erschießt, der maßgeblich an der Hetze und Verfolgung ihrer Person in der Öffentlichkeit beteiligt ist.
Die Haushälterin Katharina Blum lernt auf einer Feier den gesuchten Bundeswehrdeserteur Ludwig Götten kennen, der von der Polizei observiert wird, verliebt sich in ihn und verhilft ihm zur Flucht. Katharina wird von der Polizei aufs kleinste Detail hin vernommen. Diese Geschichte erscheint in der Presse, insbesondere die Boulevardzeitung "Die Zeitung" zerrt sie in die breite Öffentlichkeit.
Ungeachtet ihrer tatsächlichen moralischen Integrität, wird sie sensationsheischend als Gangsterbraut und Hure dargestellt.
Nachdem sich derartige Artikel häufen und Katharinas kranke Mutter nach einem Interview mit dem Reporter Tötges stirbt, ist Katharina am Ende. Unter dem Vorwand dem Reporter ein exklusives Interview geben zu wollen, lädt sie ihn ein, und erschießt ihn.
3.2 ERZÄHLERFIGUR UND ERZÄHLERHALTUNG
Böll verwendet in seiner Erzählung einen fiktiven Erzähler, der alle Einzelheiten vermittelt und kommentiert. Die Erzählperspektive ist überwiegend auktorial. Die auktoriale Erzählhaltung zeichnet sich durch subjektive Bewertungen und Kommentierungen der Handlung des Erzählers aus, der Erzähler hebt seine Erzählerrolle hervor.[4]
Die Berichterstattung in Bölls Kriminalerzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" erscheint dem Leser zunächst neutral. Durch die behördlichen Vernehmungen wirkt das Erzählte sehr objektiv. "So erhält der Leser den Eindruck einer objektiv sachlichen literarischen Berichterstattung".[5]
Aber gerade in der auktorialen Erzählperspektive zeichnet sich "...die Einstellung [des Autors] zu politischen, sozialen und moralischen Fragen, seine Voreingenommenheit [!] gegenüber bestimmter Personen und Dingen [ab]." Die im Vordergrund objektive Erzählerweise stellt sich als subjektiv heraus. Der Autor gibt seinen subjektiven Standpunkt durch den auktorialen Erzähler zu erkennen. "Wenn der Bericht - da hier soviel von Quellen geredet wird - hin und wieder als 'fließend' empfunden wird, so wird dafür um Verzeihung gebeten: es war unvermeidlich. Angesichts von 'Quellen' und 'Fließen' kann man nicht von Komposition sprechen .... .Wenn also diese Erzählung stellenweise in Fluß kommt, wobei Niveauunterschiede und - ausgleiche eine Rolle spielen, so wird um Nachsicht gebeten...".[6] Hier gibt sich der auktoriale Erzähler als solcher zu erkennen, Böll bittet um Nachsicht, sollte die Erzählung stellenweise zu subjektiv sein.
3.3 DIE HAUPTPERSON - KATHARINA BLUM
3.3.1 CHARAKTERISIERUNG DER KATHARINA BLUM
Als Zentralfigur in der Kriminalerzählung tritt die junge Haushälterin Katharina Blum in Erscheinung. Katharina wird von verschiedenen Seiten charakterisiert. Auf der einen Seite erhält der Leser Informationen durch eigene Aussagen von Katharina während ihres Verhöres, in dem Kommissar Beizemenne ihr komplettes Leben erfaßt, um eine länger bestehende Verbindung zu Götten nachzuweisen, und durch Katharinas Angaben gegenüber Rechtsanwalt Blorna. Des weiteren wird Katharina durch Ihre Gegner Beizemenne und dem Reporter der "Zeitung", Tötges, charakterisiert.
