Heinrich Böll

1. Biographie

Böll wurde am 21. Dezember 1917 als das achte Kind des Schreinermeisters und Bildschnitzers Viktor Böll in Köln geboren.

Er wird von seinen Eltern katholisch erzogen 1923-1930 erlebt B. sieben glückliche Jahre seiner Kindheit in Wohlstand (mit Spiel und Spaß) und Familie (Vater, Mutter, Geschwister). B. ist eines der wenigen reichen Kinder seiner Zeit. 1928-1937 besucht B. ein Gymnasium. Als Kind liest B. Robinson Crusoe, dann Karl May und andere Autoren. Nach dem Abitur wird er für ein Jahr lang in den Arbeitsdienst eingezogen, danach beginnt er eine Buchhändlerlehre. Durch den zweiten Weltkrieg werden die Pläne Bölls, Literatur zu studieren, zerstört, denn er dient in der Armee als Soldat von 1939-1945, also den gesamten Krieg. Dabei kommt er an verschiedene Fronten. Aus amerikanischer Gefangenschaft kehrt er 1945 in die Heimat zurück. Nach dem Krieg studiert er in Köln Literatur, dann arbeitet er eine Zeit lang in der Schreinerei seines Bruders und später als Behördenangestellter.

1947 beginnt er mit Kurzgeschichten. Nach seinen ersten literarischen Erfolgen wird er 1951 freier Schriftsteller. Es folgen Erzählungen und Romane, die Böll den Ruf eines hervorragend realistischen Erzählers bringen. In B.'s Werken werden oft die einfachen Menschen und die Außenseiter der Gesellschaft positiv gesehen. Bekannte Werke haben häufig den Krieg als Thema.

1967 erhält B. den Georg-Büchner-Preis.

1970-1972 ist B. Präsident des P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland.

1972 erhält B. den Nobel-Preis für Literatur.

1971-1974 ist B. Präsident des internationalen P.E.N.-Clubs

-kennzeichnend für ihn galt sein Engagement für unterdrückte Schriftsteller.

-während seiner Karriere schreibt B. auch Hörspiele und übersetzt engl. Texte

Heinrich Böll starb am 16. Juli 1985.

P.E.N. - poets, essayists, novelists - intern. Dichter- und Schriftstellervereinigung, seit 1921

2. Epochen seiner Lebenszeit

oder: Welche Ereignisse sein Leben prägten und ihn zum Schreiben veranlassten.

Geburtsjahr 1917 Geburt im Krieg

I. Weltkrieg 1914-1918

Die 20er Jahre Bölls 7 glückliche Kindheitsjahre

Deutschland erlebt Wohlstand und Reichtum

Die 30er Jahre Gymnasiumbesuch

6.000.000 Arbeitslose

Nationalsozialismus kommt Soldatenzeit / Judenverfolgung

II. Weltkrieg 1939-1945

nach 1945 Studium und schriftstellerische Anfänge

Massenarbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Flucht

Vertreibung, Besatzungszeit

50er, 60er Jahre Erzählungen und Romane, die sich u.a. mit der Aufbau, Wirtschaftswunder gesellschaftlichen Entwicklung Deutschlands

beschäftigen.

Ende 60er, 70er Jahre Nobelpreis, P.E.N.-Club

Studienrevolten, Terroristen

Ende 70er, 80er Jahre

Friedensbewegungen gegen Atom-Waffen Tod am 16. Juli 1985

3. Die wichtigsten Werke

Wanderer kommst du nach Spa (1950) ist eine Sammlung von Bölls ersten Kurzgeschichten. B. verstand es in den Geschichten, die Erfahrungen der Heimkehrergeneration darzustellen. Dabei stehen die kleinen, unbekannten Leute im Mittelpunkt.

