Johann Sebastian Bach
1.1 Johann Sebastian Bach - Leben und Werk
Jener bekannt Aphorismus Ludwig van Beethovens, Bach hätte eigentlich Meer heißen müssen, hat sicher nicht nur wegen der angesprochenen Fülle an musikalischen Ideen seine sachliche Berechtigung.
Wie im Meer alle Ströme zusammenfließen und von dort aus durch die Verdunstung von neuem das Land bewässern, so lässt sich die Musik Johann Sebastian Bachs mit einem solch ungeheuren Sammelbecken vergleichen: In ihr fließen die musikalischen Erfahrungen zusammen, die das Abendland bis dahin gesammelt hat; Bach hat deutsche, französische und italienische Einflüsse aufgenommen und verarbeitet, den Lutherchoral und die Kunst der Motette und Kantate zu ihrem Gipfel geführt, die Entwicklung der norddeutschen Orgelschule durch Präludien und Fugen, Passacaglien und Liedbearbeitungen krönend abgeschlossen und in den Brandenburgischen Konzerten an Dichte der Arbeit alles Zeitgenössische übertroffen. Gleichzeitig initiiert Bach mit seinem Werk für alle nachfolgenden Musikergenerationen neue Ideen, Ströme, Sichtweisen - oder wie Robert Schumann es formuliert hat: "Die Quellen werden im großen Umlauf der Zeit immer näher aneinander gerückt. Beethoven brauchte beispielsweise nicht alles zu studieren, was Mozart - Mozart nicht, was Händel - Händel nicht, was Palästrina, weil sie schon die Vorgänger in sich aufgenommen hatten. Nur aus einem wäre von allen immer von neuem zu schöpfen - aus Johann Sebastian Bach."
Die Musikalität der "Bache", jener Thüringer Familie, die sich auf den um 1520 geborenen Bäckermeister Hans Bach zurückführte, ist in der Geschichte wohl ohne Beispiel. Von 1580 bis 1845 (Tod des Enkels Johann Sebastian Bachs, Wilhelm Friedrich Ernst) lassen sich nicht weniger als dreizehn bedeutende Musiker auf der Stammtafel der Familie Bach nachweisen. Die "Bache" waren sehr familienverbunden. Typisch war die Sitte der "Familientage", die mit sehr vielen Improvisationen und heiteren Quodlibets abgehalten wurden.
Als achtes Kind des Eisenacher Stadtmusikus Johann Ambrosius und seiner Frau Elisabeth (geb. Lämmerhirt) kommt Johann Sebastian am 21. März 1685 zur Welt. Von 1693 bis 1695 besucht er die Lateinschule seiner Heimatstadt Eisenach, dieselbe Schule, in die schon der junge Luther gegangen war. Im Schulchor fällt die hervorragende Stimme des kleinen Musikersohnes auf.
Zwischen dem Mai 1694 und dem Januar 1695 verliert der Neunjährige innerhalb eines dreiviertel Jahres zuerst die Mutter und dann den Vater. Zusammen mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Johann Jakob muss er nach Ohrdruf bei Eisenach übersiedeln, wo sein 1671 geborener Bruder Johann Christoph Bach die Organistenstelle innehat. Bei Johann Christoph, einem Schüler des großen Nürnberger Orgelmeisters Johann Pachelbel, erhält der Heranwachsende eine gründliche Ausbildung am Klavier. Im Ohrdrufer Gymnasium wird er Sinne eines strengen orthodoxen Protestantismus lutherischer Prägung umfassend ausgebildet. Hier erhält er auch seine ersten fundierten theologischen Kenntnisse, ohne deren Voraussetzung etwa die Zusammenstellung von Schriftwort und Kirchenlied in seinen späteren Kantaten und Passionen, vor allem aber in seinen Motetten, nicht zu verstehen ist. Die Schulkantoren H. J. Arnold Und Elias Herda erweitern den musikalischen Bildungshorizont ihres Schülers durch Orgel-, Violin- und Bratschenunterricht sowie durch Musiktheorie und Kompositionslehre.