Durch Selbstaussagen der Katharina Blum erfährt man, dass sie schon während der Schulzeit sehr fleißig ist, da sie zu Hause und bei den Nachbarn arbeiten muss. Katharina ist als Kind durch den frühen Verlust ihres Vaters sehr selbständig. Sie lernt den Beruf der Hauswirtschafterin, in dem sie später auch arbeitet. Zudringlichkeiten eines arbeitgebenden Arztes geht sie durch Kündigung aus dem Weg. Der erste große Einschnitt "in der Entwicklung des fleißigen und strebsamen Dorfmädchens"[7] findet mit der Heirat mit Wilhelm Brettloh statt. Nach einem halben Jahr verlässt sie Brettloh aufgrund "unüberwindlicher Abneigungen"[8]. Die von der Polizei fälschlich im Protokoll aufgenommenen "Zärtlichkeiten" der Männer, die eine Beziehung mit Katharina hatten, stellt sie bei ihrer Kontrolle des Protokolls "empört[ ] und energisch" als "Zudringlichkeiten" klar.
Während ihrer Arbeit als Haushälterin bei dem Rechtsanwalt Dr. Hubert Blorna und der Architektin Trude Blorna übernimmt Katharina die gesamte Haushaltsführung selbständig. Bei Einladungen und Empfängen der Familie Blorna sorgt sie für die Gäste, gelegentlich tanzt sie auch und lässt sich von den Herren nachhause fahren. Gegenüber Zudringlichkeiten der Gäste verhält sie sich zurückhaltend und abweisend, aus diesem Grund wird sie auch als "Nonne"[9] bezeichnet.
Aufgrund ihrer Sparsamkeit und Nebenjobs bei den Eheleuten Hiepertz und der Fa. Kloth gelingt es Katharina mit Hilfe der Blornas eine Eigentumswohnung und einen Volkswagen zu erwerben. Diese Anschaffungen tätigt sie, um frei und unabhängig zu sein.[10] Aus diesen erworbenen Objekten lässt sich schließen, dass Katharina ein Durchschnittsmensch ist, eine Eigentumswohnung und ein Volkswagen charakterisieren einen unauffälligen Lebensstil mit einem durchschnittlichen Wohlstand.
Ihre Arbeitgeber, die Blornas und die Hiepertz, sind stets mit Katharinas Arbeit zufrieden, es heißt, dass sie "ruhig und freundlich, auch planvoll den Haushalt"[11] leitet. Katharinas Tante Woltersheim sagt, sie "sei immer ein fleißiges, ordentliches, ein bißchen schüchternes, oder besser gesagt, eingeschüchtertes Mädchen gewesen, als Kind sogar kirchentreu"[12], auch dass sie "organisatorisch, kalkulatorisch und auch, was die ästhetische Seite betreffe, aufs beste gebildet und ausgebildet"[13] sei. Dr. Blorna bezeichnet Katharina als "eine sehr kluge und kühle Person".[14] Laut Dr. Hipertz Aussage ist Katharina radikal, hilfsbereit, planvoll und intelligent."[15] Hiermit fügt er neben der möglichen Auslegung der Intelligenz Katharina als egoistisch auch die Selbstlosigkeit Katharinas hinzu.[16]. Dieser Altruismus findet sich in der Geschichte der plötzlich erwachten Liebe zu Ludwig Götten wieder, sie löst sich von ihrer bisherigen Kontaktscheue gegenüber Männern und verbringt, gleich nach der ersten Begegnung eine Liebesnacht mit ihm.[17] Diese plötzliche Liebe zu Götten wird bei dem Verhör Katharinas, wegen ihrer sonstigen Zurückhaltung nicht geglaubt. "Es trifft zu, dass ich... ausschließlich und innig mit Ludwig Götten getanzt habe, den ich zum ersten mal in meinem Leben sah.... Ich empfand große Zärtlichkeit für ihn und er für mich". [18]
Neben den bisher genannten charakterisierenden Eigenschaften Katharinas - Fleiß, Strebsamkeit, Ordnungssinn, Organisationstalent, Klugheit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Selbstlosigkeit und Zurückhaltung gegenüber Männern sind noch zwei weitere Charakterisierungen zu erwähnen, die Frau Blorna von sich gibt, sie nennt die beiden "lebensgefährliche(n)"[19] Eigenschaften "Treue und Stolz".[20] Treue steht für die Erfüllung eingegangener Verpflichtungen, die Katharina in ihren bisherigen Arbeitsverhältnissen bewiesen hat, der Stolz äußert sich in ihrer Verschwiegenheit von Geheimnissen.[21]
Kommissar Beizmenne hält Katharina am Anfang des Verhörs laut seiner Aussage "nicht für unmittelbar kriminell, sondern für naiv und ein bißchen zu romantisch".[22] Beizmenne scheint allerdings der festen Überzeugung zu sein, Katharina habe schon ein länger bestehendes Verhältnis zu Götten gehabt, er sieht in Katharina eine kriminelle Komplizin von Ludwig Götten.