Heimkehrergeneration - Soldaten u.a. müssen wieder Zivilisten werden (nach Kriegsende), Parteileute, Arbeiter, Spitzel

1951 erschien das Buch Wo warst Du Adam?, ebenfalls eine Reihung von Kurzgeschichten, die aber durch die immer wieder auftauchende Person des Landsers Feinhals und die Verlagerung des Geschehens von der Front in die Heimat verbunden sind. Im wesentlichen soll das Buch durch den Tod des Helden am Ende des Krieges dessen Absurdität aufzeigen. Als Motto wählte B. den Satz: "Der Krieg ist eine Krankheit."

Landser - einfacher Soldat, Fußsoldat

Dass Böll nie von dieser Art der Literatur losgekommen zu sein scheint, beanstanden seine Kritiker.

1953 entstand ein Buch, das den Alltag im Krieg darstellt, hier ist es die Wohnungsnot. Und sagte kein einziges Wort ist der Titel der Geschichte, in der B. eine Kirche fordert, die sich stärker um die hilfsbedürftige Bevölkerung kümmert.

Der Roman Haus ohne Hüter von 1954 zeigt sehr detailliert verschiedene Schicksale von Kriegerwitwen auf, wobei B. auch hier wieder Kritik an der Kirche übt, die in seinen Augen zu unbeweglich und starr ist.

Billard um halb zehn von 1959 erzählt von drei Generationen einer Architektenfamilie. Teils durch Erinnerungen greifen die Gedanken bis in die Zeit vor dem 1. Weltkrieg zurück und berichten so von dem Bau, der Zerstörung und dem Wiederaufbau einer Abtei, an der die einzelnen Generationen beteiligt waren. In diesem Roman befasst er sich mit dem Faschismus in Deutschland vor dem 2. Weltkrieg und mit dem Widerstand gegen die Diktatur, der in der Regel religiöse (christliche) Ursprünge hatte.

Böll sah den Krieg als Szene der totalen Sinnlosigkeit in ihrer furchtbarsten Form, dem perfekten Massenmord, dessen Verantwortliche stets im Hintergrund nie faßbar werden. Außerdem hält Böll den Krieg für ein Chaos aus Brutalität und Gründlichkeit.

Das Verhältnis eines Landes und seiner Bürger zu seiner mit Schuld beladenen jüngsten Vergangenheit macht mehr oder weniger die Themen aller späteren Romane aus.

Der 1963 erschienene Roman Ansichten eines Clowns ist das wohl bekannteste Werk Bölls. Auch dieser Roman kritisiert die gesellschaftliche und kirchliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. Aus der Sicht des Clowns Hans Schnier, der aus einer reichen Industriellen-Familie stammt, wird dessen eigene Geschichte und das, was um ihn herum passiert, erzählt. Hans Schnier wird ein Aussteiger, weil er die Gesellschaft, in der er lebt, ablehnt. Er fühlt sich durch Staat und Kirche zu sehr bevormundet. Er flüchtet vor dem realen Leben und leistet keinen Widerstand.

Die weibliche Version von Hans Schnier ist Leni Pfeiffer im Roman Gruppenbild mit Dame von 1971. B. schreibt über sie: "Ich habe versucht, das Schicksal einer Frau von Ende vierzig zu beschreiben, die die ganze Last dieser Geschichte zwischen 1922 und 1970 mit auf sich genommen hat." Leni Pfeiffer kann sich im Gegensatz zu Schnier durchsetzen und wehrt sich gegen dieses System.

1974 erschien seine Erzählung Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Deutlich wird an Katharina Blum aufgezeigt, was eine skrupellose Sensationspresse so alles ausrichten kann, indem sie die Sachverhalte bei der Fahndung nach einem Verbrecher völlig verdreht und so ein sehr falsches Licht auf einen Menschen wirft.

In den letzten Jahren vor seinem Tod ändert er seinen Stil von fiktionalen Texten hin zu solchen Schriften, die zum Zeitgeschehen direkt Stellung nehmen. Eine Reihe von Aufsatzbänden (1982 und 84) zeigen diesen Wandel.