Als 15-Jähriger bekommt der Vollwaise einen Freiplatz an der Lüneburger Michaelisschule; er singt im "Mettenchor" mit und verdient sich Geld als "Diskantist". Nach der Mutation wird er als Geiger, Organist und Cembalist beschäftigt und leitet sogar eine Zeitlang den Schulchor.
Zahlreiche Anregungen erhält der junge Musiker durch den Kontakt mit den ortsansässigen Organisten Johann Jakob Loewe und Georg Böhm. Studienreisen führen nach Hamburg, wo Vincent Lübeck und Jan Adams Reinken, zwei Großmeister der norddeutschen Orgelschule, wirken und ins benachbarte Celle, wo französische und italienische Musik gepflegt wird. In die Lüneburger Zeit fallen auch die ersten (verschollenen) Kompositionen für Orgel und Klavier.
Mit 17 Jahren muss Bach die Michaelisschule in Lüneburg verlassen und es gilt eine berufliche Entscheidung zu treffen. Allerdings gibt es für Bach wenig Alternativen. Als Waise kann er sich ein Studium an der Universität, wie es nach der Auffassung seines Onkels Johann Christoph angebracht gewesen wäre, nicht leisten. Woher sollte er auch Geld für das Studium nehmen? Andererseits brennt er nach den Erfahrungen seines bisherigen Lebens darauf Musiker zu werden. Von seinen Fähigkeiten her ist er selbstbewusst genug, in das Berufsleben einzutreten. Bach wünscht sich eine Stellung, die ihm neben den beruflichen Verpflichtungen so viel Zeit lässt, sich musikalisch immer weiter zu vollkommnen. Eben dieser Wunsch wird ihm, beispilesweise in Arnstadt, freilich noch einigen Ärger einbringen.
So bewirbt sich Johann Sebastian um den Organistenposten in Sangershausen (Thüringen), dies allerdings vergeblich. Erst 1703 findet er für vier Monate eine erste Anstellung als Geiger und Bratscher im Kammerorchester des Bruders des Fürsten von Weimar. Auch in Weimar wird italienische Orgelmusik gepflegt.
Ein Gutachten über die neuerbaute Bonifaziusorgel in Arnstadt, verbunden mit einem öffentlichen Konzert, führt zur Verpflichtung als Organist und Leiter des Schul- und Kirchenchores. Von 1704 bis 1707 entstehen in Arnstadt die ersten Kantaten, zwei Capriccios für Cembalo und - unter dem Einfluss Dietrich Buxtehudes - die erste größere Sammlung von Orgelmusik. Dietrich Buxtehude, den alten Lübecker Marienorganisten, hat Johann Sebastian Bach auf einem viermonatigen Studienurlaub kennen gelernt. Der Orgelmeister bot dem jungen Mann, dessen Talent er erkannte, seine Stelle an. Allerdings war dieses Angebot an die Bedingung der Ehelichung der Tochter des greisen Meisters geknüpft. An eben dieser Bedingung war auch Georg Friedrich Händel gescheitert.
Aus verschiedenen Gründen, nicht zuletzt wegen des langen Aufenthalts bei Buxtehude, kommt es zu mehreren Zusammenstößen mit dem vorgesetzten Konsistorium. So ist ihm eine Berufung als Organist nach Mühlhausen willkommen, seinen Abschied von Arnstadt zu nehmen. Im September 1707 tritt er das neue Amt an. Am 17. Oktober heiratet er dann seine Cousine Maria Barbara, die ihm zwei Töchter und fünf Söhne schenken soll.
Auch in Mühlhausen währt der Friede nicht lange. Seit 1685 (Erscheinungsjahr der "Pia desideria" Speners) hat der Pietismus seinen Siegeszug angetreten, er versteht sich als eine Gegenbewegung und Reform der dogmatisch verfestigen und erstarrten Orthodoxie. Dem Pietismus geht es weniger um dogmatische "Rechtgläubigkeit" als vielmehr um gelebtes, lebendiges Christentum, um persönliche Erweckung einzelner Menschen. Auf der Kanzel von St. Blasius in Mühlhausen tobt der Streit zwischen den Konservativen und den Reformern. Der orthodox erzogene Kantor gerät zwischen die Parteien. Seine Bemühungen um konzertante Kirchenmusik werden von den Pietisten attackiert. "Der Pietismus leugnete den Symbolwert der großen Kirchenkunst, verwarf sie als Verführung und Blendwerk und begnügte sich mit erbaulichem Liedersingen." Schon im Juli 1708 entschließt sich Bach daher um Entlassung zu ersuchen.