Die "Zeitung" bezeichnet Katharina in ihren Berichten des Reporter Tötges als "Mitglied einer kriminellen Bande"[23] und als Prostituierte, die "Herrenbesuche"[24] empfängt, mit einer "nuttige(n) Art".
Außerdem führt die Zeitung aus, Katharina sei eine Kommunistin oder Linksradikale mit dem Einfluß eines kommunistischen Vaters.[25] Katharina sei "eiskalt und berechnend, eines Verbrechens fähig"[26].
Unter 3.4.2 wir die Charakterisierung Katharinas durch die Sprache der Zeitung weitergehend erläutert.
3.3.2 MORDMOTIVE DER KATHARINA BLUM
Die Kriminalerzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" handelt auch von der Suche eines Mordmotives. Es soll aufgezeigt werden, wie eine junge, unbescholtene Frau zur Mörderin werden kann, "... denn es wird ja noch geklärt werden, warum eine so kluge und fast kühle Person den Mord nicht nur ausführte und im entscheidenden, von ihr herbeigeführten Augenblick, nicht nur zur Pistole griff, sondern diese auch in Tätigkeit setzte."[27]
Der Erzähler bietet im Verlauf der Erzählung Hinweise für eine Deutung des Mordmotives, er rätselt zwischendurch über den Zeitpunkt der Entstehung der Mordmotivation und des Mordplanes: "Es hat natürlich ziemlich viele Theorien gegeben, die den Zeitpunkt herauszuanalysieren versuchten, an der Katharina die ersten Mordabsichten faßte oder den Mordplan ausdachte und sich dazu entschloß, ihn auszuführen. Manche denken, dass schon der erste Artikel am Donnerstag in der ZEITUNG genügt habe, wieder andere halten den Freitag für den entscheidenden Tag, weil an diesem Tag die ZEITUNG immer noch keinen Frieden gab und Katharinas Nachbarschaft und Wohnung, an der sie so hing, sich als (subjektiv jedenfalls) zerstört erwies; der anonyme Anrufer, die anonyme Post - und dann noch die ZEITUNG vom Samstag und außerdem (hier wird vorgegriffen!) die SONNTAGSZEITUNG. Sind solche Spekulationen nicht überflüssig: Sie hat den Mord geplant und ausgeführt - und damit basta! Gewiß ist, dass sich in ihr etwas ‘gesteigert hat’ - dass die Änderungen ihres ehemaligen Ehemanns sie besonders aufgebracht haben, und ganz gewiß ist, dass alles, was dann in der Sonntagszeitung stand, wenn nicht auslösend, so doch keineswegs beruhigend gewirkt haben kann."[28]
Des weiteren wird Katharinas psychische Verfassung von Frau Woltersheim während ihrer Vernehmungen sehr zutreffend beschrieben: "Sie kenne Katharina vom Tag ihrer Geburt an und beobachte schon jetzt die Zerstörung, auch die Verstörtheit, die an ihr seit gestern bemerkbar sei. Sie sei keine Psychologin, aber die Tatsache, dass Katharina offenbar nicht mehr an ihrer Wohnung, an der sie so gehangen und für die sie so lange gearbeitet habe, interessiert sei, halte sie für alarmierend."[29]
Katharinas psychische Situation, welche die Ermordung eines Reporters auslöst, wird unter Betrachtung ihrer Entwicklung vor der Begegnung mit Götten verständlich.