Als Abschluß seines Werkes erschien der kurz vor seinem Tod fertiggestellte Roman Frauen vor Flußlandschaft. Die Flußlandschaft ist das Rheinufer des Regierungsviertels in Bonn. Die Frauen sollen die Freundinnen und Ehefrauen der Politiker sein, aus deren Sicht das politische Geschehen beobachtet wird, wobei deutlich wird, dass sie selbst Opfer des Karrieredenkens ihrer Partner sind.

Böll sah sich oft mißverstanden. Seine Werke riefen auch heftige Kritik hervor. Die einen bezeichneten ihn als das kritische Gewissen der Nation, die anderen zogen ihn als Sympathisanten des Terrorismus durch den Schmutz. Dadurch kam es, dass sein Werk vorwiegend nach Inhalten beurteilt wurde.

4. Die Waage der Baleks - Eine Kurzgeschichte

Die Handlung:

"Die Waage der Baleks" erzählt von einem Großvater, der in seiner Kindheit wie alle anderen Kinder in seiner Wohngegend für eine adlige Familie, den Baleks, tagsüber in den Wäldern Kräuter, Pilze und Heublumen sammelte. Für ein kg Heublumen z.B. bekamen die Kinder 1 Pf, für ein kg Pilze etwas mehr, nämlich 10 Pf. All die Wälder und auch die Flachsbrechen, in denen die Eltern der Kinder arbeiteten gehörten den Baleks. Diese wiederum wohnten in einem Schloß.

In einem kleinen Stübchen der Frau Balek stand die große Waage, die seit Generationen die gepflückten Pilze und Kräuter der Kinder abwog, worauf die Kinder entsprechend bezahlt wurden. Ebenfalls in dem Nebenzimmer stand ein großes Bonbonglas, aus dem die Kinder hin und wieder eines bekamen.

Eines der Gesetze, die die Baleks ihrem Einflußbereich gegeben hatten, und das waren immerhin drei Dörfer, besagte, dass niemand außer den Baleks selber eine Waage besitzen durfte. Das Ansehen und die Furcht vor den Baleks verhinderten einen Gesetzesbruch. Jener Großvater jedoch prüfte bei einer günstigen Gelegenheit (Gertrud, die Magd, verschwindet kurz aus dem Stübchen, um das leere Bonbonglas aufzufüllen) die Gerechtigkeit der Waage:

" ... und mein Großvater blieb mit den vier Achtelkilopaketen, die in der Fabrik verpackt und verklebt waren, vor der Waage stehen, auf der jemand den Halbkilostein liegengelassen hatte, und mein Großvater nahm die vier Kaffeepaketchen, legte sie auf die leere Waagschale, und sein Herz klopfte heftig, als er sah, wie der schwarze Zeiger der Gerechtigkeit links neben dem Strich hängenblieb, die Schale mit dem Halbkilostein unten blieb und das halbe Kilo Kaffee ziemlich hoch in der Luft schwebte; sein Herz klopfte heftiger, als wenn er im Wald hinter einem Strauch gelegen, auf Bilgan, den Riesen, gewartet hätte, und er suchte aus seiner Tasche Kieselsteine, wie er sie immer bei sich trug, um mit der Schleuder nach den Spatzen zu schießen, die an den Kohlpflanzen seiner Mutter herumpickten - drei, vier, fünf Kieselsteine musste er neben die vier Kaffeepakete legen, bis die Schale mit dem Halbkilostein sich hob und der Zeiger endlich scharf über dem schwarzen Strich lag. Mein Großvater nahm den Kaffee von der Waage, wickelte die fünf Kieselsteine in sein Sacktuch, und als Gertrud mit der großen Kilotüte voll saurer Bonbons kam, die wieder für ein Jahr reichen musste, um die Röte der Freude in die Gesichter der Kinder zu treiben, als Gertrud die Bonbons rasselnd in Glas schüttete, stand der kleine, blasse Bursche da, und nichts schien sich verändert zu haben."