Er findet eine Stelle als Cembalist und Geiger bei Herzog Wilhelm Ernst von Sachsen Weimar. Freundschaftliche Kontakte verbinden ihn mit seinem Vetter Johann Gottfried Walther, dem Stadtorganisten, und Georg Philipp Telemann, der Konzertmeister in Eisenach ist. Telemann wird dann auch 1714 der Taufpate von Carl Philipp Emanuel Bach. In Weimar entstehen wie schon in Mühlhausen hauptsächlich Kantaten und Orgelwerke. In dieser Zeit beschäftigt sich Bach aber auch intensiv mit den Werken deutscher, französischer und italienischer Komponisten (Corelli, Vivaldi, Albinoni, Froberger etc.). Das Orgelbüchlein entsteht. "Über den Weimarer Werken, namentlich der letzten Jahre (1714 - 1717), liegen der zauberhafte Glanz und die Frische genialer Jugend."
Auseinandersetzungen mit dem Fürsten führen dazu, dass der seit 1714 zum Hofkonzertmeister aufgerückte Bach die Berufung nach Köthen annimmt, die ihm im August 1717 zuteil wird. Erst im Dezember kann er das neue Amt antreten. Der Arrest, unter den er gestellt wird, ist offenbar die Reaktion des Herzogs auf die ungebührliche Form des Entlassungsgesuchs.
Am calvinistischen Hof in Köthen erlebt Bach eine überaus glückliche Zeit, die freilich durch den Tod Maria Barbaras im Juli 1720 getrübt wird. Am 3. Dezember 1721 heiratet der Witwer die Sängerin Anna Magdalena Wilcken (sechs Söhne und sieben Töchter).
In der Köthener Zeit, die durch die Freundschaft zum Fürsten Leopold geprägt ist, entsteht wieder Orgelmusik, aber vor allem werden hier die Orchesterwerke komponiert, Sonaten, Suiten, auch die sechs "Brandenburgischen Konzerte". Weiter entstehen der erste Teil des Wohltemperierten Klaviers und das 1. Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach. Durch die Heirat des Fürsten mit einer "amusa" erlahmt sein Interesse an der Musik. Deshalb nimmt Bach 1723 die Berufung an die Thomaskirche in Leipzig an. Es will ihm allerdings "anfänglich gar nicht anständig seyn, aus einem Capellmeister ein Cantor zu werden."
In die Leipziger Zeit fallen fast alle Hauptwerke Bachs. 1723 wird die Johannespassion uraufgeführt, der Großteil der Kantaten wird geschrieben (annähernd fünf Jahrgänge), eine Maukuspassion, die Matthäuspassion (1729), das musikalische Opfer, die Kunst der Fuge.
Der Streit mit dem Leipziger Konsistorium und dem Magistrat der Stadt begleitet die Jahre in Leipzig. Die Arbeitsbedingungen sind schlecht, Anerkennung muss sich der Thomaskantor woanders suchen. So bittet er etwa im Jahre 1733 um die Verleihung eine höfischen Titels durch den Kurfürsten und König August III. in Dresden. Dem devoten Gesuch legt er das Kyrie und Gloria aus der später erweiterten h-Moll-Messe bei. Erst 1736 wird er dann wunschgemäß zum "Hofkompositeur" ernannt. Zwischen 1734 und 1736 entstehen über 30 Kantaten, darunter das Weihnachtsoratorium (Zyklus von sechs Kantaten), das Oster- und Himmelfahrtsoratorium.