Sie hat sich nach ihrer gescheiterten Ehe durch Fleiß und Beharrlichkeit in ihrer Arbeit und Weiterbildung eine neue Existenz aufgebaut, in der sie mit sich selbst sehr zufrieden ist ("... sie hatte so eine Ãœbereinstimmung ihres Wesens eine neue Identität gefunden"[30]). Diese neue Identität wurde durch eine Enthaltsamkeit in ihrem Gefühlsleben möglich. Als sie Ludwig Götten kennenlernt und sich in ihn verliebt, erreicht ihre Identität eine höhere Stufe.[31] Die Zerstörung ihrer neuen Harmonie beginnt mit der Festnahme. Kommissar Beizmenne soll laut Aussage von Hach "Hat er dich denn gefickt?" gefragt haben, hier findet ein gewaltsames Eindringen in Katharinas Privatleben statt. Ab diesem Zeitpunkt dürfte Katharinas erste psychische Gegenreaktion in Form von Aggression und Mißtrauen begonnen haben.[32] Die negativen Behauptungen über Götten, die Katharinas Idealbild von ihrem Selbstwertgefühl angreifen, lösen sich weitere Abwehrreaktionen aus. Dieser Zustand der "Zerstörung" und "Verstörtheit" erfährt durch die Verunglimpfungen in den Berichten der "Zeitung" eine starke Steigerung. Die verbale Gewalt in den Berichten der "Zeitung" wird unter Punkt 3.4.2 ausführlich beschrieben. Katharinas Aggression entlädt sich teilweise, als sie "die makellosen Wände"[33] in ihrer Wohnung mit verschiedenen Lebens - und Plegemitteln bewirft. Diesen Akt von Vandalismus kann man als eine Aggression gegen ihre Umwelt und als symbolische Vorwegnahme ihrer Aggression gegen Tötges deuten, der ihre Ehre und Identität in den Schmutz zieht.[34] Dass Katharinas Verhältnis zur "Zeitung" "weniger emotional, mehr analytisch"[35] erscheint, lässt auf eine Aggression im Tiefenbereich ihrer Seele schließen. Auch die spätere Erschießung des Journalisten lässt sich aus einem Zusammenhang mit der erfolgten Zerstörung ihrer Ehre und ihrer Menschenwürde deuten. Da Katharina mit niemanden offen über den ‘Verlust ihrer Ehre’ spricht, staut sich die Aggression in ihr auf.
3.4 SPRACHLICHE MITTEL
3.4.1 NAMEN DER HANDLUNGSTRÄGER ALS SYMBOLISCHE
KENNZEICHNUNG
Untersucht man die Namen der Hauptfiguren, so stellt man fest, dass Böll Namen mit einem möglichen symbolischen Nebensinn verwendet.[36] Die Namen charakterisieren die Personen, indem sie durch die Namenselemente bei dem Leser eine gedankliche Verbindung herstellen.
Der Name "Katharina" steht im Griechischen für "die Reine, die Geläuterte" [37]. Mit dem Nachnamen "Blum" assoziiert man die Blume, die sich als Symbolbedeutung auf das reine Wesen der Katharina Blum bezieht.
Die Gegner der Katharina werden mit ihrem Namen negativ charakterisiert. Mit dem Namen des Sensationsjournalisten "Tötges" assoziiert man den Tod. Die Lauffolge des Namens des Kriminalhauptkommissars Beizemenne klingt sehr aggressiv und entspricht seinen Verhandlungsmethoden.
Der Name des Geliebten, Ludwig Götten, wird durch die Ähnlichkeit mit Gott durch den Leser positiv bewertet. Mit dem biblischen Zitat [38] "er war es eben, der da kommen soll" [39] wird der Bezug auf Gott unterstützt .[40]
3.4.2 DIE SPRACHE DER ZEITUNG
Die in Bölls Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" berichterstattende "Zeitung" bildet den "medialen Gegenpart zu Katharina".[41] "Die Sprache der Zeitung bewegt sich durchgängig auf dem Sprachniveau der angesprochenen Leserschaft."[42] Die Reportagen der "Zeitung" beginnen mit großen Fotos und großen Schlagzeilen, sie beinhalten Verleumdungen und verleumderische Zusätze über Katharina und die Personen die ihr positiv gesonnen sind.