In der kommenden Nacht rechnete er mit Hilfe der Rückseite seines Kalenders, auf der er fünf Jahre lang Buch über seine Abgaben an die Baleks geführt hatte, nach, wieviel ihm die Baleks schuldeten. Danach erzählt er es jedem in seiner Familie. Aufruhr und Chaos im Dorf ist die Folge. Und auch die beiden Nachbardörfer erfahren es nach kurzer Zeit. Daraufhin wird den ganzen Tag lang über die Schuld der Baleks an die Dorfbewohner nachgegrübelt, wobei im Aufruhr noch ein Schwesterchen des Jungen zu Tode kommt. Dazu der letzte Abschnitt des Textes:

"Die Eltern meines Großvaters mussten das Dorf verlassen, das frische Grab ihrer kleinen Tochter; sie wurden Korbflechter, blieben an keinem Ort lange, weil es sie schmerzte, zuzusehen, wie in allen Orten das Pendel der Gerechtigkeit falsch ausschlug. Sie zogen hinter dem Wagen, der langsam über die Landstraße kroch, ihre magere Ziege mit, und wer an dem Wagen vorbeikam, konnte manchmal hören, wie drinnen gesungen wurde: "Gerechtigkeit der Erden, o Herr, hat dich getötet." Und wer ihnen zuhören wollte, konnte die Geschichte hören von den Baleks von Bilgan, an deren Gerechtigkeit ein Zehntel fehlte. Aber es hörte ihnen fast niemand zu."

aus: "Die Waage der Baleks" (1952) von Heinrich Böll

Was B. mit dieser Geschichte zu sagen versucht, wird erst deutlich, wenn man die Auswirkungen der Herrschaftsautorität kennt, die zur Jahrhundertwende, die Zeit in der die Geschichte sich ereignete, in Deutschland die Gesellschaftsstruktur bildete. Dieses System kann nur zu einem menschenwürdigen Leben der Untergebenen führen, wenn die Herrscher ehrlich und mit Verantwortung für das Wohl ihrer Untertanen sorgen. Damals herrschte eine wohlhabende Schicht, hier sind es die Baleks, die jedoch hart und betrügerisch die armen Bürger ausbeuten. Seit Jahrzehnten verwenden sie falsche Gewichte und zahlen dementsprechend zu wenig Geld aus. Nach außen hin zeigen sich die Baleks jedoch mild und freundlich, indem sie den Kindern ein Bonbon geben oder zum Jahreswechsel ein-viertel Pfund Kaffee für jede Familie spendieren. Die Untergebenen fügen sich der Herrschaft, deren Einfluß sogar bis ins Nachbardorf reicht. Nur der Großvater des Erzählers deckt als kleiner Junge die Ungerechtigkeit auf, so dass die Wahrheit ans Licht kommt. Während die eine Seite mit legalen Mitteln arbeitet und sehr hart arbeiten muss, wird die Gerechtigkeit von der anderen Seite mit Gewalt unterdrückt. Als der Skandal endgültig bewiesen zu werden droht, scheuen die Herrscher keine Skrupel. Die Schwester des Großvaters kommt dabei in den Auseinandersetzungen zu Tode. Das Ende des Aufstandes ist die Ausweisung der Familie und die Tatsache, dass alles beim alten bleibt. Die Menschen werden weiter unterdrückt und ausgebeutet, weil sie von den Herrschenden abhängig sind.

Quellen/Literatur:

-Brockhaus Biographie

-Geschichte der deutschen Literatur, Hans Gerd Rötzer, C.C.Buchner Biographie, Werke

-Neues Handbuch der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1945, dtv Biographie, Werke

-Erzählungen der Gegenwart II, Hirschgraben - Lesereihe Die Waage der Baleks

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