Immer mehr gerät der Thomaskantor in den Gegensatz zu seiner Zeit, in der sich der Geist der Aufklärung ausbreitet. Für jene "regulirte Kirchenmusik", die nur auf dem Boden lutherischer Kirchenmusik gedeihen kann, ist immer weniger Platz. Die "Ehre Gottes" als "Endzweck" wird in Frage gestellt. So ist der "Rückzug in die Symbolwelt der reinen Instrumentalmusik", den Bach in seinem letzten Lebensjahrzehnt antritt, verständlich. 1744 wird der zweite Teil des Wohltemperierten Klaviers fertiggestellt. Die Clavierübung, die Bach 1723 begonnen hatte, war schon 1742 mit ihrem berühmten 4. Teil, den Goldberg-Variationen, abgeschlossen worden.
Im Frühjahr 1747 besucht der alte Thomaskantor seinen Sohn Carl Philipp Emanuel und improvisiert in Potsdam vor König Friedrich II. Nach seiner Rückkehr nach Leipzig arbeitete Bach das Thema, das ihm der "Alte Fritz" zur Improvisation gestellt hatte zum "Musikalischen Opfer" aus. Während der Arbeit an der Kunst der Fuge erleidet Johann Sebastian Bach im Mai 1749 einen Schlaganfall. Seine Sehkraft wird stark beeinträchtigt. Der englische Augenarzt John Taylor operiert Bach zweimal, was aber nur die völlige Erblindung zu Folge hat. Im Juli 1750 diktiert (?) der alte Mann seinem Schwiegersohn Johann Christoph Altnikol den Choral "Vor deinen Thron tret ich hiermit"; es soll sein letztes Werk sein (?). Überraschend für alle erlangt er am 18. Juli noch einmal die Sehkraft. Ein zweiter Schlaganfall wirft ihn erneut zu Boden. Johann Sebastian Bach stirbt am 28. Juli 1750.
1685 Eisenach
am 21. März als Sohn des Stadtpfeifers Johann Ambrosius Bach geboren;
Besuch der Lateinschule
1694/95 Tod der Eltern.
Johann Sebastian Bach 1746
Porträt des Leipziger Ratsmalers Elias Gottlob Haussmann (1695-1774)
Öl auf Leinwand
Johann Sebastian Bach aus Ägyptischer Sicht
Cartoon von Mohammed EFFAT Esmail
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1695 Ohrdruf
Erziehung durch den Bruder Johann Christoph Bach
1700 Lüneburg
Sänger im Mettenchor des Michaelisklosters
1703 Weimar
Violinist am Hof
1703 Arnstadt
Organist an der Neuen Kirche
1705/06 Viermonatige Studienreise nach Lübeck
1707 Mühlhausen
Organist an der Kirche Divi Blasii;
Trauung mit Maria Barbara Bach in Dornheim
1708 Weimar
Organist und Kammermusiker am Hof
1714 Ernennung zum Konzertmeister mit Verpflichtung zu regelmäßigen Kantatenkompositionen
1717 Sammlung von Choralvorspielen für "Orgelbüchlein" begonnen
1717 Köthen
Hofkapellmeister
1720 Tod der Ehefrau Maria Barbara
1721 "Brandenburgische Konzerte"
1721 Trauung mit der Sängerin Anna Magdalena Wilcke
1722 "Wohltemperiertes Klavier" Teil I
1722 "Klavierbüchlein für Anna Magdalena Bach "
1723 Leipzig
Thomaskantor
Verpflichtung zu sonntäglichen Kantatenaufführungen
1724 Erstaufführung der Johannes- Passion
1727 Erstaufführung der Matthäus- Passion
1729 Ãœbernahme des Collegium musicum
1733 Ãœberreichung von Kyrie und Gloria der h-Moll-Messe an den Dresdner Hof
1734/35 Erstaufführung des Weihnachtsoratoriums
1747 Besuch beim preußischen König Friedrich II.;
"Musikalisches Opfer"
1747 Eintritt in die "Sozietät der musikalischen Wissenschaften"
etwa 1740 bis 1750 "Kunst der Fuge"
1750 Fertigstellung der h-Moll-Messe
1750 zwei Augenoperationen
1750 am 28. Juli in Leipzig gestorben
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