Katharina wird mit parataktischen, einfachen Sätzen, "Räuberliebchen - Katharina Blum verweigert Aussage über Herrenbesuche"[43], "Mörderbraut immer noch verstockt! Kein Hinweis auf Göttens Verbleib! Polizei im Großalarm"[44] charakterisiert. Diese Ellipsen versteht jeder Leser der Zeitung, die kurzen Sätze prägen sich schnell in das Gedächtnis ein. Durch die enthaltenen Verleumdungen "Räuberliebchen" und "Mörderbraut" assoziiert man schnell den Eindruck, Katharina ist von ihrem Geliebten abhängig und ihm hörig. Die Definition "Liebchen" wirkt stark verniedlichend, der Leser erhält ein falsches Bild von Katharina.
Die Berichte des Sensationsreporter Tötges weichen sehr stark von der Wirklichkeit ab. Tötges formt positive Zeugenaussagen so um, dass diese in das negative Bild der Zeitung passen. Die positive Charakterisierung durch Katharinas Arbeitgeber (Katharina sei eine "kluge und kühle Person"[45]) formt Tötges zu "eiskalt und berechnend"[46] um.
Aus der allgemeinen Aussage Blornas "ich bin Anwalt und weiß, wer alles eines Verbrechens fähig ist"[47] macht Tötges, dass Blorna Katharina für "durchaus eines Verbrechens fähig "[48] halte.
Die Berichte der Zeitung werden meist mit verleumderischen Zusätzen versehen, um die Sensationsgier der Leser zu befriedigen. Aus Katharinas Wohnung macht der Reporter Tötges in seinen rhetorischen Fragen "ein(en) Konspirationstreff, ein(en) Bandentreff (und) ein(en) Waffenumschlagsplatz".[49] Die Aussage der Frau Woltersheim, Katharinas Mutter sei "einmal ... erwischt worden, wie sie in der Sakristei gemeinsam mit dem Küster eine Flasche Meßwein getrunken habe"[50] formuliert die "Zeitung" um in, "Sie hat Meßwein gestohlen und in der Sakristei mit ihren Liebhabern Orgien gefeiert".[51]
3.4.3 DIE SPRACHE UND DER SPRACHSTIL
Böll gibt weite Teile des Inhaltes des Buches in einer objektiven Berichterstattung wieder. Dieser Stil wird jedoch nicht konsequent eingehalten. Böll verwendet teilweise umgangssprachliche Redewendungen, in denen sich vermutlich seine persönliche Betroffenheit über die verbale Gewalt der Presse widerspiegelt.[52]
Durch formelhafte Wendungen in der Wiedergabe der Vernehmungen mit Wörtern wie dem unpersönlich amtlich wirkenden "es wurde" die Berichtsform zu prägen, "es wurden einige Gegenstände beschlagnahmt[53]; es wurde Katharina gestattet; bemerkt worden war auch, dass,... [54]; Es mussten noch drei weitere Teilnehmer des Hausballs vernommen werden." Es entsteht hierdurch der Eindruck der objektiven Berichterstattung.
Die Blornas gebrauchen Wörter wie "angequatscht"[55]; "in die Fresse hauen"[56]; "diese Schweine"[57], im Zusammenhang der Erregung über die Berichte der Zeitung. Auch Katharinas Tante Woltersheim verliert im Zusammenhang mit sexuellen Angeboten, die aufgrund der stark verzerrenden Berichterstattung Katharinas Person stattfinden, die Beherrschung: "Sie verdammte Sau, Sie verdammte feige Sau...".[58] Außerdem benutzt Frau Woltersheim Ausdrücke wie "Schleimscheißer"[59] und "widerwärtige (r) Angeber",[60] um den Ex Mann von Katharina zu beschreiben. Hierdurch werden die bisherigen Beziehungsprobleme von Katharina zum Ausdruck gebracht, sie hat noch nie Glück mit Männern gehabt.
Kommissar Beizmenne verwendet gelegentlich umgangssprachliche Ausdrücke wie "abgezischt"[61], er tritt als rauher Mensch mit rauhen Verhandlungsmethoden auf.
Der Zeitungsreporter Tötges verwendet Katharina gegenüber vulgäre Redewendungen. Als Tötges Katharina, wegen des versprochenen Interviews aufsucht, schlägt er vor erst, einmal zu "bumsen". Katharina antwortet mit den gleichen sprachlichen Mitteln, "Bumsen, meinetwegen, ich hab’ die Pistole rausgenommen und sofort auf ihn geschossen, ..... ich dachte: Gut jetzt bumst’s."[62]
3.5 GEGENWARTSBEZUG - ZEITUNG UND BILDZEITUNG
Wie bereits in der Vorbemerkung unter 2.1 erwähnt hat Böll seiner Erzählung die salvatorische Klausel vorangestellt: "Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bildzeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich."[63] Die Klausel soll aufzeigen, dass die Erzählung frei erfunden wurde ,dass sie fiktiv ist. Auch juristisch sichert sich Böll somit gegen mögliche Verleumdungsklagen. In dem Zusatz "unvermeidlich" steckt eine Ironie, er zeigt die Parallelen zur Bildzeitung, sie werden nicht ausgeschlossen sondern eher bestätigt. Die Bildzeitung und deren Berichterstattung diente Böll als Muster für die Zeitung. Die im Buch abgedruckten Zeitungstexte und die in den Text eingerückten fiktionalen Zeitungsausschnitte haben eine sehr große Ähnlichkeit mit denen der Bildzeitung. Es wird hier mit "Balkenüberschriften, grammatikalischen Verkürzungen und umgangssprachlichen Redewendungen auf formal - sprachlicher, Übertreibungen bis zu Sensationalisierung auf inhaltlicher Ebene"[64] verfahren. Die "Zeitung" stillt das Verlangen der breiten Masse nach leicht Verdaulichem, leicht verständlichen und scheinbaren Erklärungen des Geschehens und die Sensationsgier auf das bloße Ereignis. Wie bei der Bildzeitung der Springerpresse wird dies durch bestürzende Titel, übertriebene Sensationen und Greueltat erreicht, das Aufzeigen von Fakten und hinterfragende seriöse Berichterstattung sind nicht gefragt.
4 SCHLUSSBEMERKUNG
Böll zeigt in seinem Buch nicht nur die Methoden der Boulevardpresse, er beschreibt auch, wie sich die Umgebung der ‘Opfer des Sensationsjournalismus ’ durch den Einfluß der Medien verändert. Durch die verbale Gewalt der Presse kann ein unbescholtener Mensch völlig fertig gemacht werden. Diese Problematik hat auch in der heutigen Medienlandschaft an Aktualität nicht verloren. Zeitungen, die das schreiben, was der Leser leicht versteht und ihm interessant erscheint, verkaufen sich besonders gut.
Die Darstellung der Presse und deren Opfer ist sehr gut gelungen. Das Buch ist so geschrieben, dass auch der ungeübte Leser die Handlung und die Thematik versteht. Bölls Werk regt sehr zum Nachdenken über den Sensationsjournalismus an. Ich kann das Buch nur weiter empfehlen.
5 LITERATURVERZEICHNIS
Heinrich Böll, (Blum), Die verlorene Ehre der Katharina Blum, KiWi Verlag, Köln,
19. Auflage 1996, ISB N: 3 - 462 - 01640 - 7
Bernd Balzer, (Grundlagen), Grundlagen und Gedanken, Diesterweg, Frankfurt,
3. Auflage 1997, ISB N: 3 - 425 - 06041 - 4
Gerd Ludwig, (Erläuterungen), Königs Erläuterungen und Materialien, Bange,
10. Auflage 1997, ISB N: 3 - 8044 - 1636 - 5
Bernhard Sowinski, (Interpretationen), Oldenbourg Interpretationen, Oldenbourg,
2. Auflage 1997, ISB N: 3 - 486 - 88666 - 5
[1] B. Balzer, Grundlagen, 31, S. 23.
[2] H. Böll, Blum, S.9.
[3] Vgl. B. Sowinski, Interpretation, 2.2, S. 21.
[4] Vgl. B. Sowinski, Interpretation, 6, S.79.
[5] G. Ludwig, Erläuterungen, 6.1, S. 59.
[6] H. Böll, Blum, 2, S.11.
[7] B. Sowinski, Interpretation, 3.1.1, S.28.
[8] H. Böll, Blum, 15, S. 31.
[9] H. Böll, Blum, 24, S.71.
[10] Vgl. B. Sowinski, Interpretation, 3.1.1, S.29.
[11] H. Böll, Blum, 22, S. 52.
[12] H. Böll, Blum, 28, S. 86.
[13] H. Böll, Blum, 28, S. 88.
[14] H. Böll, Blum, 21, S. 47.
[15] H. Böll, Blum, 23, S. 56.
[16] Vgl. B. Sowinski, Interpretation, 3.1.1, S 30.
[17] Ebd.
[18] H. Böll, Blum, 24, S. 73.
[19] H. Böll, Blum, 38, S. 116.
[20] Ebd.
[21] Vgl. B. Sowinski, Interpretation, 3.1, S 30.
[22] H. Böll, Blum, 24, S.71.
[23] Vgl. B. Sowinski, Interpretation, 3.1.2, S.31.
[24] H. Böll, Blum, 22, S. 22.
[25] H. Böll, Blum, 22, S. 49.
[26] Vgl. H. Böll, Blum, 22, S. 48.
[27] H. Böll, Blum, 6, S.17.
[28] H. Böll, Blum, 36, S. 107 f.
[29] H. Böll, Blum, 28, S. 84 f.
[30] B. Sowinski, Interpretation, 3.1.4, S. 36.
[31] Vgl. B. Sowinski, Interpretation, 3.1.4, S. 36.
[32] Vgl. B. Sowinski, Interpretation, 3.1.4, S. 36.
[33] H. Böll, Blum, 35, S. 106.
[34] Vgl. B. Sowinski, Interpretation, 3.1.4, S. 36.
[35] H. Böll, Blum, S. 147.
[36] Vgl. B. Sowinski., Interpretation, 6.5, S. 88.
[37] B. Sowinski., Interpretation, 6.5, S. 88.
[38] Nach Lk 7,19 f.
[39] S. Böll, Blum, 26 S.59.
[40] Vgl. B. Sowinski, Interpretation, 6.5, S. 88.
[41] B. Sowinski, Interpretation, 4.3, S. 58.
[42] G. Ludwig, Erläuterungen, 4.5.2, S. 49.
[43] H. Böll, Blum, 22, S. 48.
[44] H. Böll, Blum, 23, S. 53.
[45] H. Böll, Blum, 20, S. 57.
[46] H. Böll, Blum, 22, S. 48.
[47] H. Böll, Blum, 21, S. 46.
[48] H. Böll, Blum, 22, S. 48.
[49] H. Böll, Blum, 22, S. 49.
[50] H. Böll, Blum, 28, S.87
[51] Ebd.
[52] G. Ludwig, Erläuterungen, 3.4.5, S. 33.
[53] H. Böll, Blum, 13, S. 26.
[54] H. Böll, Blum, 24. S. 61.
[55] H. Böll, Blum, 21, S. 46.
[56] H. Böll, Blum, 38, S. 120.
[57] H. Böll, Blum, 40, S. 125.
[58] H. Böll, Blum, 34, S. 104.
[59] H. Böll, Blum, 28, S. 87.
[60] Ebd.
[61] H. Böll, Blum, 33, S. 100.
[62] H. Böll, Blum, 58, S. 186.
[63] H. Böll, Blum, S. 9.
[64] G. Ludwig, Erläuterungen, 7.2.1, S. 66.
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